Verfahrensinformation
Der 2. Wehrdienstsenat hat sich mit dem Internetauftritt einer Kommandeurin in einem Dating-Portal zu befassen. Die im Bereich der Bundeswehr überdurchschnittlich bekannte Kommandeurin stellte in einem Dating-Portal ein Profilbild von sich in sitzender Pose mit erkennbaren Gesichtszügen und unter Verwendung ihres tatsächlichen Vornamens ein. Sie warb mit dem Text: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome."
Nachdem dieses Profilbild dem Disziplinarvorgesetzten der Kommandeurin zugespielt worden war, sprach er ihr gegenüber einen einfachen Verweis aus. Das ist die niedrigste Disziplinarmaßnahme der Wehrdisziplinarordnung. Die Kommandeurin sei ihrer Verpflichtung zum ordnungsgemäßen außerdienstlichen Auftreten nicht gerecht geworden. Nach § 17 SG dürfe eine Soldatin durch ihr Verhalten das Ansehen der Bundeswehr und die Achtung und das Vertrauen, die ihre dienstliche Stellung erforderten, nicht ernsthaft beeinträchtigen.
Das Truppendienstgericht hat diese Disziplinarmaßnahme als rechtmäßig angesehen. Es liege eine vorsätzliche Verletzung dieser außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht vor. Die Kommandeurin habe durch die gewählte Formulierung Zweifel an ihrer moralischen Integrität begründet. Außenstehenden würde der Eindruck vermittelt, dass sie sich selbst und ihre wechselnden Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere. Dies wirke sich in der Öffentlichkeit negativ auf die Bewertung der moralischen Integrität der Bundeswehr aus. Die Kommandeurin sei auch aufgrund ihres besonderen Bekanntheitsgrades innerhalb der Bundeswehr und in der Region als Soldatin erkennbar gewesen. Daran ändere der Umstand nichts, dass sie ihre Bundeswehrzugehörigkeit nicht erwähnt und dass das Dating-Portal als geschlossenes System nur registrierten Nutzern offen gestanden habe.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Soldatin die Aufhebung des Verweises. Die Disziplinarmaßnahme greife in nicht zu rechtfertigender Weise in ihr Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht schütze auch alle legalen Handlungen, die der Kontaktaufnahme zu möglichen Sexualpartnern dienten. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht sei nicht darauf ausgelegt, in dieses Grundrecht einzugreifen. Auch wenn das Truppendienstgericht vorgebe, dass die "promiskuitive Lebensweise" der Kommandeurin nicht Gegenstand des Verfahrens sei, werde ihr genau dies letztlich vorgehalten. Ihr Inserat reduziere weder sie selbst noch mögliche Partner zu reinen Sexobjekten. Auch die Ausführungen des Truppendienstgerichts zur Gefahr des Bekanntwerdens ihres Inserats sei nicht nachvollziehbar, weil es sich bei dem Dating-Portal um ein nichtöffentliches "geschlossenes System" handele. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass durch den Text des Inserats die Gefahr einer "ernsthaften" Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr bestehe. Im Übrigen habe das Truppendienstgericht illegale Screenshots ihres Profilbilds als Beweismittel verwertet, worin ein unheilbarer Verfahrensfehler liege.
Pressemitteilung Nr. 34/2022 vom 25.05.2022
Kommandeure müssen bei privaten Internetauftritten die Auswirkungen auf ihr berufliches Ansehen beachten
Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat heute die Rechtsbeschwerde einer Bataillonskommandeurin gegen eine disziplinarrechtliche Entscheidung des Truppendienstgerichts Süd zurückgewiesen und betont, dass Soldaten in besonders repräsentativen Funktionen auch bei privaten Internetauftritten bei der Form ihres Auftretens Zurückhaltung üben müssen.
Die überdurchschnittlich bekannte Kommandeurin hatte in einem Dating-Portal ein Profilbild von sich in sitzender Pose mit erkennbaren Gesichtszügen und unter Verwendung ihres tatsächlichen Vornamens eingestellt. Sie warb mit dem Text: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome." Dafür erteilte ihr der Disziplinarvorgesetzte einen einfachen disziplinarrechtlichen Verweis.
Das Truppendienstgericht hat diese Disziplinarmaßnahme gebilligt. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG dürfe eine Soldatin durch ihr außerdienstliches Verhalten das Ansehen der Bundeswehr und die Achtung und das Vertrauen, die ihre dienstliche Stellung erforderten, nicht ernsthaft beeinträchtigen. Die Kommandeurin dürfe zwar grundrechtlich geschützt privat ein promiskuitives Sexualleben führen. Durch die Formulierung in ihrem Profil habe sie aber Zweifel an ihrer moralischen Integrität begründet. Außenstehenden würde der Eindruck vermittelt, dass sie sich selbst und ihre Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere. Dies wirke sich in der Öffentlichkeit negativ auf die Bewertung ihrer moralischen Integrität und den guten Ruf der Bundeswehr aus.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass diese Begründung rechtlichen Bedenken unterliegt. Das Truppendienstgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die privaten Äußerungen der Soldatin in einem Partnerschaftsportal von der Öffentlichkeit der Bundeswehr als Ganzes zugerechnet werden. Auch hat es die Bedeutung der Grundrechte im Bereich der privaten Lebensführung nicht ausreichend gewürdigt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG enthält ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dazu gehört, dass der Einzelne über seine geschlechtlichen Beziehungen frei bestimmen und sich für eine promiskuitives Sexualverhalten entscheiden kann. Der Schutz des Grundrechts erstreckt sich nicht nur auf die Intim- und Privatsphäre, sondern schließt das Recht ein, in der Sozialsphäre, das heißt im Internet, Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen.
Die Entscheidung des Truppendienstgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig. Denn die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlangt, dass eine Soldatin in der besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nimmt. Sie muss daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die Worte "offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome" erwecken auch aus der Sicht eines verständigen Betrachters Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität, weswegen diese Formulierung durch einen Verweis als mildeste Disziplinarmaßahme beanstandet werden durfte.
BVerwG 2 WRB 2.21 - Beschluss vom 25. Mai 2022
Beschluss vom 25.05.2022 -
BVerwG 2 WRB 2.21ECLI:DE:BVerwG:2022:250522B2WRB2.21.0
Zurückhaltung bei privatem Internetauftritt auf einer Datingplattform
Leitsatz:
Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG verlangt von einem verheirateten/verpartnerten und als solchen identifizierbaren Bataillonskommandeur, dass er bei der Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke bei der äußeren Gestaltung und Formulierung von Internetauftritten auf Integritätserwartungen Rücksicht nimmt.
-
Rechtsquellen
SG § 17 Abs. 2 Satz 3 GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 33 Abs. 4 WDO § 8 Abs. 2 Satz 1, § 35 Abs. 1, § 37 Abs. 3 Satz 2, § 42 Nr. 4 Satz 1 -
Instanzenzug
TDG Süd 4. Kammer - 10.06.2021 - AZ: TDG S 4 RL 4/20 und S 4 BLc 1/20
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 25.05.2022 - 2 WRB 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:250522B2WRB2.21.0]
Beschluss
BVerwG 2 WRB 2.21
- TDG Süd 4. Kammer - 10.06.2021 - AZ: TDG S 4 RL 4/20 und S 4 BLc 1/20
In dem Rechtsbeschwerdeverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2022 durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Fricke und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Kerch
beschlossen:
- Die Rechtsbeschwerde der Soldatin gegen den Beschluss der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 18. November 2020 wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Soldatin auferlegt.
Gründe
I
1
Die Beschwerdeführerin ist Berufssoldatin und war vom ... Oktober 2017 bis zum ... September 2020 als Kommandeurin des ... sowie Standortälteste in ... eingesetzt. Sie genießt überregionale Bekanntheit als erste transsexuelle Bataillonskommandeurin der Bundeswehr. Mit Disziplinarverfügung vom 1. August 2019 verhängte ihr damaliger Disziplinarvorgesetzter gegen sie einen Verweis mit dem Vorwurf:
"Sie hat zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, jedoch nicht vor dem 20. März 2019, und an einem nicht mehr feststellbaren Ort das als Anlage beiliegende Foto mit dem folgenden Text: 'Z 45 Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.' bei der Dating App Tinder eingestellt und mindestens bis zur 29. Kalenderwoche 2019 nicht gelöscht. In dem genannten Zeitraum war sie in der herausgehobenen dienstlichen Stellung als Kommandeurin des ... und als Standortälteste ... eingesetzt."
2 Die Soldatin begründete ihre am 16. August 2019 eingegangene Beschwerde im Wesentlichen damit, dass das beschriebene Verhalten kein Dienstvergehen sei und allein ihre Privatsphäre betreffe. Bereits zuvor hatte sie angegeben, der Text sei mit ihrer Ehepartnerin abgestimmt gewesen. Er habe vor dem Hintergrund ihres Beziehungsstatus verdeutlichen sollen, dass keine romantische Begegnung beabsichtigt gewesen sei. Hieraus könne nicht der Schluss gezogen werden, sie sei freizügig oder moralisch nicht integer. Außerdem sei ihr Profil nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern nur für den geschlossenen Kreis der Tinder-Nutzer. Der als Beweismittel vorliegende Screenshot sei illegal, unter Verletzung der Geschäftsbedingungen von Tinder, angefertigt worden und daher nicht verwertbar.
3 Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte wies die Beschwerde mit Bescheid vom 16. Januar 2020 zurück. Das Verhalten der Beschwerdeführerin stelle einen Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht dar. Gegenstand der Würdigung sei nicht ihre promiskuitive Lebensweise per se. Disziplinare Relevanz erlange die unkontrollierbare Art und Weise des Propagierens dieser Lebensweise durch die Beschwerdeführerin in ihrer herausgehobenen Eigenschaft als Bataillonskommandeurin. Daran ändere auch eine liberalere Einstellung der Gesellschaft zu sexualbezogenen Themen nichts. Promiskuitives Verhalten reduziere die wechselnden Partner auf Sexualobjekte und sei auch gesellschaftlich in weiten Teilen verpönt. Der Bescheid wurde dem Verteidiger der Beschwerdeführerin am 20. Januar 2020 zugestellt.
4 Die am 19. Februar 2020 eingelegte weitere Beschwerde hat die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 18. November 2020 zurückgewiesen. Die Disziplinarmaßnahme sei verfahrensfehlerfrei erstellt worden. Der nächste Disziplinarvorgesetzte habe sie — wie mehrere dienstliche Stellungnahmen ergeben hätten — eigenverantwortlich ohne Anweisung verhängt. Der Tenor des Verweises sei auch hinreichend bestimmt und schuldige erkennbar ein vorsätzliches außerdienstliches Verhalten an. Ein Beweisverwertungsverbot des Screenshots liege nicht vor, auch wenn er möglicherweise rechtswidrig angefertigt worden sei. Dies sei im Übrigen unerheblich, weil die Beschwerdeführerin den Sachverhalt eingeräumt habe.
5 Die Disziplinarmaßnahme sei auch in der Sache rechtmäßig. Ein Grundrechtsverstoß liege nicht vor, da die Verletzung einer Dienstpflicht und nicht die promiskuitive Lebensweise der Beschwerdeführerin Gegenstand der Würdigung sei. Aus Sicht der Kammer liege eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht vor. Durch die in ihrem Profil gewählte Formulierung werde für Außenstehende der Eindruck vermittelt, dass die Beschwerdeführerin sich selbst und ihre wechselnden Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere. In der Öffentlichkeit werde ein solches Verhalten als moralisch zweifelhaft gewertet. Da die Soldatin als Bataillonskommandeurin und Standortälteste die Bundeswehr repräsentiere, würde diese negative Bewertung auf die Bundeswehr übertragen. Dadurch würde nicht nur ihre eigene Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit, sondern auch der gute Ruf der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang sei es ohne Relevanz, dass es sich bei Tinder nach dem Vortrag des Verteidigers um ein geschlossenes System handele. Entscheidend sei vielmehr, dass die Beschwerdeführerin von anderen Nutzern wegen des regional eingegrenzten Suchbereichs des Datingportals aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Bundeswehr und in der Region erkannt werden könne. Für eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht reiche bereits eine solche Möglichkeit des Bekanntwerdens aus. Das Truppendienstgericht hat die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache mit Beschluss vom 10. Juni 2021 zugelassen.
6 In der binnen eines Monats eingegangenen Begründung der Rechtsbeschwerde wird das bisherige Vorbringen im Rahmen einer allgemeinen Sachrüge wiederholt und vertieft. Die Disziplinarmaßnahme sei formell rechtswidrig, weil hinsichtlich des Screenshots ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Die Maßnahme sei auch materiell rechtswidrig, weil kein Dienstvergehen, sondern ein rein privates Handeln vorliege. Die Nutzung der Datingplattform Tinder sei ebenso wie die aktive Suche nach Sexualpartnern vom Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung geschützt. Das Sexualleben gehöre zum intimsten Bereich der Persönlichkeit, in den nur bei Vorliegen besonderer öffentlicher Belange eingegriffen werden dürfe. Die gesetzliche Regelung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht, gegen deren Bestimmtheit bereits rechtsstaatliche Bedenken bestünden, sei nicht darauf angelegt, in dieses Grundrecht einzugreifen. Weder das Soldatengesetz noch die Wehrdisziplinarordnung berechtigten zu einem Eingriff in dieses Grundrecht. Das Truppendienstgericht habe der Beschwerdeführerin in Wahrheit nicht ihren Internetauftritt, sondern ihr promiskuitives Sexualleben vorgeworfen. Dass sie mit dem Profiltext sich und andere zum reinen Sexobjekt reduziere, sei eine von empirischen Erkenntnissen entkleidete Bewertung, die weder nachvollziehbar noch berechtigt sei. Ebenso wenig evidenzbasiert und verständlich sei die Annahme des Truppendienstgerichts, es käme nicht darauf an, ob es sich bei Tinder um ein geschlossenes System handele, weil die Beschwerdeführerin jedenfalls von regionalen Nutzern aufgrund ihres Bekanntheitsgrades in der Bundeswehr und in der Region erkannt werden könne. Im Übrigen sei auch der Tatbestand der Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht erfüllt, weil weder eine ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr noch eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit der Soldatin zu besorgen sei.
7 Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem entgegen und verteidigt die angegriffene Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Truppendienstgerichts und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II
8 Die Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.
9 1. Die fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts zulässig.
10 a) Soweit die Antragstellerin das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes geltend macht, genügt die Rechtsbeschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Der Vortrag, von ihrem Profilbild sei unter Verletzung der Nutzungsbedingungen der Plattform Tinder, ihres Urheberrechts und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) ein Screenshot angefertigt worden, betrifft eine Frage, die dem Verfahrensrecht angehört. Es bestimmt den Umfang des Beweismaterials, den das Tatgericht auf seinem Weg zur Urteilsfindung benutzen darf (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63 - BGHSt 19, 273 <275> und vom 8. August 2018 - 2 StR 131/18 - NStZ 2019, 107 Rn. 14, 16).
11 Das Beweisverwertungsverbot hätte darum im Rahmen einer Verfahrensrüge im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend gemacht werden müssen. Dies ist nicht ausdrücklich geschehen. Selbst wenn man das Vorbringen der Beschwerdeführerin als Verfahrensrüge auslegt, genügt es nicht den Darlegungsanforderungen. Die verletzte Vorschrift des Verfahrensrechts wird nicht bezeichnet. Es wird nicht angegeben, woraus sich deren Verletzung im Einzelnen ergibt und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 10 B 58.14 - juris Rn. 6 m. w. N.). Gerade weil das Truppendienstgericht unter Verweis auf das Geständnis der Beschwerdeführerin die Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verwertungsverbots in Abrede gestellt hat, hätte im Rahmen einer Verfahrensrüge dazu explizit vorgetragen werden müssen.
12 b) Mangels ordnungsgemäß erhobener Verfahrensrügen ist von den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts auszugehen, das im Verfahren nach § 42 Nr. 4 Satz 1 WDO "zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft" und damit selbständig Disziplinargewalt ausübt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1975 - 2 WDB 23.74 - BVerwGE 53, 43 <44 f.> und vom 25. April 2019 - 2 WNB 1.19 - Buchholz 450.2 § 42 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 5). Dementsprechend ist in der Rechtsbeschwerde der vom Disziplinarvorgesetzten verhängte Verweis mit dem Inhalt und der Begründung zugrunde zu legen, den er im Beschwerdebescheid und zuletzt im gerichtlichen Verfahren vor dem Truppendienstgericht erhalten hat. Darin wird der Beschwerdeführerin ein vorsätzliches außerdienstliches Verhalten vorgeworfen und in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass sie das Profilbild mit dem Text selbst, wissentlich und willentlich in die Plattform Tinder eingestellt hat, dass sie auf dem Profilbild von anderen Nutzern des Portals wegen ihrer besonderen Stellung in der Bundeswehr erkannt werden konnte und damit angesichts des regional eingegrenzten Suchbereichs des Portals rechnen musste.
13 2. Die zulässige Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ist teilweise begründet, bleibt aber letztlich ohne Erfolg. Die Ausführungen des Truppendienstgerichts zur materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme sind zwar rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung erweist sich jedoch im Sinne von § 23a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig.
14 a) Keinen durchgreifenden Bedenken begegnen die Ausführungen zur formellen Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme. Der Verweis genügt jedenfalls in der Form und mit dem Inhalt, die er im Beschwerde- und Gerichtsverfahren erhalten hat, dem Bestimmtheitsgebot. Er lässt Zeit, Ort und Sachverhalt des Dienstvergehens im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 2 WDO hinreichend klar erkennen. Die zeitliche Eingrenzung des Vorwurfs ist so konkret, wie dies bei über längere Zeiträume andauernden Vorgängen nach dem Stand der Ermittlungen möglich gewesen ist. Die konkrete Angabe des Orts des Geschehens muss bei virtuellen Vorgängen im Internet — wie geschehen — durch die Bezeichnung der Plattform, des Orts im Internet, ersetzt werden. Die Disziplinarverfügung bezeichnet auch den vorgeworfenen Sachverhalt ausreichend. Sie weist eine hinreichend konkrete, gedrängte Schilderung des vorgeworfenen tatsächlichen Geschehensablaufs auf. Soweit die ursprüngliche Disziplinarverfügung über den gesetzlichen Mindestinhalt hinaus nur eine mündliche Begründung des rechtlichen Vorwurfs enthalten hat, ist die schriftliche Begründung im Beschwerde- und Gerichtsverfahren jedenfalls nachgeholt worden.
15 Die für einfache Disziplinarmaßnahmen vorgeschriebenen Anhörungs- und Beteiligungsvorschriften sind beachtet worden. Ein Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit des Disziplinarvorgesetzten (§ 35 Abs. 1 WDO) und eine daraus folgende Rechtswidrigkeit der Maßnahme sind vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei verneint worden. Entgegen dem erstinstanzlichem Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts ihrem damaligen nächsten Disziplinarvorgesetzten weder ein Befehl noch eine Weisung zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Vorfalls erteilt.
16 b) Die Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme halten hingegen einer rechtlichen Überprüfung teilweise nicht stand. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG hat ein Soldat sich außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Die Vorschrift bildet eine abstrakt gehaltene Auffangregelung für die sich aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis des Soldaten nach Art. 33 Abs. 4 GG ergebenden Loyalitätspflichten im außerdienstlichen Bereich. Sie genügt dem für Gesetze geltenden rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvL 3, 9/77 - BVerfGE 56, 1 <12 f.>), weil die sich aus der verfassungsrechtlichen Treuepflicht ergebenden Anforderungen für die vielfältigen und wechselnden Situationen des außerdienstlichen Lebens nicht abschließend konkret geregelt werden können und weil der Inhalt der Norm durch Auslegung mit Hilfe der in Jahrzehnten gewachsenen Rechtsprechung hinreichend klar bestimmt werden kann. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verbietet zum einen die ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr (Alt. 1) und zum anderen die ernsthafte Beeinträchtigung der eigenen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit (Alt. 2).
17 aa) Das Truppendienstgericht hat zu Unrecht eine Verletzung des Ansehens der Bundeswehr angenommen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das private (Fehl-)Verhalten eines Soldaten grundsätzlich nicht der Bundeswehr als Institution zuzurechnen, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände dazu zwangsläufig Anlass geben. Eine ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr liegt — nur — dann vor, wenn der Soldat als Repräsentant der Bundeswehr anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die qualitative Ausbildung, moralische Integrität und allgemeine Dienstauffassung oder generell auf die militärische Disziplin in der Truppe zulässt (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 1995 - 2 WD 32.94 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 2 S. 5).
18 Im vorliegenden Fall kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin als Standortälteste und Kommandeurin eine repräsentative Funktion in der Bundeswehr innegehabt hat. Nicht jedes private Verhalten eines Repräsentanten der Bundeswehr wird in der Öffentlichkeit aber der Bundeswehr als Ganzes zugerechnet. Dies ist insbesondere dann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände anzunehmen, wenn der Repräsentant rein privat auftritt, seine dienstliche Funktion nicht benennt, keine Uniform trägt und im privaten oder gesellschaftlichen Rahmen seine privaten Ansichten zu nicht militärischen Themen äußert. Nichts anderes gilt, wenn eine Kommandeurin sich — wie hier — ohne Erwähnung ihrer dienstlichen Stellung bei einem Partnerschaftsvermittlungsdienst um intime Kontakte bemüht. Es fehlt der erforderliche funktionelle Zusammenhang zur Bundeswehr, so dass das rein private Verhalten der Antragstellerin das Ansehen der gesamten "Truppe", um das es in § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 SG geht, nicht berührt.
19 bb) Auch die Begründung, mit der das Truppendienstgericht eine ernsthafte Beeinträchtigung der eigenen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit der Soldatin im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG annimmt, überzeugt nur teilweise.
20 (1) Es geht allerdings zutreffend davon aus, dass ein Soldat seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nicht nur durch kriminelles Verhalten von erheblichen Gewicht verletzen kann. Die Missachtung gewichtiger Strafrechtsnormen bildet zwar in der Praxis der Wehrdienstgerichte den Hauptanwendungsfall der Norm (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13 - BVerwGE 149, 224 Rn. 53 ff. und vom 24. August 2018 - 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 53). Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG stellt allerdings nicht auf deliktisches Handeln ab, sodass in Ausnahmefällen auch ein nicht strafbares Verhalten das für die dienstliche Stellung notwendige Ansehen eines Soldaten ernsthaft beeinträchtigen oder sogar zerstören kann. Denn das Strafrecht enthält im Kern nur Mindestanforderungen an das Sozialverhalten des Normalbürgers und spiegelt die Verhaltenserwartungen, die das Beamten- und Soldatenrecht an Staatsdiener formuliert und die in der Rechtsgemeinschaft in Bezug auf die Integrität von Staatsdienern vorherrschen, nur unzureichend wider. Mit der Betonung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass der Staat an seine Staatsdiener eine erhöhte Integritätserwartung hat. Insbesondere militärische Vorgesetzte können ihre Aufgaben nur sinnvoll erfüllen, wenn sie von ihren Untergebenen und von der Öffentlichkeit respektiert werden und als vertrauenswürdig gelten. Diese Vertrauensbasis kann auch durch strafloses außerdienstliches Verhalten ernsthaft beeinträchtigt oder sogar völlig zerstört werden. (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 15. Juni 1999 - 2 WD 34.98 - BVerwGE 113, 340 <341>, vom 4. März 2020 - 2 WD 3.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 72 Rn. 23 und vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 23 f.; ähnlich für Beamte: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127; OVG Weimar, Urteil vom 6. November 2008 - 8 DO 584/07 juris Rn. 103; OVG Münster, Urteil vom 13. Juli 2016 - 3d A 1112/13.O - juris Rn. 97).
21 (2) Das Truppendienstgericht hat auch zutreffend darauf abgestellt, dass die Anforderungen an die Integrität eines Soldaten umso größer sind, je höher seine dienstliche Stellung ist. Dies gilt schon deswegen, weil das Soldatengesetz militärische Vorgesetzte zu vorbildlichem Verhalten verpflichtet (§ 10 Abs. 1 SG) und für Unteroffiziere und Offiziere eine besondere Zurückhaltungspflicht kennt (§ 10 Abs. 6 SG). Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG knüpft ebenfalls an die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit an, die die dienstliche Stellung erfordert. Dabei ist das Amt im abstrakten Sinne beachtlich, weil der Staat und die Öffentlichkeit an die Vorbildlichkeit des außerdienstlichen Verhaltens eines Generals höhere Anforderungen stellen als bei niedrigeren Dienstgraden.
22 Für die dienstliche Stellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG ist auch der konkrete Dienstposten maßgeblich. Es macht einen Unterschied, ob ein Oberstleutnant als Mitarbeiter eines Stabes nicht öffentlichkeitswirksam eingesetzt ist, oder ob er als Kommandeur und Standortältester verwendet wird, in dieser Funktion die Bundeswehr in einer Region repräsentiert und — wie hier — gegenüber etwa 1 000 Soldaten und Mitarbeitern befehls- und weisungsbefugt ist. Diese Repräsentations- und Führungsaufgabe eines Bataillonskommandeurs ist für die Bundeswehr so wichtig, dass sie eigene Auswahlkonferenzen zur Bestimmung der hierfür nach Eignung, Leistung und Befähigung in Betracht kommenden Stabsoffiziere durchführt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. November 2014 - 1 WB 61.13 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 91 Rn. 29).
23 Der Kommandeur eines Bataillons übt zugleich die Disziplinarbefugnis der Stufe 1 und 2 aus. Er muss dienstlichen und außerdienstlichen Pflichtverletzungen untergebener Soldaten durch erzieherische oder disziplinare Maßnahmen begegnen und über Disziplinarbeschwerden entscheiden. Nicht selten muss er Soldaten an das Verbot der sexuellen Belästigung und das Unterlassen sexistischer Äußerungen erinnern und inner- wie außerdienstlichem Fehlverhalten auf diesem Gebiet entgegentreten. Diese besondere erzieherische und disziplinare Funktion kann ein Bataillonskommandeur nur glaubhaft wahrnehmen, wenn er sich selbst in dieser Hinsicht weder inner- noch außerdienstlich etwas zuschulden kommen lässt und auf seinen guten Ruf achtet. Die Stellung eines Kommandeurs ist folglich mit erhöhten Integritätsanforderungen verbunden.
24 (3) Das Truppendienstgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es für eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht darauf ankommt, ob eine Beeinträchtigung des eigenen Ansehens bereits eingetreten ist. Denn § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG verlangt von dem Soldaten, sein gegenwärtiges Verhalten so auszurichten, dass es nicht in der Folge künftig zu einer ernsthaften Beeinträchtigung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit kommt. Daher reicht es für eine Dienstpflichtverletzung aus, wenn das Verhalten aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten geeignet ist, den für die dienstliche Aufgabenerfüllung notwendigen Respekt und die für die Zusammenarbeit notwendige Vertrauensbasis ernsthaft zu beeinträchtigen. Dabei muss ein militärischer Vorgesetzter bereits den "bösen Schein" meiden. Denn die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dies Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13 - BVerwGE 149, 224 Rn. 52).
25 (4) Keinen rechtlichen Bedenken begegnen auch die Ausführungen des Truppendienstgerichts, dass die Beschwerdeführerin mit dem Bekanntwerden ihres Profilbildes und -textes rechnen musste und dies in Kauf nahm. Die Beschwerdeführerin ist Stabsoffizierin im Organisationsbereich ... und, was die Funktionsweise des Internets betrifft, fachkundig. Dass die deutschlandweit von mehr als 500 000 Anwendern genutzte Dating-App Tinder eine regionale Suchfunktion besitzt, d. h. mögliche Dating-Partner im regionalen Umfeld als erste anzeigt, war ihr bekannt. Ebenso war ihr bewusst, dass sie aufgrund ihres regionalen und überregionalen Bekanntheitsgrades optisch auf dem Profilbild auch ohne Uniform identifiziert werden konnte. Daher musste sie damit rechnen, dass ihr Profilbild und ihr Profiltext in der Region und im Bataillon bekannt werden würden. In diesem Zusammenhang konnte das Truppendienstgericht die Frage offenlassen, ob es sich bei der Plattform Tinder aufgrund des Registrierungserfordernisses um ein geschlossenes System handelt. Angesichts der Vielzahl der Nutzer konnte jedenfalls auf ein Geheimbleiben des Profilbildes und -textes nicht vertraut werden.
26 (5) Schließlich hat das Truppendienstgericht zutreffend angenommen, dass sich das Bekanntwerden des Profilbildes und -textes negativ auf die Bewertung der moralischen Integrität der Beschwerdeführerin durch Dritte auswirken würde. Zwar wird die Praxis sexueller Kontakte mit relativ häufig wechselnden Partnern als Ausprägung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts im westlichen Kulturkreis allgemein toleriert. Es widerspricht jedoch nach wie vor den Wertvorstellungen breiter Bevölkerungskreise, die teils aus religiösen, teils aus moralischen Gründen an der Leitvorstellung der Einehe, der ehelichen Treue und der Familie als Keimzelle der Gesellschaft festhalten. Dieses hergebrachte Werteverständnis ist auch und gerade in den eher traditionsorientierten militärischen Verbänden und im ländlichen Raum beheimatet. Daher ist die Annahme des Truppendienstgerichts realitätsnah, dass das Werben der Beschwerdeführerin um Sexualkontakte außerhalb ihrer eigenen Ehe sich nachteilig auf ihr Ansehen in der regionalen Öffentlichkeit und vor allem in der ihr unterstellten Truppe auswirken konnte. Dass ihre Partnerin damit einverstanden war, ändert daran nichts.
27 cc) Das Truppendienstgericht hat allerdings nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die nähere Bestimmung des Umfangs der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht allein daran orientiert, welches Maß an Zurückhaltung des Soldaten in seiner privaten Lebensführung im Hinblick auf die dienstlichen Interessen ideal wäre. Vielmehr bestimmt § 17 Abs. 2 Satz 3 SG im Hinblick darauf, dass die private Lebensführung des Soldaten eingeschränkt wird, dass eine Pflichtverletzung nur vorliegt, wenn dadurch eine "ernsthafte" Beeinträchtigung der beruflichen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bewirkt wird. Eine weniger schwerwiegende Beeinträchtigung nimmt das Gesetz hin, um die private Betätigungsfreiheit des Soldaten in seiner Freizeit nicht unangemessen durch dienstrechtliche Sanktionen einzuschränken. Es reicht also nicht aus, wenn ein außerdienstliches Verhalten als deliktisch, ordnungswidrig oder rechtswidrig eingestuft werden kann oder sich aus anderen Gründen negativ auf den Ruf des Soldaten auswirkt.
28 Vielmehr muss das Verhalten eine "ernsthafte" Belastung des beruflichen Achtungs- und Vertrauensverhältnisses nach sich ziehen können. Dies ist — wie im Beamtenrecht — aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei es auf die Sicht eines verständigen Betrachters ankommt, der alle relevanten Umstände des Einzelfalls kennt. In dieser Gesamtwürdigung muss auch einfließen, ob und inwieweit das außerdienstliche Verhalten des Soldaten grundrechtlichen Schutz genießt. Ein grundrechtlich geschütztes Verhalten kann zwar Beschränkungen unterliegen, soweit dies von Sinn und Zweck des konkreten soldatenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses (Art. 33 Abs. 4 GG, § 6 Satz 2 SG) gefordert wird. Die Grundrechtsbetätigung im privaten Bereich darf aber nicht einseitig unter dem Blickwinkel dienstlicher Belange beschränkt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127 Rn. 24 f.). Vielmehr muss § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nach der sogenannten Wechselwirkungstheorie seinerseits im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198 <208 f.> "Lüth"; Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 746/68 - BVerfGE 28, 55 <63> zu § 17 Abs. 1 SG und BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 23 ff.).
29 Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Truppendienstgerichts nicht gerecht. Es hat zwar zutreffend ausgeführt, dass die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht keine Beschränkung der sexuellen Selbstbestimmung der Beschwerdeführerin in ihrer Privatsphäre rechtfertigt und dass der ihr erteilte Verweis dies auch nicht bezweckt. Denn das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Dazu gehört, dass der Einzelne sein Verhältnis zur Sexualität und seine geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden kann, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter darauf hinnehmen will (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 BvR 392/07 - BVerfGE 120, 224 <238 f.>). Wegen seiner besonderen Nähe zur Menschenwürde ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung absolut geschützt, ohne dass dieser Schutz einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugänglich ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juni 2009- 1 BvR 1107/09 - NJW 2009, 3357 Rn. 25).
30 Das Truppendienstgericht hat jedoch Bedeutung und Tragweite des Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG durch die Annahme verkannt, der grundrechtliche Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränke sich allein auf den Kernbereich privater Lebensführung. Denn es steht dem Einzelnen grundsätzlich frei, auch außerhalb seiner Privatsphäre seine sexuellen Interessen zu äußern und auf einem Internetportal mittels eines Accounts und Profilbildes nach Sexualpartnern zu suchen. Diese Bekanntgabe seiner persönlichen Partnerschaftsinteressen ist ebenfalls vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt, auch wenn sie im Bereich der Sozialsphäre erfolgt und dadurch nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtlichen Beschränkungen unterliegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 1107/09 - NJW 2009, 3357 Rn. 25 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2020 - 16 U 67/19 - juris Rn. 53).
31 Dementsprechend kann auch eine Beschränkung dieses Rechts aufgrund der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nur erfolgen, wenn bei der gebotenen Abwägung des dienstlichen Interesses mit den von Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen eine ernsthafte Beeinträchtigung der dienstlichen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit zu besorgen ist. Die dafür erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind durch das Truppendienstgericht nicht erfolgt.
32 Diese Abwägung kann auch nicht - wie das Truppengericht anzunehmen scheint - zur Folge haben, dass die Beschwerdeführerin auf eine Nutzung der Dating-App im dienstlichen Interesse verzichten müsste. Denn die moralischen Verhaltenserwartungen der Bevölkerungsmehrheit haben in einer offenen Gesellschaft mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht das Gewicht, dass sich militärische Führungskräfte um ihrer dienstlichen Akzeptanz willen dem völlig anpassen müssten und sich nur hinter verschlossenen Türen anderweitig verhalten dürften. Vielmehr überwiegt das grundrechtlich geschützte Interesse der Soldaten, dem ihren Wertvorstellungen entsprechenden sexuellen Lebensstil auch in einem öffentlich bemerkbaren Rahmen nachzugehen. Ähnlich wie das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG die von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte politische Meinungsäußerung eines Offiziers in der Öffentlichkeit nicht per se verbietet, steht auch § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG der von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten selbstbestimmten Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke nicht grundsätzlich entgegen, auch wenn damit ein Ansehensverlust verbunden sein kann. Vielmehr beschränkt § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG die Art und Weise dieser Betätigung und erfordert, bei der äußeren Gestaltung und Formulierung entsprechender Internetauftritte auf die mit der dienstlichen Stellung verbundenen Integritätserwartungen Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36 <47> und BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 14 zu § 10 Abs. 6 SG und Art. 5 Abs. 1 GG).
33 dd) Das Truppendienstgericht hat in seiner Entscheidung auch den Grundsatz vernachlässigt, dass bei jeder Prüfung, ob eine Äußerung eines Soldaten im Hinblick auf § 17 Abs. 2 Satz 3 SG disziplinarische Relevanz besitzt, zunächst deren Sinngehalt gegebenenfalls durch Auslegung objektiv zu ermitteln ist. Gegen diesen Grundsatz wird verstoßen, wenn Teilen einer Meinungsäußerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr verständliche und damit überzogene Deutung gegeben und sie in dieser Deutung einer disziplinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterworfen wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - NJW 1992, 2750 <2751>; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020- 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 20).
34 Im vorliegenden Fall hat das Truppendienstgericht bei der Interpretation des Profilbildes und -textes außer Acht gelassen, dass es sich dabei um ein virtuelles Werbemedium für eine Partnerschaftssuche handelt, bei der potentielle Interessenten typischer Weise durch attraktive Bilder und reißerische Texte angesprochen werden sollen. Mit den Worten "offene Beziehung", "auf der Suche nach Sex", "all genders welcome" wird schlagwortartig deutlich gemacht, dass der Wunsch nach einem sexuellen Erlebnis ohne partnerschaftliche Bindung den Beweggrund der Annonce bildet. Es wird aber aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Beschwerdeführerin sich oder andere zum reinen Sexobjekt degradiert.
35 Dagegen spricht, dass die Beschwerdeführerin auf dem Profilbild bekleidet abgelichtet ist. Anders als bei einer pornografischen Selbstabbildung kann nicht davon gesprochen werden, sie reduziere sich zum reinen Objekt geschlechtlicher Begierde (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1999 - 2 WD 34.98 - BVerwGE 113, 340 <341>). Auch der Text des Profils deckt ein solches Verständnis nicht, wenngleich das sexuelle Motiv darin stark betont wird. Da Werbetexte knapp und plakativ formuliert werden, kann aus dem Fehlen einer Aussage über den beabsichtigten Verlauf eines Treffens nicht geschlossen werden, die Beschwerdeführerin wolle Geschlechtsverkehr ohne Rücksicht auf die eigene Würde und die Würde des anderen vollziehen. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass im Falle einer Kontaktaufnahme — wie üblich — die Sympathie oder Antipathie bei der persönlichen Begegnung die entscheidende Rolle spielen und der Geschlechtsverkehr nur im beiderseitigen Einverständnis unter Wahrung der Würde des anderen erfolgen sollte. Insofern hat das Truppendienstgericht den Inhalt des Profiltextes in unzulässiger Weise überzeichnet.
36 c) Die Entscheidung des Truppendienstgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig, so dass die Rechtsbeschwerde gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen ist. Denn in dem Internetauftritt der Beschwerdeführerin liegt auch bei der nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG erforderlichen Abwägung der dienstlichen und privaten Belange eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht. Auch wenn dieses Dienstvergehen weniger schwer wiegt, als vom Truppendienstgericht angenommen, ist der dafür verhängte Verweis als mildeste einfache Disziplinarmaßnahme noch verhältnismäßig.
37 aa) Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht stellt - wie bereits ausgeführt - an Stabsoffiziere in der besonders hervorgehobenen Stellung eines Bataillonskommandeurs besondere Anforderungen. Gerade weil ein Kommandeur eine besondere Personalverantwortung — hier über ca. 1 000 Personen — hat, im Rahmen seiner Repräsentations- und Führungsaufgaben integrativ wirken und in Ausübung seiner Disziplinarbefugnisse auch sexistischen Äußerungen und sexuellen Belästigungen entgegentreten muss, hat er bei Äußerungen im Internet mit sexuellem Bezug auf die für seine dienstliche Stellung erforderliche Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet - wie oben dargestellt - nicht, dass ein Kommandeur auf eine seinem Lebensstil entsprechende Suche nach Sexualpartnern im Internet verzichten müsste; allerdings muss er bei der Wahl seiner Worte Rücksicht auf seine berufliche Stellung nehmen und auch Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck einer sexuellen Disziplinlosigkeit erwecken können. Denn ein Disziplinarvorgesetzter kann erzieherische und disziplinare Maßnahmen wegen sexueller Verfehlungen nicht glaubhaft vermitteln, wenn seine Äußerungen über seinen eigenen Lebenswandel auf ein hemmungsloses Ausleben des Sexualtriebs hindeuten.
