Beschluss vom 29.01.2008 -
BVerwG 8 B 83.07ECLI:DE:BVerwG:2008:290108B8B83.07.0

Beschluss

BVerwG 8 B 83.07

  • VG Dresden - 12.04.2007 - AZ: VG 13 K 1160/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. April 2007 wird insoweit aufgehoben, als der Hilfsantrag des Klägers abgewiesen wurde.
  2. Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. April 2007 zurückgewiesen.
  4. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt der Kläger neun Zehntel. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 83 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die Beschwerde des Kläger hat insoweit Erfolg, als das Verwaltungsgericht eine Entscheidung über seinen Hilfsantrag, die Beklagte zu verpflichten, dem Grunde nach festzustellen, dass ihm ein Entschädigungsanspruch gemäß § 1 NS-VEntschG in Höhe des 50 %igen Bruchteilseigentums am Grundstück
H.straße 1, Flur Nr. 60p der Gemarkung D. zusteht, mit der Begründung abgelehnt hat, dass ein solcher Anspruch nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen sei. Insoweit liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) in Verbindung mit dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) verletzt. Der
Überzeugungsgrundsatz verpflichtet das Tatsachengericht u.a., bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (stRspr; vgl. Urteile vom 18. Juli 1986 - BVerwG 4 C 40 - 45.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 181 und vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158>; Beschluss vom 18. Juli 2001 - BVerwG 8 B 103.01 - ZOV 2001, 411). Das angefochtene Urteil beruht hinsichtlich des Hilfsantrags auf der Annahme, dass ein Entschädigungsanspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei und auch nicht in das Verfahren nachträglich eingeführt werden könne. Diese Auffassung verkennt, dass das früher zuständige Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit dem in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbezogenen Teilbescheid vom 8. November 1999 den Antrag des Klägers auf Übertragung des Eigentums in Höhe eines Bruchteils von 50/100 am streitbefangenen Grundstück abgelehnt und festgestellt hat, dass eine gesonderte Entschädigung nicht gewährt wird. Seit der Änderung des § 4 Satz 1 NS-VEntschG durch Gesetz vom 22. September 2005 (BGBl I S. 2809) hat die Beklagte nunmehr über den Entschädigungsanspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu entscheiden.

3 Die Begründung des Teilbescheides vom 8. November 1999 stützt die Versagung einer Entschädigung auf den inzwischen außer Kraft getretenen § 9 VermG, nicht jedoch auf § 1 NS-VEntschG. Es kommt entscheidend aber auf die Tenorierung an und nicht auf die Begründung des Bescheides. In dem Bescheid ist über die Entschädigungsberechtigung des Klägers nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG entschieden worden. Sie ist in der Feststellung zu sehen, dass der Kläger auf Grund einer Schädigung seines Rechtsvorgängers gemäß § 1 Abs. 6 VermG dem Grunde nach Berechtigter hinsichtlich eines Bruchteils von 50/100 am streitbefangenen Grundstück ist, aber die Übertragung von Bruchteilseigentum in dieser Höhe wegen des redlichen Erwerbs des Grundstücks durch den Beigeladenen gemäß § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen ist. Einer zusätzlichen Entscheidung, dass dem Kläger eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz dem Grunde nach zusteht, bedarf es daneben nicht. Dies folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG. Danach besteht kraft Gesetzes ein Anspruch auf Entschädigung, wenn eine Berechtigung nach § 1 Abs. 6 VermG festgestellt und die Rückgabe - z.B. nach § 4 Abs. 2 VermG - ausgeschlossen ist.

4 Eines gesonderten Antrages auf Entschädigung nach dem NS-VEntschG bedürfte es insoweit nicht, denn das Entschädigungsverfahren, für das nach § 4 Satz 1 NS-VEntschG ebenfalls die Beklagte zuständig ist, schließt an das vermögensrechtliche Verfahren an und ist an die dort getroffenen Feststellungen gebunden (vgl. Beschluss vom 27. Juni 2006 - BVerwG 3 B 183.05 - Buchholz 428.42 § 1 NS-VEntschG Nr. 2). Zwar ist bei der Berechnung der Höhe der Entschädigung nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG ggf. zu berücksichtigen, dass bei Ausschluss der Restitution von Bruchteilseigentum zu der Entschädigung für ein Unternehmen keine gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück gewährt wird, wenn dieses in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wurde. Dies betrifft aber ausschließlich die Berechnung der Höhe einer Entschädigung.

5 Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: In dem (Teil-) Bescheid vom 8. November 1999 hat das Landesamt zwar die Berechtigung des Klägers nach § 1 Abs. 6 VermG und einen Ausschlussgrund für die Rückgabe festgestellt, zugleich aber eine gesonderte Entschädigung für das Grundstück abgelehnt, weil die Entschädigung für das Grundstück von derjenigen für die Entziehung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung umfasst werde. Für die Entscheidung, dass keine gesonderte Entschädigung für das Grundstück geleistet werde, war aber nicht das Landesamt, sondern die Oberfinanzdirektion - heute das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen - zuständig (§ 4 Satz 1 NS-VEntschG i.d.F. vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2624, 2632) i.V.m. § 2 Satz 4 NS-VEntschG). Zwar kann nach dem Urteil des Senats vom 19. Januar 2005 - BVerwG 8 C 20.03 - (Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 1) eine Entscheidung über eine Entschädigung dem Grunde nach entfallen, wenn offenkundig ist, dass der Wert des Betriebsgrundstücks in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sowohl für die Feststellung der Entschädigungsberechtigung als auch für die Entscheidung zur Höhe der Entschädigung dieselbe Behörde zuständig ist, was zum Zeitpunkt des Erlasses des (Teil-)Bescheides nicht der Fall war. Davon abgesehen lag eine Offenkundigkeit nicht vor, weil zur Höhe des Entschädigungsanspruchs im vorliegenden Verfahren noch keine Feststellungen getroffen wurden und vom Kläger in Frage gestellt wird, dass das streitgegenständliche Grundstück in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. Deshalb fehlt es entgegen dem Vorbringen der Beklagten auch nicht an der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensmangels.

6 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil insoweit durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

7 2. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Die weiteren geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.

8 a) Der weiterhin gerügte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dass das Verwaltungsgericht den Verlauf der mündlichen Verhandlung falsch protokolliert und es auch unterlassen habe, in den Tatbestand des Urteils aufzunehmen, dass der Kläger einen Beweisantrag gestellt habe, liegt nicht vor. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Juli 2007, mit dem der Antrag des Klägers auf Berichtigung des Protokolls über die mündliche Verhandlung abgelehnt wurde, hat der Klägerbevollmächtigte einen förmlichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Mit dieser Begründung wurde auch der Tatbestandsberichtigungsantrag des Klägers durch Beschluss vom 18. Juli 2007 abgelehnt. Auch die Beschwerde behauptet nicht, dass der Kläger einen förmlichen Beweisantrag gestellt habe.

9 Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf diesem vermeintlichen Verfahrensfehler beruhen sollte, denn nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, auf die es allein ankommt, unterlag der Erwerb des streitgegenständlichen Grundstücks durch den Beigeladenen nicht der Genehmigungspflicht nach der Wohnraumlenkungsverordnung. Es kam deshalb für das Verwaltungsgericht auch nicht darauf an, ob der Beigeladene eine entsprechende Genehmigung beantragt hatte.

10 b) Soweit die Beschwerde rügt, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche von mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ab, erfüllt sie schon nicht die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Danach muss die Beschwerde darlegen, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz vorliegt, mit dem die Vorinstanz einem in der bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat. Daran fehlt es hier hinsichtlich aller benannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Die Beschwerde zeigt keinen Rechtssatzwiderspruch auf, sondern bemängelt - schon in der Überschrift: „Verstoß gegen die Urteile vom ...“ - , dass das Verwaltungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssätze im Einzelfall fehlerhaft angewandt habe. Ein Anwendungsfehler, selbst wenn er vorläge, ist jedoch keine Abweichung im Sinne des Revisionszulassungsrechts.

11 c) Auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Sache nicht zu. Die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage,
führt ein bewusster Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften beim Erwerb eines Einfamilienhausgrundstückes zu einem Verstoß gegen die zum Zeitpunkt des Erwerbes in der DDR geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätze und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil der behauptete Verstoß des Beigeladenen gegen baurechtliche Vorschriften nicht beim Erwerb des streitgegenständlichen Grundstücks, sondern erst nach dem Erwerb bei der Errichtung seines Wohnhauses erfolgt ist. Er betraf damit nicht den Erwerbsvorgang, auf den für die Beurteilung der Redlichkeit i.S.d. § 4 Abs. 2 und 3 VermG abzustellen ist (vgl. Beschluss vom 3. Februar 1995 - BVerwG 7 B 221.94 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 14).

12 d) Soweit die nach dem 25. Juli 2007 eingegangenen Schriftsätze des Beschwerdeführers neues Vorbringen enthalten, kann dieses nicht berücksichtigt werden, weil es nach Ablauf der Begründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO vorgebracht wurde.

13 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47, 52 GKG.