Verfahrensinformation

Die Kläger sind Abwasserzweckverbände mit Sitz in Sachsen. Im Verfahren BVerwG 9 C 3.23 wendet sich der Kläger gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 2016 für die Einleitung von Schmutzwasser über die Kleinkläranlage Pyrna. Der Kläger im Verfahren BVerwG 9 C 4.23 wendet sich gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 2006 für die Einleitung aus drei Kanaleinleitstellen in Rochlitz. Beide Kläger tragen vor, dass sie nur in kleinen Mengen Abwasser einleiteten und sich deshalb auf die Sondervorschrift des § 8 Abwasserabgabengesetz (AbwAG) für Kleineinleitungen berufen könnten. Nach dieser Bestimmung werden die Abgaben bei sogenannten Kleineinleitungen pauschaliert berechnet; gegebenenfalls sind die Einleitungen abgabefrei. Der Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, dass die betreffende Regelung für die Kläger als abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht gelte.


Pressemitteilung Nr. 54/2024 vom 13.11.2024

Abwasserzweckverbände können sich bei eigener Einleitung nicht auf die Vorschriften zur Kleineinleitung berufen

Nach dem bundesweit geltenden Abwasserabgabengesetz (AbwAG) erheben die Länder für das Einleiten von Abwasser in Gewässer eine Abgabe. Diese Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die im Regelfall anhand des die Abwassereinleitung zulassenden Bescheids ermittelt wird.


Die Kläger sind Abwasserzweckverbände mit Sitz in Sachsen. Im Verfahren 9 C 3.23 wendet sich der Kläger gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 2016 für die Einleitung von Schmutzwasser über die von ihm betriebene Kleinkläranlage Pyrna. Der Kläger im Verfahren 9 C 4.23 wendet sich gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe im Veranlagungsjahr 2006 für die Einleitung aus drei Kanaleinleitstellen in Rochlitz. Beide Kläger tragen vor, dass sie nur in kleinen Mengen Abwasser einleiteten und sich deshalb auf die aus ihrer Sicht günstigere Bestimmung des § 8 AbwAG berufen könnten. Dieser sieht zur Vereinfachung unter bestimmten Voraussetzungen für Kleineinleitungen von Schmutzwasser statt einer Bemessung nach der Schädlichkeit Pauschalierungen bis hin zu einer vollständigen Abgabefreiheit vor. Die Klagen gegen die Abgabenbescheide blieben erstinstanzlich ohne Erfolg. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hob die beiden angefochtenen Bescheide hingegen vollständig bzw. teilweise auf und begründete dies damit, dass auch die Kläger als abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaften des öffentlichen Rechts von der Regelung für Kleineinleitungen profitieren könnten.


Auf die Revisionen des Freistaats Sachsen hat das Bundesverwaltungsgericht die Abgabenerhebung in der praktizierten Form, also die Berechnung nach der Schädlichkeit, für rechtmäßig erklärt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts können sich die Kläger nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 8 AbwAG berufen. Diese greift nach ihrem klaren Wortlaut nur ein, wenn es sich um Einleitungen von Schmutzwasser handelt, für das eine Körperschaft des öffentlichen Rechts "an Stelle der Einleiter" abgabepflichtig ist. Die Kläger sind hier aber nicht stellvertretend für fremde Einleitungen abgabepflichtig, sondern werden – für das unmittelbare Verbringen von Abwasser in Gewässer – selbst als Einleiter in Anspruch genommen. Diese gesetzliche Differenzierung ist auch sachgerecht, weil die Abwasserzweckverbände die Abwasserbeseitigung nach ihren Vorstellungen organisieren und gegebenenfalls optimieren können, während Privathaushalte ihren Anschluss an die öffentliche Kanalisation nicht erzwingen können. Zudem bedürfen die Zweckverbände keiner Vereinfachung, wenn sie nicht für fremde, sondern für eigene Einleitungen abgabenpflichtig sind. Hiermit wird auch dem Lenkungszweck eines bestmöglichen Gewässerschutzes Rechnung getragen.


Fußnote:

Die Vorschriften des Abwasserabgabengesetzes lauten auszugsweise:


§ 8 Pauschalierung bei Kleineinleitungen von Schmutzwasser aus Haushaltungen und ähnlichem Schmutzwasser


(1)1 Die Zahl der Schadeinheiten von Schmutzwasser aus Haushaltungen und ähnlichem Schmutzwasser, für das eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 9 Abs. 2 Satz 2 abgabepflichtig ist, beträgt die Hälfte der Zahl der nicht an die Kanalisation angeschlossenen Einwohner, soweit die Länder nichts anderes bestimmen.2 Ist die Zahl der Einwohner nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln, kann sie geschätzt werden.


