Beschluss vom 29.01.2008 -
BVerwG 1 WB 2.07ECLI:DE:BVerwG:2008:290108B1WB2.07.0

Leitsatz:

Zu der durch eine ermessensbindende Verwaltungsvorschrift angeordneten gesonderten Betrachtung von sogenannten „Seiteneinsteigern“ bei der Zulassung zu einer Offizierlaufbahn der Bundeswehr

  • Rechtsquellen
    SLV § 40 Abs. 1
    WBO § 17 Abs. 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.01.2008 - 1 WB 2.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:290108B1WB2.07.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 2.07

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Fischer und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Rusch
am 29. Januar 2008 beschlossen:

  1. Der Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 4. April 2006 und der Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 29. November 2006 werden aufgehoben.
  2. Der Bundesminister der Verteidigung wird verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin vom 30. April 2005, sie zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zuzulassen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
  3. Die der Antragstellerin im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Entscheidung des Personalamtes der Bundeswehr in der Gestalt des dazu ergangenen Beschwerdebescheides des Bundesministers der Verteidigung, mit der ihr Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes abgelehnt worden ist. Die 1977 geborene Antragstellerin war zunächst Soldatin auf Zeit mit einer auf 12 Jahre festgesetzten Dienstzeit; sie ist nach Mitteilung ihres Bevollmächtigten vom 28. Januar 2008 inzwischen Berufssoldatin. Sie absolvierte ... 1997 erfolgreich die Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst der Schutzpolizei an der Landes-Polizeischule Baden-Württemberg und war bis zu ihrem Eintritt in die Bundeswehr im Polizeidienst des Landes Baden-Württemberg beschäftigt.

2 Aufgrund ihrer Bewerbung wurde die Antragstellerin ... 2001 zunächst als Schütze (UA) in die Bundeswehr (Feldjägergruppe) eingestellt. Gemäß § 13b SLV in der bis zum 31. März 2002 gültigen Fassung (BGBl I S. 1111) der Bekanntmachung vom 28. Januar 1998 (BGBl I S. 326), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl I S. 1815) wurde sie anschließend nach einer Neubewertung ihrer zivilberuflichen Qualifikation ... 2001 im Dienstgrad eines Feldwebels in die Laufbahn der Feldwebel des Truppendienstes übernommen und der Ausbildungs- und Verwendungsreihe 25303 „Feldjäger“ zugeordnet.

3 Am ... 2002 bestand sie den Feldwebellehrgang mit der Note „gut“. Am ... 2003 wurde sie zum Oberfeldwebel ernannt. Seit dem ... 2006 wird sie als Wehrdienstberaterfeldwebel beim Zentrum ... ... in B. verwendet. Mit der Anordnung dieser Versetzung verfügte die (damalige) Stammdienststelle des Heeres zugleich den Wechsel der Antragstellerin in die Laufbahn des Sanitätsdienstes.

4 Am ... 2003 und am ... 2005 wurde die Antragstellerin als Feldwebel jeweils planmäßig beurteilt. Anlässlich ihrer ersten (erfolglosen) Bewerbung für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes nahm sie am ... Januar 2004 an der psychologischen Eignungsprüfung teil und erreichte dabei 20 Indexpunkte (Empfehlungsgrad „mit besonderem Nachdruck empfohlen“).

5 Mit Schreiben vom 30. April 2005 bewarb sich die Antragstellerin erneut um die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung erklärte sie sich für den Fall, dass sie aus Bedarfsgründen nicht in der Ausbildungs- und Verwendungsreihe 25303 zugelassen werden könne, mit einer Umsetzung in die Ausbildungs- und Verwendungsreihe 25813 „Stabsdienst S 1“ einverstanden.

6 Mit Bescheid vom 4. April 2006 lehnte das Personalamt der Bundeswehr den Antrag mit der Begründung ab, die Auswahlkommission habe für das Auswahlverfahren des Heeres 2006 nach Auswertung der Bewerbungsunterlagen aller Bewerber der Ausbildungs- und Verwendungsreihe 25303, des Geburtsjahres der Antragstellerin und unter Beachtung des Bedarfs Bewerber zur Zulassung vorgeschlagen, deren Eignungs- und Leistungsbild günstiger als das der Antragstellerin gewesen sei. Umsetzungsmöglichkeiten in andere Ausbildungs- und Verwendungsreihen seien ohne Erfolg geprüft worden.

7 Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 18. Mai 2006 Beschwerde ein, die ihr Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 29. September 2006 im Wesentlichen damit begründete, die Antragstellerin sei nach § 13b SLV a.F. mit dem Dienstgrad Feldwebel eingestellt worden und hätte deshalb im Auswahlverfahren gesondert betrachtet werden müssen. Überdies sei ihre Betrachtung in der Sanitätstruppe unterblieben.

8 Die Beschwerde wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Beschwerdebescheid vom 29. November 2006 zurück und führte zur Begründung aus, nach der maßgeblichen „Richtlinie für die Auswahl von Unteroffizieren für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes“ vom 23. Juli 2002 seien Soldatinnen und Soldaten, die mit dem höheren Dienstgrad Feldwebel eingestellt oder zu diesem Dienstgrad (nach-)befördert worden seien, im Auswahlverfahren für den Laufbahnwechsel gesondert zu betrachten. Dieser Regelung, bei der das Ergebnis des Feldwebellehrganges kein Bewertungskriterium darstelle, liege die Erwägung zugrunde, dass nicht alle „Seiteneinsteiger“ mit dem Dienstgrad Feldwebel auch den Feldwebellehrgang absolviert hätten, weil die entsprechenden laufbahnrechtlichen Voraussetzungen bereits anderweitig nachgewiesen worden seien. Die Soldatenlaufbahnverordnung, die ZDv 20/7 oder die zitierte Richtlinie enthielten jedoch keine Regelungen, auf welche Art und Weise diese „gesonderte“ Betrachtung zu erfolgen habe. Das insoweit bestehende weite Ermessen der Stammdienststelle des Heeres bzw. des Amtschefs des Personalamtes werde daher durch diese Vorschriften weder eingeschränkt noch gebunden. Es sei deshalb nicht ermessensfehlerhaft, dass die Antragstellerin bei der „gesonderten“ Betrachtung nicht ausschließlich mit den als „Seiteneinsteiger“ in die Bundeswehr eingestellten Soldaten verglichen worden sei, sondern mit allen anderen Bewerbern. Hiernach habe der in der Ausbildungs- und Verwendungsreihe 25303 ausgewählte Soldat ein deutlich besseres Eignungs- und Leistungsbild gezeigt als die Antragstellerin. Allerdings sei einzuräumen, dass dieser Soldat seinen Feldwebellehrgang - wie die Antragstellerin - mit der Note „gut“ abgeschlossen habe. Dies gelte auch für den Vergleich der Antragstellerin im Verhältnis zu den Soldatinnen bzw. Soldaten, die im Wege der Umsetzung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen worden seien. Der für den Sanitätsdienst in die angestrebte Laufbahn übernommene Soldat habe einen besseren Summenrangplatz erreicht als die Antragstellerin. Zwar sei der Antragstellerin zuzustimmen, dass die bei ihr vorliegenden planmäßigen Beurteilungen in einem Feldwebeldienstgrad teilweise zu einem anderen Termin hätten erstellt werden müssen. Dem habe die Stammdienststelle des Heeres jedoch dadurch Rechnung getragen, dass sie rechtsfehlerfrei entschieden habe, die zweite Feldwebelbeurteilung der Antragstellerin auf den Termin 30. Juni 2005 vorzuziehen. Vor diesem Hintergrund sei der Antragstellerin kein Nachteil entstanden.

9 Gegen diese am 4. Dezember 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung vom 18. Dezember 2006, den der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 11. Januar 2007 dem Senat vorgelegt hat.

10 Zur Begründung trägt die Antragstellerin insbesondere vor:
Für sie sei nach wie vor nicht erkennbar, dass sie gesondert betrachtet worden sei. Dem Bundesminister der Verteidigung stehe nicht der behauptete weite Ermessensspielraum zu; vielmehr enthalte die maßgebliche Richtlinie ausdrücklich eine Selbstbeschränkung des Ermessens, indem sie fordere, dass Soldaten, die als Quereinsteiger betrachtet würden, unter Berücksichtigung weiterer Erkenntnisse „gesondert“ zu betrachten seien. Dies schließe es in jedem Fall aus, eine Mitbetrachtung mit den „regulären“ Soldatinnen und Soldaten vorzunehmen, die nach einem „normalen“ Werdegang (Mannschaftsdienstgrad/Unteroffizier/Portepeeunteroffizier) den Zulassungsantrag gestellt hätten. Es sei selbstverständlich, dass ein Quereinsteiger, der sogleich mit dem Dienstgrad Feldwebel eingestellt werde, ein Fehl an Erfahrung aufweise, die die anderen Soldatinnen und Soldaten im Verlaufe ihrer bis dahin absolvierten militärischen Karriere hätten sammeln können. Gerade deshalb finde eine gesonderte Betrachtung statt, weil sich die Quereinsteiger mit diesen anderen Soldatinnen und Soldaten nicht vergleichen ließen. Es fehle völlig an Regularien, nach denen die gesonderte Betrachtung der Quereinsteiger stattzufinden habe. Im Übrigen sei sie, die Antragstellerin, aufgrund einer fehlerhaften Bearbeitung der personalbearbeitenden Stelle lediglich auf der Basis von zwei Regelbeurteilungen und nicht - wie üblich - auf der Basis von drei Regelbeurteilungen betrachtet worden. Inzwischen habe sie sich für das Auswahljahr 2008 erneut um die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes beworben. Da sie sich für dieses Auswahlverfahren gute Chancen ausrechne, bitte sie gemäß § 94 VwGO um Aussetzung des Verfahrens.

11 In der Sache beantragt die Antragstellerin,
den Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 4. April 2006 und den Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 29. November 2006 aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, den Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

12 Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

13 Der Bundesminister der Verteidigung tritt dem Antrag unter Bezugnahme auf den Inhalt des Beschwerdebescheides vom 29. November 2006 entgegen. Ergänzend führt er aus, dass entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine Verpflichtung einer Behörde bestehe, im Wege der Selbstbindung der Verwaltung Verfahrensregularien zu der „gesonderten“ Betrachtung zu erlassen. Hierauf bestehe auch kein subjektiver Anspruch. Wegen der sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der „Quereinsteiger“ habe sich auch noch nicht einmal eine das weite Ermessen bindende ständige Verwaltungspraxis bilden können.

14 Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - 952/06 - und die Personalgrundakte der Antragstellerin, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

15 Der Senat hat keine Veranlassung, das Verfahren nach § 94 VwGO (in entsprechender Anwendung) auszusetzen, bis über den Antrag der Antragstellerin auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes im Auswahlverfahren 2008 entschieden ist. Der Ausgang jenes Verfahrens ist für das vorliegende Wehrbeschwerdeverfahren nicht vorgreiflich.

16 Der Aufhebungs- und Neubescheidungsantrag ist zulässig.

17 Die Entscheidung über die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes gemäß § 40 Abs. 1 SLV i.V.m. den konkretisierenden Regelungen der ZDv 20/7 (Kapitel 8) betrifft keine statusrechtliche Angelegenheit. Sie ist vielmehr eine truppendienstliche Verwendungsentscheidung, für die gemäß § 21 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1, Abs. 3 WBO der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten - hier zum Bundesverwaltungsgericht - eröffnet ist (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 20. Juni 2005 - BVerwG 1 WB 60.04 - Buchholz 252 § 20 SBG Nr. 1 <insoweit nicht veröffentlicht> und vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 9.05 - Buchholz 449.2 § 40 SLV 2002 Nr. 1 <insoweit nicht veröffentlicht>).

