Beschluss vom 23.05.2023 -
BVerwG 6 B 33.22ECLI:DE:BVerwG:2023:230523B6B33.22.0
40-tägige Versammlung zum Schutz des ungeborenen Lebens vor einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz
Leitsatz:
Praktische Konkordanz zwischen den Grundrechten einer dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichteten Versammlung in der Nähe einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beratungssuchender Frauen lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles herstellen. Einen absoluten Schutz vor Konfrontation mit dem Versammlungsthema garantiert Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG den Betroffenen dabei nicht.
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Rechtsquellen
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 -
Instanzenzug
VG Karlsruhe - 12.05.2021 - AZ: 2 K 5046/19
VGH Mannheim - 25.08.2022 - AZ: 1 S 3575/21
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 23.05.2023 - 6 B 33.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:230523B6B33.22.0]
Beschluss
BVerwG 6 B 33.22
- VG Karlsruhe - 12.05.2021 - AZ: 2 K 5046/19
- VGH Mannheim - 25.08.2022 - AZ: 1 S 3575/21
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Mai 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. August 2022 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit zeitlicher und örtlicher Beschränkungen einer Versammlung der Bürgerinitiative "40 Days for Life" zum Thema "Lebensrecht ungeborener Kinder" gegenüber dem Eingang zu einer Beratungsstelle von pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V. (im Folgenden: pro familia) auf der anderen Straßenseite.
2 Die Klägerin, eine Staatsangehörige der Republik Kroatien, meldete diese Versammlung für die Bürgerinitiative Anfang 2019 bei der Beklagten für den Zeitraum vom 6. März bis zum 14. April 2019 jeweils von 9 bis 13 Uhr mit einem täglichen stillen Gebet sowie einer Mahnwache an. Als Kundgebungsmittel gab sie Plakate an. Weder war die Verteilung von Informationsmaterial beabsichtigt, noch eine aktive Ansprache von Frauen. Zu jenem Thema hatten bereits im Frühjahr und Herbst 2018 ähnliche Versammlungen dieser Bürgerinitiative in räumlicher Nähe zur Beratungsstelle von pro familia stattgefunden.
3 Mit Bescheid vom 28. Februar 2019 erließ die Beklagte die Auflage (II. A Ziffer 1 der Verfügung), dass die Versammlung während der Beratungszeiten (an Werktagen Montag bis Freitag von 7.15 bis 18 Uhr) nur außerhalb direkter Sichtbeziehung zum Gebäudeeingang von pro familia durchgeführt werden dürfe. In einem der Verfügung als Anhang beigefügten Plan markierte sie die für die Versammlung ausgeschlossenen Gehwegbereiche. In II. A Ziffer 2 des Bescheides drohte sie für den Fall einer Zuwiderhandlung unmittelbaren Zwang an. Außerdem ordnete sie die sofortige Vollziehung der Auflage an. Zur Begründung stützte sich die Beklagte auf § 15 Abs. 1 VersG. Ohne die zeitliche und örtliche Beschränkung ginge von der Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aus. Zu den Schutzgütern gehöre das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der die Beratungsstelle aufsuchenden schwangeren Frauen. Das teilweise als "Spießrutenlauf" empfundene Passieren einer Versammlung von Abtreibungsgegnern, die mit Plakaten und direktem Blickkontakt in der Nähe der Beratungsstelle stünden und die ratsuchenden Frauen anschauten, griffe in die Privatsphäre der betroffenen Frauen ein. Diese unmittelbare Gefahr könne auf verhältnismäßige Weise dadurch abgewendet werden, indem die Versammlung während der Beratungszeiten außerhalb direkter Sichtbeziehungen zum Eingang der Beratungsstelle stattfinde. Der anschließend erhobene Widerspruch, ein gerichtliches Eilrechtsschutzverfahren sowie die Klage gegen die Ziffern 1 und 2 unter II. A des Bescheides vor dem Verwaltungsgericht sind erfolglos geblieben.
4 Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, dass die versammlungsrechtlichen Auflagen in der Ziffer 1 sowie die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziffer 2 unter II. A des Bescheides der Beklagten vom 28. Februar 2019 rechtswidrig gewesen sind (NVwZ 2022, 1746).
5 Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Der Klägerin stehe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung zu. Es liege ein tiefgreifender Eingriff in Grundrechte vor, der sich typischerweise so kurzfristig erledige, dass gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren regelmäßig nicht erlangt werden könne. Zwar könne sich die Klägerin nicht auf die in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit berufen, weil dieses Grundrecht nur für Deutsche gelte. Ihr werde aber über eine unionskonforme Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GG derselbe Schutz gewährt, der Deutschen durch Art. 8 Abs. 1 GG zukomme. Die im Streit stehende Auflage greife schwerwiegend in die geschützte Versammlungsfreiheit ein. Es sei den Veranstaltern gerade um die Versammlung an diesem Ort gegangen. Zudem liege auch eine Wiederholungsgefahr vor.
6 Die Klage sei begründet. Die versammlungsrechtliche Auflage und die Androhung des unmittelbaren Zwangs seien rechtswidrig gewesen und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage der örtlichen und zeitlichen Beschränkung in Betracht kommenden § 15 Abs. 1 VersG lägen nicht vor. Zwar handele es sich bei der Veranstaltung der Klägerin um eine Versammlung. Allerdings habe es an einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei ihrer Durchführung gefehlt. Die von den Grundrechten geprägte Werteordnung sei bei der Auslegung des einfachen Rechts zu beachten. Hier habe keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der schwangeren Frauen gedroht. Das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchenden Frauen könne zwar durch eine Versammlung von Abtreibungsgegnern betroffen sein. Nicht erst eine sogenannte "Gehsteigbelästigung" durch aktives Zugehen und Ansprechen von Frauen berühre das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch psychischer Druck, der durch optische und akustische Wahrnehmung vermittelt werde, betreffe das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Gerade in der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Hinzu trete das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich der bestehenden Frühschwangerschaft und des in Erwägung gezogenen Schwangerschaftsabbruchs.
7 Jedoch führe nicht jeder Eingriff zu einer Verletzung. Gegenläufige Grundrechtspositionen könnten im Rahmen der Bildung praktischer Konkordanz zu einer Rechtfertigung von Eingriffen führen. Es lasse sich bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Schwangeren und der durch die Meinungs- und Religionsfreiheit unterstützten Versammlungsfreiheit nicht abstrakt feststellen, dass eine Versammlung zulässig sei oder nicht. Vielmehr komme es auf die Art und Weise der Versammlung im Einzelfall an. Es sei davon auszugehen, dass diese solange zulässig sei, als sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht die eigene Meinung aufdränge und zu einem physischen und psychischen Spießrutenlauf für sie führe. Dies wäre dann der Fall, wenn die Frauen durch die Versammlung in eine unausweichliche Situation gerieten, in der sie sich direkt und unmittelbar angesprochen sehen müssten. Eine derartige unausweichliche Situation sei dann gegeben, wenn die Versammlung so nahe an dem Eingang der Beratungsstelle stattfinde, dass die Versammlungsteilnehmer den Frauen direkt ins Gesicht sehen könnten und die Frauen dem Anblick der als vorwurfsvoll empfundenen Plakate sowie Parolen und dem Anhören der Gebete und Gesänge aus nächster Nähe ausgesetzt seien.
8 Danach habe keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gedroht. Zwar hätte ein Eingriff vorgelegen, weil die schwangeren Frauen beim Betreten hätten gesehen werden können und hierdurch sowie durch die Versammlung an sich psychischer Druck auf die Frauen ausgeübt worden wäre. Dieser Eingriff wäre aber durch die gegenläufigen Grundrechtspositionen gerechtfertigt gewesen, da keine unausweichliche Situation entstanden wäre. Die Beratungsstelle liege an einer 17 Meter breiten Straße, die vierspurig und vielbefahren sei. Die Versammlung sollte auf der gegenüberliegenden Straßenseite stattfinden. Angemeldet gewesen seien bis zu 20 Teilnehmer für stille Gebete, wobei zum Teil kleine Plakate mitgeführt werden sollten. Frauen auf der anderen Straßenseite wären dadurch nicht in eine unausweichliche Situation gekommen und hätten der Versammlung und ihrer Wirkung durch ein Abwenden des Blicks entkommen können.
9 Auch das Beratungskonzept des Schwangerschaftskonfliktgesetzes werde durch die Versammlung nicht beeinträchtigt. Dass schwangere Frauen von der Beratung abgeschreckt werden könnten, werde bloß behauptet. Konkrete Vorfälle seien nicht benannt worden. Auch ein Verstoß gegen die Frauenrechtskonvention liege nicht vor. Demgemäß sei auch die Androhung des unmittelbaren Zwangs rechtswidrig gewesen und habe die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
10 Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Urteil, mit der sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Divergenz geltend macht. Die Klägerin tritt der Beschwerde entgegen.
II
11 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und der Divergenz (2.) gestützte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
12 1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die angestrebte Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7 und vom 8. Januar 2021 - 6 B 48.20 - KommJur 2021, 149 <150>). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8 m. w. N.).
13
Die Beschwerde erachtet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
"Unter welchen Umständen ist von einem sog. 'Spießrutenlauf' der betroffenen Schwangeren auszugehen und wann beginnt ein solcher 'Spießrutenlauf' im Sinne des Beschlusses des BVerfG (BVerfG Beschl. v. 08.06.2010 - 1 BvR 1745/06)?",
"Ist bei der Abwägung der Eingriffswirkungen auf die Grundrechte der betroffenen Personen im Rahmen der praktischen Konkordanz auf die generell abstrakte Wirkung des Grundrechtseingriffs bei einem durchschnittlichen Grundrechtsträger abzustellen oder ist bei der Grundrechtsabwägung die konkrete Situation der üblicherweise betroffenen Grundrechtsträger zu berücksichtigen?" sowie
"Ist bei der Abwägung der Grundrechte im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu berücksichtigen, dass sich die betroffenen Grundrechtsträgerinnen aufgrund einer gesetzlichen Pflicht in den Wahrnehmungsbereich der Versammlung begeben und damit zur erheblichen Einschränkung ihres Rechts auf Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes verpflichtet werden?".
14 Sie führt dazu aus, das Berufungsgericht nehme im Rahmen der Güterabwägung der betroffenen Grundrechte auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 - Bezug. Welche Umstände bei abtreibungskritischen Versammlungen vor Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz in die Abwägung konkret einzustellen seien, sei bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt, aber angesichts der von der Klägerin regelmäßig in einer Vielzahl von Kommunen im gesamten Bundesgebiet durchgeführten Versammlungen von generellem Interesse. Das Berufungsurteil versäume es, der Versammlungsbehörde für die künftige Handhabung Maßstäbe an die Hand zu geben. Vielmehr verweise es darauf, bei der Herstellung praktischer Konkordanz lasse sich nicht abstrakt feststellen, dass jede Form der Versammlung zulässig oder unzulässig sei. Es komme darauf an, in welcher Art und Weise die Versammlung im Einzelfall stattfinden solle, wobei davon auszugehen sei, dass eine Versammlung solange zulässig sei, als sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht ihre Meinung aufdränge und zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf für diese führe.
15 a) Die erste der genannten Fragen zielt schon nicht unmittelbar auf die Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Zum einen ist die Metapher des "Spießrutenlaufs", die zur plastischen Verdeutlichung einer tatsächlichen Konfrontationssituation verwendet wird, deskriptiver Natur und mangels normativen Gehalts kein Rechtsbegriff. Zum anderen lassen sich die Umstände, unter denen von einer mit diesem Bild angesprochenen Verdichtung eines Grundrechtskonflikts auszugehen ist, nur im Einzelfall bestimmen und sind einer allgemeinen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
16 Sollte die Frage dahingehend zu verstehen sein, dass es um die Gewinnung verallgemeinerungsfähiger Obersätze für den Ausgleich der miteinander konkurrierenden Grundrechtspositionen der in der Beratungsstelle ratsuchenden schwangeren Frauen sowie der Teilnehmer einer Versammlung zum Schutz des ungeborenen Lebens und damit letztlich um die Anwendung des § 15 Abs. 1 VersG ginge, führte dies die Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg. § 15 VersG gilt zwar mangels ersetzender versammlungsrechtlicher Regelungen in Baden-Württemberg gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. als Bundesrecht fort und gehört zum revisiblen Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Ob aber die Versammlungsfreiheit mit einer - wie hier - den Ort und die Zeit der Versammlung regelnden Auflage eingeschränkt werden darf, weil eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht, beurteilt sich nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren konkreten Umständen. Versammlungsrechtliche Auflagen sind ein Mittel, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 - BVerwGE 175, 346 Rn. 24; BVerfG, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 - NVwZ 2004, 90 <92>). Die hierbei zu beachtenden Grundsätze sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
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Die Grundrechte bilden hierbei - wie vom Berufungsgericht zu recht angenommen - eine "objektive Wertordnung" und sind von den Fachgerichten bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 - 1 BvR 3080/09 - BVerfGE 148, 267 Rn. 32 m. w. N.). Die sich in den vorliegenden Fallgestaltungen gegenüberstehenden Grundrechtspositionen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend verdeutlicht und werden im angefochtenen Urteil zutreffend aufgezeigt (UA S. 21 ff.):
Den Teilnehmern der von der Klägerin angemeldeten Versammlung steht die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit zu, die für die Klägerin als Unionsbürgerin ebenfalls gewährleistet ist, sei es durch eine entsprechende Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GG (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 8 Rn. 11 m. w. N.) oder durch eine unionskonforme Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG (Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 55 und 115 f., Art. 2 Abs. 1 Rn. 17 m. w. N.; kritisch Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 119; vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 4. November 2015 - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 - NJW 2016, 1436 <1437> m. w. N.). Aus der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit folgt das Recht der Grundrechtsträger, insbesondere des Veranstalters, selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2017 - 6 C 46.16 - BVerwGE 160, 169 Rn. 25 und vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 - BVerwGE 175, 346 Rn. 19 m. w. N.). Dazu zählt, sich genau dort versammeln zu dürfen, wo es denjenigen "weh tut", gegen die sich der Protest richtet (Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 173). Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, müssen hingenommen werden (BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - BVerfGE 128, 226 <261>). Auch im Rahmen einer Versammlung sind allerdings Tätigkeiten unzulässig, die anderen eine Meinung mit nötigenden Mitteln aufdrängen. Das Versammlungsrecht gibt dem Einzelnen kein Recht zum Übergriff in den geschützten Rechtskreis Dritter (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20 - BVerwGE 175, 346 Rn. 24; Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand September 2022, Art. 8 Rn. 63 m. w. N.). Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und auf dasjenige zu begrenzen, was zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit notwendig ist (BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - BVerfGE 128, 226 <259> sowie Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - BVerfGE 69, 315 <348 f.>). Im vorliegenden Fall treten zur Versammlungsfreiheit unterstützend die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit und die in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Religionsfreiheit der Teilnehmer hinzu (zur Grundrechtskonkurrenz: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 8 Rn. 2 sowie Art. 4 Rn. 6a m. w. N.).
18 Auf Seiten der die Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz aufsuchenden Frauen geht es demgegenüber um das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht, das in vielschichtiger Weise betroffen sein kann. Es ergänzt als "unbenanntes" Freiheitsrecht die speziellen ("benannten") Freiheitsrechte und schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Damit sichert es die Grundbedingungen dafür, dass der Einzelne seine Identität und Individualität selbstbestimmt finden, entwickeln und wahren kann (stRspr, vgl. BVerfG, Urteile vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13 - BVerfGE 141, 186 Rn. 32 und vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 - BVerfGE 153, 182 Rn. 205 ff. m. w. N.). Hierzu gehört - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht nur das Geheimhaltungsinteresse der schwangeren Frauen hinsichtlich der bestehenden Frühschwangerschaft und eines von ihnen möglicherweise in Erwägung gezogenen Abbruchs der Schwangerschaft. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verlangt darüber hinaus auch die Berücksichtigung der besonderen seelischen Lage, in der sich Schwangere gerade in der Frühphase einer Schwangerschaft oftmals befinden, wenn sie typischerweise eine anerkannte Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz aufsuchen. Diese kann in Einzelfällen zu schweren Konfliktfällen führen, die als höchstpersönlich empfunden werden. Denn die Umstände erheblichen Gewichts, die einer Frau das Austragen eines Kindes bis zur Unzumutbarkeit erschweren können, bestimmen sich nicht nur nach objektiven Komponenten, sondern auch nach ihren physischen und psychischen Befindlichkeiten und Eigenschaften (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u. a. - BVerfGE 88, 203 <265 f.>.). Andererseits verbürgt das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht den Schutz gegen alles, was die selbstbestimmte Persönlichkeitsentwicklung auf irgendeine Weise beeinträchtigen könnte (BVerfG, Urteil vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13 - BVerfGE 141, 186 Rn. 32). Es gibt in einer pluralistischen Gesellschaft kein Recht darauf, von der Konfrontation mit abweichenden religiösen Vorstellungen oder Meinungen gänzlich verschont zu bleiben. Ein von politischen Diskussionen oder gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unbeschwertes Inneres ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf. Unerheblich sind damit Störungen Dritter, die darin liegen, dass diese mit ihnen unliebsamen Themen konfrontiert werden. Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen ihres Inhalts wegen zu unterbinden (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - BVerfGE 128, 226 <266>; zur negativen Glaubensfreiheit vgl. Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 - BVerfGE 138, 296 Rn. 104).
19 Somit hängt die grundrechtliche Beurteilung von Konfliktfällen der vorliegenden Art davon ab, inwieweit auf der einen Seite eine dem Schutz ungeborenen Lebens verpflichtete Versammlung darauf zielt, Adressatinnen eine bestimmte Meinung aufzudrängen, und inwiefern auf der anderen Seite die Adressatinnen eine solche Versammlung - über die bloße Konfrontation mit dem Thema hinaus - als einen unausweichlichen persönlichen Übergriff physischer oder psychischer Art verstehen dürfen, der das Aufsuchen einer Beratungsstelle einem "Spießrutenlauf" gleichen lässt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist tatrichterlich anhand der jeweils maßgeblichen - von Fall zu Fall unterschiedlichen - Einzelumstände zu klären und entzieht sich generalisierender Festlegungen auf einer fallübergreifenden Ebene (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2013 - 6 B 3.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 55 Rn. 6 zu "Gehsteigberatungen").
20 b) Anhand dieser Rechtsprechung zeigt die Beschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf mit ihrer zweiten Frage nicht auf. Die Frage rechtfertigt daher ebenfalls nicht die Revisionszulassung. Im Übrigen unterstellt die Beschwerde mit ihrer Behauptung, Beratungsstellen würden üblicherweise von Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation sowie überproportional häufig von Opfern von Sexualstraftaten und auch Minderjährigen besucht, Tatsachen, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Sind aber Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, so kann die Revision mangels Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom 6. November 2020 - 6 B 32.20 - juris Rn. 10).
21 c) Auch die dritte Frage erweist sich als im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie legt zugrunde, dass ein bei der Herstellung der praktischen Konkordanz abwägungsrelevanter Belang - Konzept der verpflichtenden Beratung vor einer Abtreibung - vom Berufungsgericht nicht in die Abwägung eingestellt worden sei, was auf einen Fehler im rechtlichen Maßstab hinführen soll. Erneut geht die Beschwerde von unzutreffenden Tatsachen aus. Keineswegs hat das angefochtene Urteil den von der Beschwerde bezeichneten Umstand - wie behauptet – "in der gesamten Abwägung ... vollständig unberücksichtigt" gelassen. Nicht nur die Wortwahl im Rahmen der Ausführungen zur Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wonach "ratsuchende" Frauen die "Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle" wegen "des in Erwägung gezogenen Schwangerschaftsabbruchs" aufsuchen (wörtlich UA S. 22), verdeutlicht, dass dem Berufungsgericht das gesetzliche Konzept der verpflichtenden Beratung vor einem Abbruch der Schwangerschaft deutlich vor Augen gestanden hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Beratungskonzept des Schwangerschaftskonfliktgesetzes darüber hinaus sogar eigenständig als Belang der öffentlichen Sicherheit in den Blick genommen (UA S. 25 f.). Der Verweis der Beschwerde auf die vierzigtägige Dauer der Versammlung, die mit der Frist des § 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB konfligiere, so dass Frauen von der "zeitkritischen Pflichtberatung abgehalten" werden könnten, dringt ebenfalls nicht durch. Denn das Berufungsgericht hat den Vortrag, Frauen würden durch die Versammlung vor der Beratungsstelle abgeschreckt werden, ausdrücklich als bloße Behauptung der Beklagten zurückgewiesen, die sich nicht auf konkrete Vorfälle zurückführen lasse (UA S. 26). Im Übrigen folgt aus der von der Beschwerde zitierten Resolution 2439 (2022) des Europarats vom 31. Mai 2022 "Access to abortion in Europe: stopping antichoice harassment" schon deshalb keine Maßstabsverschiebung, weil es sich lediglich um eine Empfehlung handelt.
22 Soweit die Beschwerde das Abwägungsergebnis des Berufungsgerichts kritisiert, bezweifelt sie der Sache nach lediglich die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Solche Zweifel stellen aber keinen Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO dar.
23 2. Eine Abweichung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 sowie vom 22. Juli 2020 - 6 B 9.20 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 118 Rn. 12 jeweils m. w. N.).
24 Gemessen hieran genügt das Beschwerdevorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde behauptet, das angefochtene Urteil weiche von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 - 1 BvF 1/74 u. a. - ab, wonach die Schwangerschaft zur Intimsphäre der Frau gehöre (BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975 - 1 BvF 1/74 u. a. - BVerfGE 39, 1 <42>). Denn das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, welche Sphäre des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei. Es habe die Einordnung der Schwangerschaft in den Bereich der Intimsphäre verkannt. Einen der Einordnung der Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht widersprechenden, das angefochtene Urteil tragenden Rechtssatz benennt die Beschwerde damit nicht. Mit ihrem Vorbringen kritisiert die Beschwerde lediglich im Gewande der Divergenzrüge die Anwendung materiellen Rechts in dem hier vorliegenden Fall. Hiermit vermag sie eine Zulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht zu erreichen.
25 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG; die Androhung unmittelbaren Zwangs bleibt nach Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit außer Betracht.