Beschluss vom 28.11.2019 -
BVerwG 2 VR 3.19ECLI:DE:BVerwG:2019:281119B2VR3.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.11.2019 - 2 VR 3.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:281119B2VR3.19.0]

Beschluss

BVerwG 2 VR 3.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. November 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Die 1977 geborene Antragstellerin steht als Regierungshauptsekretärin (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) im Dienst der Antragsgegnerin und wird seit Anfang September 2003 beim Bundesnachrichtendienst (BND) verwendet. Seit dem 2.  Juli 2012 leistet die Antragstellerin krankheitsbedingt keinen Dienst.

2 Im Jahr 2014 verhängte der BND gegen die Antragstellerin im Rahmen eines Disziplinarverfahrens eine Geldbuße, weil die Antragstellerin während ihrer Krankschreibung auf einer Fachmesse vor einem größeren Publikum an einer Vorführung einer Rettungshundestaffel teilgenommen hatte. Diese Disziplinarverfügung hob der BND im Gerichtsverfahren wieder auf.

3 Da der BND Zweifel an den von der Antragstellerin vorgelegten privatärztlichen Attesten hatte, wurde die Antragstellerin ab Mitte 2015 amtsärztlich von der Zentralen Medizinischen Gutachtenstelle Berlin - ZMGA - untersucht. Im Gutachten vom 5. Juni 2015 stellte die ZMGA fest, bei der Antragstellerin könne von der Wiederherstellung der erforderlichen Belastbarkeit für eine weitere Tätigkeit beim BND nicht mehr ausgegangen werden. Das Disziplinarverfahren habe zu einer schweren seelischen Belastung geführt und das Verhältnis zur aktuellen Dienstbehörde sei zerrüttet. Dauernde Dienstunfähigkeit bestehe nur bezüglich der aktuellen Dienstbehörde (BND), nicht aber für jede andere Behörde. Deshalb scheide auch die Zurruhesetzung der Antragstellerin aus.

4 Gegenüber einer ins Auge gefassten Versetzung an das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, die einen Umzug nach Nordrhein-Westfalen zur Folge gehabt hätte, bat die Antragstellerin unter Hinweis auf die Fürsorgepflicht um die Zuweisung eines Dienstpostens im Raum Berlin. Ende September 2015 beauftragte der BND die ZMGA mit der Prüfung, ob bei der Antragstellerin hinsichtlich des Dienstortes gesundheitliche Einschränkungen bestünden. Die erforderliche psychiatrische Zusatzbegutachtung konnte erst am 8. Juni 2016 durchgeführt werden; vorherige Versuche einer ärztlichen Begutachtung scheiterten. Zunächst legte die Antragstellerin die privatärztlichen Befunde nicht vor, die ihre wohnortnahe Verwendung empfehlen; eine erste psychiatrische Zusatzbegutachtung vom Februar 2016 musste wegen einer Konfliktsituation abgebrochen werden. Die weiteren Untersuchungstermine im März und April 2016 nahm die Antragstellerin nicht wahr. Die psychiatrische Zusatzbegutachtung vom 8. Juni 2016 ergab, dass Dienstfähigkeit der Antragstellerin außerhalb des BND und auch außerhalb Berlins bestehe. Es sei aber das erhöhte Risiko für die Entwicklung einer erneuten Anpassungsstörung zu berücksichtigen.

5 Anfang August 2017 lud die Bundespolizeidirektion Berlin die Antragstellerin zu einem Vorstellungsgespräch ein; die Antragstellerin teilte der Polizeidirektion mit, vor einer endgültigen Entscheidung müsse erst geklärt sein, welche Möglichkeiten ihr mit ihrer Laufbahnausbildung noch offen stünden. Ende August 2017 teilte die Polizeidirektion mit, es bestehe kein Interesse an der Übernahme der Antragstellerin mehr.

6 Im September 2017 führte die ZMGA auf Anfrage des BND ergänzend schriftlich aus, im Gutachten vom 5. Juni 2015 sei eine länger andauernde Anpassungsstörung mit Angst und Depression (ICD-10: F 43.22) diagnostiziert worden. Im Gutachten vom Juni 2016 sei die vormals festgestellte Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (ICD-10: F 43.23) leicht modifiziert aufrechterhalten worden.

7 Im Februar 2018 erhob die Antragstellerin gegen ihre Nichtberücksichtigung in der Reihungsliste für anstehende Beförderungen des mittleren Dienstes nach der Besoldungsgruppe A 9m BBesO Widerspruch, den der BND zurückwies.

8 Ebenfalls im Februar 2018 wies der BND die Antragstellerin darauf hin, dass sie im Hinblick auf zukünftige Verwendungen erneut amtsärztlich begutachtet werden solle. Das amtsärztliche Gutachten vom 4. Juni 2018 führt aus, dass die Antragstellerin hinsichtlich einer weiteren Tätigkeit beim BND dauerhaft als nicht dienstfähig einzuschätzen sei. Abgesehen von dem belastenden Konflikt mit dem BND erscheine die Antragstellerin in ihren Kompetenzen bemerkenswert wenig eingeschränkt. Hinsichtlich der Tätigkeit in anderen Bundesbehörden seien keine wesentlichen Einschränkungen erkennbar. Hier sei die Antragstellerin auch zeitnah wieder einsetzbar. Der Wunsch der Antragstellerin, nicht im reinen Verwaltungsdienst zu arbeiten und nicht außerhalb von Berlin eingesetzt zu sein, entspringe ihren eigenen Vorlieben und nicht einer medizinischen Notwendigkeit. Auf Nachfrage des BND ergänzte die ZMGA, die Diagnose, die Antragstellerin sei auf absehbare Zeit für den BND, nicht aber für andere Behörden dienstunfähig, sei mit einer Diagnose der ICD-10 getroffen worden. Aufgrund der deutlich psychoreaktiven Anteile liege bei der Antragstellerin eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Symptomatik vor (ICD-10: F 43.2).

9 Anfang Oktober 2018 scheiterten mehrere telefonische Kontaktversuche des Bundesverwaltungsamts Berlin, das an der Beschäftigung der Antragstellerin grundsätzlich Interesse hatte. Auch der BND konnte die Antragstellerin Anfang Oktober 2018 telefonisch nicht erreichen. Daraufhin gab der BND der Antragstellerin mit Schreiben vom 2. Oktober 2018 formal auf, sich unverzüglich mit dem Bundesverwaltungsamt zwecks der Vereinbarung eines Vorstellungstermins in Verbindung zu setzen, den vereinbarten Vorstellungstermin wahrzunehmen und überdies ihre telefonische Erreichbarkeit für den BND sicherzustellen. Dieses Schreiben wurde der Antragstellerin am Vormittag des 4. Oktober 2018 an ihrer Wohnadresse durch einen Kurier des BND mittels Einwurf in den Briefkasten zugestellt. Dieser Weisung kam die Antragstellerin nicht nach.

10 Nachdem das Bundesverwaltungsamt dem BND mitgeteilt hatte, kein weiteres Interesse an der Übernahme der Antragstellerin zu haben, wies der BND die Antragstellerin mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 an, sich bis zum 2. November 2018 schriftlich zu ihrem Verhalten zu erklären, umgehend ihre telefonische Erreichbarkeit sicherzustellen, zukünftig längere Abwesenheiten von ihrem Wohn- und Dienstort vorab dem BND mitzuteilen und sodann am 7. November 2018 zu einem Personalgespräch in der Zentrale des BND zu erscheinen. Dieses Schreiben wurde der Antragstellerin am 27. Oktober 2018 zugestellt. Dieser Weisung kam die Antragstellerin nicht nach.

11 Mit Schreiben vom 21. Februar 2019 wurde der Antragstellerin aufgegeben, sich am 26. Februar 2019 zu einem klärenden Personalgespräch in der Zentrale des BND einzufinden. Dieses Schreiben wurde der Antragstellerin von der Deutschen Post AG aber erst am 26. Februar 2019 zugestellt; auf dieses Schreiben reagierte die Antragstellerin nicht.