18 Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass der für die Antragstellerin nach Nr. 932 ZDv 20/7 maßgebliche Zulassungstermin 1. Oktober 2006 schon im Zeitpunkt des Beschwerdebescheides des Bundesministers der Verteidigung und erst recht im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens an den Senat am 15. Januar 2007 verstrichen war. Nach mehrfacher Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung in vergleichbaren Verfahren (u.a. BVerwG 1 WB 60.04 , BVerwG 1 WB 9.05 und BVerwG 1 WB 25.05 ) kann eine nachträgliche Zulassung aufgrund einer Ausnahmegenehmigung noch erfolgen, wenn der Antrag der Antragstellerin in der Sache erfolgreich wäre. Gegenteiliges ist vom Bundesminister der Verteidigung im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht worden.

19 Der Antrag ist auch begründet.

20 Die angefochtenen Bescheide des Personalamtes der Bundeswehr und des Bundesministers der Verteidigung sind rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Entscheidung, die Antragstellerin zu der von ihr angestrebten Laufbahn nicht zuzulassen, weist einen Ermessensfehler auf, der einen Anspruch auf Neubescheidung begründet.

21 Zwar hat ein Soldat keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche oder fachliche Verwendung. Dies gilt auch für die Entscheidung über die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Januar 2006 a.a.O. m.w.N. und vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 25.05 -). Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch aus der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten nicht ableiten. Das mit einem entsprechenden Antrag befasste Gericht kann daher nur prüfen, ob der zuständige Vorgesetzte den jeweiligen Antragsteller oder die jeweilige Antragstellerin mit der Ablehnung der Zulassung zu der angestrebten Laufbahn durch Überschreitung oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in deren Rechten verletzt hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO), d.h., ob er dabei die gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit eingeräumten Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO analog; Beschlüsse vom 24. Januar 2006 jeweils a.a.O.). Hat der Bundesminister der Verteidigung das ihm oder einer von ihm beauftragten Stelle eingeräumte Ermessen in Richtlinien oder Verwaltungsvorschriften gebunden, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob diese Richtlinien unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG eingehalten worden sind.

22 Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Zulassung von Unteroffizieren zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes gemäß § 40 Abs. 1 SLV aufgrund der Ermächtigung in § 44 SLV in Kapitel 8 der ZDv 20/7 näher geregelt. Nach § 40 Abs. 1 SLV sowie nach Nr. 801 ZDv 20/7 steht die Zulassung zu dieser Laufbahn im Ermessen des Bundesministeriums der Verteidigung und setzt Bedarf und Eignung der Bewerber voraus. Die Auswahl für die Zulassung erfolgt gemäß Nr. 805 ZDv 20/7 nach den „Richtlinien BMVg - PSZ I 1 - und den ergänzenden Durchführungsbestimmungen der Fü TSK/San“, hier nach der „Richtlinie für die Auswahl von Feldwebeln für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes“ des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 1 - Az.: 16-05-12/16 - vom 23. Juli 2002 - im Folgenden: Auswahlrichtlinie -. Zur Konkretisierung des nach § 3 Abs. 1 SG sowie nach Nr. 1 der Auswahlrichtlinie maßgeblichen Ziels, die nach Eignung, Befähigung und Leistung für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes am besten geeigneten Bewerberinnen und Bewerber auszuwählen und zur Zulassung vorzuschlagen, bestimmt Nr. 18 der Auswahlrichtlinie im Rahmen der Auswahlkriterien folgende Bewertungsgrundlagen:
- die letzte planmäßige Beurteilung als Feldwebel,
gegebenenfalls Sonderbeurteilung,
- die Laufbahnbeurteilung,
- das Ergebnis der Laufbahnprüfung zum Feldwebel/
Bootsmann und ergänzende teilstreitkraft-/sanspezifische Kriterien (z.B. PFT, AEF, u.ä.).

23 In der Fußnote Nr. 5 zu dem (dritten) Auswahlkriterium des Ergebnisses der Laufbahnprüfung ist festgelegt, dass das Verfahren für Soldatinnen und Soldaten, die mit dem Dienstgrad Feldwebel/Bootsmann eingestellt oder zum Feldwebel/Bootsmann befördert wurden, in Anlage 1 Nr. 4 gesondert geregelt ist.

