Urteil vom 15.07.2021 -
BVerwG 2 WD 6.21ECLI:DE:BVerwG:2021:150721U2WD6.21.0
Leitsatz:
Das Gericht muss im Rahmen des ihm nach § 21 StGB analog zustehenden Ermessens bei einer eigenmächtigen Abwesenheit von der Truppe eine Disziplinarmaßnahme dann nicht mildern, wenn während eines langen Abwesenheitszeitraums die Schuldfähigkeit des Soldaten nur an wenigen Tagen erheblich vermindert war.
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Rechtsquellen
StGB § 20, 21 WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Nr. 4, § 58 Abs. 7, § 65 Abs. 1 Satz 2, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 107 Abs. 2 Satz 2, 2. HS, § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 StPO § 22 Nr. 1-4, § 74 SG §§ 7, 11, § 17 Abs. 2 Satz 1, § 23 WStG § 2 Nr. 2, § 15 -
Instanzenzug
TDG Süd 5. Kammer - 01.08.2019 - AZ: TDG S 5 VL 25/17
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 15.07.2021 - 2 WD 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:150721U2WD6.21.0]
Urteil
BVerwG 2 WD 6.21
- TDG Süd 5. Kammer - 01.08.2019 - AZ: TDG S 5 VL 25/17
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 15. Juli 2021, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberst Kutzner und
ehrenamtliche Richterin Oberleutnant Pietke,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 1. August 2019 wird zurückgewiesen.
- Der frühere Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I
1 Das Verfahren betrifft im Wesentlichen die disziplinare Ahndung des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst.
2 1. Der 1969 geborene frühere Soldat besuchte das Gymnasium, das er ohne Abitur verließ. 1989 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und zum Krankenpfleger ausgebildet. 1990 wurde er als Anwärter für die Laufbahngruppe der Unteroffiziere, 1998 für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen und zum Berufssoldaten ernannt. Von 1998 bis 2001 absolvierte er eine Ausbildung zum Erzieher. Mit dem Abschlusszeugnis der Fachschule des Heeres für Erziehung erlangte er die Fachhochschulreife.
3 Er wurde zuletzt 2004 zum Oberleutnant befördert und mit Ablauf Januar 2019 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
4 Der frühere Soldat wurde nach seiner Grundausbildung zunächst in verschiedenen Kompanien des ...bataillons ... als Ausbilder Unteroffiziere verwendet. 2003 wurde er zum ...kommando ..., ... zum Stab ...kommando ... und 2009 zur ...regiment ... versetzt. Dort wurde er als Zugführer, Einsatzoffizier und Stellvertretender Kompaniechef verwendet.
5 Von November 2002 bis Mai 2003 war er zum Deutschen Einsatzkontingent KFOR kommandiert, wofür ihm Einsatzmedaillen verliehen wurden. Er ist berechtigt, das Schießabzeichen der US-Streitkräfte, das Truppenleistungsabzeichen und das Tätigkeitsabzeichen Sanitätspersonal (Gold) zu tragen. Bis 1999 wurden ihm förmliche Anerkennungen erteilt und 2012 eine Leistungsprämie gewährt.
6 Der frühere Soldat wurde planmäßig letztmalig zum 31. März 2015 im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "7,40" beurteilt. Er arbeite eigenständig sowie vorausschauend und sei gut organisiert. Die Zusammenarbeit mit ihm gestalte sich äußerst angenehm. Seine Leidenschaft sei die Ausbildung. Dabei überzeuge er durch fachliche Expertise und Fähigkeiten im Bereich der Methodik/Didaktik. Er sei sehr engagiert, identifiziere sich uneingeschränkt mit seiner Aufgabe und arbeite stetig an der Arbeitsoptimierung. Er sei gut integriert und vertrete konsequent seine Vorstellungen. Sein Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft.
7 Hauptmann A., seit März 2015 letzter Disziplinarvorgesetzter, hat erstinstanzlich ausgesagt, zum Zeitpunkt der Kompanieübernahme sei der frühere Soldat Kompanieeinsatzoffizier und sein Stellvertreter gewesen. Er habe ihn schon länger gekannt und sei mit ihm auch in dienstlichen Belangen ausgekommen. Der frühere Soldat sei intelligent, kameradschaftlich und eigentlich freundlich. Er würde ihn leistungsmäßig im mittleren Drittel einordnen mit Tendenz nach oben. Im August 2015 sei nach längerer Abwesenheit mit der Wiedereingliederung des früheren Soldaten begonnen worden. Dies habe zunächst funktioniert, aber seit 2016 habe der Soldat keinen Dienst mehr geleistet. Seine Abwesenheiten hätten der Einheit geschadet. Sie seien Gesprächsthema gewesen und es sei bekannt geworden, dass der frühere Soldat durch die Feldjäger dem Dienst habe zugeführt werden müssen. Die Auswirkungen auf die Einheit seien zwar regelbar gewesen, die Auswirkungen auf ihn - den Disziplinarvorgesetzten - jedoch dramatisch, weil er wegen der Probleme mit dem früheren Soldaten zusammengebrochen sei. In der Berufungshauptverhandlung hat er ausgesagt, die Leistungen des früheren Soldaten seien zuletzt sehr "durchwachsen" gewesen. Er habe auch erst Ende November 2016 davon erfahren, dass dieser seit Dezember 2015 keinen Führerschein mehr habe.
