Beschluss vom 09.01.2024 -
BVerwG 2 VR 9.23ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B2VR9.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.01.2024 - 2 VR 9.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B2VR9.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 VR 9.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Januar 2024
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

Der vom Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht ... mit dienstlicher Erklärung vom 8. November 2023 und ihrer Ergänzung vom 20. November 2023 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die Ende August 2023 beantragte Aussagegenehmigung gegenüber seinem Rechtsbeistand zu erteilen, die sich auf eine Weisung im Umgang mit Dienstkräften, die Versagung der Einsicht in die die Binnenorganisation des Unabhängigen Kontrollrats betreffenden Archivakten und mehrere Anordnungen des Präsidenten des Unabhängigen Kontrollrats über Urlaubsvertretungen im Jahr 2023 bezieht. Das Verwaltungsgericht Berlin hat den am 28. September 2023 gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag mit Beschluss vom 31. Oktober 2023 wegen sachlicher Unzuständigkeit an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen, nachdem die Beteiligten zuvor mit richterlicher Verfügung vom 29. September 2023 darauf hingewiesen worden waren.

2 Mit dienstlicher Erklärung vom 8. November 2023 hat der Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht ... angezeigt, von 2018 bis zum Ausscheiden des Antragstellers aus dem Richterdienst dessen Kollege im 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts gewesen zu sein, mit dem Antragsteller seither freundschaftlich verbunden zu sein und in allgemeiner Art über seine neue berufliche Verwendung und deren Besonderheiten gesprochen zu haben. Unter dem 20. November 2023 hat er ergänzt, sich seither mit dem Antragsteller einmal privat und etwa drei- bis viermal ohne vorherige Verabredung in seinem Dienstzimmer am Bundesverwaltungsgericht getroffen zu haben; das letzte Treffen habe ungefähr Anfang Oktober 2023 stattgefunden. Die allgemeinen Gespräche über die neue berufliche Tätigkeit des Antragstellers hätten sich u. a. auf die grundsätzlichen Möglichkeiten der Behördenstrukturierung bezogen. Der Antragsteller habe aber erwähnt, dass ihm gegenüber ein Kontaktverbot zu Mitarbeitern ausgesprochen und die Erteilung einer Aussagegenehmigung verweigert worden sei; über weitere Einzelheiten hierzu sei nicht gesprochen worden.

3 Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu der dienstlichen Äußerung Stellung zu nehmen. Sie haben hiervon keinen Gebrauch gemacht.

II

4 Der Senat entscheidet anlässlich der dienstlichen Äußerung eines Senatsmitglieds über dessen Befangenheit gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 48 und 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung des betreffenden Richters in der bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgesehenen Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 VwGO).

5 Wegen Besorgnis der Befangenheit ist ein Richter an der Mitwirkung und Entscheidung eines Streitfalls gehindert, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich. Die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein, d. h. den möglichen Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit und mangelnder Objektivität zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - VI C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; Beschluss vom 29. Januar 2014 - 7 C 13.13 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 76 Rn. 16; BGH, Beschlüsse vom 15. März 2012 - V ZB 102/11 - NJW 2012, 1890 Rn. 10, vom 8. Januar 2020 - III ZR 160/19 - juris Rn. 5 und vom 19. November 2020 - V ZB 59/20 - NJW-RR 2021, 187 Rn. 7). Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen (BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2011 - V ZR 8/10 - NJW-RR 2012, 61 Rn. 5 und vom 20. November 2017 - IX ZR 80/15 - ZInsO 2018, 547 Rn. 3). Solche Zweifel können sich aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder - wie vorliegend in Rede stehend - zu den Prozessbeteiligten ergeben. Maßgeblich sind die besonderen Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 2 C 35.18 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 87 Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2018 ‌- I ZB 58/17 - NJW 2019, 516 Rn. 10 und vom 6. Juli 2021 - II ZR 97/21 - NJW-RR 2021, 1360 Rn. 5 m. w. zahlr. N.).

6 Persönliche Beziehungen eines Richters zu einem Beteiligten können die Besorgnis der Befangenheit begründen. Für die Annahme der Befangenheit eines Richters reicht aber nicht die Tatsache aus, dass er eine Prozesspartei persönlich seit längerem kennt. Es kommt entscheidend auf die Nähe der Beziehung an (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Oktober 2023 - 10 C 4.22 - juris Rn. 6, vom 8. November 2022 - 1 WB 6.22 - NZWehrr 2023, 281 Rn. 9 und vom 18. Juli 2019 - 2 C 35.18 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 87 Rn. 6 m. w. N.). Eine lang dauernde und persönlich enge freundschaftliche Verbindung zu einer Prozesspartei und dessen Familie wird regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit begründen. Ein allein kollegiales Verhältnis des zur Entscheidung berufenen Richters zu einem Beteiligten genügt dagegen für die Besorgnis der Befangenheit noch nicht. Vielmehr muss über das bloße kollegiale Verhältnis hinaus auch ein engeres persönliches Verhältnis bestehen. Eine frühere Mitgliedschaft in einem Spruchkörper führt deshalb - auch bei längerer Dauer - nur dann zur Besorgnis der Befangenheit eines Richters, wenn aus ihr in der Zukunft fortwirkende Umstände resultieren, etwa eine Freundschaft oder Feindschaft (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Juni 2004 - 1 BvR 336/04 - NJW 2004, 3550 <3551>; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 2 M 4.01 - juris Rn. 14; OLG Dresden, Beschluss vom 25. Juli 2019 - 4 W 610/19 - juris Rn. 4).

7 Davon ausgehend ist die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht ... zwar nicht aufgrund der zwischenzeitlich beendeten und über einen Zeitraum von vier Jahren andauernden Zusammenarbeit mit dem Antragsteller in demselben Spruchkörper, aber im Hinblick auf das sich nach der dienstlichen Erklärung des Richters seither bestehende persönliche Näheverhältnis zum Antragsteller in Verbindung mit den Gesprächen zur Tätigkeit des Antragstellers beim Unabhängigen Kontrollrat begründet.

8 Nach seiner dienstlichen Erklärung ist der Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht ... mit dem Antragsteller seit der gemeinsamen Tätigkeit im 3. Senat freundschaftlich verbunden. Diese Freundschaft dauert nach dem Ausscheiden des Antragstellers aus dem Dienst am Bundesverwaltungsgericht an und hat ausweislich der Ergänzung der dienstlichen Erklärung vom 20. November 2023 zu mehreren Zusammentreffen geführt, bei denen auch über die neue dienstliche Verwendung des Antragstellers gesprochen wurde. Hinzukommt, dass der Antragsteller den Vorsitzenden Richter sogar nach der Stellung seines Antrags am 28. September 2023 im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang in dessen Dienstzimmer Anfang Oktober 2023 aufgesucht hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Verwaltungsgericht den richterlichen Hinweis zu der beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das Bundesverwaltungsgericht bereits verfügt. Auch diese Umstände sind aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in Zusammenschau mit den vorgenannten Umständen bei ihrer Gesamtwürdigung - unabhängig davon, dass dem Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht ... die beabsichtigte Verweisung des Rechtsstreits an das Bundesverwaltungsgericht und damit die eigene Sachbefassung bei dem letzten Treffen mit dem Antragsteller nicht bekannt war - objektiv geeignet, Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Richters zu begründen. Darauf, ob die Unvoreingenommenheit tatsächlich fehlt, kommt es nicht an.

Beschluss vom 12.02.2024 -
BVerwG 2 VR 9.23ECLI:DE:BVerwG:2024:120224B2VR9.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.02.2024 - 2 VR 9.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:120224B2VR9.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 VR 9.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Februar 2024
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
als Berichterstatterin
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben mit Ausnahme der durch die Verweisung des Rechtsstreits entstandenen Mehrkosten, die der Antragsteller trägt.
  3. Der Streitwert wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Entscheidung obliegt der Berichterstatterin (§ 87a Abs. 1 Nr. 3 bis 5 und Abs. 3 VwGO).

2 Über die Kosten des Verfahrens ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). In der Regel entspricht es der Billigkeit, dem Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich unterlegen wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit jedoch nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden. Wirft der in der Hauptsache erledigte Rechtsstreit schwierige Sach- oder Rechtsfragen auf, so entspricht es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig billigem Ermessen, die Verfahrenskosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu teilen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2019 - 2 B 49.18 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 58 Rn. 2 m. w. N.). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Ob der einstweilige Rechtsschutzantrag des Antragstellers Erfolg gehabt hätte, wirft Fragen auf, die sich nicht einfach beantworten lassen. Es wäre eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage erforderlich, die nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr geboten ist und deren Ergebnis nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache auch nicht annähernd absehbar war. Es entspricht daher der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (§ 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Den Beteiligten fallen damit die Gerichtskosten je zur Hälfte zur Last, ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst. Davon ausgenommen sind die durch die Verweisung entstandenen Mehrkosten, die nach der gesetzlichen Kostenfolge des § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG der Antragsteller zu tragen hat.

3 Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Im Hinblick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht veranlasst (Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit).