Beschluss vom 07.08.2024 -
BVerwG 2 B 10.24ECLI:DE:BVerwG:2024:070824B2B10.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.08.2024 - 2 B 10.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:070824B2B10.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 10.24

  • VG Wiesbaden - 18.02.2020 - AZ: 28 K 46/15.WI.D
  • VGH Kassel - 15.11.2023 - AZ: 28 A 846/20.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. August 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Hissnauer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.

2 1. Der 1968 geborene Beklagte steht als Hauptbrandmeister (Besoldungsgruppe A 9 BBesO) im Dienst der Klägerin. Zudem war er als Ehrenbeamter Gemeindebrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehr B.

3 Im Juli 2013 verurteilte das Amtsgericht den Beklagten wegen Untreue in 57 Fällen und Betrugs in 64 Fällen, davon in sieben Fällen im besonders schweren Fall, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung verwarf das Landgericht im September 2013 unter Korrektur des amtsgerichtlichen Tenors mit der Maßgabe, dass der Beklagte der Untreue in 57 Fällen und des Betrugs in 64 Fällen schuldig sei. Dem lag nach den strafgerichtlichen Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht zugrunde, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Gemeindebrandinspektor ab April 2008 die den Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr eingeräumte Möglichkeit zur Betankung von Einsatz- und sonstigen Feuerwehrfahrzeugen auf Kosten der Gemeinde B. für private Zwecke nutzte. Darüber hinaus hob er zwischen Februar 2009 und Januar 2012 vom Konto der Einsatzabteilung der Freiwilligen Feuerwehr, über das er Verfügungsgewalt besaß, Barbeträge in unterschiedlicher Höhe zur Bestreitung des Lebensunterhalts seiner Familie ab. Zudem nutzte er ab Ende 2010 das Konto wiederholt, um durch Überweisungen private Forderungen Dritter zu erfüllen.

4 In dem ursprünglich wegen anderer disziplinarer Vorwürfe bereits im Mai 2012 eingeleiteten und zunächst wegen des Strafverfahrens vorübergehend ausgesetzten, später auch auf andere Vorwürfe ausgedehnten Disziplinarverfahren hat die Klägerin im Januar 2015 Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten auf der Grundlage des strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Dessen hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die aufgrund der außerdienstlichen Pflichtverletzung erforderliche Disziplinarmaßnahme führe zur Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Die Würdigung der Gesamtheit der be- und entlastenden Umstände ergebe, dass der Beklagte durch sein schweres Dienstvergehen das Vertrauen der Allgemeinheit und seines Dienstherrn endgültig verloren habe. Es seien keine Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung gegeben, die derart ins Gewicht fielen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei. Weder lägen durchgreifende anerkannte Milderungsgründe noch andere entlastende Gesichtspunkte vor, die geeignet seien, das Gewicht seines Fehlverhaltens auszugleichen.

5 2. Die auf alle Zulassungsgründe (§ 73 HDG i. V. m. § 132 Abs. 2 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

6 a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 73 HDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

7 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - juris Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 24. April 2017 - 1 B 70.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3 und vom 20. Dezember 2023 - 2 B 19.23 - juris Rn. 16).

8 Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der Beschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die Berufungsentscheidung tragende rechtliche Erwägung des Berufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Januar 2012 - 2 B 113.11 - juris Rn. 6, vom 6. Oktober 2016 - 2 B 80.15 - juris Rn. 6 und vom 10. Januar 2024 - 2 B 16.23 - juris Rn. 8).

9 Die Beschwerde formuliert keine von ihr als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfragen und erhebt im Wesentlichen einzelfallbezogene Einwendungen gegen die Erwägungen des Berufungsgerichts. Selbst wenn man ihrem Vorbringen im Wege rechtsschutzfreundlicher Auslegung das Aufwerfen einer als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Frage entnimmt, rechtfertigt diese nicht die Zulassung der Revision.

10 Soweit die Beschwerde bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung die Frage enthält,
ob eine unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens einen bemessungsrelevanten Umstand darstellt, der das Disziplinargericht berechtigt, von der gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese darauf zurückzuführen ist, dass die Disziplinarklageschrift aufgrund formeller Fehler erneut eingereicht werden muss,
zeigt sie neuen Klärungsbedarf nicht auf.

11 Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsrechts geklärt, dass die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens nur berücksichtigungsfähig ist, wenn der Betroffene im Beamtenverhältnis verbleiben kann. In diesem Fall kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden. Lässt das Dienstvergehen einen weiteren Verbleib im Beamtenverhältnis dagegen nicht zu, vermag eine überlange Verfahrensdauer an diesem Befund nichts zu ändern. Das von den Beamten durch sein Dienstvergehen zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung wiederhergestellt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 44 ff. und vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 92 f.; Beschlüsse vom 12. Juli 2018 - 2 B 1.18 - Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr. 1 Rn. 10, vom 16. August 2021 - 2 B 21.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 53 Rn. 21 und vom 23. Juni 2022 - 2 B 38.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 7 ff.).

12 Der Aspekt der erneuten Einreichung einer Disziplinarklageschrift aufgrund formeller Mängel, die im vorliegenden Fall nur zu einer Verzögerung von ca. einem Monat geführt hat, ist von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unbeachtlichkeit einer überlangen Verfahrensdauer bei der disziplinaren Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erfasst. Ist die disziplinare Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis geboten, kommt es auf die konkreten Umstände, die für die - ggf. unangemessen lange - Dauer des Disziplinarverfahrens ursächlich waren, nicht an.

13 Soweit die Beschwerde darüber hinaus das Vorliegen durchgreifender Milderungsgründe geltend macht, wendet sie sich in der Art eines zugelassenen oder zulassungsfreien Rechtsmittels gegen die rechtliche Würdigung durch das Berufungsgericht und setzt dieser ihre eigene Auffassung entgegen, ohne hiermit eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage aufzuwerfen.

14 Ungeachtet dessen ist die Bemessung der Disziplinarmaßnahme stets eine Frage der Würdigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls (stRspr, BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 39; Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 - 2 B 12.21 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 88 Rn. 8, vom 30. März 2022 - 2 B 46.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 55 Rn. 9 und vom 9. Januar 2024 - 2 B 34.23 - juris Rn. 11), die sich einer Beantwortung in verallgemeinerungsfähiger Form entzieht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. April 2020 - 2 B 3.20 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 73 Rn. 20, vom 3. September 2020 - 2 B 25.20 - juris Rn. 7 und vom 23. Januar 2024 - 2 B 25.23 - juris Rn. 14).

15 b) Darüber hinaus ist die Revision nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Divergenz (§ 73 HDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

16 Eine die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründende "Abweichung" liegt nur vor, wenn zwischen den Gerichten ein grundsätzlicher Meinungsunterschied hinsichtlich der die Rechtsanwendung im Einzelfall bestimmenden Maßstäbe besteht. Die Divergenzrüge setzt deshalb die Darlegung eines prinzipiellen Auffassungsunterschieds über den Bedeutungsgehalt eines im konkreten Rechtsstreit erheblichen Rechtssatzes voraus. Die bloße Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt - anders als die Vorschriften über die Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) – den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3, vom 14. Dezember 2023 - 2 B 45.22 - NVwZ-RR 2024, 519 = juris Rn. 16 und vom 29. Februar 2024 - 2 B 33.23 - juris Rn. 9).

17 Eine Divergenz in dem beschriebenen Sinne legt die Beschwerde nicht dar. Das angefochtene Urteil weicht nicht rechtssatzmäßig von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Soweit die Beschwerde eine Abweichung zu den von ihr in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats (BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 53 und vom 10. Dezember 2015 - 2 C 50.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 39 Rn. 40; Beschluss vom 28. Januar 2020 - 2 B 34.19 - juris Rn. 8) annimmt, weil das Berufungsgericht bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme von ihr im Einzelnen benannte Umstände - anders als der Senat – "nicht hinreichend berücksichtigt" habe, macht sie der Sache nach nicht geltend, das Berufungsgericht habe einen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Rüge bloßer Subsumtionsfehler, mit denen sich der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerade nicht begründen lässt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. März 2016 - 3 PKH 5.15 - juris Rn. 9, vom 18. März 2016 - 3 B 16.15 - Buchholz 442.40 § 19c LuftVG Nr. 2 Rn. 36 und vom 2. September 2019 - 3 B 28.18 - juris Rn. 7).

18 Im Übrigen lässt sich der (zitierten) Rechtsprechung des Senats nicht der Rechtssatz entnehmen, bei der Maßnahmebemessung sei (stets) mildernd zu berücksichtigen, dass das "Disziplinarverfahren sehr lange unangemessen andauert". Nur in den Fällen, in denen die Höchstmaßnahme ausscheidet und deshalb eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, kann die unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - UA Rn. 84 f. und vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 53 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8, vom 26. August 2009 - 2 B 66.09 - juris Rn. 11 und vom 17. April 2020 - 2 B 3.20 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 73 Rn. 19).

19 c) Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 73 HDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.

20 Soweit man bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung in dem Einwand der Beschwerde, eine vom Berufungsgericht verwendete Zitatstelle "stimme ... nicht", die Rüge einer unzureichenden richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erkennt, wird hiermit ein Verfahrensmangel nicht dargetan. Denn in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Senats (Urteil vom 20. April 2023 - 2 A 18.21 - juris) ist - entgegen der Darstellung der Beschwerde - von einer Bagatellgrenze die Rede (a. a. O. Rn. 32) und der entstandene Schaden wird mit 4 873,93 € konkret beziffert (a. a. O. Rn. 18).

21 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 HDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (§ 82 Abs. 1 Satz 1 HDG i. V. m. Nr. 10 und 62 der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG).