Beschluss vom 21.11.2024 -
BVerwG 1 WB 47.23ECLI:DE:BVerwG:2024:211124B1WB47.23.0
Erfolgloses Ablehnungsgesuch
Leitsätze:
1. Über ein Ablehnungsgesuch kann ohne dienstliche Äußerungen der abgelehnten Richter entschieden werden, wenn sich der geltend gemachte Ablehnungsgrund auf aktenkundige Vorgänge bezieht.
2. Von jedem Richter ist zu erwarten, dass er sich durch ein provozierendes oder ggf. auch straf- oder disziplinarrechtlich relevantes Verhalten eines Prozessbeteiligten nicht davon abbringen lässt, unparteilich und nur nach dem Gesetz zu urteilen. Unter dem Blickwinkel einer Besorgnis der Befangenheit kann ein derartiges Prozessverhalten nur dann Bedeutung erlangen, wenn sich der Richter seinerseits zu einer unangemessenen Reaktion "hinreißen" lässt, die bei objektiver Betrachtung Zweifel an seiner künftigen Unvoreingenommenheit aufwerfen.
-
Rechtsquellen
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO § 54 ZPO §§ 41, 42, 44 und 45 WBO § 23a Abs. 2 Satz 1 -
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 21.11.2024 - 1 WB 47.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:211124B1WB47.23.0]
Beschluss
BVerwG 1 WB 47.23
In den Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 21. November 2024 beschlossen:
Das gegen den ... gerichtete Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.
Gründe
I
1 Mit Schreiben vom 2. November 2024 hat der Antragsteller den ..., ... und den ... wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung führt er aus, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des ... unter dem 17. Oktober 2024 den Entwurf einer Nachtragsanschuldigungsschrift (...) zur Einreichung beim Truppendienstgericht Süd erstellt habe. Darin würden "die ..., ... und ... namentlich als Betroffene und zwangsläufig als Zeugen aufgeführt". "Aufgrund der Betroffenheit und der daraus resultierenden Besorgnis der Befangenheit" seien "die Richter von allen laufenden und zukünftigen Verfahren des Antragstellers auszuschließen". Mit Schreiben vom 14. November 2024 hat der Antragsteller ergänzt, dass sich die Befangenheit "bereits (zumindest indirekt) aus § 41 Nr. 1 und 5 ZPO" ergebe.
2
In dem vom Antragsteller übermittelten Entwurf einer Nachtragsanschuldigungsschrift wird dieser zusätzlich angeschuldigt, seine Dienstpflicht schuldhaft wie folgt verletzt zu haben:
"Im Zuge einer Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG 1 W-VR 19.23 - vom 5. August 2024 (Besetzung: ..., ... und ...)
1. warf der Soldat im Schreiben vom 12. September 2024 den am Beschluss mitwirkenden Richtern und der Richterin des 1. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts wahrheitswidrig vor und behauptete wider besseren Wissens,
'..., dass das Gericht die Beklagte aktiv bei der Unterdrückung von Beschwerden, Meldungen, Anzeigen etc. unterstützt',
und, dass das Gericht
'... Nazistrukturen, wie ein allgemeines Unterstellungsverhältnis propagiert.'
2. warf der Soldat im Schreiben vom 22. September 2024 den am Beschluss mitwirkenden Richtern und der Richterin des 1. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts wahrheitswidrig vor und behauptete wider besseren Wissens:
'Das Gericht hat den Vortrag des Antragstellers' (= des Soldaten) 'bewusst zur Förderung eines 'nationalsozialistischen Militärstaates' ignoriert. Wie die AfD unterstützt das Gericht augenscheinlich die Beseitigung der 'Machtbegrenzung, -verschränkung und -austarierung' des Gesetzgebers.'
und warf diesen und der 'Beklagten' wahrheitswidrig vor und behauptete wider besseren Wissens:
'Alleine die Beklagte mit Unterstützung des Gerichts fördert die nationalsozialistischen Machtstrukturen durch Beugung der Gesetze'. 'Die Vorstellungen der Beklagten und des Gerichts bilden die Grundlage eines Militärstaats, in dem das WStG lediglich der willkürlichen Verfolgung einzelner Personen dient.'
Der Soldat hätte zumindest erkennen können und müssen, dass seine Vorwürfe und Behauptungen zu 1. und 2. nicht der Wahrheit entsprachen.
Durch sein Verhalten hat der Soldat die ihm obliegende Dienstpflicht vorsätzlich - zumindest aber fahrlässig - verletzt,
sich außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt,
wobei er als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben hat.
Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 Soldatengesetz (SG) i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 3 Alternative 2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG."
II
3 1. Das Ablehnungsgesuch betrifft die laufenden Wehrbeschwerdeverfahren des Antragstellers BVerwG 1 WB 47.23 , 1 W-VR 10.24 , 1 W-VR 12.24 und 1 W-VR 13.24 . Ein Ablehnungsantrag für "alle zukünftigen Verfahren" ist nicht statthaft.
4 2. Der Senat entscheidet ohne die Mitwirkung der abgelehnten Richter (§ 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 54 Abs. 1 VwGO, § 45 Abs. 1 ZPO). Nach der Geschäftsverteilung treten an deren Stelle der nicht abgelehnte Richter des 1. Wehrdienstsenats Dr. Langer sowie aus dem 2. Wehrdienstsenat der Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke.
5 3. Der Senat kann über das Ablehnungsgesuch ohne dienstliche Stellungnahmen der abgelehnten Richter abweichend von § 44 Abs. 3 ZPO entscheiden, weil sich der geltend gemachte Ablehnungsgrund auf aktenkundige Vorgänge bezieht. Unter solchen Umständen könnten dienstliche Erklärungen zur Sachaufklärung nichts beitragen und sind daher entbehrlich (BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16 - NJW-RR 2017, 187 Rn. 17; Saenger, Zivilprozessordnung, 10. Auflage 2023, § 44 ZPO Rn. 7; Stackmann, Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 44 Rn. 10; Musielak/Voit, ZPO, 21. Auflage 2024, § 44 Rn. 9).
6 4. Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.
7 Bei den vom Antragsteller für befangen erachteten Richtern liegen weder gesetzliche Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 41 ZPO, § 54 Abs. 2 VwGO oder § 77 WDO (dazu BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2018 - 1 WB 13.17 - juris Rn. 5) vor noch ist deren Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt.
8 a) Ein gesetzlicher Ausschließungsgrund ergibt sich insbesondere nicht aus der vom Antragsteller angeführten Vorschrift des § 41 Nr. 1 und 5 ZPO (hier i. V. m. § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO und § 54 Abs. 1 VwGO), nach der ein Richter von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist in Sachen, in denen er (u. a.) selbst Partei ist oder er als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.
9 Die Vorschrift besagt, dass niemand in derselben Sache zugleich einerseits Richter und andererseits Partei, Zeuge oder Sachverständiger sein kann. Darum geht es aber in der vom Antragsteller vorgetragenen Konstellation nicht. Die abgelehnten Richter sind an den Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 47.23 , 1 W-VR 10.24 , 1 W-VR 12.24 und 1 W-VR 13.24 offenkundig weder als Partei noch als Zeuge oder Sachverständiger beteiligt. Der Antragsteller macht vielmehr geltend, dass die abgelehnten Richter als Zeugen in das gerichtliche Disziplinarverfahren involviert seien, auf das sich die Nachtragsanschuldigungsschrift bezieht. Aus einer solchen Zeugenstellung könnte sich jedoch allenfalls ein Ausschlussgrund für das gerichtliche Disziplinarverfahren ergeben, das hier jedoch nicht Gegenstand ist. Im Übrigen sind die abgelehnten Richter weder in der Nachtragsanschuldigungsschrift als Zeugen benannt noch ist eine derartige Benennung zu erwarten. Denn der als Dienstpflichtverletzung angeschuldigte Sachverhalt ergibt sich unmittelbar aus den zwei Schreiben des Antragstellers (vom 12. September 2024 und vom 22. September 2024) selbst; eines Zeugenbeweises bedarf es hierfür nicht.
10 b) Auch ein Grund für eine Besorgnis der Befangenheit ist nicht gegeben.
11 Nach dem gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO entsprechend anwendbaren § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 WB 28.09 - NZWehrr 2010, 162 <162>) setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, nicht hingegen, dass dieser tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln, mithin bereits der "böse Schein" besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2021 - 1 WB 27.20 - juris Rn. 6). Eine ausschließlich subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht indes nicht aus.
12 Ein Fall der Besorgnis der Befangenheit liegt danach hier nicht vor. Von jedem Richter ist zu erwarten, dass er sich durch ein provozierendes oder ggf. auch straf- oder disziplinarrechtlich relevantes Verhalten eines Prozessbeteiligten nicht davon abbringen lässt, unparteilich und nur nach dem Gesetz zu urteilen. Unter dem Blickwinkel einer Besorgnis der Befangenheit kann ein derartiges Prozessverhalten nur dann Bedeutung erlangen, wenn sich der Richter seinerseits zu einer unangemessenen Reaktion "hinreißen" lässt, die bei objektiver Betrachtung Zweifel an seiner künftigen Unvoreingenommenheit aufwerfen. Der Antragsteller hat hinsichtlich der von ihm abgelehnten Richter nichts vorgetragen, was auch nur ansatzweise zu derartigen Zweifeln Anlass geben könnte. Der Antragsteller hat es nicht in der Hand, sich allein durch einseitige verbale Attacken der Besetzung des Gerichts zu entziehen, die sich aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergibt.