Beschluss vom 27.08.2024 -
BVerwG 1 WB 40.23ECLI:DE:BVerwG:2024:270824B1WB40.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 27.08.2024 - 1 WB 40.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:270824B1WB40.23.0]
Beschluss
BVerwG 1 WB 40.23
In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 27. August 2024 beschlossen:
Das gegen den Richter am Bundesverwaltungsgericht ... gerichtete Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.
Gründe
I
1 1. Mit dem unter dem 9. August 2024 gegen den Richter am Bundesverwaltungsgericht ... gerichteten Ablehnungsgesuch wendet sich der Soldat gegen dessen Mitwirkung an der Entscheidung über Ablehnungsgesuche, welche er im Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 40.23 gegen die dort zuständigen Richter - Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht ..., Richterin am Bundesverwaltungsgericht ... und Richter am Bundesverwaltungsgericht ... – gestellt hat. Gegenstand des Wehrbeschwerdeverfahrens bildet die Frage, ob die Aufnahme der Impfung gegen den Covid-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 (Basisimpfschema) rechtmäßig war.
2 2. Der Soldat verweist zur Begründung seines gegen den Richter ... gerichteten Ablehnungsgesuchs im Wesentlichen auf sein gegen die zuständigen Richter gestelltes Ablehnungsgesuch und auf deren Verhalten in dem nicht vom Soldaten betriebenen Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 50.22 , welches am 29. Mai 2024 von denselben Richtern verhandelt wurde und noch nicht entschieden ist. Zudem leitet er die Besorgnis der Befangenheit von Richter ... vor allem aus zwei Entscheidungen des 1. Wehrdienstsenats vom 7. Juli 2022 - BVerwG 1 WB 2.22 sowie BVerwG 1 WB 5.22 - (vgl. BVerwGE 176, 138) ab, an denen dieser mitgewirkt hat und in denen die Aufnahme der Impfung gegen den Covid-19-Erreger in das Basisimpfschema für rechtmäßig befunden worden ist. Sowohl die entschiedenen Fälle als auch die mündliche Verhandlung im Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 belegten, dass den Fragen, wer wann über die Änderung des Basisimpfschemas entschieden habe, rechtswidrig nicht nachgegangen worden sei und dass die zuständigen Richter diesen Fragen auch nicht mehr nachgehen wollten. Letzteres folge auch daraus, dass im Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 gesetzeswidrig ein Feststellungsinteresse verlangt werde. Auch dies verdeutliche, dass der Klärung der materiell-rechtlichen Fragen - insbesondere der ungeklärten Zuständigkeitsproblematik - ausgewichen werden solle. Es stehe zu befürchten, dass Richter ... beeinflusst durch die Art und Weise seiner Mitwirkung in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 sowie BVerwG 1 WB 5.22 nicht unvoreingenommen über das Ablehnungsgesuch gegen die zuständigen Richter entscheiden werde.
3 3. Den Verfahrensbeteiligten ist die dienstliche Äußerung des Richters ... vom 14. August 2024 zur Kenntnis gebracht worden.
II
4 1. Der 1. Wehrdienstsenat entscheidet über das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Bundesverwaltungsgericht ... ohne dessen Mitwirkung und ohne Mitwirkung der sonstigen Richter des 1. Wehrdienstsenats – ..., ... und ... –, denn der Soldat hat gegen sie ebenfalls Befangenheitsanträge gestellt (§ 23a Abs. 1 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO, § 45 Abs. 1 ZPO).
5 2. Da der 1. Wehrdienstsenat durch seine regulären Mitglieder nicht mehr beschlussfähig ist, haben über das Ablehnungsgesuch gemäß C. III. 1. Satz 2 des Geschäftsverteilungsplanes des Bundesverwaltungsgerichts für das Geschäftsjahr 2024 (Geschäftsverteilungsplan) anstelle der Berufsrichter des 1. Wehrdienstsenats in Vertretung jene des 2. Wehrdienstsenats - Prof. Dr. Burmeister und Dr. Henke - zu befinden, wobei ... als Vorsitzender auch des 2. Wehrdienstsenats wegen des gegen ihn gerichteten Ablehnungsgesuchs von der Mitwirkung (erneut) ausgeschlossen ist. An seine Stelle tritt gemäß C. III. 4. des Geschäftsverteilungsplans Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden. Der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter bedarf es nicht, weil im Ablehnungsverfahren keine abschließende Entscheidung zur Sache getroffen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 26 m. w. N.).
6 3. Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg.
7 a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Ablehnungsgesuch bereits unzulässig ist, weil der Kläger, abgesehen von der Mitwirkung des Richters ..., an den Beschlüssen in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 entgegen § 23a Abs. 1 WBO i. V. m.§ 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 44 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO keinen Ablehnungsgrund individuell bezogen auf den an der zu treffenden Entscheidung beteiligten Richter glaubhaft dargelegt hat (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2022 - 9 A 12.21 - NVwZ 2022, 884 Rn. 20). Glaubhaft zu machen sind nach § 294 ZPO dabei tatsächliche Angaben, aus denen sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Besorgnis der Befangenheit ableitet (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 60/06 <KG> - NJW-RR 2007, 776 <777>; Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 44 Rn. 8 f.).
