Verfahrensinformation
Der Kläger betreibt ein Weingut in der Pfalz. Er möchte seine Weine auf den Etiketten gerne mit (französisch:) "Réserve" bzw. "Grande Réserve", hilfsweise mit (deutsch:) "Reserve" bzw. "Privat-Reserve" kennzeichnen. Dies soll eine hauseigene Qualitätseinstufung dokumentieren. Der Beklagte hat das untersagt, weil es irreführend sei, jedenfalls aber weil es sich um eine unzulässige Nachahmung geschützter ausländischer Weinbezeichnungen handele. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Frage der Irreführung offen gelassen. Es liege jedenfalls eine unzulässige Nachahmung geschützter ausländischer Weinbezeichnungen vor. In Portugal, Spanien, Italien und Griechenland seien die mit "Reserve" vergleichbaren Bezeichnungen in der jeweiligen Landessprache als sog. traditionelle Begriffe durch europäisches Gemeinschaftsrecht gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung geschützt. Die Verwendung in französischer oder deutscher Sprache (Übersetzung) stelle aber eine Nachahmung der jeweiligen landessprachlichen Bezeichnung dar. Mit seiner Revision beruft sich der Kläger darauf, dass die Bezeichnung "Réserve" bzw. "Reserve" in Frankreich und in Österreich nicht geschützt, aber gleichwohl zulässig sei.
Pressemitteilung Nr. 16/2006 vom 16.03.2006
Darf ein deutscher Wein als "Réserve" bezeichnet werden? Bundesverwaltungsgericht ruft den Europäischen Gerichtshof an
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom heutigen Tage mehrere Fragen zur Auslegung des europäischen Weinbezeichnungsrechts vorgelegt. Es geht darum zu klären, ob ein Wein aus Deutschland als "Réserve" oder "Grande Réserve" bezeichnet werden darf oder ob damit vergleichbare geschützte Bezeichnungen aus anderen Mitgliedstaaten der EG verletzt werden.
Der Kläger, ein Winzer aus der Pfalz, möchte seine Weine mit (französisch) "Réserve" oder "Grande Réserve", hilfsweise mit (deutsch) "Reserve" oder "Privat-Reserve" bezeichnen und so auf eine besondere Qualität der Weine hinweisen. Die beklagte Aufsichtsbehörde hält das für unzulässig. Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, es würden geschützte Weinbezeichnungen aus anderen Mitgliedstaaten der EG verletzt. Der Kläger ahme nämlich vergleichbare Bezeichnungen aus Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Österreich nach, die unter besonderem Schutz stehen. Dagegen hat das Oberverwaltungsgericht offen gelassen, ob die beabsichtigte Weinbezeichnung schon deshalb unzulässig sei, weil der Verbraucher irregeführt werde.
Mit seiner Revision hat der Kläger geltend gemacht, die ausländischen Bezeichnungen seien nur in der jeweiligen Landessprache geschützt. Die französischen Bezeichnungen seien nicht geschützt und stünden ihm daher offen. Hierzu hat sich der Kläger auf eine Stellungnahme der EG-Kommission berufen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob dem zu folgen ist.
Außerdem hat das Bundesverwaltungsgericht den Europäischen Gerichtshof gefragt, ob der Schutz ausländischer Weinbezeichnungen Verbotswirkungen für inländische Weine entfalte. Die Bezeichnung "Reserve" werde geschützt, wenn sie sich in der Weinbaukultur eines Landes über zehn Jahre herausgebildet habe. Dann stelle sich aber die Frage, ob die Unterschutzstellung einer solchen gewachsenen Weinbezeichnung dazu führen könne, dass die Herausbildung einer vergleichbaren Bezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat blockiert werde. Das sei wegen der identischen Landessprache vor allem im Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland von Bedeutung.
BVerwG 3 C 16.05 - Beschluss vom 16.03.2006
Beschluss vom 29.03.2005 -
BVerwG 3 B 127.04ECLI:DE:BVerwG:2005:290305B3B127.04.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 29.03.2005 - 3 B 127.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:290305B3B127.04.0]
Beschluss
BVerwG 3 B 127.04
- OVG Rheinland-Pfalz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04.OVG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. März 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
- Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 21. September 2004 wird aufgehoben.
- Die Revision wird zugelassen.
- Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Die Beschwerde hat Erfolg. Der Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Revision führt auf die Frage, ob Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 (ABl Nr. L 118/1) die in Anhang III aufgeführten traditionellen Begriffe gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung nur in der Sprache des jeweiligen Mitgliedstaates oder auch in deutscher Übersetzung oder Übertragung schützt.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 3 C 16.05 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.
Beschluss vom 16.03.2006 -
BVerwG 3 C 16.05ECLI:DE:BVerwG:2006:160306B3C16.05.0
Leitsätze:
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine Angabe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung oder auf die Qualität des Weins bezieht, nur als geregelte Angabe zulässig ist.
Der Europäische Gerichtshof wird ferner gefragt, ob eine widerrechtliche Nachahmung einer geschützten Weinbezeichnung nur dann vorliegt, wenn sie in der Sprache des geschützten Begriffs erfolgt.
Der Europäische Gerichtshof wird schließlich gefragt, ob die vom Gemeinschaftsrecht geschützten traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen geschützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat stammen wie der geschützte traditionelle Begriff.
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Rechtsquellen
VO (EG) Nr. 1493/1999 Art. 47 VO (EG) Nr. 753/2002 Art. 23 VO (EG) Nr. 753/2002 Art. 24 -
Instanzenzug
OVG Koblenz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04 -
OVG Rheinland-Pfalz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04.OVG
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 16.03.2006 - 3 C 16.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:160306B3C16.05.0]
Beschluss
BVerwG 3 C 16.05
- OVG Koblenz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04 -
- OVG Rheinland-Pfalz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04.OVG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
- Das Verfahren wird ausgesetzt.
- Dem Europäischen Gerichtshof werden die folgenden Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1215/2005 zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1. Sind Art. 47 Abs. 2 Buchstaben b und c in Verbindung mit Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich, Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen, dass eine Angabe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung bzw. auf die Qualität des Weins bezieht, nur als geregelte fakultative Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unter den dort und in Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 vorgesehenen Voraussetzungen und nicht als andere Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 zulässig ist?
- 2. Ist Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen, dass eine widerrechtliche Nachahmung oder Anspielung nur dann vorliegt, wenn sie in derselben Sprache des geschützten traditionellen Begriffs erfolgt?
- 3. Ist Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen, dass die in Anhang III aufgeführten traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen geschützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat stammen wie der geschützte traditionelle Begriff?
Gründe
I
1 Der Kläger ist Inhaber eines Weinguts in der Pfalz, das mit der Firmenbezeichnung „Consulat des Weins“ im Handelsregister eingetragen ist.
2 Bei einer Überprüfung im November 2002 wurde festgestellt, dass der Kläger acht Weine herstellte, die er wie folgt etikettierte: Die Hauptetiketten trugen in der oberen Hälfte in großen Blockbuchstaben die Firmenbezeichnung „Consulat des Weins“ und darunter in etwas kleinerem Format die Angabe „Grande Réserve“ für zwei Weine der gehobenen, „Réserve“ für vier Weine der mittleren und „Terroir“ bzw. „Terroir Palatinat“ für zwei Weine der niedrigeren Preisklasse. Auf den Rücketiketten aller Weine wollte der Kläger u.a. die Qualitätsstufe der Weine („Qualitätswein“), das Anbaugebiet („Pfalz“) sowie die jeweilige amtliche Prüf- und Abfüller-Nummer angeben.
3 Mit Bescheid der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier vom 19. Dezember 2002 untersagte der Beklagte dem Kläger, Weine mit der Angabe „Consulat des Weins - Réserve“ bzw. „Réserve“ und „Consulat des Weins - Grande Réserve“ bzw. „Grande Réserve“ zu bezeichnen und in den Verkehr zu bringen. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, die Verwendung der beanstandeten Angaben sei irreführend und deshalb unzulässig. Mit seinem Widerspruch erklärte sich der Kläger bereit, gegebenenfalls auf die Verwendung der französischen Begriffe „Réserve“ und „Grande Réserve“ zugunsten der deutschen Bezeichnungen „Reserve“ und „Privat-Reserve“ zu verzichten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2003 zurück. Mit weiterem Schreiben vom 21. Mai 2003 erklärte er, dass er auch die Bezeichnung „Privat-Reserve“ für unzulässig halte.
4 Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Untersagungsverfügung sowie die Feststellung, dass die Verwendung der Bezeichnung „Reserve“ und „Privat-Reserve“ in Verbindung mit der Bezeichnung „Consulat des Weins“ und in Alleinstellung zulässig ist.
5 Das Verwaltungsgericht Neustadt a.d.W. hat die Klage mit Urteil vom 29. Januar 2004 abgewiesen. Die umstrittenen Weinbezeichnungen seien unzulässig. Sie ähnelten auch in französischer oder deutscher Schreibung geschützten spanischen, italienischen und portugiesischen Bezeichnungen so sehr, dass von einer verbotenen Nachahmung gesprochen werden müsse. Hinzu komme ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot.
6 Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Weinbezeichnungsrecht behalte die traditionellen spanischen bzw. portugiesischen, italienischen und französischen Begriffe „Reserva/Gran Reserva“ bzw. „Riserva/Gran Riserva“ oder „Réserve/Grande Réserve“ den spanischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Weinen vor, mit denen sie verbunden seien, und schütze sie gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung. Die vom Kläger verwendeten oder beabsichtigten Bezeichnungen stellten bei Alleinstellung eine derartige Nachahmung, bei Verwendung zusammen mit der Firmenbezeichnung „Consulat des Weins“ jedenfalls eine Anspielung dar. Hierfür bedürfe es keiner Wortidentität; unzulässig seien auch ähnliche Begriffe, selbst solche in anderer, hier der deutschen Sprache. Dass die Bezeichnungen des Klägers zwischenzeitlich als Marken eingetragen seien, ändere nichts; auch Marken mit traditionellen Bezeichnungen dürften nur verwendet werden, wenn der Wein die traditionelle Bezeichnung führen dürfe. Erweise sich die Klage schon hiernach als unbegründet, so könne dahinstehen, ob die umstrittenen Bezeichnungen auch deshalb unzulässig seien, weil sie geeignet seien, den Verbraucher irrezuführen.