8 Der aktuelle Disziplinarbuchauszug weist vier förmliche Anerkennungen aus. Der Zentralregisterauszug enthält keine Eintragungen.
9 Der frühere Soldat lebt seit 2015/2016 getrennt von seinem Lebenspartner. Er hat ab Juli 2016 einen Grad an Behinderung von 50 vom Hundert. Im November 2019 erhielt er ein Ruhegehalt von 2 455,69 € brutto und 1 870,46 € netto. Er beschreibt seine wirtschaftlichen Verhältnisse als angespannt. Die 2009 erworbene 140 m2-Eigentumswohnung habe er mit 170 000 € kreditfinanziert; er bediene den Kredit monatlich mit ca. 900 €. Sein Girokonto sei um etwa 5 000 € überzogen.
10
2. Nachdem im Dezember 2016 das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden war, hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 8. August 2017 zur Last gelegt:
"1. Der Soldat blieb seinem Dienst bei ...regiment, ..., vom 11.07.2016 bis 17.08 .2016 wissentlich und willentlich ohne Genehmigung fern.
2. Der Soldat befolgte den Befehl des Leiters ..., Oberfeldarzt Dr. B., vom 18.08.2016, sich am 31.08.2016 im ... wieder vorzustellen, vorsätzlich nicht, sondern blieb seinem Dienst bei der ...regiment, ..., ab diesem Zeitpunkt bis zur Kontaktaufnahme durch die Feldjäger am 22.09.2016, wo seine Vorstellung beim ...zentrum ... am 26.09.2016 verfügt wurde, wiederum wissentlich und willentlich ohne Genehmigung fern.
3. Der Soldat blieb seinem Dienst bei der ...regiment, ..., vom 28.09.2016, 13:30 Uhr, bis zu seiner Zuführung durch das Feldjägerdienstkommando ... am 11.10.2016, 13:15 Uhr, wiederum wissentlich und willentlich ohne Genehmigung fern.
4. Der Soldat war am 14.01.2017 gegen 07:20 Uhr in ..., ..., im Besitz von ca. 1,3 Gramm Amphetamin, obwohl ihm bekannt war, dass der Besitz von Betäubungsmitteln verboten und Soldaten darüber hinaus auch gemäß der ihm zumindest sinngemäß bekannten Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2 Nummer 172 im und außer Dienst untersagt ist."
11 3. Das mit den Anschuldigungspunkten 1 bis 3 sachgleiche Strafverfahren wurde im März 2021 endgültig (nach § 153 Abs. 2 StPO) eingestellt. Bei dem zum Anschuldigungspunkt 4 geführten Ermittlungsverfahren wurde von einer Verfolgung im September 2020 gemäß § 31a Abs. 1 BtMG abgesehen.
12 4. Das Truppendienstgericht hat dem früheren Soldaten unter Ausklammerung des Anschuldigungspunktes 4 mit Urteil vom 1. August 2019 das Ruhegehalt aberkannt.
13 Er selbst habe die Abwesenheit an den angeschuldigten Tagen nicht bestritten. Seine Einlassung, er sei in jenen Zeiträumen erkrankt gewesen, entlaste ihn nicht, da er sich nach der nachvollziehbaren Darstellung des Sachverständigen Dr. C. nicht im Zustand der Schuldunfähigkeit befunden habe. Er habe nach eigener Einlassung auch gewusst, dass eine von einem zivilen Arzt erstellte Dienstunfähigkeitsbescheinigung ihn nicht zur Abwesenheit berechtige, sondern dafür eine Entscheidung vor allem des Disziplinarvorgesetzten erforderlich sei. Der frühere Soldat habe durch sein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst vorsätzlich gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) verstoßen, welche auch die Verpflichtung zur Loyalität der Rechtsordnung gegenüber einschließe. Gegen sie habe er auch verstoßen, weil er zugleich den Wehrstraftatbestand des § 15 Abs. 1 WStG verwirklicht habe. Außerdem habe er gegen seine Gehorsamspflicht gemäß § 11 Abs. 1 SG verstoßen. Er habe sich entgegen der Weisung des Oberfeldarztes Dr. B. am 31. August 2016 nicht im ...zentrum ... wieder vorgestellt. Aus allem folge auch ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei bei einer wie hier länger dauernden und wiederholt eigenmächtigen Abwesenheit die Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Erschwerend komme hinzu, dass sich das Fernbleiben auf knapp 80 Tage erstrecke, der frühere Soldat in einem Vorgesetztenverhältnis gestanden habe, er ohne Gegenleistung zunächst weiter alimentiert worden sei und er eigennützige Beweggründe gehabt habe. Für ihn spreche auch keine verminderte Schuldfähigkeit. Sie sei nach dem Sachverständigengutachten mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich an einigen, nicht mehr näher bestimmbaren Tagen erheblich vermindert gewesen. Auch von einer seelischen Ausnahmesituation sei allenfalls teilweise auszugehen.
14 5. Zur Begründung seiner unbeschränkt eingelegten Berufung trägt der frühere Soldat im Wesentlichen vor, er habe zwar in den angeschuldigten Zeiträumen keinen Dienst geleistet; sei aber aufgrund seiner HIV-Infektion und einer Persönlichkeits- und Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion dienstunfähig erkrankt gewesen. Dies könne der ihn psychotherapeutisch behandelnde Dr. D. bezeugen. Zudem habe er nicht schuldhaft gehandelt. Die gegenteilige Auffassung des Sachverständigen Dr. C. überzeuge nicht. Das Truppendienstgericht hätte zumindest eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit insbesondere am 18. August 2016 annehmen müssen. Darüber hinaus habe er sich in einer seelischen Ausnahmesituation befunden und unter der langen Verfahrensdauer gelitten.
15 6. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der Zeugenaussagen und der in das Verfahren eingeführten Urkunden auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.
II
16 Die zulässige Berufung des früheren Soldaten ist unbegründet. Da sie unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat mangels Verfahrenshindernissen im Rahmen der Anschuldigung und wegen des Fehlens von Zurückverweisungsgründen (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - Rn. 14 ff.) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (1.), diese rechtlich zu würdigen (2.) und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (3.).
17 1. Zur Überzeugung des Senats steht in tatsächlicher Hinsicht fest:
18 a) Objektiv ist der frühere Soldat in den unter den Anschuldigungspunkten 1 und 2 genannten Zeiträumen dem Dienst unerlaubt ferngeblieben, weil keine förmlichen Entscheidungen des Disziplinarvorgesetzten vorlagen, die allein den früheren Soldaten von der Dienstleistung entbunden hätten. Erst durch sie entfällt die Verpflichtung zum Erscheinen am Dienstort und zur Dienstleistung (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 ff. Rn. 24 sowie vom 2. Dezember 1986 - 2 WD 48.85 - BVerwGE 83, 265); etwaige ärztliche Atteste - gleichviel ob solche der Truppenärzte oder ziviler Ärzte - über eine Dienstunfähigkeit ändern an dem Unerlaubtsein nichts. Weder hat der frühere Soldat das Vorliegen entsprechender Erlaubnisse seines seinerzeitigen Disziplinarvorgesetzten behauptet noch sind sie aktenkundig. Auch der Disziplinarvorgesetzte hat sie ausdrücklich in Abrede gestellt. Dem entspricht, dass er für die Abwesenheitszeiträume nachträglich gestellte Urlaubsanträge abgelehnt hat (zu nachträglichen Genehmigungen: BVerwG, Urteil vom 12. April 2000 - 1 D 12.99 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 20, S. 17 = juris Rn. 22 und 27).
19 Etwas anderes gilt teilweise für den unter Anschuldigungspunkt 3 beschriebenen Zeitraum (28. September bis 11. Oktober 2016). Zwar steht aktenkundig und auch hier aufgrund der Einlassungen des früheren Soldaten fest, dass dieser keinen Dienst geleistet hat; jedoch ergeben sich aus der Gesprächsnotiz des Oberfeldarztes Dr. B. vom 29. September 2016 vernünftige Zweifel daran, dass die Abwesenheit durchgehend ohne Genehmigung des Disziplinarvorgesetzten erfolgt wäre. Denn der Gesprächsnotiz lässt sich nicht nur entnehmen, dass der frühere Soldat vom 28. September bis Anfang Oktober 2016 "krank zu Hause" geschrieben wurde, sondern auch, dass Dr. B. mit dessen Disziplinarvorgesetzten, Hauptmann A., telefoniert und mit diesem eine Vorlage KMS und kzH bis Beginn Wiedereingliederung "vereinbart" hatte. Demzufolge ist der Disziplinarvorgesetzte der Einschätzung des zuständigen Truppenarztes gefolgt und hat die Abwesenheit des früheren Soldaten vom Dienst genehmigt. Die Genehmigung endete jedoch am 4. Oktober 2016. Denn der Disziplinarvorgesetzte hatte dem früheren Soldaten mit E-Mail vom 30. September 2016 ausdrücklich befohlen, an diesem Tag seinen Dienst wiederaufzunehmen. Dem Dienst blieb der frühere Soldat aber bis zum 11. Oktober 2016 fern.
20 b) Zudem steht fest, dass sich der frühere Soldat - wie ebenfalls unter Anschuldigungspunkt 2 angeschuldigt - am 31. August 2016 nicht bei dem ...zentrum ... vorgestellt hat, obwohl Oberfeldarzt Dr. B. ihn am 18. August 2016 dazu aufgefordert hatte. Dies folgt aus den Akten und ist vom früheren Soldaten auch nicht in Abrede gestellt worden.
21 c) Der subjektive Tatbestand ist ebenfalls erfüllt. Der frühere Soldat handelte jeweils vorsätzlich, weil er dem Dienst willentlich fernblieb und von den Umständen wusste, die das Fernbleiben unerlaubt werden ließen; namentlich vom Erfordernis einer förmlichen Genehmigung durch den Disziplinarvorgesetzten wusste er, wie er bereits erstinstanzlich eingeräumt hat.
22 d) Der frühere Soldat war zu den Tatzeitpunkten schuldfähig.
23 aa) Ob die Schuldfähigkeit zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder - was auf der unter 3.) dargelegten Zumessungsstufe erst bedeutsam wird - im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, unterliegt einer mehrstufigen Prüfung (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 <984> Rn. 30). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Dabei fällt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung nur dann unter das vierte Merkmal des § 20 StGB der - wie es seit dem Sechzigsten Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. November 2020 (BGBl. I Bl. 2600) seit dem 1. Januar 2021 heißt - "schweren anderen seelischen Störung", wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (BVerwG, Urteile vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - Rn. 51 und vom 16. Februar 2017 - 2 WD 14.16 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 53 Rn. 34 sowie BGH, Urteile vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07 - juris Rn. 7 m.w.N, vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 - juris Rn. 28 und vom 25. Oktober 2017 - 5 StR 72/17 - juris Rn. 19). Die Störung muss nach ihrem Ausprägungsgrad Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit haben, also im Alltag und auch außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens geführt haben. Denn nur dann ist anzunehmen, dass nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was auch bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und oft Ursache für strafbares Verhalten ist (Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, Tendenz zu Streitereien und Impulsivität, vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - juris Rn. 32 sowie BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 - 4 StR 161/16 - StV 2017, 588 - Rn. 18 ff.). Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die psychopathologischen Verhaltensmuster muss seine psychische Funktionsfähigkeit bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Auch wenn der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen ist, handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit gleichwohl um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Das gilt besonders dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es etwa bei einer Persönlichkeitsstörung der Fall ist (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 1 StR 285/16 - juris Rn. 7 ff.)
24 bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht auf der Grundlage des von Dr. C. abgegebenen und verwertbaren (1.), wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden Sachverständigengutachtens (2.) zur Überzeugung des Senats fest, dass während der Tatzeiträume die Schuldfähigkeit des früheren Soldaten nicht vollständig ausgeschlossen war (3).
25 (1) Die Erkenntnisse des Sachverständigen Dr. C. dürfen verwertet werden. Dem steht nicht entgegen, dass er bereits im gegen den früheren Soldaten geführten Strafverfahren ein Sachverständigengutachten erstellt hat. Die Gründe für die Ablehnung eines Sachverständigen ergeben sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 74 Abs. 1 i.V.m. § 22 Nr. 1 bis 5 StPO. Maßgeblich ist damit allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden betrachtet bei objektiver, vernünftiger und verständiger Würdigung ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheint (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, Rn. 1551 m.w.N.). Die Mitwirkung im Vorverfahren im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder Polizei ist für sich allein genommen kein Ablehnungsgrund (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2007 - 1 StR 331/07 - NStZ 2008, 50); desgleichen gilt, wenn der Sachverständige schon in einem früheren Strafverfahren gegen denselben Beschuldigten tätig war (Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, Rn. 1551a m.w.N.). Darüber hinausgehende Gründe, warum aus der Sicht des früheren Soldaten Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
26 (2) Das in der Berufungshauptverhandlung auch mündlich abgegebene Gutachten (BVerwG, Urteil vom 28. August 2014 - 2 WD 20.13 - Rn. 32 ff.) genügt den Anforderungen an die Verlässlichkeit und Überzeugungskraft eines solchen Gutachtens (BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - BGHSt 49, 347 ff. - juris Rn. 16 ff.). Ihm sind die tatsächlichen Grundlagen zu entnehmen, die der Senat für die Beantwortung der im Rahmen der Prüfung nach den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu stellenden Rechtsfragen benötigt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2014 - 2 WD 35.11 - juris Rn. 63 f.). Die Feststellungen des Sachverständigen beruhen auf der Auswertung der Straf- und Disziplinarakten, der testpsychologischen Zusatzuntersuchung durch Herrn Dipl.-Psych. E. und den ambulanten Begutachtungen am 5. August, 23. September und 6. Oktober 2017 einschließlich der Erkenntnisse, die in dessen Gutachtensergänzung Niederschlag gefunden haben. Der Gutachter ist Facharzt für Psychiatrie mit Schwerpunkt Forensische Psychiatrie und als früherer Leitender Oberarzt eines Bezirkskrankenhauses - einer forensisch-psychiatrischen Klinik und Maßregelvollzugseinrichtung - für die Begutachtung wissenschaftlich qualifiziert. Das Gutachten gibt den Inhalt der ausgewerteten Unterlagen und ausführlich auch die Angaben des Probanden - zu seiner Familie, seiner beruflichen Biografie und zum Tatvorwurf - wieder. Es erläutert die Befunde nach den angewandten wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und begründet damit die Diagnosen.
27 (3) Nach den nachvollziehbaren und plausiblen Darlegungen des Sachverständigen lag zu den Tatzeiträumen beim früheren Soldaten zwar eine kombinierte, durch histrionische und paranoide Anteile gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 61) und eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10: F43.21) vor. Dies entspricht den Diagnosen des den früheren Soldaten aktuell behandelnden (sachverständigen) Zeugen Dr. D.; auch er hat eine Anpassungs- und Persönlichkeitsstörung mit depressiven Anteilen festgestellt. Beide Störungen erreichten jedoch nicht die Qualität eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB in Form einer schweren anderen seelischen Störung (Terminologie zuvor: Abartigkeit), sodass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten in den angeschuldigten Zeiträumen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht vollständig aufgehoben war.
28 Dazu führte der Sachverständige aus, eine allein in Betracht zu ziehende Aufhebung der Steuerungsfähigkeit sei schon deshalb auszuschließen, weil der frühere Soldat zu den Tatzeiträumen noch durchaus in der Lage gewesen sei, komplexe Sachverhalte ausführlich zu formulieren und als E-Mail zu versenden, seinen Haushalt und seine Hunde zu versorgen und Arzttermine wahrzunehmen. Gegen eine Schuldunfähigkeit sprächen auch die Abstände zwischen den ärztlich vorgegebenen Wiedervorstellungen. Bei einer gravierenden und akuten Störung hätte es einer engmaschigen Wiedervorstellung bedurft. Es liege danach keine kontinuierlich fehlende Schuldunfähigkeit vor; allenfalls an bestimmten Tagen, etwa am 28. September 2016, sei eine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen. Dies könne der Fall gewesen sein, auch wenn konkrete Anhaltspunkte dafür nicht vorlägen. Schuldausschließende Auswirkungen der Medikamentation seien sehr unwahrscheinlich, weil der frühere Soldat die Medikamente bereits geraume Zeit vor den Tathandlungen eingenommen habe.
29 Diese Erläuterungen sind nachvollziehbar und plausibel. Die vom Sachverständigen zugrunde gelegten Umstände sind aktenkundig dokumentiert; dies betrifft insbesondere die Korrespondenz des früheren Soldaten mit seinem Disziplinarvorgesetzten, die eine offensive und reflektierte Interessenwahrnehmung mit taktischem Kalkül erkennen lässt.
30 Umstände und Diagnosen sprechen somit zur Überzeugung des Senats dagegen, dass insbesondere die Anpassungsstörung einen Ausprägungsgrad erreichte, der die soziale Anpassungsfähigkeit des früheren Soldaten auch außerhalb des angeschuldigten Verhaltens eingeschränkt hätte. Letzteres wäre - wie eingangs dargestellt - erforderlich, um das vierte Eignungsmerkmal des § 20 StGB bejahen zu können (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - Rn. 51 ff. - NVwZ-RR 2021, 493 <Leitsatz>). Die Aussagen des sachverständigen Zeugen Dr. D. stellen die Richtigkeit dessen auch nicht infrage. Seine Einschätzung bezog sich auf das Jahr 2017 und betraf die Dienstfähigkeit; den emotionalen Zusammenbruch hat er zudem erst auf den Zeitpunkt datiert, zu dem der frühere Soldat von seinem verwaisten Arbeitsplatz Kenntnis erlangte.
31 2. Der frühere Soldat hat damit nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen.
32 a) Durch sein unerlaubtes Fernbleiben hat er die nach § 7 SG bestehende Pflicht zum treuen Dienen vorsätzlich verletzt. Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten, deren Verletzung von erheblicher Bedeutung ist. Ein Soldat, der der Truppe unerlaubt fernbleibt, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten. Die Bundeswehr kann die ihr obliegenden Aufgaben nur dann erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2015 - 2 WD 13.14 - juris Rn. 25 m.w.N.).
33 b) Zugleich hat er damit nach § 15 Abs. 1 WStG vorsätzlich und wiederholt eine Straftat verwirklicht und auch dadurch gegen die Pflicht zum treuen Dienen verstoßen, da diese auch die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Beachtung der Strafgesetze, einschließt (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 2 WD 1.11 - Rn. 50 ff.). Diese Loyalitätspflicht verletzte der frühere Soldat, weil das Fernbleiben vom Dienst weit über drei Tage hinaus zugleich den Wehrstraftatbestand der eigenmächtigen Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) erfüllte (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 22).
34 c) Obgleich sich der frühere Soldat am 31. August 2016 nicht bei dem ...zentrum ... gemeldet hat, begründet dies keinen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht nach § 11 Abs. 1 SG. Ein Befehl ist gemäß § 2 Nr. 2 WStG eine Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein militärischer Vorgesetzter einem Untergebenen schriftlich, mündlich oder in anderer Weise, allgemein oder für den Einzelfall und mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt. Auch wenn dafür nicht die Verwendung des Wortes "Befehl" ausschlaggebend ist (BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 40), fehlt es dem Senat an der für die Annahme eines Befehls erforderlichen Überzeugungsgewissheit. Denn die Eintragung im Krankenmeldeschein und die Funktion des Datums innerhalb desselben besteht auch schlicht darin, nur die Dauer der Dienstunfähigkeit bis zum Wiedervorstellungstermin zu befristen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - juris Rn. 18, insoweit nicht veröffentlicht in: BVerwGE 166, 189). Ob die Anschuldigungsschrift darüber hinaus auch den Vorwurf einschließt, der frühere Soldat habe damit zumindest eine Weisung nicht befolgt und dadurch jedenfalls gegen § 7 SG verstoßen (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2021 - 2 WD 16.20 - Rn. 28), kann dahingestellt bleiben. Denn die Schwere des Dienstvergehens wird dadurch nicht mehr in einer die Zumessungsentscheidung bedeutsamen Weise beeinflusst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 2 WD 20.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 51).
35 d) Der frühere Soldat hat zudem vorsätzlich auch gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen, weil seinem Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines solchen Verstoßes reicht aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 - 2 WD 3.17 - juris Rn. 50). Dies ist der Fall, zumal das Verhalten des früheren Soldaten in der Einheit und in der Öffentlichkeit publik geworden ist.
36 3. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde. Es führt dazu, dass dem früheren Soldaten gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO das Ruhegehalt abzuerkennen und die Berufung somit zurückzuweisen ist. Denn wegen des Dienstvergehens wäre gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 WDO ein aktiver Soldat aus dem Dienstverhältnis entfernt worden. Da bereits die festgestellten Pflichtverletzungen nach der Höchstmaßnahme verlangen, brauchte der Anschuldigungspunkt 4 (zum Rauschgiftkonsum: BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2021 - 2 WD 16.20 - Rn. 26) nicht nach § 107 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 2 WDO wieder einbezogen zu werden.
37 a) Auf der ersten Stufe ist zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu bestimmen.
38 Für Fälle des vorsätzlichen eigenmächtigen Fernbleibens eines Soldaten von der Truppe ist dies bei kürzerer unerlaubter Abwesenheit grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung; bei länger dauernder, wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht wiegt das Dienstvergehen so schwer, dass es regelmäßig die Höchstmaßnahme indiziert (BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2020 - 2 WD 16.19 - juris Rn. 13 m.w.N.). Danach bildet Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme, weil der frühere Soldat drei Mal und somit wiederholt dem Dienst unerlaubt ferngeblieben ist.
39 b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die genannten Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme - soweit möglich - nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 31). Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 - 2 WD 25.18 - juris Rn. 19 m.w.N.), liegt bei Abwägung aller be- und entlastenden Umstände kein minderschwerer Fall vor. Vielmehr könnte dem früheren Soldaten, wäre er noch im Dienst, objektiv betrachtet das notwendige Vertrauen in die ordnungsgemäße Pflichterfüllung nicht mehr entgegengebracht werden (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - Buchholz 449 § 46 SG Nr. 23 Rn. 28 m.w.N.).
40 aa) Zu den für den früheren Soldaten sprechenden Umständen gehört, dass er ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des zivilen Arztes Dr. F. (u.a.) während des unter Anschuldigungspunkt 1 beschriebenen Zeitraums jedenfalls vom 11. bis zum 31. Juli 2016 dienstunfähig gewesen sein soll. Bedenken, die sich daraus ergeben, dass der frühere Soldat in einem Beschwerdeschreiben (vom 7. September 2016) ausgeführt hat, sich verwendungsfähig gefühlt und dies auch Ärzten und Vorgesetzten gegenüber geäußert zu haben, stellt der Senat nach dem Grundsatz in dubio pro reo zurück. Für die sonstigen Tatzeiträume fehlt es indes an entsprechenden Bescheinigungen, insbesondere dazu, dass der frühere Soldat außerstande gewesen wäre, den Oberfeldarzt (a.D.) Dr. B. oder Oberfeldarzt Dr. G. in ... aufzusuchen, die für ihn im maßgeblichen Zeitraum nacheinander kraft ausdrücklichen Befehls die ausschließlich zuständigen Truppenärzte waren. Beide Ärzte haben zudem erstinstanzlich ausgesagt, dass die Gesundheitsakte des früheren Soldaten keinen Anhaltspunkt für eine Reise- oder Transportunfähigkeit enthalte. Dem entspricht, dass sich dieser in der Berufungshauptverhandlung selbst dahingehend eingelassen hat, sich bei einem Anruf der Feldjäger mit den Hunden etwa zwei Autostunden entfernt von seiner Wohnung aufgehalten zu haben. Der frühere Soldat kann sich somit auch nicht darauf berufen, dass die 2016 in Auflösung begriffene (Bundeswehr-)Arztgruppe ... nicht durchgehend besetzt gewesen wäre.
41 bb) Für den früheren Soldaten spricht des Weiteren, dass er sich in einem Auslandseinsatz bewährt und 2012 eine Leistungsprämie erhalten hat. Im Übrigen liegen die förmlichen Anerkennungen zu lange zurück, um noch von besonderem Gewicht zu sein. Darüber hinaus hat der frühere Soldat zwar zunächst ordentliche dienstliche Leistungen erbracht; nach Aussage seines letzten Disziplinarvorgesetzten waren sie zum Ende seiner Dienstzeit aber nur noch "durchwachsen".
42 Am Wahrheitsgehalt dieser Aussage sowie sonstiger Aussagen des Disziplinarvorgesetzten zu zweifeln besteht für den Senat auch nicht etwa deshalb Anlass, weil der frühere Soldat diesen des sexuellen Übergriffs bezichtigt hat. Die Beschuldigung erfolgte erstmals und ohne weitere Begründung in der Berufungshauptverhandlung. Auch den ihn seit Jahren behandelnden Therapeuten Dr. D. hat der frühere Soldat erst in der vorletzten Sitzung über einen angeblichen sexuellen Missbrauch informiert, ohne dies zu präzisieren. Wegen dieses Kontextes, wegen der Persönlichkeit des früheren Soldaten, der seine Interessen in der Vergangenheit unnachgiebig durchzusetzen versuchte, und wegen der überzeugend empörten Reaktion des Disziplinarvorgesetzten hält der Senat die Behauptung des früheren Soldaten deshalb für unglaubhaft.
43 cc) Einsicht und Reue hat der frühere Soldat nicht gezeigt, sodass sie nicht mildernd berücksichtigt werden können. Dieses Verhalten bildet jedoch auch keinen nachteiligen Umstand (BVerwG, Urteile vom 2. Juli 2020 - 2 WD 9.19 - juris Rn. 39 und vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - juris Rn. 36).
44 dd) Es liegt auch kein Mitverschulden von Vorgesetzten in Form mangelhafter Dienstaufsicht vor. Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (BVerwG, Urteil vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 62 Rn. 31 m.w.N.). Es bedurfte keines hilfreichen Eingreifens der Dienstaufsicht, damit der als stellvertretende Kompaniechef eingesetzte frühere Soldat erkennen konnte, zum Dienst erscheinen zu müssen, solange ihn sein Disziplinarvorgesetzter von der Dienstleistungspflicht nicht entbunden hatte.
45 ee) Eine zugunsten des früheren Soldaten wirkende Fürsorgepflichtverletzung des Dienstherrn liegt ebenfalls nicht vor. Vielmehr folgt aus den auch aktenkundig dokumentierten Aussagen der behandelnden Truppenärzte Dr. B. und Dr. G. und der Aussagen seines Disziplinarvorgesetzten A., dass erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, dem früheren Soldaten eine Rückkehr in den Dienst zu ermöglichen. Dokumentiert wird dies vor allem durch die Einberufung eines "Runden Tisches" am 30. Juni 2016. Dass dies nicht zur Zufriedenheit des früheren Soldaten gelang und dabei insbesondere nicht die nach seiner Rechtsauffassung hinzuzuziehenden Personen beteiligt wurden, begründete weder eine Fürsorgepflichtverletzung noch rechtfertigte es, dem Dienst fernzubleiben; daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem früheren Soldaten die Dienstausübung durch den Entzug des Führerscheins Ende 2015 im Jahr 2016 erheblich erschwert war.
46 ff) Kein Verweigerungsrecht zur Diensterbringung steht einem Soldaten auch zu, wenn er sich auf seinem Dienstposten unterfordert glaubt wie der frühere Soldat dies bereits erstinstanzlich betont hat ("... das Gegenteil zu Burnout"). Vielmehr hat er die ihm übertragenen Aufgaben auch dann zu erfüllen, wenn er dadurch deutlich weniger gefordert wird als bisher oder er die Sinnhaftigkeit der Aufgabenerledigung nicht zu erkennen vermag. Mit Phasen geringerer Arbeitszufriedenheit muss jeder Angehörige des öffentlichen Dienstes rechnen. Diese Umstände begründen keine außergewöhnlichen, das Fernbleiben vom Dienst rechtfertigenden Gründe (BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2015 - 2 WD 2.14 - juris Rn. 43), sondern sind mit Rechtsbehelfen auf amtsangemessene Beschäftigung abzuwehren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2019 - 2 B 56.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 70 Rn. 11).
47 gg) Mobbinghandlungen lagen nicht vor (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - Buchholz 449 § 46 SG Nr. 23 Rn. 26). Bei realistischer Einschätzung dienstlicher Notwendigkeiten bestand für den Kompaniechef ein sachlicher Anlass, den durch lange krankheitsbedingte Abwesenheitsphasen verwaisten Arbeitsplatz des früheren Soldaten nicht in der bisherigen Form beizubehalten und diesen nicht mehr fest einzuplanen. Ob personalführungstechnisch eine Spannungsversetzung des früheren Soldaten zur Entschärfung des zwischen ihm und namentlich seines Disziplinarvorgesetzten bestehenden Konflikts eher angezeigt gewesen wäre, anstelle den früheren Soldaten entgegen medizinischer Expertise und um ihn aus "der Schusslinie (zu) nehmen", krankzuschreiben - so die erstinstanzliche Aussage des Oberfeldarzt Dr. G. -, braucht nicht entschieden zu werden. Denn eine außergewöhnliche situationsbedingte Erschwernis durch systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren lag objektiv nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 92); ebenso wenig ist festzustellen, dass der Dienstherr unter Verletzung seiner Fürsorgepflicht zu spät Disziplinarmaßnahmen ergriffen hat (BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 102).
48 gg) Zugunsten des früheren Soldaten ist für den 28. September 2016 und 11. Oktober 2016 von einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB auszugehen.
49 Am 28. September 2016 war der frühere Soldat zunächst zum Dienst erschienen, hatte ihn jedoch nicht mehr fortgesetzt, nachdem er einen veränderten Arbeitsplatz festgestellt und sich nicht mehr auf dem Dienstplan gefunden hatte. Das mit diesem Tag verbundene Erleben hat der sachverständige Zeuge Dr. D. als Zeitpunkt angegeben, zu dem es bei dem früheren Soldaten zu einem "emotionalen Crash" gekommen sei. Auch wenn der Sachverständige Dr. C. dazu ausgeführt hat, für diesen Tag bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Diagnose, veranlasst dessen weitere Feststellung, für einige Abwesenheitstage könne er eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit des früheren Soldaten nicht ausschließen, für diesen Tag an dessen uneingeschränkter Schuldfähigkeit zu zweifeln. Mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten führen sie in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo dazu, zugunsten des früheren Soldaten für diesen Tag eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB anzunehmen. Denn entlastende Umstände sind nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind (BVerwG, Urteile vom 19. Juni 2019 - 2 WD 21.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 65 Rn. 32 und vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - juris Rn. 32 und BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 4 StR 141/06 - NStZ-RR 2006, 335 ff. - juris Rn. 11). Aus demselben Grund ist auch für den 11. Oktober 2016 eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit anzunehmen. Denn an diesem Tag kam es bei dem früheren Soldaten zu dem auch im Sachverständigengutachten beschriebenen schweren psychischen Zusammenbruch (Seite 52 des Gutachtens), der seinerzeit Oberfeldarzt Dr. G. zur Diagnose veranlasste, der frühere Soldat sei vernehmungsunfähig. Auch der Sachverständige hat bereits erstinstanzlich erklärt, etwa an diesem Tag könne die Schuldfähigkeit vermindert gewesen sein.
50 Das Vorliegen dieses Schuldmilderungsgrundes verbietet, für diese Tage zusätzlich noch den Milderungsgrund des Handelns in einer seelischen Ausnahmesituation (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 62 Rn. 28 und vom 8. Oktober 2020 - 2 WD 22.19 - juris Rn. 30), anzuerkennen, weil dies zur doppelten Berücksichtigung eines in der Sache nur einmal vorliegenden Milderungsgrundes führte (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 - 2 WD 25.18 - juris Rn. 22 m.w.N.). Unberührt davon hat der Senat die Belastungen eingestellt, die beim früheren Soldaten kontinuierlich wegen seiner psychischen und physischen Erkrankungen, unter anderem einer HIV-Infektion, bestanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 1 SG Nr. 3 Rn. 84).
51 hh) Die für den früheren Soldaten sprechenden Umstände und insbesondere seine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit an zwei Tagen führen jedoch nicht dazu, vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen abzuweichen.
52 (1) Im Disziplinarrecht indiziert eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit zwar regelmäßig eine - vergleichbar zur Strafrahmenverschiebung (BGH, Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 100/09 - Rn. 10) - mildere Disziplinarmaßnahme (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 - 2 WD 21.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 65 Rn 35); eine Milderung ist jedoch nicht obligatorisch. Sie steht vielmehr nach dem Wortlaut des insoweit maßgeblichen § 21 StGB ("kann") verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1978 - 1 BvR 983/78 - BVerfGE 50, 5 Rn. 15 ff.) im gerichtlichen Ermessen. Denn der Schuldgehalt einer Tat richtet sich nicht allein nach dem Grad der Schuldfähigkeit des Täters, sondern nach den gesamten Umständen (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1978 - 1 BvR 983/78 - BVerfGE 50, 5 ff. Rn. 16). Eine nach § 21 StGB geringere Schuld kann somit durch anderweitige schulderhöhende Momente kompensiert werden (BGH, Beschluss vom 25. März 2014 - 1 StR 65/14 - NStZ-RR 2014, 238 <239>), auch wenn schuldindifferente Faktoren, insbesondere Präventionserwägungen, außen vor zu bleiben haben. Auch muss der gegen die Milderung sprechende Grund umso gewichtiger sein, je gravierender sich auswirkt, dass an der Regelmaßnahme festgehalten wird (BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17 - NStZ 2018, 273 Rn. 40 und 42). Danach liegen zahlreiche erschwerende Umstände vor, die auch angesichts der Höchstmaßnahme insbesondere der erheblich verminderten Schuldfähigkeit ihr milderndes Gewicht nehmen:
53 (2) Dazu zählt zum einen, dass der klassische Milderungsgrund des § 21 StGB nur für zwei Tage vorlag, sodass er wegen des Gesamtabwesenheitszeitraums von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - 4 StR 176/04 - juris Rn. 10). Zum anderen war der Gesamtabwesenheitszeitraum extrem lang. Denn der Abwesenheitszeitraum reicht weit über den Zeitraum eines regulären Jahresurlaubs hinaus (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 30).
54 (3) Erschwerend tritt hinzu, dass der frühere Soldat in keinem Fall freiwillig in den Dienst zurückgekehrt ist (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1993 - 2 WD 33.92 - juris Rn. 4). Vielmehr mussten seinetwegen stetig und aufwändig die Feldjäger zum Einsatz gebracht werden, womit er besondere Renitenz und einen Charakter- und Persönlichkeitsmangel bewies, dem im Disziplinarrecht besondere Bedeutung zukommt (BVerwG, Urteil vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101). Dass er damit auch wehrstrafrechtlich in Erscheinung trat, hielt ihn nicht ab.
55 (4) Die Auswirkungen der Pflichtverletzungen waren weitaus massiver als in sonstigen Fällen unerlaubten Fernbleibens. Die Feldjägereinsätze wurden in der Wohnumgebung des früheren Soldaten und somit nicht nur in der Einheit, sondern auch in der Öffentlichkeit bekannt. Zudem war der frühere Soldat nicht nur Vorgesetzter (§ 1o SG) und Offizier, sondern auch stellvertretender Kompaniechef einer Ausbildungseinheit, womit er den dortigen Rekruten ein denkbar schlechtes Beispiel an Pflichterfüllung gab.
56 c) Da die Höchstmaßnahme zu verhängen war, erlangt eine etwaige verfassungs- und konventionswidrige Überlänge des Disziplinarverfahrens keine rechtliche Bedeutung mehr (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - Buchholz 449 § 46 SG Nr. 23 Rn. 28 m.w.N.).
57 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.