Urteil vom 06.03.2025 -
BVerwG 2 WD 15.24ECLI:DE:BVerwG:2025:060325U2WD15.24.0
Höchstmaßnahme bei einer durch Täuschung erschlichenen Abwesenheit von sieben Monaten
Leitsatz:
Entzieht sich ein Soldat durch Täuschung über einen längeren Zeitraum dem Dienst, bildet die Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
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Rechtsquellen
SG §§ 7, 11, 13, 17 Abs. 1 Satz 1 WStG § 15 Abs.1, § 18 -
Instanzenzug
TDG Nord 2. Kammer - 01.02.2024 - AZ: N 2 VL 54/19
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 06.03.2025 - 2 WD 15.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:060325U2WD15.24.0]
Urteil
BVerwG 2 WD 15.24
- TDG Nord 2. Kammer - 01.02.2024 - AZ: N 2 VL 54/19
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der öffentlichen Hauptverhandlung am 6. März 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant i.G. Metz und
ehrenamtlicher Richter Oberstabsgefreiter Krull,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 1. Februar 2024 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
- Dem früheren Soldaten wird das Ruhegehalt aberkannt.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Gründe
I
1 Das Verfahren betrifft den Vorwurf der Dienstentziehung durch Täuschung und der eigenmächtigen Abwesenheit.
2 1. Der ... Jahre alte frühere Soldat besuchte nach Erreichen des Hauptschulabschlusses zwei Jahre eine Handelsschule und verfügt damit über einen der Mittleren Reife entsprechenden Schulabschluss. Er trat seinen Dienst am 1. April ... bei der ...bataillon ... in ... an, verpflichtete sich für acht Jahre als Soldat auf Zeit und erreichte zuletzt den Dienstgrad eines Oberstabsgefreiten. Er wurde zum Panzergrenadier, Kraftfahrer Schützenpanzer Marder und zum Richtschützen ausgebildet. Vom 13. Januar bis zum 31. Juli 2011 nahm er an einer besonderen Auslandsverwendung in ... teil. Während dieses Einsatzes wurde ein Konvoi, an dem der frühere Soldat teilnahm, angesprengt. Es gab Tote und Verletzte. Der frühere Soldat blieb unversehrt und kehrte ohne medizinischen Befund aus dem Einsatz zurück. Er ist berechtigt, Einsatzmedaillen der Bundeswehr und der NATO für die Teilnahme am Auslandseinsatz in ..., für die Teilnahme an einem Gefecht und für die Hilfe anlässlich der Flutkatastrophe an der Elbe im Mai/Juni 2013 sowie die Schützenschnur in Gold zu tragen.
3 In einer Stellungnahme vom 13. Dezember 2016 bescheinigt der Zugführer dem früheren Soldaten höchste Motivation und Einsatzbereitschaft. Während seines Einsatzes im Jahre 2011 habe er seine Aufträge in vollem Umfang erfüllt und sein Können unter widrigsten Umständen unter Beweis gestellt. Auch der Leumundszeuge, Oberstleutnant A erklärte, der Angeschuldigte sei ein guter Soldat gewesen. Er habe sich vor und nach dem Dienstvergehen vorbildlich verhalten und jeden Befehl befolgt. Die Leistungen des früheren Soldaten ordne er im oberen Leistungsdrittel ein. Er habe keine Erklärung dafür, dass der frühere Soldat sich eine Auszeit genommen habe. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 19. März 2024 und der Auszug aus dem Disziplinarbuch weisen außer den mit den Anschuldigungspunkten 1 und 3 sachgleichen Strafverfahren keine Eintragungen auf.
4 Der frühere Soldat ist Ende April ... aus der Bundeswehr ausgeschieden und arbeitet im Bereich der Qualitätsüberwachung bei einem Hersteller von LKW-Sitzen. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern im Vorschulalter. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse bezeichnet er als geordnet. Wegen des laufenden Disziplinarverfahrens ist eine Übergangsbeihilfe in Höhe von 13 593,42 € einbehalten worden.
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2. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat dem früheren Soldaten in dem am 17. Januar 2017 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren mit Anschuldigungsschrift vom 26. Juni 2019 folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
"1. Der frühere Soldat gab, um sich bewusst und gewollt dem Dienst zu entziehen, an einem nicht mehr näher bestimmbaren Ort in der ...-Kaserne in ... zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 4. Januar 2016 und dem 8. Januar 2016 gegenüber einem nicht mehr näher feststellbaren Vorgesetzten seiner Einheit bewusst wahrheitswidrig an, ab dem 25. Januar 2016 an einer mit dem Berufsförderungsdienst abgestimmten Vollzeitmaßnahme teilzunehmen. Tatsächlich nahm der frühere Soldat an keiner Berufsförderungsmaßnahme teil und erreichte so, dass in der Folge sein Fernbleiben vom Dienst durch seinen Disziplinarvorgesetzten, den Zeugen Hauptmann A, durch schlüssiges Verhalten genehmigt wurde. Erst nach Aufdeckung der Täuschung am 10. August 2016, wurde dem früheren Soldaten von seinem Kompaniefeldwebel, dem Zeugen Oberstabsfeldwebel B, befohlen, am Vormittag des Folgetages zurückzukehren.
2. Der frühere Soldat befolgte den ihm von seinem Kompaniefeldwebel B fernmündlich gegebenen Befehl vom 10. August 2016, seinen Dienst am Vormittag des 11. August 2016 wieder aufzunehmen, nicht und blieb dem Dienst bei der ...bataillon ..., ...-Kaserne, bis zu seiner freiwilligen Rückkehr am 17. August 2016 gegen 13:30 Uhr unerlaubt fern, wobei er es unterließ, seine standortfremde Erkrankung vom 15. August 2016 und den anschließenden Aufenthalt im Klinikum ..., ... in ..., seinem Disziplinarvorgesetzten, dem Kompaniechef der ...bataillon .., ...-Kaserne in ... zu melden, obwohl er hätte erkennen können und müssen, dass er gemäß der Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2, Version 1, Anlage 7.11 (alt), nunmehr Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2; Version 2, Anlage 2.11. Nr. 4 (neu) verpflichtet war, seine Einheit bei einer Erkrankung außerhalb des Standortes unverzüglich zu benachrichtigen.
3. [...]"
6 Im sachgleich zu Anschuldigungspunkt 1 geführten Strafverfahren verurteilte das Amtsgericht D. den früheren Soldaten am 13. März 2017 wegen Dienstentziehung durch Täuschung mit rechtskräftigem Urteil zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt und nach deren Ablauf mit Wirkung zum 24. April 2020 erlassen. Das sachgleich mit Anschuldigungspunkt 2 wegen eigenmächtiger Abwesenheit geführte Strafverfahren stellte das Amtsgericht D. aufgrund der oben angeführten Strafe mit Urteil vom 13. März 2017 gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Im sachgleichen Strafverfahren zu Anschuldigungspunkt 3 verhängte das Amtsgericht L. mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 20. Januar 2017 eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 60 € wegen Betrugs.
7 3. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren klammerte das Truppendienstgericht den Anschuldigungspunkt 3 aus und setzte den früheren Soldaten mit Urteil vom 1. Februar 2024 in den Dienstgrad eines Panzergrenadiers der Reserve herab. Dabei sah es die in den Anschuldigungspunkten 1 und 2 erhobenen Vorwürfe als erwiesen an. Durch das festgestellte Verhalten habe der frühere Soldat mehrfach seine Pflichten zum treuen Dienen und zum innerdienstlichen Wohlverhalten vorsätzlich verletzt. Im Anschuldigungspunkt 1 habe der frühere Soldat auch gegen seine Wahrheitspflicht verstoßen, den Straftatbestand der Dienstentziehung durch Täuschung verwirklicht und damit kriminelles Unrecht begangen. Beim Anschuldigungspunkt 2 habe der frühere Soldat seine Pflicht zum treuen Dienen dadurch verletzt, dass er entgegen der Vorschriftenlage seinen Disziplinarvorgesetzten nicht von der Erkrankung außerhalb des Standortes benachrichtigt habe. Weil er dem verbindlichen Befehl des Kompaniefeldwebels, sich in seiner Einheit einzufinden, nicht befolgt habe, sei er zudem ungehorsam gewesen.
