Beschluss vom 13.07.2007 -
BVerwG 3 B 16.07ECLI:DE:BVerwG:2007:130707B3B16.07.0
Leitsätze:
Die Zulassung von Marktteilnehmern zur Beantragung von Einfuhrlizenzen für gefrorenes Rindfleisch nach der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 betrifft eine Vergünstigung zu Marktordnungszwecken im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 19 MOG.
Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen dem Rechtsstreit in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das gilt auch für Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Gemeinschaftsrechts.
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Rechtsquellen
VwGO § 132 Abs. 2 Ziff. 1 MOG § 10 Verordnung (EG) Nr. 954/2002 -
Instanzenzug
VGH Kassel - 08.11.2006 - AZ: VGH 6 UE 2902/05 -
Hessischer VGH - 08.11.2006 - AZ: VGH 6 UE 2902/05
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 13.07.2007 - 3 B 16.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:130707B3B16.07.0]
Beschluss
BVerwG 3 B 16.07
- VGH Kassel - 08.11.2006 - AZ: VGH 6 UE 2902/05 -
- Hessischer VGH - 08.11.2006 - AZ: VGH 6 UE 2902/05
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2006 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 86 766 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil, mit dem das Berufungsgericht ihre Klage gegen die Rücknahme ihrer Zulassung zur Beantragung von Einfuhrlizenzen für gefrorenes Rindfleisch abgewiesen hat. Ihre auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg; weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch weicht das Berufungsurteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab, noch liegt ein Verfahrensfehler vor, auf dem das Berufungsurteil beruht.
2 1. Das Berufungsgericht hat die Rechtsgrundlage für den angefochtenen Rücknahmebescheid nicht wie das Verwaltungsgericht in § 48 HessVwVfG gesehen, sondern in § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 19 des Marktorganisationengesetzes (MOG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. September 1995 (BGBl I S. 1146), geändert durch das Gesetz vom 2. Mai 1996 (BGBl I S. 656). Nach § 6 Abs. 1 Nr. 19 MOG umfasst das Marktorganisationengesetz auch „sonstige Vergünstigungen zu Marktordnungszwecken“. Das Berufungsgericht hat hierin einen Auffangtatbestand gesehen, unter den solche begünstigende Maßnahmen zu fassen seien, die zu Marktordnungszwecken erfolgen und unter keine der zuvor angeführten speziellen Vergünstigungstatbestände fallen. Dies sei hier der Fall; die Zulassung zur Beantragung von Einfuhrlizenzen betreffe Zollvergünstigungen, die zu Marktordnungszwecken gewährt würden.
3 a) Insofern hält die Klägerin zum einen für klärungsbedürftig, ob ermäßigte Zölle als „sonstige Vergünstigungen zu Marktordnungszwecken“ angesehen werden könnten. Daran besteht indes kein Zweifel, so dass es allein hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf. Die Zollermäßigung stellt eine Vergünstigung dar. Sie wird jährlich in Ansehung eines Kontingents gefrorenen Rindfleischs gewährt, zu deren Einfuhr die Europäische Gemeinschaft gemäß der Liste CXL des WTO verpflichtet ist. Die Gemeinschaft verwaltet dieses Kontingent im Rahmen des gemeinsamen Marktes für Rindfleisch und teilt es in Form von Einfuhrlizenzen zugelassenen Antragstellern zu. Rechtsgrundlage im Jahr 2002/2003 war die Verordnung (EG) Nr. 954/2002 der Kommission vom 4. Juni 2002 (ABl EG Nr. L 147 S. 8), die auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 1254/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl EG Nr. L 160 S. 21) ergangen ist. Dass über die Gewährung der Vergünstigung in einem zweistufigen Verfahren entschieden wird, dass nämlich in einem ersten Schritt Marktteilnehmer zur Antragstellung zugelassen und diesen dann in einem zweiten Schritt Einfuhrlizenzen zugeteilt werden, führt nicht dazu, nur in den Bestimmungen über den zweiten Schritt eine Regelung über die Vergünstigung zu sehen, die Bestimmungen über den ersten Schritt hingegen vom Anwendungsbereich des Marktorganisationengesetzes auszunehmen. Die Unterscheidung zweier Schritte stellt lediglich eine technische Aufgliederung eines einheitlichen Vorgangs dar; dem ersten Schritt kommt ohne den zweiten keinerlei selbständige Bedeutung zu. Ähnlich verhält es sich bei anderen Instrumenten des Marktorganisationenrechts, etwa den Referenzmengen für die Anlieferung von Milch, deren Bedeutung erst in der - rechtstechnisch gesondert geregelten - Freistellung von der Milchabgabe liegt; gleichwohl handelt es sich insgesamt um eine Regelung über besondere Vergünstigungen zu Marktordnungszwecken.
