Urteil vom 22.10.2009 -
BVerwG 1 C 26.08ECLI:DE:BVerwG:2009:221009U1C26.08.0
Leitsätze:
1. Der Rücknahme einer rechtskräftig gerichtlich bestätigten Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG steht die Rechtskraftbindung des § 121 VwGO entgegen.
2. Weder die Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) und eine hierauf beruhende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch die zwischenzeitliche Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts stellen nach § 51 Abs. 1 LVwVfG einen zwingenden Grund für das Wiederaufgreifen eines Ausweisungsverfahrens dar.
Urteil
BVerwG 1 C 26.08
- VGH Baden-Württemberg - 30.09.2008 - AZ: VGH 11 S 1001/08
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter und
Prof. Dr. Kraft sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. September 2008 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Der Kläger, ein 1977 in Deutschland geborener türkischer Staatsangehöriger, erstrebt die Verpflichtung des Beklagten, über seinen Antrag auf Rücknahme der gegen ihn verfügten Ausweisung erneut zu entscheiden.
2 Der Kläger lebte bis zu seiner Ausreise bei seinen Eltern. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte er eine Ausbildung zum Konstruktionstechniker und arbeitete bei einem Autohersteller. 1993 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
3 Ende 2000 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und im September 2001 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung des Strafrests wurde zur Bewährung ausgesetzt.
4 Das Regierungspräsidium Karlsruhe nahm diese Verurteilung zum Anlass, den Kläger mit Bescheid vom 4. Januar 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet auszuweisen und ihm die Abschiebung anzudrohen. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und eine Petition blieben ohne Erfolg. Daraufhin verließ der Kläger Deutschland. Im August 2002 wies das Verwaltungsgericht die gegen die Ausweisungsverfügung erhobene Klage ab. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Dezember 2002 abgelehnt.
5 Im Januar 2005 beantragte der Kläger die Befristung der Ausweisung. Zur Begründung gab er an, er habe sich zwischenzeitlich in der Türkei eine neue Existenz aufgebaut und führe dort eine gut gehende Boutique. Da sich sein Lebensmittelpunkt aber nach wie vor in Deutschland befinde und alle seine Verwandten hier lebten, wolle er wieder zurückkommen. Im November 2005 beantragte er die Rücknahme der Ausweisung. Diese verstoße nach neuerer Rechtsprechung sowohl gegen Gemeinschaftsrecht als auch gegen Art. 8 EMRK.
6 Nach Klageerhebung lehnte das Regierungspräsidium den Rücknahmeantrag mit Bescheid vom 28. März 2006 ab. Die Ausweisung verstoße weder gegen Gemeinschaftsrecht noch gegen Art. 8 EMRK. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG lägen ebenfalls nicht vor. Dränge sich - wie hier - die Rechtswidrigkeit nicht auf, könne eine neue Sachentscheidung im Ermessenswege abgelehnt werden. Die Ausweisung belaste den Kläger nicht unverhältnismäßig. Da ihre Wirkungen in der Regel auf Antrag befristet würden, bestehe die Möglichkeit der erneuten Einreise. Im Juni 2007 befristete das Regierungspräsidium die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung. Insoweit erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt. Hinsichtlich des Rücknahmebegehrens hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
7 Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger seinen Antrag dahin eingeschränkt, dass er nur noch Neubescheidung begehrt; das Regierungspräsidium hat sich ergänzend auf die Bindungswirkung des § 121 VwGO berufen. Mit Urteil vom 30. September 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung insoweit zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Es bestehe zwar ein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Ausweisung entfalte trotz der Befristung weiterhin belastende Rechtswirkungen. Werde sie aufgehoben, lebe die dem Kläger erteilte Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis wieder auf. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf erneute Bescheidung. Eine Rücknahme sei neben der Befristung grundsätzlich möglich, solange die Ausweisung - wie hier - noch Regelungswirkungen aufweise. Nach § 121 Nr. 1 VwGO seien die Beteiligten - und damit auch das Gericht - aber gehindert, von der Rechtswidrigkeit der Ausweisung auszugehen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch, dass sein Aufhebungsbegehren durch eine neue Sachentscheidung nach Wiederaufgreifen des Verfahrens erneut beschieden werde. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 LVwVfG lägen nicht vor, insbesondere stelle weder die Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften noch die hierauf folgende Änderung der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung einen Wiederaufgreifensgrund dar. Der Kläger könne eine Rücknahme auch nicht über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde beanspruchen. Die Befugnis der Verwaltung, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufzugreifen, sei bereits vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze als ungeschriebener Rechtsgrundsatz anerkannt gewesen und werde weder durch § 51 LVwVfG noch durch §§ 48, 49 LVwVfG verdrängt. Das Regierungspräsidium habe eine neue Sachentscheidung aber ermessensfehlerfrei abgelehnt. Unabhängig von der Frage der tatsächlichen Rechtswidrigkeit habe sich der Beklagte im gerichtlichen Verfahren auf die Bindungswirkung des § 121 VwGO berufen und damit die Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO ergänzt. Die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Überprüfung der bestandskräftigen Ausweisung lägen nicht vor. Der Senat habe bei Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gegen Art. 234 Abs. 3 EG verstoßen. Nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO sei er an die dargelegten Zulassungsgründe gebunden gewesen. Die Ablehnung des Wiederaufgreifens halte sich schließlich in den Grenzen des nationalen Rechts. Eine Behörde handle grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung unter Hinweis auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung ablehne. Weiterer Ermessenserwägungen bedürfe es nur, wenn im Einzelfall Umstände vorlägen, die von Bedeutung und Gewicht her den in § 51 Abs. 1 LVwVfG geregelten Fällen vergleichbar seien, und die Aufrechterhaltung des Erstbescheides auch unter Berücksichtigung der Rechtskraft des bestätigenden Urteils schlechthin unerträglich wäre. Ob die Ausweisung des Klägers tatsächlich (gemeinschafts-) rechtswidrig sei, könne dahinstehen. Sie sei dies jedenfalls nicht in einer Weise, dass ihre Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich wäre. Bei Erlass des bestätigenden Urteils sei die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer ohne umfassende Ermessensentscheidung und ohne Beachtung des „Vier-Augen-Prinzips“ des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ausgesprochenen Ausweisung eines durch den ARB 1/80 begünstigten türkischen Staatsangehörigen nicht evident gewesen. Dies ergebe sich erst aus späteren Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts. Die Berufung der Behörde auf die Bindungswirkung des § 121 VwGO stelle sich weder als treu- und sittenwidrig noch als unverhältnismäßiger Eingriff in Rechtspositionen aus Art. 8 Abs. 1 EMRK dar. Die Wirkungen der Ausweisung seien zwischenzeitlich befristet worden. Selbst wenn der Kläger kein Recht auf Rückkehr haben sollte und damit möglicherweise ein unwiederbringlicher Verlust der Beziehungen eintreten könnte, die für das in Deutschland geführte Privat- und Familienleben konstitutiv seien, würde sich die Aufrechterhaltung der Ausweisung nicht als schlechthin unerträglich darstellen. Der Kläger lebe seit Sommer 2002 in der Türkei. Nach eigenen Angaben sei es ihm gelungen, sich dort eine Existenz aufzubauen. Gewichtige familiäre oder persönliche Gründe für eine Rückübersiedlung nach Deutschland habe er nicht vorgetragen. Sein Wunsch, wieder in seinem Geburtsland und in der Nähe der Großfamilie zu leben, habe keine den in § 51 Abs. 1 LVwVfG geregelten Fällen vergleichbare, die Bindungswirkung des § 121 VwGO beseitigende Bedeutung.
8 Der Kläger erstrebt mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, § 121 VwGO stehe seinem Rücknahmebegehren nicht entgegen. Er verfüge über keinen Anknüpfungspunkt für die Neubegründung eines Aufenthaltsrechts. Sein Rückkehrwunsch sei durch Art. 8 EMRK gedeckt und gewichtiger als das Festhalten an der Bindungswirkung des § 121 VwGO.
9 Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
II
10 Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht in Übereinstimmung mit revisiblen Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage (1.). Der Kläger hat aber in der Sache keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Rücknahme der gegen ihn verfügten Ausweisung. Der Beklagte hat diesen Antrag ermessensfehlerfrei abgelehnt (2.)
11 1. Für das auf rückwirkende Aufhebung der Ausweisung gerichtete Bescheidungsbegehren besteht ein Rechtsschutzbedürfnis trotz der zwischenzeitlichen Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Durch die Befristung ist zwar das mit der Ausweisung kraft Gesetzes eingetretene Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit Wirkung ex nunc entfallen. Auch steht der Erteilung eines (neuen) Aufenthaltstitels nicht mehr die Sperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen. Die Befristung führt aber nicht zu einem Wiederaufleben des mit der Ausweisung kraft Gesetzes (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990, inzwischen: § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) erloschenen Aufenthaltstitels. Die mit der Ausweisung verbundenen belastenden Regelungswirkungen sind daher durch die Befristung nur teilweise entfallen. Dabei kann dahinstehen, ob - wie vom Berufungsgericht angenommen - die dem Kläger zuletzt erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach einer Rücknahme der Ausweisung automatisch aufleben und nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten würde. Bedenken bestehen insoweit, da der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit Sommer 2002 in der Türkei lebt. Dadurch könnten einem automatischen Wiederaufleben des alten Aufenthaltstitels die weiteren Erlöschensgründe des § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG 1990 (inzwischen: § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG) entgegenstehen. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel auch, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist oder wenn er ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist (zur Vereinbarkeit des Erlöschenstatbestands des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 <inzwischen: § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG> mit den Stillhalteklauseln des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 <InfAuslR 1982, 33> - ARB 1/80 - und des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation <BGBl 1972 II S. 385> - ZP -, soweit deren Anwendung sich im Hinblick auf die dem Erlöschenstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 <inzwischen: § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG> entsprechende Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG 1965 im Ergebnis nicht zum Nachteil des Betroffenen auswirkt vgl. Senatsurteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - NVwZ 2009, 1162, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 17 ff.). Ob diese Erlöschensgründe auch eingreifen, wenn eine rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird und der Betroffene das Bundesgebiet nur wegen der ihm drohenden Abschiebung verlassen hat, bedarf keiner Entscheidung. Denn selbst wenn die (alte) Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen mit der Rücknahme der Ausweisung nicht wiederaufleben sollte, erscheint zumindest das Bestehen eines auf Wiederherstellung des früheren Rechtszustands gerichteten Folgenbeseitigungsanspruchs nicht von vornherein ausgeschlossen.
12 2. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Rücknahmeantrags. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 des hier maßgeblichen Landesverwaltungsverfahrensgesetzes Baden-Württemberg (LVwVfG) liegen nicht vor (2.1). Der Kläger kann eine Rücknahme der Ausweisung auch nicht über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG erreichen. Die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Wiederaufgreifensanspruch nach § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG sind nicht gegeben (2.2). Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) hat die Behörde ermessensfehlerfrei abgelehnt (2.3).
13 2.1 Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nachdem der Kläger die Ausweisungsverfügung gerichtlich angefochten und das Verwaltungsgericht deren Rechtmäßigkeit - rechtskräftig - bestätigt hat, steht zwischen den Beteiligten - ungeachtet der tatsächlichen Rechtslage - bindend fest, dass die Ausweisung im für die damalige gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz rechtmäßig war. Gemäß § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden ist. Danach tritt auch bei unterschiedlichen Streitgegenständen - wie hier - eine Bindung in den Fällen ein, in denen die rechtskräftige Zuerkennung oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist. Denn mit der Regelung des § 121 VwGO soll auch verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Sachurteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird (stRspr, vgl. Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <33>).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt, dass die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung im vorangegangenen Anfechtungsprozess an der - unter Berücksichtigung der Urteilsgründe zu ermittelnden - Bindungswirkung des klageabweisenden Urteils teilhat und diese für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, der gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, vorgreiflich ist. Er hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die materielle Bindungswirkung nach § 121 VwGO unabhängig davon eintritt, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat. Diese Auslegung entspricht der Bedeutung der Rechtskraft zur Gewährleistung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach würde der Sinn der Rechtskraft als Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Prinzips der Rechtssicherheit in einer Art. 20 Abs. 3 GG verletzenden Weise verfehlt und die vom Gesetzgeber in § 121 VwGO zugunsten des Prinzips der Rechtssicherheit getroffene Regelung teilweise außer Kraft gesetzt, wenn man die Exekutive allein aus allgemeinen verwaltungsrechtlichen Erwägungen heraus und damit ohne gesetzliche Grundlage zu einer uneingeschränkten erneuten Entscheidung für befugt erachtete (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 - NVwZ 1989, 141). Die Rechtskraftbindung des § 121 VwGO kann daher nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene nach § 51 LVwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift (vgl. nachfolgend 2.2 und 2.3 ). Solange diese Voraussetzungen nicht vorliegen, steht § 121 VwGO einer Rücknahme der Ausweisung entgegen.
15 2.2 Mit Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG für einen gesetzlichen Anspruch auf Wiederaufgreifen des (Ausweisungs-)Verfahrens nicht vorliegen.
16 a) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der sich aus dem Gemeinschaftsrecht und aus Art. 8 EMRK ergebenden Anforderungen an die Ausweisung eines in Deutschland geborenen und aufgewachsenen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und damit zumindest sinngemäß auf den Wiederaufgreifensgrund einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Sowohl die nachträgliche Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und eine hierauf beruhende Änderung der höchstrichterlichen nationalen Rechtsprechung als auch die zwischenzeitliche Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung nach Art. 8 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts haben nicht zu einer Änderung der Rechtslage geführt. Eine solche erfordert Änderungen im Bereich des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt. Eine Änderung der Rechtsprechung führt eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht herbei. Vielmehr bleibt die gerichtliche Entscheidungsfindung grundsätzlich eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 <89>). Das ist nicht nur für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (vgl. Beschluss vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 B 60.95 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 32), gilt aber auch für Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, dessen Rechtsprechung in Vorabentscheidungsverfahren nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur ist (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-00411 Rn. 35).
17 b) Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO liegen nicht vor. Soweit nach § 580 Nr. 8 ZPO die Restitutionsklage stattfindet, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht, setzt dies nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Begründung des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 16/3038 S. 38 ff.) voraus, dass sich die Feststellung der Konventionsverletzung auf den konkreten Fall bezieht. Hieran fehlt es. Im Übrigen findet dieser Restitutionsgrund nach der Überleitungsvorschrift zum 2. Justizmodernisierungsgesetz in § 35 EGZPO ohnehin keine Anwendung auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind.
18 c) Zu Recht ist das Berufungsgericht mit Blick auf den grundsätzlich abschließenden Charakter der gesetzlichen Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG davon ausgegangen, dass die Behörde im Falle der nachträglichen Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage auch nicht verpflichtet ist, das Verfahren in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift wiederaufzugreifen. Gemeinschaftsrechtlich kann sich eine Verpflichtung zur Überprüfung eines bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens nur aus dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit ergeben. Der Europäische Gerichtshof hat in der „Kühne & Heitz“-Entscheidung vom 13. Januar 2004 (Rs. C-453/00 - Slg. 2004, I-00837) eine Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte zur Überprüfung einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung, um hierdurch einer später von ihm vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen, aber (u.a.) davon abhängig gemacht, dass die Behörde befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen (vgl. Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00 - a.a.O.). Welche Bedeutung dieser Voraussetzung zukommt, insbesondere ob mit der Pflicht zur Überprüfung zugleich eine Pflicht zur Aufhebung einer gemeinschaftswidrigen Entscheidung verbunden ist und ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihrem nationalen Verfahrensrecht einen entsprechenden Anspruch vorzusehen, kann hier offen bleiben. Denn das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Behörden nach nationalem Recht auch außerhalb der in § 51 Abs. 1 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe die Möglichkeit haben, ein nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen (vgl. nachfolgend 2.3). Hierdurch kann einer vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts auch in abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Rechnung getragen werden, ohne dass es einer erweiternden Auslegung des § 51 Abs. 1 LVwVfG bedarf.
19 2.3 Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG nicht vor, kann die Behörde ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue - der gerichtlichen Überprüfung zugängliche - Sachentscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht der Senat davon aus, dass es sich bei dieser Möglichkeit des Wiederaufgreifens nicht um einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz des Verwaltungsverfahrensrechts handelt, sondern sie nach Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG findet. In Fällen, in denen - wie hier - ein Verwaltungsakt gerichtlich bestätigt worden ist, bedarf es zur Überwindung der Rechtskraft einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 - NVwZ 1989, 141). Diese findet sich - außerhalb der in § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe - in § 51 Abs. 5 LVwVfG. Die dort verankerte Ermächtigung der Behörden, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wieder aufzugreifen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 47 Abs. 5 VwVfG-E <heute: § 51 Abs. 5 VwVfG> BTDrucks 7/910 S. 75), ermöglicht auch bei rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakten die nachträgliche Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2007 - 2 BvR 1613/07 - InfAuslR 2008, 94; BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - BVerwG 1 C 6.99 - NVwZ 2000, 204 <206>). Trifft die Behörde eine positive Entscheidung zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), wird hierdurch die Rechtskraft durchbrochen und der Weg für eine erneute Sachentscheidung (Stufe 2) eröffnet (vgl. Senatsurteil vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 15.08 , zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Mit der Befugnis der Behörde, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, korrespondiert ein - gerichtlich einklagbarer (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) - Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2007 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 <82>).
20 Dabei handelt die Behörde im Falle einer rechtskräftig bestätigten Ausweisung grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zu Gunsten des Betroffenen verdichten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. Allein der Umstand, dass die Ausweisung - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt worden ist, genügt hierfür nicht. Von einer Ermessensverdichtung zugunsten des Betroffenen ist erst auszugehen, wenn die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Ausweisung schlechthin unerträglich wäre (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 <92> m.w.N.). Selbst im Falle eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht gebietet Art. 10 EG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht in jedem Fall eine Überprüfung durch die nationalen Behörden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2004 a.a.O., modifiziert durch Urteil vom 12. Februar 2008 a.a.O.).
21 a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Überprüfung der nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen Ausweisung nicht vorliegen. Die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache „Kühne & Heitz“ mit Urteil vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) aufgestellten und in der Rechtssache „Kempter“ mit Urteil vom 12. Februar 2008 (a.a.O.) weiter konkretisierten Voraussetzungen für die Überprüfung einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsentscheidung liegen nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einer Verletzung der Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs nach Art. 234 Abs. 3 EG. Denn ein Verstoß gegen die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof nach Art. 10 EG liegt nur dann vor, wenn der gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkt, dessen Auslegung sich in Anbetracht eines späteren Urteils des Gerichtshofs als unrichtig erwiesen hat, von dem in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gericht entweder geprüft wurde oder von Amts wegen hätte aufgegriffen werden können. Das Gemeinschaftsrecht gebietet den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zu prüfen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die von den Parteien bestimmten Grenzen des Rechtsstreits überschreiten müssten. Sie müssen die rechtlichen Gesichtspunkte, die sich aus einer zwingenden Gemeinschaftsvorschrift ergeben, aber von Amts wegen aufgreifen, wenn sie nach dem nationalen Recht verpflichtet oder berechtigt sind, dies im Falle einer zwingenden Vorschrift des nationalen Rechts zu tun (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008 a.a.O. Rn. 44 und 45).
22 Letztinstanzliches nationales Gericht bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisungsverfügung war hier nicht das Verwaltungsgericht, sondern der Verwaltungsgerichtshof. Denn gegen das abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts gab es die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen (im Ergebnis ebenso Beschluss vom 20. März 1986 - BVerwG 3 B 3.86 - NJW 1987, 601). Erst der die Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs konnte nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden. Der Verwaltungsgerichtshof verstieß mit seiner damals getroffenen Entscheidung aber nicht gegen die Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG. Den Antrag auf Zulassung der Berufung hatte der Kläger zwar auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gestützt, in diesem Zusammenhang aber keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken geltend gemacht. Mangels Darlegung eines auf das Gemeinschaftsrecht bezogenen Zulassungsgrundes prüfte der Verwaltungsgerichtshof daher bei seiner Entscheidung nicht die Vereinbarkeit der Ausweisung mit Gemeinschaftsrecht und war hierzu nach nationalem Prozessrecht auch weder berechtigt noch verpflichtet. Lässt das Verwaltungsgericht die Berufung nicht zu, hat der Antragsteller mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist, und darf der Verwaltungsgerichtshof nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO bei der Entscheidung über den Zulassungsantrag nur die Gründe berücksichtigen, die vom Antragsteller (fristgerecht) dargelegt worden sind. Diese der nationalen Verfahrensautonomie unterliegende Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsprogramms im Zulassungsverfahren begegnet auch mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Äquivalenz- und Effizienzgebot keinen Bedenken.
23 b) Nach nationalem Recht liegt ebenfalls kein Fall vor, in dem sich das (Wiederaufgreifens-)Ermessen so verdichtet hat, dass nur ein Wiederaufgreifen des Verfahrens ermessensfehlerfrei wäre. Insoweit ist das Berufungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung nicht schlechthin unerträglich wäre.
24 (aa) Eine derartige Unerträglichkeit kann sich aus der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils ergeben. In diesem Zusammenhang konnte das Berufungsgericht offen lassen, ob die Ausweisung aus den vom Kläger geltend gemachten Gründen tatsächlich (gemeinschafts-) rechtswidrig war. Denn es fehlt - bezogen auf den Zeitpunkt des die Ausweisung bestätigenden Urteils des Verwaltungsgerichts - jedenfalls an einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der gerichtlichen Entscheidung.
25 Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass der in Deutschland geborene und bei seinen Eltern aufgewachsene Kläger, der nach Abschluss einer Ausbildung bis zu seiner Ausreise - lediglich unterbrochen für die Dauer seiner Inhaftierung - einer unselbständigen Beschäftigung nachgegangen ist, sowohl nach Art. 6 als auch nach Art. 7 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Damit hätte das Verwaltungsgericht Art. 14 ARB 1/80 berücksichtigen und auf den Kläger die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger entwickelten Grundsätze übertragen müssen (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 316 <320>).
26 Dies hatte in verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Folge, dass der Kläger nur unter Beachtung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG hätte ausgewiesen werden dürfen. Danach bedarf es bei Ausweisungen grundsätzlich der Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde („Vier-Augen-Prinzip“, vgl. dazu Urteile vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 ff.> und vom 9. August 2007 - BVerwG 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 <170 f.>). Dass dies nicht geschehen ist, begründet hier aber keine offensichtliche Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils. Dabei kann dahinstehen, ob von einem dringenden Fall auszugehen war, in dem nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 64/221/EWG ausnahmsweise von der Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle abgesehen werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 223). Denn die Konsequenzen der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG waren bei Erlass des die Ausweisungsverfügung bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteils jedenfalls nicht evident. Dass die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG über die von den Verwaltungsgerichten gewährleistete Prüfung aller Tat- und Rechtsfragen unter Einbeziehung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung hinaus eine „erschöpfende Prüfung ... einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme“ gewährleisten sollten, wurde erst mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 in den Rechtssachen „Orfanopoulos und Oliveri“ (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 - Slg. 2004, I-05257, Rn. 103 ff.) deutlich (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5).
27 Das die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestätigende Urteil ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht offensichtlich fehlerhaft. Assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige dürfen zwar nur bei einer von ihnen ausgehenden gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung aufgrund einer umfassenden Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Dabei ist für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsachengerichte abzustellen. Auch diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben waren zum Zeitpunkt der Abweisung der vom Kläger gegen die Ausweisungsverfügung erhobenen Klage durch das Verwaltungsgericht nicht offensichtlich, sondern beruhen ebenfalls auf einer späteren Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <318 ff.>) in Anlehnung an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen „Orfanopoulos und Oliveri“ vom 29. April 2004 (a.a.O.). Im Übrigen hat die Behörde die Ausweisung des Klägers - wie vom Gemeinschaftsrecht gefordert - auf spezialpräventive Gründe gestützt und hilfsweise Ermessen ausgeübt.
28 Die Ausweisung des Klägers war schließlich - bezogen auf den Zeitpunkt der sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidung - auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK offensichtlich unverhältnismäßig. Art. 8 EMRK schützt das Recht auf Achtung des Familien- und des Privatlebens. In diese Rechte können die Vertragsstaaten nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eingreifen, soweit die gewählte Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt wird und mit Blick auf die verfolgten legitimen Ziele auch im engeren Sinn verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946 m.w.N.). In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wiederholt festgestellt, dass Art. 8 EMRK auch im Gastland geborenen und aufgewachsenen Ausländern der zweiten Generation kein absolutes Bleiberecht gewährt. Entsprechend hat er in der Vergangenheit zwar in einigen Fällen dieser Art eine Verletzung von Art. 8 EMRK festgestellt, in einem beachtlichen Teil der Fälle eine Verletzung hingegen abgelehnt. Dabei wies die Rechtsprechung lange Zeit stark kasuistische Züge auf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2004 - 2 BvR 1570/03 - NVwZ 2004, 852 m.w.N.). Ob ein Ausländer der zweiten Generation ausgewiesen werden kann, ist letztlich anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung gegeneinander zu ermitteln. Dabei sind die vom Menschenrechtsgerichtshof inzwischen entwickelten Kriterien zu beachten (vgl. insbesondere EGMR, Urteile vom 2. August 2001 - 54273/00 - Boultif, InfAuslR 2001, 476 und vom 5. Juli 2005 - 46410/99 - Üner, InfAuslR 2005, 450). Dass diese Abwägung hier nur zu Gunsten des Klägers hätte ausfallen dürfen, war bei Abweisung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung nicht evident. Zu Lasten des Klägers waren vor allem die Art und die Schwere der von ihm begangenen Straftat und die hierbei zum Ausdruck gebrachten Persönlichkeitsdefizite zu berücksichtigen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte er als Erwachsener - ohne selbst drogenabhängig zu sein und nicht aus einer finanziellen Not heraus, sondern mit kühler Berechnung zum ausschließlich eigenen Gelderwerb - illegal mit Kokain in nicht geringer Menge gehandelt und es bestand die Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten. Außerdem war das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger als Jugendlicher mehrere Monate in der Türkei verbracht hatte, ihm die dortigen Verhältnisse also nicht gänzlich fremd waren, er die türkische Sprache beherrschte und aufgrund der in der Bundesrepublik erworbenen Ausbildung zu erwarten war, dass er sich dort beruflich und sozial integrieren konnte.
29 (bb) Die Aufrechterhaltung der Ausweisung ist auch nicht aus sonstigen Gründen schlechthin unerträglich. Ihre Wirkungen wurden inzwischen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass der Kläger damit die Möglichkeit hat, zu Besuchsaufenthalten in das Bundesgebiet einzureisen und ihm für vorübergehende Aufenthalte aufgrund dringender humanitärer oder persönlicher Gründe eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG erteilt werden kann. Ob er darüber hinaus eine realistische Chance hat, auf Dauer nach Deutschland zurückzukehren, etwa - wie vom Berufungsgericht angedeutet - über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG oder im Lichte des Art. 8 EMRK über ein Recht auf Wiederkehr, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufrechterhaltung der Ausweisung sich auf der Grundlage der tatrichterlichen - für des Senat bindenden (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) - Feststellungen auch ohne ein Rückkehrrecht des Klägers nicht als schlechterdings unerträglich darstellen würde. Der Kläger lebte im maßgeblichen Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung schon seit über 6 Jahren in der Türkei und hat sich nach eigenen Angaben dort mit Hilfe einer gut gehenden Boutique eine neue Existenz aufgebaut. Er hat auch keine gewichtigen familiären oder persönlichen Gründe für eine Rückkehr nach Deutschland vorgetragen. Bei dieser Sachlage ist die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass allein der Wunsch, wieder in seinem Geburtsland und in der Nähe des großen Familienverbunds zu leben, keine den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG geregelten Fällen vergleichbare, die Bindungswirkung des § 121 VwGO beseitigende Bedeutung habe, nicht zu beanstanden. Auch wenn der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist, zeigt gerade der Umstand, dass es ihm gelungen ist, sich in relativ kurzer Zeit in der Türkei eine neue Existenz aufzubauen, dass ihm die dortigen Lebensverhältnisse keineswegs fremd sind. Kontakte zu seinen in Deutschland lebenden Familienangehörigen und Freunden lassen sich im Übrigen auch durch gegenseitige Besuche und andere Formen der Kommunikation aufrechterhalten.
30 c) Damit lag die Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des (Ausweisungs-)Verfahrens im Ermessen der Behörde. Das Regierungspräsidium hat dies im Bescheid vom 28. März 2006 erkannt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat es seine dortigen Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren unter Hinweis auf die Bindungswirkung des § 121 VwGO ergänzt. Dies war nach § 114 Satz 2 VwGO möglich. In diesem Fall bedarf es regelmäßig - und so auch hier - keiner weiteren Ermessenserwägungen.
31 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.