8 Das Ablehnungsgesuch erschöpft sich in der Mutmaßung, der Richter ... werde die Besorgnis der Befangenheit bei den sonstigen Richtern des 1. Wehrdienstsenats deshalb nicht bejahen, weil er selbst an den - vermeintlich - fehlerhaften Entscheidungen des 1. Wehrdienstsenats vom 7. Juli 2022 mitgewirkt habe, in denen unter Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz namentlich nicht der Frage nachgegangen worden sei, ob tatsächlich exklusiv die seinerzeitige Bundesministerin der Verteidigung die Änderung des Basisimpfschemas verfügt habe. Angesichts des richterlichen Beratungsgeheimnisses kann der Soldat des Weiteren nur mutmaßen, Richter ... habe den Rechtsstandpunkt des Senats geteilt und die Anforderung eines Dokuments, das über die Entscheidung der Bundesministerin der Verteidigung Aufschluss gibt, ebenfalls nicht für erforderlich erachtet. Tatsächliche Anhaltspunkte, die seinen Mutmaßungen Substanz verleihen und die Vermutung richterlicher Unparteilichkeit widerlegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 32, EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 - 1128/17 - NJW 2021, 2947 Rn. 45), werden nicht vorgetragen.
9 b) Das Ablehnungsgesuch ist jedenfalls unbegründet.
10 Bei dem Richter liegen weder gesetzliche Ausschließungsgründe nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 41 ZPO, § 54 Abs. 2 VwGO, (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - 1 WB 12.17 - juris Rn. 5 und vom 11. März 2021 - 1 WB 27.20 - juris Rn. 5) vor noch ist seine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt. Einen Ausschluss aus sonstigen Gründen verbietet der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerwG, Beschlüsse vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - juris Rn. 8 und vom 5. Oktober 2022 - 1 WB 48.22 - NVwZ 2023, 173 Rn. 43 m. w. N.).
11 aa) Nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, nicht hingegen, dass dieser tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt zwar, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln, mithin bereits der "böse Schein" besteht. Die ausschließlich subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht indes nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - juris Rn. 9 m. w. N.). Der Standpunkt dessen, der die Parteilichkeit geltend macht, ist nicht ausschlaggebend; entscheidend ist vielmehr, ob seine Befürchtung auch objektiv berechtigt ist (EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 - 1128/17 - NJW 2021, 2947 Rn. 46). Hiernach ist eine Besorgnis der Befangenheit zu verneinen.
12 bb) Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder einem Verfahrensbeteiligten eine Handhabe zu geben, in dem von ihm betriebenen Verfahren einen seinem Anliegen gewogenen Richter auszuwählen. Es soll Verfahrensbeteiligte ausschließlich vor einer persönlichen Voreingenommenheit des Richters, nicht aber vor der Rechtsanwendung des Richters schützen. Deshalb kann allein aus der richterlichen Vorbefassung mit einer auch im anhängigen Verfahren entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzlich keine Besorgnis der Befangenheit abgeleitet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 2022 - 1 WB 46.22 , 1 W-VR 15.22 - juris Rn. 10 m. w. N.). Dies gilt auch angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 16. Februar 2021 - 1128/17 - NJW 2021, 2947 Rn. 48; betreffend die Vorbefassung eines Strafrichters, OLG Oldenburg, Beschluss vom 10. Juni 2022 - 1 Ws 203/22, 1 Ws 204/22 - NJW 2022, 2631 Rn. 10), da Richter ... nicht am bereits verhandelten Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 mitgewirkt hat.
13 cc) Auch der Umstand, dass der 1. Wehrdienstsenat in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 sowie BVerwG 1 WB 5.22 das Originaldokument über die originäre Entscheidung der Bundesministerin der Verteidigung nicht angefordert hat, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Denn es liegt schon kein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO vor, der allenfalls bei willkürlicher Handhabung eine solche Besorgnis indizieren könnte. Die Aufklärungspflicht besteht in dem Umfang, wie er zur Aufklärung eines Sachverhalts erforderlich ist (Dau/Scheuren, WBO, 8. Aufl., § 18 Rn. 19). Die Aufklärung eines bis dato unstreitigen Umstandes drängte sich seinerzeit mangels Anhaltspunkten für die Anordnung durch eine dritte Person nicht auf (BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 7 B 46.12 - juris Rn. 4), so dass es sich innerhalb pflichtgemäßen Ermessens (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 4 B 51.13 - juris Rn. 4 m. w. N.) bewegte, in den Verfahren BVerwG 1 WB 2.22 und BVerwG 1 WB 5.22 eine Aufklärung insoweit nicht für erforderlich zu erachten. Nachdem im noch anhängigen Verfahren BVerwG 1 WB 50.22 diesbezügliche Zweifel geäußert worden sind, hat der 1. Wehrdienstsenat - ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 29. Mai 2024 - dem durch eine Anforderung der Anordnung der Ministerin vom 24. November 2021 Rechnung getragen, was zusätzlich die Annahme des Soldaten widerlegt, das Gericht verschließe sich entscheidungserheblichen Tatumständen.
14 dd) Umstände, die dafür streiten könnten, dass der dem Richter ... unterstellte Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz jenseits der bereits erörterten Umstände auf persönlicher Voreingenommenheit dem Soldaten gegenüber beruht, sind ebenfalls nicht ersichtlich.