4 b) Die Klägerin meint ferner, das Berufungsgericht sei, indem es die Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG mit Blick auf § 6 Abs. 1 Nr. 19 MOG bejaht hat, von dem Urteil des Senats vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 3 C 22.02 - (Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 44 = NVwZ-RR 2004, 413) abgewichen. Sie legt indes nicht dar, welchen divergierenden rechtlichen Obersatz das Berufungsgericht aufgestellt haben soll. In Wahrheit behauptet sie lediglich eine falsche Rechtsanwendung. Sie meint nämlich, das Berufungsgericht habe verkannt, dass die Rücknahme einer Beihilfe - als „produktionsverfahrensbezogene“ Regelung - nach dem genannten Urteil des Senats keine Regelung hinsichtlich Marktordnungswaren darstelle. Damit hat sie den Senat missverstanden; offenbar verwechselt sie produktionsverfahrensbezogene Regelungen mit verfahrensrechtlichen Regelungen. Der Senat hat entschieden, dass Regelungen hinsichtlich Marktordnungswaren im Sinne von § 2 MOG erzeugnisbezogen (produktbezogen), aber nicht produktionsbezogen (produktionsverfahrensbezogen) seien, und hat deshalb Bestimmungen über die Gewährung von Beihilfen bei Verpflichtung des Landwirts zu „integriert-kontrollierter Wirtschaftsweise“, namentlich zum Verzicht auf den Einsatz bestimmter Düngemittel, nicht dem Anwendungsbereich des Marktorganisationengesetzes unterstellt. Demgegenüber betrifft der vorliegende Rechtsstreit eine Regelung über die Gewährung einer Vergünstigung bei gefrorenem Rindfleisch, also eine erzeugnis- oder produktbezogene Regelung. Dass das Marktorganisationengesetz nicht nur die Gewährung der Vergünstigung, sondern auch die Voraussetzungen für deren Rücknahme regelt, zeigt gerade § 10 Abs. 1 MOG.
5 c) Schließlich meint die Klägerin, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Behörde auch nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 VwVfG Entscheidungsspielräume offenstünden. Damit ist ein Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO nicht dargetan.
6 2. Das Berufungsgericht hat die ursprüngliche Zulassung der Klägerin als rechtswidrig und deren Rücknahme durch die hier angefochtenen Bescheide als rechtmäßig angesehen, weil die Klägerin mit zwei anderen Antragstellern im Sinne des Art. 143 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 (ABl EG Nr. L 253 S. 1) verbunden sei. Hierauf stelle Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 maßgeblich ab.
7 Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 bestimmt, welche Marktteilnehmer für die Zulassung zur Beantragung von Einfuhrlizenzen in Frage kommen. Art. 9 Abs. 4 bestimmt für den Fall, dass zwei oder mehr Antragsteller mit derselben Postanschrift eingetragen sind oder dass Mitgliedstaaten aus anderen triftigen Gründen den Verdacht hegen, dass eine Verbindung zwischen Marktteilnehmern besteht, dass die betreffenden Mitgliedstaaten sicherstellen, dass diese Antragsteller nicht im Sinne des Art. 143 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 verbunden sind. Wird anschließend eine Verbindung zwischen Antragstellern festgestellt, so werden die betreffenden Anträge nicht berücksichtigt. Nach Art. 143 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 gelten Personen unter anderem dann als verbunden, wenn eine beliebige Person unmittelbar oder mittelbar 5 v.H. oder mehr der im Umlauf befindlichen stimmberechtigten Anteile oder Aktien beider Personen besitzt, kontrolliert oder innehat (Buchstabe d) oder wenn beide von ihnen unmittelbar oder mittelbar von einer dritten Person kontrolliert werden (Buchstabe f).
8 Die Klägerin bestreitet nicht, dass es sich bei den beiden anderen Antragstellern um ihre „Konzernschwestern“ handelt und dass demzufolge der Tatbestand des Art. 143 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 erfüllt ist. Sie hält aber für klärungsbedürftig, ob Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 nicht dahin einschränkend auszulegen ist, dass die Vorschrift nur fiktive Marktteilnehmer fernhalten soll, nicht aber aktive Marktteilnehmer. Hierzu verweist sie zum einen auf den 2. Erwägungsgrund zu dieser Verordnung, demzufolge mit der in Rede stehenden Verschärfung gegenüber der Vorjahresverordnung „insbesondere die Eintragung fiktiver Marktteilnehmer vermieden“ werden sollte, zum zweiten darauf, dass die Formulierung des Art. 9 Abs. 4 mehreren Mitgliedstaaten als zu weit erschienen sei, was zu einem Klarstellungsschreiben der Kommission vom 13. Juni 2002 geführt habe, in welchem ebenfalls einer einschränkenden Auslegung das Wort geredet werde, schließlich drittens darauf, dass die entsprechende Bestimmung für das Folgejahr - Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 780/2003 der Kommission vom 7. Mai 2003 (ABl EG Nr. L 114 S. 8) - das Gemeinte durch einen einschränkenden Nachsatz klargestellt habe, so dass bei Feststellung einer Verbindung zwischen Antragstellern die Anträge nur abgelehnt würden, wenn die betreffenden Antragsteller der zuständigen Behörde nicht weitere Nachweise dafür erbringen könnten, dass sie in Bezug auf Management, Personal und sämtliche Transaktionen im Zusammenhang mit ihrer Handels- oder technischen Tätigkeit voneinander unabhängig sind.
9 Die hiermit aufgeworfene Frage verleiht der Rechtssache indes keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; denn sie betrifft die Verordnung (EG) Nr. 954/2002, die lediglich für das Antragsjahr 2002/2003 galt, und damit ausgelaufenes Recht. Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts dienen nicht der Fortentwicklung des Rechts; ihnen kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Wesentlichen auf die für die Zukunft richtungweisende Klärung von Rechtsfragen des geltenden Rechts gerichtet ist (vgl. Beschlüsse vom 8. März 2000 - BVerwG 2 B 64.99 -, vom 7. April 2004 - BVerwG 4 B 25.04 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nrn. 21 und 28 sowie vom 7. Oktober 2004 - BVerwG 1 B 139.04 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12, jeweils m.w.N.). Anderes ist zwar dann anzunehmen, wenn das ausgelaufene Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte, doch hätte der Beschwerdeführer dies substantiiert darzulegen (vgl. Beschlüsse vom 8. März 2000 a.a.O. und vom 17. Mai 2004 - BVerwG 1 B 176.03 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 29), woran es die Klägerin fehlen lässt. Schließlich bleibt eine Rechtsfrage zum ausgelaufenen Recht weiter klärungsbedürftig, wenn sie sich bei der gesetzlichen Bestimmung, welche der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, offensichtlich in gleicher Weise stellt (vgl. Beschluss vom 26. Juli 2005 - BVerwG 6 B 24.05 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 129); doch wurde die von der Klägerin angesprochene Unklarheit, wie gezeigt und von ihr selbst betont, in der Nachfolgeregelung des Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 780/2003 gerade behoben.
10 Die Klägerin hält die Frage, ob aktive - nicht fiktive - Marktteilnehmer allein wegen einer formalen Verbundenheit im Sinne des Art. 143 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 von einem Kontingent ausgeschlossen werden dürfen, mit Blick auf künftige Kontingentsregelungen allgemein für klärungsbedürftig. Damit bezeichnet sie aber eine abstrakte, vom geltenden Gesetzesrecht losgelöste Frage, die einer Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.
11 3. Alle drei Konzernschwestern waren zunächst zugelassen worden; später wurden die Zulassungsbescheide zurückgenommen. Zwei von ihnen nahmen ihre Widersprüche zurück, nur die Klägerin führte ihr Verfahren fort. Die Klägerin hat geltend gemacht, damit sei sie nicht länger mit anderen Antragstellern im Sinne von Art. 143 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 verbunden gewesen. Das Berufungsgericht hat diesem Umstand jedoch keine Bedeutung beigemessen. Die Klägerin und ihre Konzernschwestern hätten allenfalls bis zur Bestandskraft der Zulassungsbescheide die Zulassungsvoraussetzungen herstellen können; die Hinnahme der Rücknahmebescheide durch die Konzernschwestern der Klägerin sei jedenfalls zu spät erfolgt.
12 In diesem Zusammenhang hält die Klägerin für klärungsbedürftig, ob ein Unternehmen aus einer Gruppe mehrerer verbundener Unternehmen nach Antragstellung noch den Zustand der Unverbundenheit herstellen kann, indem die anderen verbundenen Unternehmen aus dem Antragsverfahren ausscheiden. Diese Frage war für das angefochtene Berufungsurteil unerheblich. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der „Zustand der Unverbundenheit“ noch nach Antragstellung herbeigeführt werden könne, sofern dies jedenfalls bis zum Abschluss des Zulassungsverfahrens - nach seiner Lesart: bis zur Unanfechtbarkeit der Zulassungsbescheide - geschehe. Inwiefern dies klärungsbedürftige Rechtsfragen aufwirft, zeigt die Beschwerde nicht auf.
13 Die weiteren Darlegungen der Klägerin machen deutlich, dass es ihr nicht darum geht, bis zu welchem Zeitpunkt der „Zustand der Unverbundenheit“ hergestellt werden kann, um die Zulassung in rechtmäßiger Weise zu ermöglichen. Sie meint vielmehr, der Beklagten sei die Rücknahme der rechtswidrigen Zulassung verwehrt, wenn sie - bei Kenntnis aller tatsächlichen Umstände - die Zulassung rechtsirrig erteilt, später aber ihren Rechtsirrtum erkannt und ihre Auffassung geändert habe und die konzernverbundenen Antragsteller nunmehr bis auf eine aus dem Verfahren ausschieden. Das betrifft nicht die Auslegung von Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002, sondern die Voraussetzungen für die Rücknahme rechtswidriger Zulassungsbescheide und damit Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1258/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl EG Nr. L 160 S. 103) sowie § 10 Abs. 1 Satz 1 MOG i.V.m. § 48 Abs. 2 VwVfG. Weshalb sich in diesem Zusammenhang bislang ungeklärte Rechtsfragen zur Auslegung dieser Vorschriften stellen, legt die Beschwerde allerdings nicht dar.
14 4. Des weiteren hält die Klägerin für klärungsbedürftig, ob Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 - wie zu ergänzen ist: in der Auslegung des Berufungsurteils - mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Auch diese Fragen betreffen ausgelaufenes Recht und verleihen der Rechtssache daher, wie gezeigt, keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
15 5. a) Die Klägerin meint, der Rechtssache komme schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil das Bundesverwaltungsgericht - als letztinstanzliches Gericht - in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Auslegung und ggf. zur Gültigkeit des Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 einholen müsse. Auch damit dringt sie nicht durch. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat, wenn dargelegt ist, dass in einem zukünftigen Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten gemeinschaftsrechtlichen Regelung voraussichtlich gemäß Art. 234 Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen sein wird (Beschluss vom 22. Oktober 1986 - BVerwG 3 B 43.86 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 243; vgl. Beschluss vom 30. Januar 1996 - BVerwG 3 NB 2.94 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 111). Damit werden aber nur Fragen des europäischen Gemeinschaftsrechts Fragen des Bundesrechts (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und eine Klärung durch den Europäischen Gerichtshof einer Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst gleichgestellt. Es ändert nichts daran, dass eine Klärung der bezeichneten Fragen zukunftsorientiert der Fortentwicklung des Rechts dienen muss und dass dies im Grundsatz ausscheidet, wenn sie allein auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betreffen; insofern gilt für ausgelaufenes Gemeinschaftsrecht nichts anderes als für ausgelaufenes Bundesrecht (stRspr des Senats; vgl. etwa Beschlüsse vom 12. April 2005 - BVerwG 3 B 41.05 - und vom 17. November 2006 - BVerwG 3 B 61.06 - juris).
16 b) Die Klägerin überschreibt diesen Abschnitt ihrer Beschwerdebegründung mit den Worten: „Verletzung des Art. 253 (gemeint: 234) EG und des Art. 101 GG (gesetzlicher Richter) durch Nichtvorlage entscheidungserheblicher Auslegungs- und Gültigkeitsfragen durch den Hess. VGH bei Nichtzulassung der Revision“. Allein durch diese Überschrift ist ein Fehler im Verfahren des Berufungsgerichts - nämlich eine Vorenthaltung des gesetzlichen Richters (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), indem das Berufungsgericht die Frage der Gültigkeit des Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002 nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat - nicht dargetan. Im Übrigen ist ein Gericht, dessen Entscheidung nach innerstaatlichem Recht noch Rechtsmitteln unterliegt, nur dann zur Einholung einer Vorabentscheidung verpflichtet, wenn es eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts als ungültig außer Anwendung lassen will, nicht hingegen, wenn es die Vorschrift für gültig erachtet (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1987 - Rs. 314/85, Foto Frost - Slg. I-4199 = NJW 1988, 1451). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Einwände gegen die Gültigkeit des Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 954/2002, die die Klägerin aus den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit herleitet, zwar geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Beschluss vom 08.10.2007 -
BVerwG 3 B 16.07ECLI:DE:BVerwG:2007:081007B3B16.07.0
Beschluss
BVerwG 3 B 16.07
- Hessischer VGH - 08.11.2006 - AZ: VGH 6 UE 2902/05
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Oktober 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Die Gegenvorstellung der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 13. Juli 2007 wird verworfen.
Gründe
1 Die Gegenvorstellung ist unstatthaft. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2006 ist mit dem Beschluss des Senats vom 13. Juli 2007, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen wurde, rechtskräftig geworden (§ 121 VwGO). Der Senat ist nicht befugt, die Rechtskraft aufgrund einer Gegenvorstellung zu durchbrechen. Das ist im geltenden Prozessrecht nicht vorgesehen. Anlass, die Gegenvorstellung gleichwohl - als ungeschriebenen Rechtsbehelf - zuzulassen, besteht nicht. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass derartige ungeschriebene Rechtsbehelfe früher erwogen worden sind. Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887, 1902) und dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220) kommen derartige außerordentliche Rechtsbehelfe jedoch nicht mehr in Betracht (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2005 - BVerwG 8 B 9.05 - Buchholz 428 § 37 Nr. 36 und vom 7. August 2007 - BVerwG 3 B 43.07 - m.w.N.).
2 Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Senat die Klägerin ihrem gesetzlichen Richter entzogen hätte (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Richtig ist, dass das Bundesverwaltungsgericht als letztinstanzliches Gericht zur Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet ist, wenn seine Entscheidung von der Gültigkeit oder der Auslegung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts abhängt (Art. 234 Abs. 3 EG), und dass eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegen kann, wenn es dies unterlässt. Die Entscheidung des Senats hing aber nicht von der Gültigkeit oder der Auslegung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts ab. Der Senat hatte über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu entscheiden. Dies beurteilte sich nach § 132 Abs. 2 VwGO. Der Senat hat erkannt, dass einer Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt, wenn sie auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft. Diese Auslegung entspricht ständiger Rechtsprechung; Fragen zum europäischen Gemeinschaftsrecht warf das nicht auf. Auch die Anwendung auf den vorliegenden Fall warf keine Fragen zur Gültigkeit oder zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf. Die Klägerin hat zwar die Zulassung der Revision zur Klärung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts begehrt. Dass diese Vorschrift längst außer Kraft getreten und in diesem Sinne „ausgelaufen“ war, ließ sich aber ohne Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zweifelsfrei feststellen. Ebenso zweifelsfrei stand fest, dass sich die als klärungsbedürftig bezeichnete Frage unter dem geltenden Gemeinschaftsrecht nicht mehr in vergleichbarer Weise stellt.
3 Damit hat der Senat die Voraussetzungen, unter denen ein letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verpflichtet ist, nicht eingeschränkt. Der Klägerin ist beizupflichten, dass eine Vorabentscheidung nicht unterbleiben kann, weil die im Raum stehende Vorlagefrage auslaufendes oder ausgelaufenes Gemeinschaftsrecht betrifft. Die Vorlagefrage muss aber für die anstehende Entscheidung des nationalen Gerichts erheblich sein. Ob das der Fall ist, hat das nationale Gericht in eigener Zuständigkeit zu beurteilen. Hätte der Senat über eine zugelassene Revision entscheiden und hierbei über den geltend gemachten Klaganspruch in der Sache befinden müssen, so wäre die von der Klägerin in Zweifel gezogene Auslegung und Gültigkeit der in Rede stehenden Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts erheblich gewesen, und er hätte diese Frage - in den Grenzen der sog. acte-clair-Doktrin (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81, Cilfit - Slg. S. 3415 <Rn. 12 ff.>) - dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Daran hätte es nichts geändert, dass die Vorschrift längst außer Kraft getreten und auch nicht durch eine gleich oder ähnlich gelagerte Vorschrift ersetzt worden ist. Anders liegt es hingegen bei der Verfahrensentscheidung, ob die Revision zuzulassen sei, und in diesem Zusammenhang, ob der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung zukommt. Für diese Entscheidung erklärt das nationale Recht allein für erheblich, ob die Klärung einer Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren zur Fortentwicklung des Rechts beitragen kann oder ob die Rechtsfrage auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft. Hingegen ist unerheblich, in welchem Sinne die Rechtsfrage zu klären sein wird und ob diese Klärung in der alleinigen Zuständigkeit des Revisionsgerichts liegt oder aber die Einholung einer Vorabentscheidung erfordern würde. Richtig ist, dass das deutsche Prozessrecht damit den Zugang zur Revision allein zur Klärung auslaufenden oder ausgelaufenen Gemeinschaftsrechts nicht eröffnet. Das löst allenfalls die Frage aus, ob in derartigen Fällen dann das Berufungsgericht als letztinstanzliches Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG anzusehen ist.