8 Den Schwerpunkt der disziplinaren Vorwürfe bilde die Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen, die mit einem wiederholten Verstoß gegen das Wehrstrafgesetz einhergehe. Bei einer kürzeren unerlaubten Abwesenheit sei eine Dienstgradherabsetzung Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht die Höchstmaßnahme. Weil im vorliegenden Fall eine wiederholte und extrem lange Abwesenheit vorliege, bilde die Aberkennung des Ruhegehaltes den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
9 Auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen sprächen jedoch gewichtige Gründe für eine mildere Maßnahme in Form der Herabsetzung in den untersten Dienstgrad. Das eigenmächtige Fernbleiben vom Dienst stelle zwar schon wegen seines Dauercharakters keine einmalige Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten dar. Das Fehlverhalten sei der Persönlichkeit des früheren Soldaten jedoch dem Grunde nach fremd. Hierfür spreche neben der disziplinaren und strafrechtlichen Unbescholtenheit des früheren Soldaten die Beschreibung seines früheren Disziplinarvorgesetzten. Dies sei - wenn auch mit geringerer Relevanz als beim Vorliegen eines anerkannten klassischen Milderungsgrundes - zugunsten des früheren Soldaten einzustellen.
10 Zudem liege ein Mitverschulden von Vorgesetzten in der Form mangelhafter Dienstaufsicht vor. Zwar habe der frühere Soldat keines hilfreichen Eingreifens einer Dienstaufsicht bedurft, um zu erkennen, dass er zur Dienstleistung und zum Erscheinen am Dienstort verpflichtet gewesen sei. Angesichts der Dauer der Abwesenheit sei es aber unverständlich, dass sich ein Soldat bei einem beliebigen Vorgesetzten der Einheit ohne Vorlage irgendwelcher Papiere habe abmelden können, ohne dass dessen Abwesenheit und der Grund hierfür jemals hinterfragt worden seien. Hier hätte schon viel früher nachgefasst werden müssen.
11 Ganz erheblich mildernd wirke sich die über Jahre hinweg gezeigte sehr gute Leistung des früheren Soldaten aus, die sich in der Aussage des Leumundszeugen A widerspiegele. Insbesondere sei dem früheren Soldaten als einem der wenigen Angehörigen der Streitkräfte die Einsatzmedaille Gefecht verliehen worden. Dadurch werde die hohe persönliche Gefährdung in einer Ausnahmesituation erlebter terroristischer oder militärischer Gewalt anerkannt. Es sei unangemessen, einen derart leistungsbereiten und hochdekorierten Soldaten durch die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme wegen eines am Ende seiner Dienstzeit begangenen Dienstvergehens so zu stellen, als hätte er der Bundesrepublik Deutschland nie gedient.
12 Dem früheren Soldaten könne aber wegen der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens kein repräsentabler Dienstgrad eines Gefreiten belassen werden. Etwas Anderes gebiete weder die zugunsten des früheren Soldaten sprechende geständige Einlassung noch die Dauer des seit August 2019 anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens. Sein Geständnis sei nicht freiwillig, sondern unter dem Druck bereits angestellter Nachforschungen erfolgt. Hinsichtlich der Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens müsse sich der frühere Soldat relativierend entgegenhalten lassen, dass er davon auch profitiert habe. Denn er habe bis zum November 2018 Übergangsgebührnisse bemessen an der Besoldung eines Oberstabsgefreiten bezogen.
13 4. Mit der auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung begehrt die Wehrdisziplinaranwaltschaft die Verschärfung der Disziplinarmaßnahme. Die tatsächlichen Feststellungen und die Beweiswürdigung des Truppendienstgerichts seien nicht zu beanstanden.
14 Bei der Maßnahmebemessung verkenne es jedoch, dass ein Mitverschulden des Disziplinarvorgesetzten gerade nicht vorliege. Dieser Milderungsgrund stehe einem Soldaten nur dann zur Seite, wenn er tatsächlich der (unterstützenden) Dienstaufsicht, z. B. in einer Überforderungssituation, bedurft hätte. Der frühere Soldat habe aber auch ohne Hilfe gewusst, dass er zum Dienst erscheinen müsse, solange ihn sein Disziplinarvorgesetzter von der Dienstpflicht nicht entbinde. Der frühere Soldat sei sogar innerhalb des Abwesenheitszeitraumes am 3. Februar 2016 im Rahmen einer Förderungsberatung am Standort ... gewesen und habe angegeben, dass er noch keine Maßnahme der Berufsförderung unternommen habe. Ihm sei zu jedem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass er ohne Erlaubnis dem Dienst ferngeblieben sei. Auch nachdem er durch seinen Kompaniefeldwebel in die Kaserne befohlen worden sei, sei er dem Dienst noch mehrere weitere Tage ferngeblieben. Der durch einen Vorgesetzten mittels Befehls unternommene Versuch, den Soldaten zu pflichtgemäßem Verhalten zu veranlassen, sei erfolglos geblieben.
15 Die Kammer habe weder das Verhalten des früheren Soldaten nach Aufdeckung der ersten langen Abwesenheit noch den tatsächlich extrem langen Abwesenheitszeitraum ausreichend gewürdigt. Sie habe auch zu Unrecht darauf abgestellt, dass der frühere Soldat das Dienstvergehen erst zum Ende seiner Dienstzeit begangen habe. Es komme allein darauf an, dass das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn bei einer unerlaubten Abwesenheit von über 200 Tagen irreparabel zerstört worden sei. Eine überlange Verfahrensdauer könne sich, wenn - wie vorliegend - die Höchstmaßnahme angezeigt sei, nicht mehr maßnahmemildernd auswirken.
16 Der frühere Soldat verteidigt das angefochtene Urteil.
17 Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten und zu den Tat- und Schuldfeststellungen wird auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren gestellten Anträgen und erhobenen Beweisen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
II
18 Die zulässige Berufung ist begründet. Dem früheren Soldaten ist das Ruhegehalt abzuerkennen.
19 1. Aufgrund der verfahrensfehlerfreien Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts steht für den Senat bindend fest, dass der frühere Soldat sich in tatsächlicher Hinsicht wie vom Truppendienstgericht festgestellt verhalten und mit seinen unrichtigen Angaben über den Berufsförderungsdienst, seinem mehr als sechsmonatigen Fernbleiben vom Dienst, seinem befehlswidrigen Ausbleiben und der mangelnden Anzeige einer Erkrankung vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zum Gehorsam (§ 11 SG), zur Wahrheit (§ 13 Abs. 1 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt und eine Wehrstraftat nach § 18 Abs. 1 WStG begangen hat.
20 Denn bei einer - wie hier - auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der Prozessstoff wird somit nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern allein von den Tat- und Schuldfeststellungen im angefochtenen Urteil bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2023 - 2 WD 3.22 - juris Rn. 18). Dabei erfasst die Bindungswirkung auch die konkreten Straftatbestände, aus denen das Truppendienstgericht einen strafrechtlich begründeten Verstoß gegen § 7 SG abgeleitet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - juris Rn. 30).
21 Dass die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Mängeln des Verfahrens im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 WDO leidet, (BVerwG, Urteil vom 4. März 2020 - 2 WD 3.19 - juris Rn. 12 m. w. N.) ist nicht ersichtlich.
22 Dies gilt insbesondere für die im Zentrum der Würdigung stehende Annahme des Truppendienstgerichts, der Soldat habe sich - wie unter Anschuldigungspunkt 1 beschrieben - in strafbarer Weise durch eine arglistige Täuschung für einen mehr als siebenmonatigen Zeitraum dem Wehrdienst entzogen. Eine Dienstentziehung durch Täuschung liegt nach § 18 Abs. 1 WStG vor, wenn ein Soldat sich oder einen anderen Soldaten durch arglistige, auf Täuschung berechnete Machenschaften dem Wehrdienst dauernd oder für eine gewisse Zeit ganz oder teilweise entzieht. Das Truppendienstgericht hat die Annahme einer Dienstentziehung durch Täuschung auf das rechtskräftige Strafurteil des Amtsgerichts D. vom 13. März 2017 und die geständigen Einlassungen des früheren Soldaten gestützt. Er hat eingeräumt, die Erlaubnis zum Fernbleiben vom Wehrdienst durch absichtlich falsche Angaben über eine in Wahrheit nicht durchgeführte Berufsförderungsmaßnahme erlangt zu haben. Auch die Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts zu der dem Soldaten unter Anschuldigungspunkt 2 vorgeworfenen Befehlsverweigerung und seinem unerlaubten Fernbleiben im Zeitraum vom Vormittag des 11. August 2016 bis zum Mittag des 17. August 2016 sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei, nachvollziehbar und damit bindend.
23 2. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, das hier zur Verhängung der Höchstmaßnahme führt. Diese besteht gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 4, § 65 WDO in der Aberkennung des Ruhegehalts, worunter nach § 1 Abs. 2 WDO die noch offene Übergangsbeihilfe fällt.
24 a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Der Schwerpunkt des gemäß § 18 Abs. 2 WDO einheitlich zu ahndenden Dienstvergehens liegt in der Dienstentziehung durch Täuschung. Da der Unrechtsgehalt dieser Wehrstraftat ebenso wie bei der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 Abs. 1 WStG durch das rechtswidrige Fernbleiben vom Dienst gekennzeichnet ist und der Strafrahmen des § 18 Abs. 1 WStG sogar noch höher ist, ist beim Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen an die für die eigenmächtige Abwesenheit von Soldaten entwickelten disziplinarrechtlichen Grundsätze anzuknüpfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - NZWehrr 2019, 159 <162 f.>). In Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe ist bei einer kürzeren unerlaubten Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung zu verhängen; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Oktober 2021 - 2 WD 3.21 - juris Rn. 17 und vom 13. Juni 2024 - 2 WD 8.23 - juris Rn. 17). Da die Dienstentziehung durch Täuschung einen sehr langen, den normalen Urlaubsanspruch eines Soldaten weit übersteigenden Zeitraum eingenommen hat, bildet die Höchstmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
25 Denn ein Soldat, welcher der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 32 m. w. N.).
26 b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten. Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 2 WD 23.20 - BVerwGE 173, 352 Rn. 29 m. w. N.), ist hier kein Abweichen von der Höchstmaßnahme geboten.
27 aa) Das Dienstvergehen wiegt äußerst schwer. Es geht nach Art und Schwere deutlich über das Maß hinaus, das bereits im Regelfall für die Verhängung der Höchstmaßnahme ausreicht. Zum einen ist schon die Dauer der durch die falschen Angaben erschlichenen bezahlten Freistellung vom Dienst mit über sieben Monaten extrem lang. Sie überschreitet nicht nur den normalen Urlaubsanspruch, sondern entspricht einem mehr als vierfachen Jahresurlaub. Da bereits eine unerlaubte Abwesenheitsdauer von 30 Werktagen den Ansatz der Höchstmaßnahme rechtfertigt, ist die darüberhinausgehende unerlaubte Abwesenheitsdauer auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen erschwerend zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 22. August 2024 - 2 WD 1.24 - juris Rn. 29).
28 Zum anderen tritt mit der im Anschuldigungspunkt 2 beschriebenen Verweigerung des Rückkehrbefehls und der anschließenden eigenmächtigen Abwesenheit von mehr als drei Tagen eine weitere gravierende Dienstpflichtverletzung hinzu. Dabei verstieß der frühere Soldat erneut in isoliert betrachtet strafbarer Weise (§ 15 Abs. 1 WStG) gegen die Pflicht zum treuen Dienen und zudem gegen die Gehorsamspflicht als weitere zentrale Dienstpflicht. Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit einer Armee gelähmt oder jedenfalls in Frage gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 - 2 WD 6.94 - BVerwGE 103, 143 <144 f.>). Das unter Punkt 2 angeschuldigte Fehlverhalten wäre darum isoliert betrachtet im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden.
29 Gegen den früheren Soldaten spricht auch, dass er in eigennütziger Weise gehandelt hat und dass die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens für den Dienstherrn erheblich waren. Er hat den früheren Soldaten mehr als sieben Monate finanziell unterhalten, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Die zu Unrecht gewährten Bezüge mussten mit erheblichem Aufwand zurückgefordert werden. Dass der frühere Soldat berechtigt gewesen wäre, sich in diesem Zeitraum für eine Berufsförderungsmaßnahme vom Dienst freistellen zu lassen, ändert daran nichts. Denn er hat sich gerade nicht beruflich weiter qualifiziert, sondern nach eigenen Angaben Fußball gespielt und im Fitnessstudio Sport getrieben. Das Dienstvergehen wurde auch in der Einheit bekannt.
30 Der Schuldmilderungsgrund einer einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten liegt - wie das Truppendienstgericht zutreffend ausgeführt hat - schon wegen des langen Zeitraums nicht vor. Dieser Umstand verbietet die Annahme eines durch ein gewisses Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit charakterisierten Verhaltens (BVerwG, Urteil vom 27. März 2017 - 2 WD 11.16 - juris Rn. 120). Von einem mit minderen Gewicht entschuldigend wirkenden persönlichkeitsfremdem Verhalten des früheren Soldaten kann ebenfalls keine Rede sein. Denn er ist nach Bekanntwerden des Fehlverhaltens trotz Befehls dem Dienst erneut ferngeblieben. Der frühere Soldat hat außerdem nicht nur den Dienstherrn durch falsche Angaben über einen Freistellungsanspruch getäuscht, sondern auch Dritte. Er ist - wie aus einem Zentralregisterauszug hervorgeht - auch wegen Betrugs rechtskräftig vorbestraft. Dass diese Tat vom Truppendienstgericht als Anschuldigungspunkt 3 ausgeklammert worden ist, schließt die Berücksichtigung der damit verbundenen Vorstrafe bei der Würdigung der Persönlichkeit des früheren Soldaten nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 51).
31 bb) Die für den früheren Soldaten sprechenden Umstände sind nicht so gewichtig, dass von der durch die Dienstentziehung durch Täuschung indizierten Höchstmaßnahme unter Berücksichtigung der zusätzlichen Erschwernisgründe abgewichen werden kann.
32 Das Truppendienstgericht hat zwar mit Recht darauf hingewiesen, dass dem früheren Soldaten durch die mangelnde Kontrolle des von ihm angegebenen Freistellungsgrundes die Täuschung über die Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme leicht gemacht worden ist. Auch der letzte Disziplinarvorgesetzte hat eingeräumt, dass er es versäumt habe, das Vorliegen eines Nachweises für die Berufsförderungsmaßnahme zu kontrollieren. Die Kommunikation mit dem Berufsförderungsdienst sei damals am Standort unzureichend gewesen, wodurch es zu weiteren Missbrauchsfällen gekommen sei. Darin liegt jedoch kein den früheren Soldaten entlastendes Mitverschulden des Dienstherrn in Form von mangelnder Dienstaufsicht. Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z. B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (BVerwG, Urteile vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - juris Rn. 31 und vom 22. August 2024 - 2 WD 1.24 - juris Rn. 40 m. w. N.). Es bedurfte vorliegend jedoch keines hilfreichen Eingreifens der Dienstaufsicht, damit der frühere Soldat erkennen konnte, dass er seine Vorgesetzten nicht arglistig über die Teilnahme an einer Berufsförderungsmaßnahme täuschen und nicht über mehrere Monate ohne Grund dem Dienst fernbleiben durfte. Im Übrigen weist die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Recht darauf hin, dass der frühere Soldat sich der Dienstaufsicht widersetzt hat und trotz eines Rückkehrbefehls den Dienst über mehrere Tage nicht wieder angetreten hat. Das schließt die Annahme eines maßnahmemildernden Mitverschuldens aufgrund fehlender Dienstaufsicht gleichfalls aus.
