Beschluss vom 25.04.2019 -
BVerwG 2 WNB 1.19ECLI:DE:BVerwG:2019:250419B2WNB1.19.0
Neufassung der Disziplinarformel durch das Truppendienstgericht
Leitsatz:
Das Truppendienstgericht kann auch im Falle der Zurückweisung der weiteren Beschwerde den Tenor einer Disziplinarbuße entsprechend seinen Tatsachenfeststellungen neu fassen.
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Rechtsquellen
WBO § 22a Abs. 2 Nr. 1 und 3, § 22b Abs. 2 Satz 2 GG Art. 103 Abs. 1 WDO § 37 Abs. 3 Satz 2, § 42 Nr. 4 Satz 4, § 42 Nr. 6 -
Instanzenzug
TDG Nord 1. Kammer - 04.09.2018 - AZ: TDG N 1 BLc 4/17 und N 1 RL 3/18
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 25.04.2019 - 2 WNB 1.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:250419B2WNB1.19.0]
Beschluss
BVerwG 2 WNB 1.19
- TDG Nord 1. Kammer - 04.09.2018 - AZ: TDG N 1 BLc 4/17 und N 1 RL 3/18
In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 25. April 2019 beschlossen:
- Die Beschwerde des Soldaten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 4. September 2018 wird zurückgewiesen.
- Der Soldat trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft eine Disziplinarbuße in Höhe von 800 €. Dem Beschwerdeführer, einem Stabsfeldwebel der Reserve, wurde vorgehalten, in Bezug auf einen Obergefreiten während eines Zeitraums von vier Wochen, in dem der Beschwerdeführer Reservedienst leistete, mehrfach die Worte "Schwarzer" und "Neger" verwendet zu haben. Durch diese Wortwahl habe er das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Obergefreiten verletzt, zumindest den Eindruck eines diskriminierenden Verhaltens erweckt und gegen seine Pflichten als Vorgesetzter und Kamerad verstoßen. Das Truppendienstgericht hat mit Beschluss vom 4. September 2018 die Disziplinarformel neu gefasst und die weitere Beschwerde zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.
2 Mit der dagegen gerichteten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, dass der Tenor der Disziplinarbuße vom Truppendienstgericht ohne vorherige Anhörung wesentlich geändert worden sei. Er sieht darin einen Verfahrensfehler und hält es für grundsätzlich bedeutsam, ob das Truppendienstgericht im Verfahren der weiteren Beschwerde berechtigt ist, Änderungen am Tenor einer Disziplinarmaßnahme vorzunehmen, ohne gleichzeitig das Disziplinarmaß herabzusetzen oder die Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen. Grundsätzlich bedeutsam sei auch die Frage, ob in einem solchen Fall vor der beabsichtigten Entscheidung rechtliches Gehör zur Änderung des Tenors gewährt werden müsse.
II
3 Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerde hat weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung noch liegt der behauptete Verfahrensfehler einer Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
4 1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 - Buchholz 451.622 EAEG Nr. 3 Rn. 16).
5 a) Nach diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer zwar die abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen, ob ein Truppendienstgericht im Verfahren der weiteren Beschwerde nach § 42 Nr. 4 Satz 4 WDO befugt ist, den Tenor einer Disziplinarbuße neu zu fassen. Diese Frage bedarf jedoch keiner grundsätzlichen Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren. Denn es ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass die angefochtene Disziplinarmaßnahme "in vollem Umfang" der wehrdienstgerichtlichen Prüfung unterliegt und dass das Gericht "zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft". Demnach kann das Truppendienstgericht - wie zur wortgleichen Vorgängerregelung des § 38 Nr. 3 Satz 3 WDO a.F. bereits entschieden - die angefochtene Maßnahme bestätigen, sie in ihrer Höhe oder Art mildern oder auch ganz aufheben. Die Entscheidung des Gerichts beschränkt sich nicht auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der verhängten Maßnahme. Vielmehr übt es selbst Disziplinargewalt aus; daran ändert nichts, dass es wegen des auch hier geltenden Verschlechterungsverbots die Maßnahme nicht verschärfen darf (BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 1975 - 2 WDB 23.74 - BVerwGE 53, 43 <44 f.>). Aus dem klaren Wortlaut der Regelung und der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich damit, dass das Truppendienstgericht auch befugt ist, den im Tenor einer Disziplinarbuße enthaltenen Tatvorwurf durch eine neue Fassung zu präzisieren und an seine Tatsachenfeststellungen anzupassen (ebenso Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87).
6 b) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die vorgelegte Frage, ob das Truppendienstgericht verpflichtet ist, die Disziplinarmaßnahme abzumildern oder die gesamte Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen, wenn es - wie hier - einzelne im Beschwerdebescheid vorgeworfene Verfehlungen ausscheidet oder abschwächt. Da das Truppendienstgericht selbst die Disziplinargewalt ausübt und "die in der Sache erforderliche Entscheidung" trifft, kann es auch trotz Feststellung einer geringeren Zahl oder eines geringeren Umfangs der Pflichtverletzungen die vom Disziplinarvorgesetzten verhängte Disziplinarbuße im Ergebnis aufrechterhalten, wenn es diese Pflichtverletzungen nach seiner eigenen disziplinarischen Bewertung für hinreichend schwerwiegend hält. Dies widerspricht § 42 Nr. 4 Satz 4 WDO nicht und verletzt auch nicht das Verschlechterungsverbot des § 42 Nr. 6 WDO (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87). Ein rechtlicher Grund, warum das Truppendienstgericht in einem solchen Fall verpflichtet sein sollte, die gesamte Disziplinarmaßnahme neu zu verhängen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
7 Eine Verletzung des Verschlechterungsverbots könnte nur vorliegen, wenn das Truppendienstgericht eine bislang nicht oder nicht wirksam angeschuldigte Pflichtverletzung in seine Bemessungserwägungen einbeziehen würde (vgl. TDG Süd, Beschluss vom 25. November 1993 - S 1 BLc 5/93 - NZWehrr 1994, 257 <258>). Soweit die Beschwerde dies andeutet und insbesondere die zeitliche Bestimmtheit der vorgeworfenen Pflichtverletzungen in Zweifel zieht, ist der für die Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche grundsätzliche Klärungsbedarf bei der Auslegung des § 37 Abs. 3 Satz 2 WDO oder des § 42 Nr. 6 WDO weder ordnungsgemäß dargelegt noch ersichtlich. Denn bei der Festlegung der Tatzeit nach § 37 Abs. 3 Satz 2 WDO ist ähnlich wie bei der Anschuldigung in § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO eine zeitliche Eingrenzung durch Angabe einer Zeitspanne zulässig, wenn eine genauere Bestimmung der Tatzeit nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht möglich ist (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 37 Rn. 24 und BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - juris Rn. 62).
8 c) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob das Truppendienstgericht vor einer Neufassung des Tenors der Disziplinarmaßnahme dazu rechtliches Gehör gewähren muss, kann gleichfalls keinen Erfolg haben. Diese Grundsatzrüge genügt schon nicht den Anforderungen des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO an die ordnungsgemäße Darlegung. Die Beschwerde führt nicht aus, ob sich die von ihr angenommene vorherige Hinweispflicht aus einer und gegebenenfalls aus welcher Bestimmung des einfachen Rechts ergeben soll. Ebenso wenig wird dargelegt, aus welchen Gründen sich bei der Auslegung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ein grundsätzlicher Klärungsbedarf in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Maßstäbe ergeben könnte. Vielmehr rügt die Beschwerde der Sache nach lediglich eine Missachtung dieses grundrechtsgleichen Rechts im Einzelfall. Darauf kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht gestützt werden.
9 2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) liegt im Übrigen nicht vor. Der Grundsatz der Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt indessen keine umfassende Hinweis- und Informationspflicht des Gerichts (BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 2 WNB 1.17 - juris Rn. 6 m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht grundsätzlich nicht, die Prozessbeteiligten schon vor der abschließenden Entscheidung auf das Ergebnis seiner Beweiswürdigung oder auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Dementsprechend muss ein Truppendienstgericht die Beteiligten auch nicht vor seiner Entscheidung über die weitere Beschwerde darüber informieren, welche Vorwürfe es in welchem Umfang für erwiesen und welche Korrektur des Tenors der vorangegangenen Beschwerdeentscheidung es für erforderlich hält.
10 Es kann zwar im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages gleichkommen und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>). Für eine solche unzulässige Überraschungsentscheidung ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersichtlich. Dem Beschwerdeführer waren die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen seit langem bekannt und er hatte Gelegenheit, in die in der Verfahrensakte befindlichen Zeugenaussagen Einsicht zu nehmen. Er musste damit rechnen, dass das Truppendienstgericht den ihn belastenden Zeugenaussagen ganz oder teilweise folgen würde. Er konnte auch damit rechnen, dass selbst im Falle einer teilweisen Freistellung von den erhobenen Vorwürfen die Disziplinarbuße in Höhe von 800 € im Hinblick auf die erwiesenen Vorwürfe aufrechterhalten bleiben würde. Denn ein entsprechendes Vorgehen wurde in der einschlägigen Kommentarliteratur für zulässig erachtet (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 42 Rn. 87).
11 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 42 Satz 1 WDO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.