24 Nach Anlage 1 Nr. 4 können bei Soldatinnen und Soldaten, die mit dem Dienstgrad Feldwebel/Bootsmann eingestellt oder zum Feldwebel/Bootsmann befördert wurden, für die Reihung „nur“ die Kriterien 1 (letzte planmäßige Beurteilung/Sonderbeurteilung als Feldwebel) und 2 (Laufbahnbeurteilung), gegebenenfalls noch teilstreitkraft- bzw. sanspezifische Kriterien herangezogen werden, selbst wenn sie (d.h. diese Soldatinnen und Soldaten) im Rahmen ihrer Ergänzungsausbildung am Feldwebellehrgang (einschließlich Abschlussprüfung) teilgenommen haben. Für die Auswahl sind diese Soldatinnen und Soldaten - unter Berücksichtigung weiterer Erkenntnisse - „gesondert“ zu betrachten.

25 Mit diesen Regelungen in Anlage 1 Nr. 4 i.V.m. Fußnote 5 zu Nr. 18 der Auswahlrichtlinie hat das Bundesministerium der Verteidigung eine Ermessensbindung hinsichtlich der Reihung und der Betrachtung in der Auswahl für die Soldatinnen und Soldaten vorgenommen, die nicht den regulären Werdegang in Gestalt einer Aufstiegslaufbahn für Unteroffiziere absolviert haben, sondern als „Seiteneinsteiger“ in die Bundeswehr eingetreten sind. Dieser Regelung liegt - wie der Bundesminister der Verteidigung sowohl im Beschwerdebescheid als auch in der Vorlage an den Senat betont - die Erwägung zugrunde, dass nicht alle „Seiteneinsteiger“ mit dem Dienstgrad Feldwebel den Feldwebellehrgang absolviert haben, weil die entsprechenden laufbahnrechtlichen Voraussetzungen bereits anderweitig nachgewiesen worden sind. An diese ermessensbindende Bestimmung ist der Bundesminister der Verteidigung bzw. die von ihm beauftragte personalbearbeitende Stelle bei der Auswahl der Bewerber für die Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden.

26 Die Entscheidung, die Antragstellerin für die angestrebte Laufbahn nicht zuzulassen, beruht auf einem Verstoß gegen das Gebot der „gesonderten“ Betrachtung der mit dem Dienstgrad Feldwebel/Bootsmann eingestellten oder zum Feldwebel/Bootsmann beförderten Soldatinnen und Soldaten.

27 In dem angefochtenen Beschwerdebescheid nimmt der Bundesminister der Verteidigung ausdrücklich für sich in Anspruch, eine „gesonderte“ Betrachtung der Antragstellerin im Vergleich zu den anderen Laufbahnbewerbern durchgeführt zu haben. Er hat jedoch - wie er selbst einräumt - kein Verfahren festgelegt und auch keine (gemäß Art. 3 Abs. 1 GG bindende) ständige Verwaltungspraxis entwickelt, wie die in der Auswahlrichtlinie angeordnete „gesonderte“ Betrachtung erfolgen soll. Die Auswahlrichtlinie lässt nicht nur offen, in welcher Form das Prinzip der Bestenauslese bei der gesonderten Betrachtung der „Seiteneinsteiger“ zu verwirklichen ist. Sie lässt auch offen, mit welchem Anteil die Gruppe der gesondert betrachteten „Seiteneinsteiger“ oder mit welchem Rang der jeweilige Bewerber aus dieser Gruppe im Verhältnis zu den auf der Vorsortierungsliste platzierten „regulären“ Bewerbern bei der Zulassung im Rahmen des festgestellten Ergänzungsbedarfs zu berücksichtigen ist. Dies könnte z.B. in Gestalt einer gesonderten Quote für die „Seiteneinsteiger“ oder in Form einer Umrechnung der Ergebnisse der „Seiteneinsteiger“ auf die Ergebnisse der „regulären“ Bewerber mit Hilfe eines „Verzahnungsfaktors“ und anschließender Reihung aller Bewerber oder in anderer Weise geschehen. In Betracht kommt auch, die „Seiteneinsteiger“ mit erfolgreich absolviertem Feldwebel-Lehrgang - gesondert von den Bewerbern ohne diese Ausbildung - mit den „regulären“ Bewerbern zu vergleichen. Eine derartige Verfahrensregelung obliegt allerdings ausschließlich dem Bundesminister der Verteidigung als dem Träger des Ermessens; sie kann nicht vom Senat unterstellt oder ersetzt werden.