7 Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er trägt vor, das geltende Weinbezeichnungsrecht schütze die traditionellen Begriffe „Reserva/Gran Reserva“ bzw. „Riserva/Gran Riserva“ nur in der jeweiligen - spanischen, portugiesischen bzw. italienischen - Landessprache, nicht jedoch in einer anderen Sprache. Dasselbe gelte für die entsprechende griechische Bezeichnung, die nur in Griechisch (und in kyrillischer Schrift), nicht jedoch in Französisch geschützt sei. Die Verwendung vergleichbarer Bezeichnungen für Weine aus einem anderen Mitgliedstaat stelle daher weder eine Nachahmung noch eine Anspielung dar. Die Marke „Consulat des Weins - Réserve/Grande Réserve“ wäre vom Europäischen Markenamt auch nicht eingetragen worden, wenn sie unzulässig wäre; denn die bezeichnungsrechtliche Zulässigkeit werde vom Markenamt selbständig geprüft. Selbst wenn die spanischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Bezeichnungen nicht nur gegen Nachahmung oder Anspielung in der jeweiligen Landessprache geschützt seien, so sei die Nachahmung oder Anspielung doch nur unzulässig, wenn sie auch irreführend sei. Die Gefahr einer Irreführung habe das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt; sie bestehe auch nicht. Er - der Kläger - erwecke nicht den Anschein, dass der jeweils geschützte Begriff auch für seine Weine gelte, schon weil diese unzweifelhaft aus Deutschland stammten. Die Verwendung französischer Bezeichnungen solle seinen Weinen lediglich einen „edlen“ Anstrich verleihen, was vom Verbraucher nicht missverstanden werde. Dass auch die Weinaufsichtsbehörden keine Irreführung befürchteten, werde durch den Umstand belegt, dass zahlreiche Weine aus Drittstaaten (Bulgarien, Argentinien, Chile, USA, Südafrika, Australien) mit vergleichbaren Bezeichnungen ohne Beanstandung in der Europäischen Gemeinschaft auf dem Markt angeboten würden.
8 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend führt er aus, dass die Bezeichnung „Reserve“ in Deutschland nicht als traditioneller Begriff anerkannt sei und deshalb allenfalls als „andere Angabe, die für den Verbraucher nützlich sein könne“, angesehen werden könne. Eine derartige „andere Angabe“ sei aber unzulässig, wenn ihre Verwendung zu einer Erosion definierter und geschützter traditioneller Begriffe führe.
9 Die Vertreterin des Bundesinteresses hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
10 Die Entscheidung über die Revision setzt die Auslegung von Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechts voraus. Da dies nicht zweifelsfrei möglich ist, muss eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 234 EG eingeholt werden. Hierzu ist der Rechtsstreit auszusetzen.
11 1. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Untersagungsverfügung einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gesehen und angenommen, dass die Begründetheit der Anfechtungsklage sich deshalb nach dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Recht beurteile. Auch die Feststellungsklage hat es nach aktuell geltendem Recht geprüft. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
12 Der Senat hat auch die Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens einzubeziehen. Im Revisionsverfahren ist die Rechtslage maßgebend, die die Tatsacheninstanz zugrundezulegen hätte, wenn sie zu dieser Zeit entschiede (Urteil vom 16. Januar 1986 - BVerwG 3 C 66.84 - BVerwGE 72, 339 <340> = Buchholz 451.11 Saatgutrecht Nr. 6 <20>; vgl. auch Urteil vom 3. November 1994 - BVerwG 3 C 30.93 - Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 2 <16>).
13 Maßgebend sind damit die Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl EG Nr. L 179 S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2165/2005 des Rates vom 20. Dezember 2005 (ABl EG Nr. L 345 S. 1), und die Verordnung (EG) Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates hinsichtlich der Beschreibung, der Bezeichnung, der Aufmachung und des Schutzes bestimmter Weinbauerzeugnisse (ABl EG Nr. L 118 S. 1), zuletzt mit Wirkung vom 1. September 2005 geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1512/2005 der Kommission vom 15. September 2005 (ABl EG Nr. L 241 S. 15).
14 2. Das Berufungsgericht ist - unausgesprochen - davon ausgegangen, dass die Verwendung der Bezeichnungen „Réserve/Grande Réserve“ bzw. „Reserve/Privat-Reserve“ für einen deutschen Wein in Deutschland zulässig wäre, sofern damit keine geschützten Fremdbezeichnungen verletzt werden und der Verbraucher nicht irregeführt wird. Es spricht vieles dafür, dass diese Prämisse zutrifft. Allerdings stellt sich schon hierzu eine Frage zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, die dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen ist.
15 Art. 47 Abs. 1, Abs. 2 Buchstaben a bis c in Verbindung mit Anhang VII Abschnitt A und B der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unterscheidet bei der Bezeichnung von Wein zwischen obligatorischen und fakultativen Angaben und hinsichtlich der letzteren zwischen fakultativen Angaben, die unter bestimmten Voraussetzungen verwendet werden können (sog. geregelte fakultative Angaben), und sonstigen Angaben, die für die Verbraucher nützlich sein können (sog. andere Angaben).
16 a) Die im Streit stehenden Bezeichnungen zählen nicht zu den obligatorischen Angaben. Namentlich handelt es sich nicht um traditionelle spezifische Begriffe im Sinne von Abschnitt A Nr. 2 Buchstabe c letzter Gedankenstrich des Anhangs VII.
17 b) Es handelt sich auch nicht um fakultative Angaben, die nur unter bestimmten vom Erzeugermitgliedstaat geregelten Voraussetzungen verwendet werden dürfen.
18 Zwar kommt in Betracht, in den Bezeichnungen „Réserve/Grande Réserve“ bzw. „Reserve/Privat-Reserve“ jeweils sog. ergänzende traditionelle Begriffe zu sehen. Mit ihnen soll auf eine besondere Qualität des Weins hingewiesen werden, sei es aufgrund besonderer Lagerung des Weins, sei es weil der Winzer die Erträge je Hektar Anbaufläche begrenzt. Begriffe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung bzw. auf die Qualität des Weins beziehen, erfasst das Weinbezeichnungsrecht als sog. ergänzende traditionelle Begriffe. Das ergibt sich aus Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Dementsprechend sind die entsprechenden Bezeichnungen für spanische, griechische, italienische, portugiesische und neuerdings österreichische Weine im Anhang III zur Verordnung (EG) Nr. 753/2002 jeweils als ergänzende traditionelle Begriffe aufgeführt.
19 Ergänzende traditionelle Begriffe dürfen jedoch nur verwendet werden, wenn sie in den Rechtsvorschriften des jeweiligen Erzeugermitgliedstaats definiert sind. Das ergibt sich schon aus Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und ausdrücklich aus Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Deutschland hat eine Weinbezeichnung „Reserve“ oder „Privat-Reserve“ in seinen Rechtsvorschriften nicht definiert.
20 c) Die in Rede stehenden Bezeichnungen wären daher nur als andere Angaben im Sinne von Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 zulässig. Diese anderen Angaben unterliegen nicht der Regelung durch die Mitgliedstaaten, wie sich schon aus Art. 47 Abs. 2 Buchstabe c dieser Verordnung, insbesondere aber daraus ergibt, dass Abschnitt B Nr. 4 des Anhangs VII sich nicht auf Nr. 3 bezieht.
21 Es fragt sich aber, ob eine Angabe über die durch Lagerung erzielte Reife oder über eine durch limitierte Erzeugung erzielte Qualität des Weins eine derartige andere Angabe sein kann. Es ist nämlich nicht zweifelsfrei, ob Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 derartige Angaben nur im Wege ergänzender traditioneller Begriffe, also nur dann zulässt, wenn der jeweilige Mitgliedstaat die Angabe als ergänzenden traditionellen Begriff definiert hat; mit anderen Worten: ob Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 für die dort angesprochenen Sachverhalte (Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung; Qualität, Farbe oder Art des Weins; Ort oder historisches Ereignis im Zusammenhang mit der Geschichte des Weins) eine Sperrwirkung gegenüber anderen Angaben im Sinne von Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 entfaltet. Daher ist dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob Art. 47 Abs. 2 Buchstaben b und c in Verbindung mit Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich, Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen sind, dass eine Angabe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung bzw. auf die Qualität des Weins bezieht, nur als geregelte fakultative Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unter den dort und in Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 vorgesehenen Voraussetzungen und nicht als andere Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 zulässig ist.
22 Die Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen. Eine derartige Sperrwirkung des Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 liefe der Zielsetzung des neuen Bezeichnungsrechts, die Verwendung fakultativer Angaben außerhalb des geregelten Bereichs möglichst zu gestatten, zuwider. Aus diesem Grunde wird in der Literatur die vergleichbare Frage, ob Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b vierter Gedankenstrich des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 hinsichtlich fakultativer Angaben über die Art der Gewinnung oder das Verfahren für die Herstellung des Erzeugnisses eine Sperrwirkung gegenüber den zulässigen anderen Angaben nach Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 entfaltet, wenn der Mitgliedstaat eine Regelung nach Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 nicht getroffen hat, verneint (Boch, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 400, Stand November 2003, Rn. 4d vor § 22 WeinG).
23 Auf der Grundlage dieser Auffassung erweist sich die Prämisse des Berufungsurteils als zutreffend: Die Bezeichnung „Reserve“ usw. stellt eine andere Angabe im Sinne von Art. 47 Abs. 2 Buchstabe c, Anhang VII Abschnitt B Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 dar und ist als solche zulässig, sofern sie nicht geschützte Bezeichnungen verletzt oder irreführend ist.
24 3. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil der Kläger mit der Verwendung der Begriffe „Réserve/Grande Réserve“ bzw. „Reserve/Privat-Reserve“ geschützte Weinbezeichnungen verletze. Es hat sich hierfür auf Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 gestützt. Hiernach sind die in Anhang III dieser Verordnung aufgeführten traditionellen Begriffe - zu denen gemäß Art. 24 Abs. 1 auch die ergänzenden traditionellen Begriffe gemäß Art. 23 gehören - den Weinen vorbehalten, mit denen sie verbunden sind, und gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung geschützt. Auch und vor allem die Auslegung dieser Vorschriften ist nicht zweifelsfrei und bedarf daher einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
25 a) Anhang III der Verordnung führt seit seiner ursprünglichen Fassung für Spanien „Reserva“ und „Gran Reserva“, für Griechenland „Epilogi e Epilegmenos (Réserve)“ und „Palaioudeis Epilegmenos (Vieille Réserve)“, für Italien „Riserva“ und für Portugal „Reserva“ und „Super reserva“ und in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1512/2005 außerdem für Griechenland „Eidika Epilegmenos (Grand réserve)“, für Portugal zusätzlich „Reserva velha (oder grande reserva)“ und für Österreich „Reserve“ als ergänzende traditionelle Begriffe auf.
26 Nach Art. 24 Abs. 4 UAbs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 gilt der Schutz eines traditionellen Begriffs nur für die Sprache bzw. Sprachen, in der/denen er in Anhang III aufgeführt ist. Anhang III nennt demzufolge bei den für die Mitgliedstaaten Spanien, Griechenland, Italien, Portugal und nunmehr Österreich angeführten ergänzenden traditionellen Begriffe ausdrücklich die jeweilige Landessprache Spanisch, Griechisch, Italienisch, Portugiesisch und nunmehr Deutsch. Die französischen Begriffe „Réserve“ bzw. „Grande Réserve“ sind demnach nicht geschützt. Daran ändert es nichts, dass die geschützten griechischen Begriffe zugleich in Französisch angegeben sind. Nach Abschnitt D Nr. 1 des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 sind die ergänzenden traditionellen Begriffe nur in einer der Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Herstellung erfolgt ist, anzugeben; jedoch ist bei Erzeugnissen mit Ursprung in Griechenland eine Wiederholung in einer oder mehreren anderen Amtssprachen zulässig. Das soll ersichtlich Wettbewerbsnachteile ausgleichen, die wegen der geringen Verbreitung der griechischen Sprache und Schrift andernfalls bestünden. Es führt nicht dazu, dass die Wiederholung des geschützten griechischen Begriffs in einer anderen Amtssprache als solche geschützt wäre.
27 b) Der Kläger meint, die Verwendung eines geschützten traditionellen Begriffs übersetzt in eine andere Sprache könne von vornherein keine Nachahmung oder Anspielung im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 darstellen. Hierzu beruft er sich auf eine Stellungnahme der Europäischen Kommission (DG Agri, Dir.C.3., vom 30. August 2005), derzufolge der Begriff „Reserve“ in französischer oder englischer Sprache verwendet werden dürfe. Dem Europäischen Gerichtshof ist daher die weitere Frage vorzulegen, ob Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen ist, dass eine widerrechtliche Nachahmung oder Anspielung nur dann vorliegt, wenn sie in der Sprache des geschützten traditionellen Begriffs erfolgt.
28 Der Senat neigt dazu, diese Frage zu verneinen. Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 schützt gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung. Es handelt sich um drei verschiedene Verbotstatbestände. Lediglich die Aneignung betrifft die wortidentische Verwendung des geschützten Begriffs, während die Nachahmung wortähnliche und die Anspielung wortverschiedene, aber sinnähnliche Begriffe meinen dürfte. Dabei lässt sich aus dem Begriff der Nachahmung nicht schließen, dass nur wortähnliche Begriffe in derselben Sprache vom Verbot erfasst sein sollen; die Ähnlichkeit kann gerade in der Verwendung des entsprechenden, ähnlichen Wortes einer anderen Amtssprache aus derselben (hier: romanischen) Sprachfamilie liegen. Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) schließt ersichtlich an Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 881/98 der Kommission vom 24. April 1998 mit Durchführungsbestimmungen zum Schutz ergänzender traditioneller Begriffe für bestimmte Arten von Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete (ABl EG Nr. L 124 S. 22) an. Dort war sogar die Übersetzung als Form der unzulässigen Nachahmung ausdrücklich genannt. Die Vertreterin des Bundesinteresses teilt mit, dass mit der Streichung nicht die Absicht einer sachlichen Änderung verbunden gewesen sei. Dann aber ist es als verbotene Nachahmung des geschützten spanischen Begriffs „Reserva“ anzusehen, wenn ein anderer spanischer Wein mit dem französischen Begriff „Réserve“ bezeichnet wird. Ob der nachahmende Begriff als solcher - ebenfalls - geschützt ist, ist hierfür unerheblich. Vergleichbares gilt dann für den Verbotstatbestand der Anspielung: Auch hierfür ist nicht Voraussetzung, dass die Anspielung in der Sprache des geschützten Begriffs erfolgt.
29 c) Es fragt sich aber, ob der Schutz des Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 auch gegenüber Weinen aus anderen Mitgliedstaaten besteht. Die Europäische Kommission scheint in ihrer bereits erwähnten Stellungnahme vom 30. August 2005 dieser Ansicht zu sein; denn sie meint, dem Kläger sei die Verwendung der deutschen Bezeichnung „Reserve“ verwehrt, weil diese deutschsprachige Bezeichnung einigen österreichischen Weinen vorbehalten sei. Darum ist dem Europäischen Gerichtshof die weitere Frage vorzulegen, ob Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen ist, dass die in Anhang III aufgeführten traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen geschützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat stammen wie der geschützte traditionelle Begriff, oder auch in Ansehung von Weinen aus anderen Mitgliedstaaten.
30 Für eine weite Auslegung spricht die Erwägung, den Bezeichnungsschutz möglichst auszudehnen, um zu seiner besseren Wirksamkeit beizutragen. Allerdings ist zu bedenken, dass das Gemeinschaftsrecht dieses Ziel durch zwei Instrumente verfolgt, nämlich durch das Nachahmungsverbot des Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 und durch das allgemeine Irreführungsverbot nach Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Auch wenn beide Instrumente verwandt sind und auch im Text des Gemeinschaftsrechts - etwa in Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a einerseits, Buchstaben b und c der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 andererseits - dicht nebeneinander stehen, so sind sie doch nicht identisch, sondern ergänzen sich im Wege des Zusammenwirkens. Allein das Ziel, den Bezeichnungsschutz möglichst wirksam werden zu lassen, nötigt daher noch nicht dazu, das Nachahmungsverbot als solches ausdehnend auszulegen.
31 Es sprechen aber vor allem zwei Gründe dafür, dass der Schutz des Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 nur gegenüber Weinen besteht, die aus demselben Mitgliedstaat kommen wie der geschützte traditionelle Begriff.
32 Dafür spricht - zum einen - bereits die Definition des „traditionellen Begriffs“ selbst. Zum Wesen des traditionellen Begriffs gehört sein Bezug zur Weinbautradition des jeweiligen Mitgliedstaats. Das gilt in besonderem Maße für die ergänzenden traditionellen Begriffe gemäß Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Nach dieser Vorschrift ist „ergänzender traditioneller Begriff“ ein in den Erzeugermitgliedstaaten herkömmlicherweise verwendeter Begriff, der in den Rechtsvorschriften des Erzeugermitgliedstaats über die Bezeichnung und Aufmachung von Qualitätsweinen b.A. in seinem jeweiligen Hoheitsgebiet definiert ist. Bei den ergänzenden traditionellen Begriffen handelt es sich mithin um Begriffe, die sich in der Weinbautradition des jeweiligen Mitgliedstaats herausgebildet haben und in dessen Rechtsvorschriften definiert (und damit bestimmten Weinen vorbehalten) sind. Das aber kann sich nur auf Weine beziehen, die in dem jeweiligen Mitgliedstaat hergestellt werden. Weine aus anderen Mitgliedstaaten stehen schon nicht in der Weinbautradition des Mitgliedstaats; für sie fehlt dem Mitgliedstaat zudem die Regelungs- und Definitionsbefugnis. Durch die Aufnahme in den Anhang III zur Verordnung (EG) Nr. 753/2002 wird der traditionelle Begriff unter Schutz gestellt. Damit wird sein Inhalt jedoch nicht verändert. Er bleibt vielmehr eine Bezeichnung, die sich in der Weinbautradition des jeweiligen Herkunftsmitgliedstaats herausgebildet hat und sich auf dessen Weine bezieht. Über den Weinbau in einem anderen Mitgliedstaat trifft der geschützte Begriff keine Aussage.
33 Die Gegenauffassung würde - zum zweiten - zu einer Erstarrung der fakultativen Weinbezeichnungen führen und widerspräche zudem der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten für ihren jeweiligen Bereich. Durch die Anerkennung eines traditionellen Begriffs aus einem Mitgliedstaat würde dann nämlich die Herausbildung eines vergleichbaren Begriffs in einem anderen Mitgliedstaat und dessen Befugnis, diesen vergleichbaren Begriff für seinen Hoheitsbereich zu definieren, blockiert. Vor allem könnte der vergleichbare Begriff des anderen Mitgliedstaats nicht mehr ebenfalls gemeinschaftsrechtlich unter Schutz gestellt werden. Hierfür ist gemäß Art. 24 Abs. 5 der Verordnung nämlich nicht nur erforderlich, dass der Begriff (a) als solcher spezifisch und in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats genau definiert ist und (b) hinreichende Unterscheidbarkeit gewährleistet und/oder innerhalb des Gemeinschaftsmarktes gut bekannt ist, sondern auch, dass er (c) traditionellerweise während mindestens zehn Jahren im betreffenden Mitgliedstaat verwendet worden ist und (d) für einen oder gegebenenfalls für mehrere Weine oder Weinkategorien der Gemeinschaft verwendet wird. Eine tatsächliche zehnjährige Verwendung könnte jedoch nicht erfolgen, wenn die Unterschutzstellung einer vergleichbaren Bezeichnung aus einem anderen Mitgliedstaat Sperrwirkung entfaltete. Auf der Grundlage dieser Auffassung hätte etwa die Bezeichnung „Reserve“ für österreichische Weine im Jahre 2005 nicht mehr unter Schutz gestellt werden dürfen, da ihre Verwendung seit der Unterschutzstellung der entsprechenden spanischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Begriffe gegen das Nachahmungsverbot verstoßen hätte. Und auch wenn das Nachahmungsverbot auf dieselbe Sprache beschränkt würde (vgl. oben 3 b), könnte sich doch nach der Unterschutzstellung der deutschsprachigen Bezeichnung für Österreich eine entsprechende - ebenfalls deutschsprachige - Bezeichnung für Deutschland oder für Italien (Südtirol) nicht mehr herausbilden. Das wäre insbesondere in den Fällen problematisch, in denen sich in benachbarten Mitgliedstaaten mit derselben Landessprache vergleichbare Bezeichnungen parallel entwickeln. In derartigen Fällen darf es nicht von dem Zufall abhängen, wessen Bezeichnung zuerst unter gemeinschaftsrechtlichen Schutz gestellt wird.
34 Mit der hier vertretenen Auslegung verliert die gemeinschaftsrechtliche Unterschutzstellung nicht ihren Sinn. Solange der traditionelle Begriff nicht gemeinschaftsrechtlich geschützt ist, unterliegt seine Verwendung dem jeweiligen nationalen Recht. Der jeweilige Mitgliedstaat kann derartige Begriffe definieren und für seinen Bereich unter Schutz stellen (vgl. Abschnitt B Ziff. 4 des Anhangs VII zur Verordnung <EG> Nr. 1493/1999 sowie Art. 24 Abs. 7 Buchstabe c zur Verordnung <EG> Nr. 753/2002). Die gemeinschaftsrechtliche Unterschutzstellung bewirkt, dass der traditionelle Begriff auch in allen anderen Mitgliedstaaten den Weinen aus dem Herkunftsstaat vorbehalten ist, mit denen er verbunden ist (vgl. den Wortlaut von Art. 24 Abs. 2 der Verordnung), und für andere Weine aus diesem Herkunftsstaat nicht verwendet werden darf. Ein spanischer Wein, der nach den Kriterien des spanischen Rechts die Bezeichnung „Reserva“ nicht verdient, darf deshalb auch in Deutschland oder Frankreich nicht mit dieser Bezeichnung in den Verkehr gebracht werden, selbst wenn das deutsche oder französische Recht diese oder eine entsprechende Bezeichnung nicht schützt.
35 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass das Nachahmungsverbot durch eine solche Auslegung eingeschränkt wird. Außerhalb seines Anwendungsbereichs hängt die Zulässigkeit einer fakultativen Weinbezeichnung dann davon ab, ob sie mit dem Irreführungsverbot vereinbar ist. Gerade diese Konsequenz entspräche aber der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, das Weinbezeichnungsrecht zu liberalisieren.
36 d) Auf der Grundlage der einschränkenden Auslegung des Nachahmungsverbots wäre die Revision des Klägers erfolgreich. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann dann nämlich in der Verwendung der Bezeichnungen „Réserve“ oder „Grande Réserve“ für einen deutschen Wein keine Nachahmung der geschützten entsprechenden Begriffe der spanischen, griechischen, italienischen und/oder portugiesischen Sprache gesehen werden; denn der gemeinschaftsrechtliche Schutz dieser entsprechenden Begriffe besteht nur in Ansehung von spanischen, griechischen, italienischen oder portugiesischen Weinen. Aus demselben Grunde stellt die Verwendung der - deutschen - Bezeichnungen „Reserve“ oder „Privat-Reserve“ keine Anspielung auf diese gemeinschaftsrechtlich geschützten Begriffe dar.
37 Die vom Kläger verwendeten oder beabsichtigten Bezeichnungen verletzen auch nicht den seit dem 1. September 2005 bestehenden Schutz des ergänzenden traditionellen Begriffs „Reserve“ für Österreich. Denn dieser Schutz besteht nur in Ansehung von Weinen, die in Österreich hergestellt wurden. Damit kann in der Verwendung der französischen Bezeichnung „Réserve“ für einen deutschen Wein auch keine Nachahmung dieses traditionellen österreichischen Begriffs gesehen werden. Nichts anderes gilt aber für die Verwendung der deutschen Bezeichnung „Reserve“ für einen deutschen Wein. Zwar ist der österreichische Begriff in der deutschen Sprache geschützt, so dass nicht lediglich eine Nachahmung (oder Anspielung), sondern sogar eine widerrechtliche Aneignung in Betracht kommt. Trotz der Wort- und Sprachidentität liegt aber keine Aneignung des geschützten Begriffs vor, wenn der Schutz nur in Ansehung von Weinen aus Österreich besteht, nicht aber von Weinen aus Deutschland.
38 4. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist zur Entscheidung über die Revision des Klägers erforderlich. Auf sie kann nicht deshalb verzichtet werden, weil die Revision des Klägers schon aus einem anderen Grunde Erfolg haben müsste.
39 a) Der Kläger meint, dass die Bezeichnungen „Consulat des Weins - (Grande) Réserve“ schon deshalb nicht unzulässig sein könnten, weil sie vom Europäischen Markenamt als geschützte Marken eingetragen wurden. Dem ist das Berufungsgericht zu Recht nicht gefolgt. Gemäß Art. 24 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dürfen Marken, die die in Anhang III aufgeführten traditionellen Begriffe enthalten, zur Bezeichnung eines Weins in der Etikettierung nur verwendet werden, wenn der Wein diesen traditionellen Begriff führen darf. Der Markenschutz verleiht also kein über Art. 24 Abs. 2 der Verordnung hinausreichendes Bezeichnungsrecht. Dahingehende Zweifel, die nach dem vorherigen Recht bestanden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 - I ZR 86/97, Lorch Premium - GRUR 2000, 727 = ZLR 2000, 591; EuGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - Rs. C-81/01, Borie Manoux - Slg. I-9259, 9281), sind damit ausgeräumt worden. Anderes gilt gemäß Art. 24 Abs. 3 UAbs. 2 der Verordnung nur für Marken, die vor ihrer Veröffentlichung rechtmäßig in gutem Glauben in der Gemeinschaft eingetragen wurden und die seit der Eintragung tatsächlich rechtmäßig in gutem Glauben verwendet wurden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Hiergegen bringt die Revision durchgreifende Verfahrensrügen nicht vor.
40 b) Aus prozessrechtlichen Gründen ist es dem Senat nicht möglich, über die Revision des Klägers auf der Grundlage des anderen von der Behörde angeführten Untersagungsgrundes zu entscheiden.
41 Wie erwähnt, wäre die Verwendung der französischen Bezeichnung „Réserve/Grande Réserve“ oder der deutschen Bezeichnung „Reserve/Privat-Reserve“ für die Weine des Klägers - unabhängig davon, ob sie eine unzulässige Nachahmung geschützter Weinbezeichnungen darstellt - auch dann verboten, wenn sie im Sinne von Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen. Eine derartige Irreführung kommt einerseits als Täuschung über die Herkunft des Weins in Betracht; das ist insbesondere bei der Verwendung der französischen Bezeichnung zu bedenken, die in den Augen des Verbrauchers die irrige Annahme wecken könnte, der Wein des Klägers stamme aus Frankreich. Zum anderen kann eine Täuschung über die Qualität des Weins vorliegen; es liegt - in Anlehnung an die geschützten Bezeichnungen für portugiesische, spanische, italienische, griechische und österreichische Weine - nahe, dass der Verbraucher mit der Bezeichnung „Reserve“ eine durch Lagerung erzielte besondere Reife des Weins verbindet, und es könnte sein, dass der Wein des Klägers diese Qualität tatsächlich nicht aufweist.
42 Das Berufungsgericht hat indes offen gelassen, ob eine Irreführung vorliegt. Dem Senat ist eine Entscheidung über diese Fragen verwehrt. Hierzu bedarf es noch tatsächlicher Feststellungen, die das Berufungsgericht bislang nicht getroffen hat und die der Senat als Revisionsgericht nicht treffen kann. Der Senat ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium auch gehindert, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur Nachholung dieser tatsächlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierzu müsste feststehen, dass das Berufungsurteil mit Bundesrecht oder europäischem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dazu bedarf es aber vorab der Klärung der erwähnten Fragen zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts.
Beschluss vom 16.08.2006 -
BVerwG 3 C 16.05ECLI:DE:BVerwG:2006:160806B3C16.05.0
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 16.08.2006 - 3 C 16.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:160806B3C16.05.0]
Beschluss
BVerwG 3 C 16.05
- OVG Rheinland-Pfalz - 21.09.2004 - AZ: OVG 7 A 10692/04.OVG
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. August 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
- Der Beschluss vom 16. März 2006 wird berichtigt.
- Der zweite Absatz der Entscheidungsformel muss richtig wie folgt lauten:
- „Dem Europäischen Gerichtshof werden die folgenden Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1512/2005 zur Vorabsentscheidung vorgelegt.“
Gründe
1 Der zweite Absatz der Entscheidungsformel zitiert die Verordnung (EG) Nr. 753/2002 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1215/2005. Das ist unrichtig; richtig muss es heißen: „in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1512/2005“. Es handelt sich um einen Schreibfehler; in den Entscheidungsgründen ist die Verordnung zutreffend zitiert (S. 7). Die Unrichtigkeit ist von Amts wegen zu berichtigen (§ 118 VwGO).