33 Ebenso wenig kann es zugunsten des früheren Soldaten berücksichtigt werden, dass sein Fehlverhalten erst am Ende seiner Dienstzeit liegt. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft führt mit Recht aus, dass diesem Umstand keine entlastende Wirkung beigemessen werden kann. Denn jeder Soldat ist bis zum Ende seiner Dienstzeit zum Wehrdienst verpflichtet und kann nur aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen davon vorzeitig freigestellt werden. Im Übrigen begann das Dienstvergehen nicht kurz vor dem Dienstzeitende im April ..., sondern etwa 15 Monate vorher im Januar ...
34 Dem erstinstanzlichen Geständnis des früheren Soldaten kommt wegen der eindeutigen Beweislage kein großes Gewicht zu. Es hat sich ohnedies nur auf den Anschuldigungspunkt 1 erstreckt, während der frühere Soldat zum Anschuldigungspunkt 2 dem Truppendienstgericht nach dessen bindenden Feststellungen eine unglaubwürdige Unfall- und Krankenhausgeschichte unterbreitet hat. Einsicht und Reue sprechen zwar für ihn, können die Gesamtabwägung aber gleichfalls nur in geringem Umfang beeinflussen.
35 Dasselbe gilt für den Umstand, dass der frühere Soldat am Ende der zweiten Abwesenheit drei Tage wegen einer Blinddarmentzündung tatsächlich krank war und in einer Klinik behandelt wurde. Denn dies entschuldigt das befehlswidrige Fernbleiben in den ersten drei Tagen der zweiten Abwesenheit nicht und hat mangels Meldung der Erkrankung auch nicht zu einer erlaubten Abwesenheit geführt.
36 Für den früheren Soldaten spricht zwar mit hohem Gewicht, dass er durchweg sehr gute dienstliche Leistungen erbracht hat. Dies folgt aus den Stellungnahmen seines Disziplinarvorgesetzten Oberstleutnant A. Nach dessen Angaben sind die dienstlichen Leistungen auch unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens gleichgeblieben und bewegten sich dauerhaft im gehobenen oberen Drittel der Vergleichsgruppe. Hinzukommen seine Auszeichnungen durch mehrere Einsatzmedaillen, insbesondere bei seinem Auslandseinsatz in ... Das Truppendienstgericht führt zu Recht aus, dass die Auszeichnung mit der Gefechtsmedaille auf eine besondere Bewährung als Soldat schließen lässt.
37 c) Bei einer Gesamtwürdigung erreichen die für den früheren Soldaten sprechenden Umstände jedoch kein ausreichendes Gewicht, um die zusätzlich erschwerenden Umstände auszugleichen und einen Wechsel von der Höchstmaßnahme zu einer niedrigeren Maßnahme zu bewirken. Ist das Vertrauen in den früheren Soldaten zerstört und deswegen die Höchstmaßnahme zu verhängen, können weder eine überlange Verfahrensdauer (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 56) noch eine etwaige Nachbewährung (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - juris Rn. 40) maßnahmemildernde Wirkungen entfalten.
38 3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO der frühere Soldat zu tragen; Gründe, die dies im Sinne des § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WDO unbillig erscheinen lassen, liegen nicht vor. Ebenso besteht kein Grund, die dem früheren Soldaten im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO dem Bund aufzuerlegen.