(2)1 Die Länder können bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Einleitung abgabefrei bleibt.2 Die Einleitung ist abgabefrei, wenn der Bau der Abwasserbehandlungsanlage mindestens den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und die ordnungsgemäße Schlammbeseitigung sichergestellt ist.


§ 9 Abgabepflicht, Abgabesatz


(1) Abgabepflichtig ist, wer Abwasser einleitet (Einleiter).


(2)1 Die Länder können bestimmen, dass an Stelle der Einleiter Körperschaften des öffentlichen Rechts abgabepflichtig sind.2 An Stelle von Einleitern, die weniger als acht Kubikmeter je Tag Schmutzwasser aus Haushaltungen und ähnliches Schmutzwasser einleiten, sind von den Ländern zu bestimmende Körperschaften des öffentlichen Rechts abgabepflichtig.3 Die Länder regeln die Abwälzbarkeit der Abgabe.


BVerwG 9 C 3.23 - Urteil vom 13. November 2024

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 419/22 - Urteil vom 24. Mai 2023 -

VG Leipzig, VG 6 K 900/19 - Urteil vom 12. Juli 2022 -

BVerwG 9 C 4.23 - Urteil vom 13. November 2024

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, OVG 5 A 270/20 - Urteil vom 24. Mai 2023 -

VG Chemnitz, VG 2 K 2641/14 - Urteil vom 19. Februar 2020 -


Beschluss vom 17.06.2024 -
BVerwG 9 C 3.23ECLI:DE:BVerwG:2024:170624B9C3.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.06.2024 - 9 C 3.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:170624B9C3.23.0]

Beschluss

BVerwG 9 C 3.23

  • VG Leipzig - 12.07.2022 - AZ: 6 K 900/19
  • OVG Bautzen - 24.05.2023 - AZ: 5 A 419/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juni 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und
Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

Der vom Richter am Bundesverwaltungsgericht ... mit dienstlicher Erklärung vom 25. März 2024 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

2 Mit dienstlicher Erklärung vom 25. März 2024 hat der Richter am Bundesverwaltungsgericht ... angezeigt, dass seine Ehefrau an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt hat, ohne Berichterstatterin zu sein. Nach seiner Erinnerung habe ihm seine Frau vor der mündlichen Verhandlung davon berichtet, dass ihr Senat über die abwasserabgabenrechtliche Behandlung von Kleineinleitungen der Gemeinden oder Abwasserzweckverbände zu entscheiden habe; ein Meinungsaustausch dazu habe seiner Erinnerung nach nicht stattgefunden.

3 Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu der dienstlichen Äußerung Stellung zu nehmen. Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 16. April 2024 geäußert und auf den denkbaren Schein fehlender richterlicher Unvoreingenommenheit hingewiesen. Der Kläger hat von der Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

II

4 1. Der Senat entscheidet anlässlich der Selbstanzeige eines Senatsmitglieds über dessen Befangenheit gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 48 und 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung des betreffenden Richters in der bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgesehenen Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 VwGO).

5 2. Wegen Besorgnis der Befangenheit ist ein Richter an der Mitwirkung und Entscheidung eines Streitfalls gehindert, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich. Die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein, d. h. den möglichen Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit und mangelnder Objektivität zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1992 ‌- 2 BvF 2/90 u. a. - BVerfGE 88, 17 <22 f.>; Beschluss vom 26. Februar 2014 ‌- 1 BvR 471/10 u. a. - BVerfGE 135, 248 Rn. 24; BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; Beschluss vom 9. Januar 2024 ‌- 2 VR 9.23 - juris Rn. 5 m. w. N.). Solche auf objektiven Gründen basierenden Zweifel können sich aus dem Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des konkreten Rechtsstreits, aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder den Prozessbeteiligten oder - wie vorliegend - aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen an derselben Sache beteiligten Richtern ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2023 ‌- I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 5 m. w. N.).

6 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung allein noch keinen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 - II ZB 31/02 - NJW 2004, 163 f.; kritisch dazu etwa Feiber, NJW 2004, 650 f.; Vollkommer, EWiR 2004, 206). In jüngerer Zeit hat der Bundesgerichtshof allerdings offengelassen, ob hieran festzuhalten ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19 - MDR 2020, 625 Rn. 13 und Beschluss vom 9. Februar 2023 - I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 8). Jedenfalls könne es den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit begründen, wenn der Richter der Vorinstanz nicht lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt, sondern diese als Einzelrichter allein verantwortet hat (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19 - MDR 2020, 625 Rn. 13). Gleiches soll gelten, wenn der Ehegatte an einem Beschluss mitgewirkt hat, der nach der gesetzlichen Regelung nur einstimmig gefasst werden kann (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2023 - I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 10).

7 Das Bundessozialgericht hat Bedenken gegen die ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geäußert; es stellt bei der Beurteilung auf weitere Gesichtspunkte ab (vgl. zur Rüge des Verstoßes gegen die Prozessordnung BSG, Beschluss vom 24. November 2005 - B 9a VG 6/05 B - Rn. 8 unter Hinweis auf die Kritik an der Auffassung des BGH im Schrifttum). Zumindest in Revisionsverfahren vor einem obersten Bundesgericht hält es angesichts der Komplexität der Verfahren und der Intensität der Befassung Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters, dessen Ehepartner an der vorinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat, für nachvollziehbar (BSG, Beschluss vom 18. März 2013 ‌- B 14 AS 70/12 R - Rn. 7 m. w. N.).

8 Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlass für eine Entscheidung zwischen diesen Rechtsprechungsansätzen oder für eine abschließende Bewertung der Frage, ob im Falle der Mitwirkung des Ehegatten des Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung schon allein das eheliche Näheverhältnis eine Besorgnis der Befangenheit begründen kann. Denn die Annahme eines Ablehnungsgrundes ist hier jedenfalls auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Falles gerechtfertigt.

9 Das streitgegenständliche Revisionsverfahren erfordert - im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - eine intensive Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung. Dies gilt gerade angesichts des Prüfungsmaßstabs der Revision, der gemäß § 137 Abs. 1 VwGO auf die Frage einer (Bundes-)‌Rechtsverletzung durch das vorinstanzliche Urteil gerichtet ist. Hinzu kommt, dass das Verfahren laut der dienstlichen Erklärung des Richters zwischen den Eheleuten zumindest gesprächsweise thematisiert worden ist (vgl. zu diesem Aspekt etwa ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 4/21, 5/21 - juris Rn. 14).

10 Diese Umstände sind - als zusätzliche besondere Gegebenheiten im Sinne der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs - geeignet, die Bedeutung des ehelichen Näheverhältnisses aus objektiver Sicht zu verstärken und den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu begründen. Der Umstand der Mitwirkung der Ehefrau kann zumindest unbewusst zu einer gewissen Solidarisierungsneigung oder - in dem Bemühen, eine derartige Haltung gerade zu vermeiden - zu einer überkritischen Distanz zu der Entscheidung der Vorinstanz führen. Vor diesem Hintergrund sind aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei die vom Beklagten zum Ausdruck gebrachten Bedenken hinsichtlich der Unvoreingenommenheit des Richters am Bundesverwaltungsgericht ... gerechtfertigt.

11 Da die Entscheidung nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof oder Bundessozialgericht steht, bedarf es keiner Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Gesetz vom 19. Juni 1968 - BGBl. I S. 661).

Beschluss vom 17.06.2024 -
BVerwG 9 C 4.23ECLI:DE:BVerwG:2024:170624B9C4.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.06.2024 - 9 C 4.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:170624B9C4.23.0]

Beschluss

BVerwG 9 C 4.23

  • VG Chemnitz - 19.02.2020 - AZ: 2 K 2641/14
  • OVG Bautzen - 24.05.2023 - AZ: 5 A 270/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juni 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und
Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

Der vom Richter am Bundesverwaltungsgericht ... mit dienstlicher Erklärung vom 25. März 2024 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

2 Mit dienstlicher Erklärung vom 25. März 2024 hat der Richter am Bundesverwaltungsgericht ... angezeigt, dass seine Ehefrau an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt hat, ohne Berichterstatterin zu sein. Nach seiner Erinnerung habe ihm seine Frau vor der mündlichen Verhandlung davon berichtet, dass ihr Senat über die abwasserabgabenrechtliche Behandlung von Kleineinleitungen der Gemeinden oder Abwasserzweckverbände zu entscheiden habe; ein Meinungsaustausch dazu habe seiner Erinnerung nach nicht stattgefunden.

3 Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu der dienstlichen Äußerung Stellung zu nehmen. Der Kläger hat keine Vorbehalte gegen eine Mitwirkung des Richters am Revisionsverfahren geäußert. Der Beklagte hat demgegenüber auf den denkbaren Schein fehlender richterlicher Unabhängigkeit hingewiesen.

II

4 1. Der Senat entscheidet anlässlich der Selbstanzeige eines Senatsmitglieds über dessen Befangenheit gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 48 und 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung des betreffenden Richters in der bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgesehenen Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 VwGO).

5 2. Wegen Besorgnis der Befangenheit ist ein Richter an der Mitwirkung und Entscheidung eines Streitfalls gehindert, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich. Die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein, d. h. den möglichen Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit und mangelnder Objektivität zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1992 ‌- 2 BvF 2/90 u. a. - BVerfGE 88, 17 <22 f.>; Beschluss vom 26. Februar 2014 ‌- 1 BvR 471/10 u. a. - BVerfGE 135, 248 Rn. 24; BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; Beschluss vom 9. Januar 2024 ‌- 2 VR 9.23 - juris Rn. 5 m. w. N.). Solche auf objektiven Gründen basierenden Zweifel können sich aus dem Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des konkreten Rechtsstreits, aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder den Prozessbeteiligten oder - wie vorliegend - aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen an derselben Sache beteiligten Richtern ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2023 ‌- I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 5 m. w. N.).

6 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung allein noch keinen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 - II ZB 31/02 - NJW 2004, 163 f.; kritisch dazu etwa Feiber, NJW 2004, 650 f.; Vollkommer, EWiR 2004, 206). In jüngerer Zeit hat der Bundesgerichtshof allerdings offengelassen, ob hieran festzuhalten ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19 - MDR 2020, 625 Rn. 13 und Beschluss vom 9. Februar 2023 - I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 8). Jedenfalls könne es den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit begründen, wenn der Richter der Vorinstanz nicht lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt, sondern diese als Einzelrichter allein verantwortet hat (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19 - MDR 2020, 625 Rn. 13). Gleiches soll gelten, wenn der Ehegatte an einem Beschluss mitgewirkt hat, der nach der gesetzlichen Regelung nur einstimmig gefasst werden kann (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2023 - I ZR 142/22 - NJW-RR 2023, 431 Rn. 10).

7 Das Bundessozialgericht hat Bedenken gegen die ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geäußert; es stellt bei der Beurteilung auf weitere Gesichtspunkte ab (vgl. zur Rüge des Verstoßes gegen die Prozessordnung BSG, Beschluss vom 24. November 2005 - B 9a VG 6/05 B - Rn. 8 unter Hinweis auf die Kritik an der Auffassung des BGH im Schrifttum). Zumindest in Revisionsverfahren vor einem obersten Bundesgericht hält es angesichts der Komplexität der Verfahren und der Intensität der Befassung Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters, dessen Ehepartner an der vorinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat, für nachvollziehbar (BSG, Beschluss vom 18. März 2013 ‌- B 14 AS 70/12 R - Rn. 7 m. w. N.).

8 Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlass für eine Entscheidung zwischen diesen Rechtsprechungsansätzen oder für eine abschließende Bewertung der Frage, ob im Falle der Mitwirkung des Ehegatten des Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung schon allein das eheliche Näheverhältnis eine Besorgnis der Befangenheit begründen kann. Denn die Annahme eines Ablehnungsgrundes ist hier jedenfalls auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Falles gerechtfertigt.

9 Das streitgegenständliche Revisionsverfahren erfordert - im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - eine intensive Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung. Dies gilt gerade angesichts des Prüfungsmaßstabs der Revision, der gemäß § 137 Abs. 1 VwGO auf die Frage einer (Bundes-)‌Rechtsverletzung durch das vorinstanzliche Urteil gerichtet ist. Hinzu kommt, dass das Verfahren laut der dienstlichen Erklärung des Richters zwischen den Eheleuten zumindest gesprächsweise thematisiert worden ist (vgl. zu diesem Aspekt etwa ThürVerfGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 4/21, 5/21 - juris Rn. 14).

10 Diese Umstände sind - als zusätzliche besondere Gegebenheiten im Sinne der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs - geeignet, die Bedeutung des ehelichen Näheverhältnisses aus objektiver Sicht zu verstärken und den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu begründen. Der Umstand der Mitwirkung der Ehefrau kann zumindest unbewusst zu einer gewissen Solidarisierungsneigung oder - in dem Bemühen, eine derartige Haltung gerade zu vermeiden - zu einer überkritischen Distanz zu der Entscheidung der Vorinstanz führen. Vor diesem Hintergrund sind aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei die vom Beklagten zum Ausdruck gebrachten Bedenken hinsichtlich der Unvoreingenommenheit des Richters am Bundesverwaltungsgericht ... gerechtfertigt.

11 Da die Entscheidung nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof oder Bundessozialgericht steht, bedarf es keiner Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Gesetz vom 19. Juni 1968 - BGBl. I S. 661).