38 Im vorliegenden Fall hat die Soldatin zwar bei der Auswahl ihres Profilbildes die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nicht verletzt. Das Bild ist in keiner Weise kompromittierend. Der Werbetext "lustvoll ... offene Beziehung ... auf der Suche nach Sex ... all genders welcome" ist jedoch geeignet, den falschen Eindruck zu erwecken, sie führe ein wahlloses Sexualleben oder strebe dies an. Auch wenn dies objektiv betrachtet bei Kenntnis der Motive der Soldatin und sachgemäßer Auslegung des Textes bei längerem Nachdenken nicht der Fall ist, vermittelt die Betonung der Lust, der Suche nach Sex und dem Nachklapp "all ... welcome" beim ersten Durchlesen den falschen Anschein, es gehe um möglichst schnellen Sex mit Partnern gleich welchen Geschlechts. Ein ungehemmtes Ausleben des Sexualtriebs sei besonders wichtig. Diese äußerst missverständliche Überspitzung des eigenen Anliegens war für die beabsichtigte Grundrechtsausübung nicht erforderlich und auch für die Werbewirksamkeit der Annonce nicht notwendig. Die Formulierung hätte vermieden werden können und um der dienstlichen Akzeptanz willen — d. h. wegen der Erfordernisse des militärischen Dienstes (§ 6 Satz 2 SG) — vermieden werden müssen.
39 bb) Die darin liegende vorsätzliche Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht ist zwar ein Dienstvergehen, wiegt aber weniger schwer als vom Truppendienstgericht angenommen. Da die Soldatin lediglich einen Verweis, also die nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 WDO geringstmögliche Disziplinarmaßnahme erhalten hat, ist die Sanktion im Ergebnis nicht unverhältnismäßig. Ein einfacher Verweis wird in einem Personalgespräch verhängt und gelangt dann in die Personalakte. Er hindert bei entsprechender Bewährung keine förderlichen Maßnahmen und wird gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 WDO in der Regel nach drei Jahren gelöscht. Auch wenn ein Verweis die dienstliche Beurteilung nachteilig beeinflussen kann, ist die damit verbundene Belastung eher gering. Er ist im Ergebnis für einen Auftritt im Internet angemessen, bei dem die eigene Vorbildrolle in einer gewichtigen Führungsposition nicht ausreichend beachtet worden ist.
40 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluss vom 30.11.2022 -
BVerwG 2 WRB 1.22ECLI:DE:BVerwG:2022:301122B2WRB1.22.0
Zulässigkeit der Anhörungsrüge trotz Erledigung der Hauptsache
Leitsatz:
Die für eine Anhörungsrüge erforderliche prozessuale Beschwer entfällt nicht dadurch, dass sich der belastende Verwaltungsakt nach dem Erlass der ihn bestätigenden Gerichtsentscheidung erledigt.
-
Rechtsquellen
VwGO § 152a Abs. 1 und 5 WBO § 23a Abs. 3 -
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 30.11.2022 - 2 WRB 1.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:301122B2WRB1.22.0]
Beschluss
BVerwG 2 WRB 1.22
In dem Rechtsbeschwerdeverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 30. November 2022 beschlossen:
- Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
- Die Soldatin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
I
1 Die Soldatin wendet sich mit ihrer Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 25. Mai 2022, mit dem ihre Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 18. November 2020 zurückgewiesen worden ist (2 WRB 2.21 ). In der Sache geht es um einen disziplinarrechtlichen Verweis, den die Soldatin am 1. August 2019 wegen der Gestaltung ihres Internetauftritts auf der Datingplattform Tinder erhalten hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts im Ergebnis gebilligt, dass ein Verstoß der Soldatin gegen ihre außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht vorgelegen hat. Mit ihrer Anhörungsrüge macht die Soldatin geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei in fünf Punkten nicht auf ihr Vorbringen eingegangen.
2 Während des Verfahrens der Anhörungsrüge ist die dreijährige Tilgungsfrist für disziplinarrechtliche Verweise am 1. August 2022 abgelaufen. Der Verweis ist nach Mitteilung des Bundeswehrdisziplinaranwalts im Disziplinarbuch getilgt worden und erscheint in einem Disziplinarbuchauszug vom 7. September 2022 nicht mehr. Die Soldatin sieht sich weiterhin beschwert und hält an der Anhörungsrüge fest.
II
3 Die Anhörungsrüge, über die der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne ehrenamtliche Richter entscheidet (BVerwG, Beschluss vom 22. April 2010 - 1 WB 4.10 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 12 Rn. 6), ist zulässig, aber unbegründet.
4 1. Zwar ist nach § 23a Abs. 3 WBO i. V. m. § 152a Abs. 1 VwGO nur die Anhörungsrüge eines durch die gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten statthaft (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 152a Rn. 13). Eine solche Beschwer im prozessrechtlichen Sinne liegt jedoch bereits dann vor, wenn die Entscheidung zum Nachteil eines Beteiligten ausgegangen ist. Sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der zugrunde liegende Verwaltungsakt nach der Einlegung des Rechtsmittels - wie hier durch Zeitablauf - erledigt hat. Denn wer als Beteiligter durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist, kann ein Rechtsmittel allein zu dem Zweck einlegen und fortführen, damit in dem Rechtsmittel die prozessualen Folgerungen aus einer inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache gezogen werden können. Er hat ein berechtigtes Interesse daran, dass eine gegen ihn ergangene ungünstige Entscheidung aufgehoben oder für unwirksam erklärt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 6 B 1.14 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 70 Rn. 16). In gleicher Weise kann eine von einer letztinstanzlichen Entscheidung beschwerte Person ein Interesse daran haben, mit einer Anhörungsrüge die Fortführung des Gerichtsverfahrens zu erreichen, um eine erledigungsbedingte Unwirksamkeitserklärung der gegen sie ergangenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu erlangen.
5 2. Eine Fortsetzung des Verfahrens ist jedoch nach § 23a Abs. 3 WBO i. V. m. § 152a Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO in einem letztinstanzlichen Verfahren nur möglich, wenn die Anhörungsrüge begründet ist.
6 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht nachgekommen ist. Das Gericht ist insbesondere nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen. Art. 103 Abs. 1 GG begründet keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Oktober 2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 Rn. 12 und vom 18. Januar 2011 - 1 BvR 2441/10 - juris Rn. 10 und BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 2022 - 1 WB 27.22 - NVwZ 2022, 1139 Rn. 5 m. w. N).
7 b) Nach diesen Maßstäben ist der Anspruch der Soldatin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden.
8 aa) Der Senat hat insbesondere das Vorbringen zur formellen Rechtswidrigkeit des Verweises berücksichtigt (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 14). Er hat die diesbezüglichen Bedenken der Beschwerdeführerin zurückgewiesen und dargelegt, dass die Disziplinarmaßnahme hinsichtlich der Schuldform den Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns enthält (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 12). Maßgeblich für das Rechtsbeschwerdeverfahren seien der Inhalt und die Begründung der einfachen Disziplinarmaßnahme, die sie im Beschwerdebescheid und im gerichtlichen Verfahren erhalten habe. Daraus folgt, dass der Senat auch das Vorbringen der Soldatin zur Unbestimmtheit des Schuldvorwurfs berücksichtigt hat. Die Bezugnahme auf die diesbezüglichen Feststellungen des Truppendienstgerichts steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht der rechtlichen Würdigung des Truppendienstgerichts an anderer Stelle nicht gefolgt ist.
9 bb) Der Senat ist auch auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild eingegangen. Er hat ausgeführt, dass der Einwand der Verletzung der Nutzungsbedingungen der Plattform Tinder, ihres Urheberrechts und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbots darstellt und dass die dafür erforderliche Verfahrensrüge nicht formgerecht erhoben worden ist (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 10 f.). Soweit die Soldatin einwendet, sie habe die Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung und -verwertung auch auf die Verletzung der Kameradschaftspflicht gestützt, kann dafür nichts anderes gelten.
10 Die weitere Rüge, die Rechtswidrigkeit der Beweismittelerlangung habe auch zur Folge, dass das Entschließungsermessen bei der Einleitung des Disziplinarverfahrens rechtswidrig ausgeübt worden sei, greift gleichfalls nicht durch. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Rechtmäßigkeit des angegriffenen vorinstanzlichen Urteils. Weil das Truppendienstgericht in Ausübung eigener disziplinarrechtlicher Gewalt über den mit dem Verweis geahndeten Vorfall zu entscheiden und dabei sämtliche relevanten Tatsachen zu untersuchen hat, ist allein die Rechtmäßigkeit seiner Tatsachenfeststellungen maßgeblich. Die Frage der Rechtswidrigkeit der Verwendung des Bildes durch vorgelagerte Entscheidungsträger ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht entscheidungserheblich.
11 cc) Der Senat ist auch auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin eingegangen, dass die Datingplattform Tinder als geschlossenes System anzusehen sei. Er hat dazu ausgeführt, dass das Truppendienstgericht diese Frage offenlassen durfte. Die tatsächliche Feststellung des Truppendienstgerichts sei nicht zu beanstanden, dass die Soldatin mit dem Bekanntwerden ihres Profilbildes rechnen musste und dies in Kauf nahm (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 25). Soweit die Beschwerdeführerin ihr früheres Vorbringen dahin verstanden wissen will, dass sie bei ihren Äußerungen auf den spezifischen Empfängerhorizont der Nutzer der Plattform Tinder abgestellt habe, dürfte darin der im Rahmen einer Anhörungsrüge unzulässige Versuch liegen, neue Argumente vorzubringen. Außerdem verkennt die Beschwerdeführerin die Zielsetzung des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG. Denn es kommt bei dieser Vorschrift nicht darauf an, wie das Verhalten eines Soldaten auf einer bestimmten Internetplattform verstanden und bewertet wird. Maßgeblich ist vielmehr, wie das Verhalten in der Bundeswehr und in der Öffentlichkeit verstanden wird und welche Auswirkungen es auf das Ansehen eines Soldaten in der Bundeswehr und der Öffentlichkeit hat. Dies hat der Senat in dem Beschluss auch zum Ausdruck gebracht (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 19 bis 23).
12 dd) Der Senat hat auch die Rechtsausführungen der Beschwerdeführerin zum Tatbestandsmerkmal der "ernsthaften Beeinträchtigung" in § 17 Abs. 2 Satz 3 SG zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Er ist ihrem Vorbringen gefolgt, dass nicht jede Beeinträchtigung des eigenen Ansehens im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG pflichtwidrig ist. Das Tatbestandsmerkmal der "ernsthaften Beeinträchtigung" erfordert vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Grundrechte des Soldaten (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 27 bis 29).
13 Der Senat hat ferner - anders als die Beschwerdeführerin meint - das Tatbestandsmerkmal der "ernsthaften Beeinträchtigung" auch berücksichtigt. Er hat ausgeführt, auch bei der nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG erforderlichen Abwägung der privaten und dienstlichen Belange ergebe sich eine Pflichtverletzung (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 36). In diesem Satz wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die vom Tatbestandsmerkmal der "ernsthaften Beeinträchtigung" geforderte umfassende Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls stattgefunden hat. Der Senat ist bei der Begründung der Abwägungsentscheidung auch speziell auf das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf sexuelle Selbstbestimmung eingegangen und hat lediglich die für die Grundrechtsausübung nicht erforderliche Überspitzung ihres sexuellen Anliegens als pflichtwidrig gewertet (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 37).
14 ee) Schließlich hat sich der Senat in dem angegriffenen Beschluss auch mit den verfassungsrechtlichen Bedenken der Soldatin gegen § 17 Abs. 2 Satz 3 SG befasst und ausgeführt, die Vorschrift sei Ausdruck des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses des Soldaten aus Art. 33 Abs. 4 GG und genüge dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot (BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 2 WRB 2.21 - NVwZ 2022, 1622 Rn. 16). Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er auch die übrigen weniger gewichtigen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Rechtsnorm nicht für überzeugend hält.
15 Dies gilt insbesondere für die behauptete Verletzung von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Das verfassungsrechtliche Zitiergebot findet Anwendung auf Grundrechte, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 668/04 - BVerfGE 113, 348 <366>). Dies folgt daraus, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG auf den Tatbestand des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG Bezug nimmt und damit nur gilt, "soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann". Das Zitiergebot findet daher insbesondere für Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG keine Anwendung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80, 47/80 - BVerfGE 64, 72 <79 f.>). Für Grundrechte, die - wie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung - von der Rechtsprechung aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet worden sind, kann nichts anderes gelten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - NVwZ 2022, 1728 Rn. 38). Denn auch für sie besteht im Grundgesetz kein expliziter Gesetzesvorbehalt. Daher kann aus der mangelnden Erwähnung des Grundrechts auf sexuelle Selbstbestimmung in § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nicht geschlossen werden, die Rechtsnorm lasse keinerlei Beschränkungen dieses Rechts in der Sozialsphäre zu.
16 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.