28 Damit fehlt für den Bereich der „gesonderten“ Betrachtung der Bewerber nach Anlage 1 Nr. 4 der Auswahlrichtlinie eine nachvollziehbare - schriftlich festgelegte oder ständig praktizierte - Verfahrensgestaltung, die dem Senat eine tatsächlich wirksame Überprüfung der Auswahlentscheidung ermöglichen könnte (zu diesem Erfordernis verfahrensrechtlicher Regelungen oder Vorkehrungen bei Auswahlentscheidungen Beschluss vom 25. April 2007 - BVerwG 1 WB 31.06 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 41).

29 Die Antragstellerin ist, wie teilweise auch schon im Bescheid des Personalamts ausgeführt, nicht ausschließlich mit als „Seiteneinsteiger“ in die Bundeswehr eingestellten Soldaten verglichen worden, sondern ohne erkennbare Differenzierung mit sämtlichen anderen Laufbahnbewerbern, darunter auch mit den Bewerbern, die (lediglich) im Wege der Umsetzung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zugelassen wurden. Diese Handhabung der Auswahl und die folgende Auswahlentscheidung beruhen auf einem nicht nachvollziehbaren Verfahren, das der angeordneten „gesonderten“ Betrachtung widerspricht; sie leiden deshalb an einem Ermessensfehler.

30 Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Regelung in Anlage 1 Nr. 4 der Auswahlrichtlinie entgegen der Auffassung des Bundesministers der Verteidigung eine Einschränkung seines Auswahlermessens darstellt. Schon Fußnote 5 zu Nr. 18 der Auswahlrichtlinie dokumentiert, dass das Verfahren für Soldatinnen und Soldaten, die mit dem Dienstgrad Feldwebel/Bootsmann eingestellt oder zum Feldwebel/Bootsmann befördert wurden, einer gesonderten Regelung - abweichend vom Verfahren für die regulär militärisch ausgebildeten Bewerber - in Anlage 1 Nr. 4 der Auswahlrichtlinie zugeführt werden soll. Die ausdrücklich geforderte gesonderte Betrachtung verbindet Anlage 1 Nr. 4 der Auswahlrichtlinie sodann mit der Anordnung, „unter Berücksichtigung weiterer Erkenntnisse“ die Auswahl dieser Soldatinnen und Soldaten vorzunehmen. Die heranzuziehenden „weiteren Erkenntnisse“ sollen im Einzelfall ersichtlich die fehlende Berücksichtigung des Feldwebel-Lehrgangs kompensieren.

31 Diese eindeutige Einschränkung des Auswahlermessens ist durch den vom Bundesminister der Verteidigung hervorgehobenen Aspekt des unterschiedlichen Werdeganges dieser verschiedenen Bewerber innerhalb und außerhalb der Bundeswehr sachlich gerechtfertigt.

32 Soweit der Bundesminister der Verteidigung im Schriftsatz vom 2. März 2007 ohne nähere Erläuterung ausführt, wegen der sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der „Quereinsteiger“ habe sich noch keine das weite Ermessen bindende ständige Verwaltungspraxis bilden können, ist hieraus nicht - umgekehrt - die Behauptung einer ständigen Verwaltungspraxis zu entnehmen, die der präzisen Bestimmung in Anlage 1 Nr. 4 der Auswahlrichtlinie entgegenliefe.

33 Mithin besteht ein Anspruch der Antragstellerin auf Neubescheidung ihres Zulassungsantrages.

34 Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO.