Urteil
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung, Dr. Kenntner, Dollinger und Dr. Günther
für Recht erkannt:
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Die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1
Die Klägerin beansprucht die Anerkennung eines schädigenden Ereignisses als Dienstunfall.
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Die Klägerin steht als Stadtamtfrau im Dienst des Beklagten. Anfang August 2013 suchte sie während ihrer Dienstzeit die im Dienstgebäude gelegene Toilette auf. Dabei stieß sie mit dem Kopf gegen einen Flügel eines weit geöffneten Fensters im Toilettenraum. Sie erlitt eine blutende Platzwunde sowie eine Prellung am Schädeldach. Eine Woche nach dem Unfall zeigte sie dieses Ereignis als Dienstunfall bei ihrer Dienststelle an.
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Der Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Dienstunfall ab. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit der Begründung zurück, bei einem Toilettengang handele es sich um eine rein private Angelegenheit, die in keinem Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit stehe. Nach der auf das Beamtenversorgungsrecht zu übertragenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei nur der Weg von und zur Toilette vom Unfallschutz erfasst, nicht aber die dortige Verrichtung der Notdurft.
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Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, das auf der Toilettenanlage des Dienstgebäudes stattgefundene Ereignis als Dienstunfall mit der Dienstunfallfolge "Platzwunde und Prellung am Schädeldach" anzuerkennen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Bei Unfällen, die sich während der Dienstzeit innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, stehe der Beamte unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet habe, dienstlich geprägt sei. Die Ausnahme, dass diese Tätigkeit vom Dienstherrn verboten sei oder dessen wohlverstandenen Interessen zuwiderlaufe, liege hier nicht vor.
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Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision des Beklagten.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.
II
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Die Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt kein revisibles Landesbeamtenrecht (§ 191 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG und § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG).
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Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Unerheblich ist, dass die Klage nicht innerhalb der Monatsfrist des § 74 VwGO erhoben worden ist, weil hier nach § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist maßgeblich ist. Denn in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids fehlt der Hinweis auf die bei der Klageerhebung einzuhaltende Monatsfrist.
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Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung des schädigenden Ereignisses als Dienstunfall.
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1. Ob ein Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen ist, beurteilt sich nach dem Recht, das in dem Zeitpunkt galt, in dem sich der Unfall ereignete (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1963 - 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <60>). Dementsprechend ist hier das Gesetz über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie der Richterinnen und Richter des Landes Berlin vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266 <282> - LBeamtVG BE -) maßgeblich.
13
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG BE ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
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Das gesetzliche Merkmal "in Ausübung des Dienstes" verlangt eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst (BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 1963 - 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <63>, vom 18. April 2002 - 2 C 22.01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 3, vom 15. November 2007 - 2 C 24.06 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 18 Rn. 11 und vom 25. Februar 2010 - 2 C 81.08 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 23 Rn. 17). Maßgebend hierfür ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Dienstunfallfürsorge. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird (BVerwG, Urteil vom 29. August 2013 - 2 C 1.12 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 25 Rn. 10 f.). Dies gilt grundsätzlich auch für den Aufenthalt in einem Toilettenraum des Dienstgebäudes.
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Ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Regelung und dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn kommt dem konkreten Dienstort des Beamten eine herausgehobene Rolle zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich zählt der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind dem Dienstherrn zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, dienstlich geprägt ist. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass diese Tätigkeit vom Dienstherrn verboten ist oder dessen wohlverstandenen Interessen zuwiderläuft (BVerwG, Urteile vom 15. November 2007 - 2 C 24.06 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 18 Rn. 13, vom 22. Januar 2009 - 2 A 3.08 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 21 Rn. 14 und vom 29. August 2013 - 2 C 1.12 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 25 Rn. 11; Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 B 135.07 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 20 Rn. 7).
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An diesen Grundsätzen zum Dienstunfallschutz hält der Senat fest, weil sie die Sphären des Beamten und des Dienstherrn nach praktikablen Kriterien abgrenzen. Die Grundsätze tragen dem Umstand Rechnung, dass auch bei der Dienstausübung regelmäßig dienstliche und private Aspekte nicht streng voneinander zu trennen sind und es nur darum gehen kann, wann und unter welchen Voraussetzungen die auch bei der Ausübung des Dienstes naturgegebene "Gemengelage" eindeutig dem privaten Bereich des Beamten zuzurechnen ist. Der Beamte ist kein "Dienstausübungsautomat", sondern er bleibt auch im Dienst und auch bei der Ausübung des Dienstes ein Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen, Gedanken und Empfindungen. Sein Verhalten schwankt - auch im Rechtssinne - nicht von Minute zu Minute zwischen Dienstausübung und außerdienstlichem Verhalten hin und her. Eine einengende, wörtliche Interpretation, die darauf abstellte, ob der Beamte gerade im Augenblick der Einwirkung des Ereignisses auf seinen Körper mit einer spezifisch dienstlichen Verrichtung befasst war, ginge deshalb an der Lebenswirklichkeit vorbei und risse Vorgänge, die bei lebensnaher Betrachtung nur als Gesamtverhalten gewertet werden können, auseinander. Zudem stellte diese Ansicht an den Nachweis des Vorliegens eines Dienstunfalls Anforderungen, die sowohl den Dienstherrn als auch den Beamten überfordern könnten (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1963 - 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <63 f.>).
17
Der Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Auslegung von § 8 SGB VII ist für den Bereich des Dienstunfallschutzes nicht zu folgen. Diese sozialgerichtliche Rechtsprechung beruht auf einer anderen gesetzlichen Regelung. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII definiert Arbeitsunfälle als Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für die Feststellung eines Arbeitsunfalls im Sinn von § 8 Abs. 1 SGB VII kommt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf den inneren (sachlichen) Zusammenhang zwischen der konkreten Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls und der versicherten Tätigkeit an. Dieser Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteile vom 30. April 1985 - 2 RU 24/84 - BSGE 58, 76 <77>, vom 4. Juni 2002 - B 2 U 11/01 R - NJW 2002, 3275 <3276>, juris Rn. 12 und vom 10. Oktober 2006 - B 2 U 20/05 - USK 2006-140 Rn. 14).
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In Abgrenzung hierzu setzt § 31 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG BE für ein Unfallereignis an dem vom Dienstherrn vorgegebenen Dienstort nur voraus, dass es "in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist". Beamtenrechtliche Unfallfürsorge knüpft damit grundsätzlich abstrakt an die Dienstausübung im räumlichen Machtbereich des Dienstherrn an, während sozialversicherungsrechtlicher Unfallschutz einen inneren Zusammenhang zwischen der konkreten Verrichtung zum Unfallzeitpunkt und der versicherten Tätigkeit erfordert.
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Anlass für die Einleitung eines Vorlegungsverfahrens an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß §§ 11 ff. RsprEinhG besteht nicht. Zwischen der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge und dem Unfallversicherungsschutz von Beschäftigten bestehen trotz gewisser Gemeinsamkeiten in der Ausgestaltung erhebliche strukturelle Unterschiede (vgl. auch BSG, Urteil vom 18. November 2008 - 2 U 31/07 R - USK 2008-97 Rn. 13). Unterschiedlich sind im Einzelnen die Bestimmung der Dienst- oder Arbeitszeit, das Verfahren zur Festlegung der übrigen Dienst- oder Arbeitsbedingungen sowie die Folgen bei einem Verstoß gegen die Dienst- oder Arbeitspflichten.
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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen und den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei dem schädigenden Ereignis vom 7. August 2013 um einen Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG BE.
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Der Unfall ereignete sich während der Dienstzeit in dem Gebäude, in dem die Klägerin ihren Dienst zu verrichten hatte. Anhaltspunkte für die dargelegte Ausnahme vom Dienstunfallschutz liegen nicht vor. Unerheblich ist auch, dass sich die Klägerin den Kopf am Fenster gestoßen hat und das schädigende Ereignis damit seine Ursache in der eigenen Bewegung der Klägerin hat (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1963 - 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <61> unter Hinweis auf RG, Urteil vom 23. Oktober 1903 - VII 239/03 - RGZ 55, 408 <410> und vom 29. Mai 1908 - VII 430/07 - RGZ 69, 17 <19> zur privaten Unfallversicherung).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.