12 In dem der Antragstellerin am 4. März 2019 zugestellten Schreiben vom 1. März 2019 wurde der Antragstellerin die Prüfung disziplinar- und dienstrechtlicher Konsequenzen angekündigt, weil sie den in den Schreiben vom Oktober 2018 und Februar 2019 ausgesprochenen Weisungen unentschuldigt nicht nachgekommen sei. Ferner wurde die Antragstellerin zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen angehört.

13 Mit Verfügung vom 5. April 2019 leitete der BND gegen die Antragstellerin ein behördliches Disziplinarverfahren ein, enthob die Antragstellerin vorläufig des Dienstes und ordnete an, dass künftig 40 Prozent ihrer monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden. Die Antragstellerin habe über einen längeren Zeitraum unentschuldigt und vorwerfbar insbesondere gegen ihre beamtenrechtlichen Grund-, Wohlverhaltens- und Folgepflichten verstoßen und damit ein Dienstvergehen begangen. Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge seien rechtmäßig, weil anzunehmen sei, dass das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen werde. Die Antragstellerin habe gegenüber ihrem Dienstherrn, dem BND, eine totale Verweigerungshaltung an den Tag gelegt. An sie adressierte Schreiben habe sie nicht beantwortet, den aufgegebenen Weisungen zu einem Personalgespräch sei sie ohne Entschuldigung und ohne jegliche weitere Rückäußerung nicht nachgekommen. Auch telefonisch sei sie für den BND nicht zu erreichen. Wegen der telefonischen Unerreichbarkeit liege der Verdacht nahe, dass die Antragstellerin gezielt und planmäßig vorgehe. Bei einem Anruf auf ihrem Handy springe zugleich die Mailbox an, sodass der Anrufer keine Sprachnachricht hinterlassen könne. Es bestehe der Verdacht, dass die Antragstellerin eine Kontaktaufnahme durch den BND bewusst zu vereiteln versuche, damit dieser sich nicht mit ihr wegen möglicher Vermittlungsbemühungen zu anderen Behörden in Verbindung setzen könne. Zuletzt sei bei Anrufen auf ihrem Handy sogar mitgeteilt worden, dass diese Nummer nicht vergeben sei. Ihre telefonische Erreichbarkeit habe die Antragstellerin damit entgegen wiederholter Weisungen nicht mitgeteilt. Im Hinblick auf dieses Verhaltensmuster sei die Antragstellerin eine Wiederholungstäterin. Bereits im Jahr 2016 habe man sie über ihren damaligen Anwalt auffordern müssen, die telefonische Erreichbarkeit für den BND sicherzustellen. Wegen dieses Verhaltens sei die Antragstellerin im Jahr 2016 auch gerügt worden. Ihr Verhalten wiege auch deshalb schwer, weil sie wegen ihrer amtsärztlich festgestellten Dienstunfähigkeit für die Tätigkeit beim BND verpflichtet sei, bei einer Versetzung zu einer anderen Behörde mitzuwirken. Eine Beamtin, die trotz Alimentation unerreichbar sei, offenbare nicht nur charakterliche Schwächen, sondern auch ein besonderes Maß an Pflichtvergessenheit. Obwohl sie für den Dienst beim BND nach amtsärztlicher Feststellung dienstunfähig sei, sei sie noch Beamtin des BND und stehe zu diesem in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis. Wegen ihres Verhaltens gegenüber dem BND sei dort ein endgültiger Vertrauensverlust i.S.v. § 13 BDG eingetreten. Aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung müsse der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen werde oder die durch ihr Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums bei Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gut zu machen sein werde. Der Einbehalt der Dienstbezüge der Antragstellerin im Umfang von 40 Prozent sei auch verhältnismäßig; der Antragstellerin verblieben Dienstbezüge in Höhe von 1 367,52 €.

14 Am 18. April 2019 hat die Antragstellerin Widerspruch gegen die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung ihrer Bezüge erhoben. Zur Begründung ihres Antrags nach § 63 Abs. 1 BDG trägt die Antragstellerin vor:

15 Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen. Sofern überhaupt ein Dienstvergehen gegeben sei, führe dies nicht zu ihrer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die Aufforderung zu einem Vorstellungsgespräch beim Bundesverwaltungsamt am 8./9. Oktober 2018 habe sie erst am 4. Oktober 2018, einem Donnerstag, erhalten. Damit hätte sie lediglich am 5. und 8. Oktober 2018 die Möglichkeit gehabt, mit dem Bundesverwaltungsamt Kontakt aufzunehmen. Zudem habe es sich dort um eine Stelle der Laufbahn des allgemeinen Verwaltungsdiensts gehandelt, für die sie ungeeignet sei, sodass ein Dienstvergehen ausscheide. Die Antragstellerin sei unter der Adresse, unter der sie gemeldet sei, postalisch auch erreichbar. Bei einer erkrankten Beamtin sei telefonische Erreichbarkeit nicht geboten. Auch der Vorwurf, die Antragstellerin sei zu zwei Personalgesprächen nicht erschienen, sei unbegründet. Wenn ein Beamter krankgeschrieben sei, müsse ein Personalgespräch nicht durchgeführt werden. Im Hinblick auf das Gespräch vom 7. November 2018 fehle es an einer entsprechenden Weisung. Die Einladung zum Personalgespräch am 26. Februar 2019 habe sie erst an diesem Tag erreicht. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie an einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Symptomatik leide, die sich konkret auch im Hinblick auf den BND bemerkbar mache. Selbst wenn ein Dienstvergehen vorliegen sollte, so liege es unterhalb der Schwelle, die zur Disziplinarklage führe.

16 Die Antragstellerin beantragt,
die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Dienstbezügen der Antragstellerin vom 5. April 2019 auszusetzen.

17 Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

18 Wegen der totalen Verweigerungshaltung der Antragstellerin seien die Voraussetzungen zur vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge gegeben. Das Verhalten der Antragstellerin wiege deshalb schwer, weil ihr bekannt sei, dass ihr derzeit die Pflicht obliege, bei einer geplanten Versetzung zu einer anderen Behörde mitzuwirken. Dabei habe die Antragstellerin ihre Dienstherrin zu unterstützen sowie Weisungen zu befolgen. Aufgrund von § 44 Abs. 1 BBG sei der Dienstherr zur Suche nach einer anderweitigen Beschäftigung verpflichtet. Diese Bemühungen seien durch die Verweigerungshaltung der Antragstellerin völlig untergraben worden und deshalb erfolglos geblieben. Eine besondere Bereitschaft, den BND bei seinen Vermittlungsversuchen zu einer anderen Behörde zu unterstützen, habe die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen. In Bezug auf die telefonische Erreichbarkeit liege der Verdacht nahe, dass die Antragstellerin gezielt und planmäßig vorgehe. Eine Sprachnachricht könne der Antragstellerin auf der Mailbox nicht hinterlassen werden. Auch habe die Antragstellerin ihre Mobilfunknummer offenkundig aufgegeben. Ein solches Verhalten sei bereits 2016 vom BND gerügt worden. Im August 2019 sei die Antragstellerin wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei. In dem noch nicht rechtskräftigen Urteil sei das Gericht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin in 17 Fällen Waren in einem Gesamtwert von ca. 4 870 € bestellt habe, ohne diese zu bezahlen. Das Amtsgericht sei von einem besonders schweren Fall des Betrugs wegen gewerbsmäßigen Handelns ausgegangen. Auch aufgrund dieses außerdienstlichen Verhaltens, auf das das Disziplinarverfahren ausgedehnt worden sei, habe die Antragstellerin das Vertrauen der Antragsgegnerin endgültig verloren. Dies habe zwingend die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge. Der Einbehalt der Dienstbezüge in Höhe von 40 % sei auch verhältnismäßig. Insbesondere habe die Antragstellerin bei der Ermittlung des Bedarfs keine Angaben über ihre genaue finanzielle Lage gemacht. Der nach Einbehalt noch verbleibende Betrag halte deutlichen Abstand zum Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts für Alleinstehende sowie zum Pfändungsfreibetrag für Alleinstehende in Höhe von 930 €.

II

19 Der Antrag der Antragstellerin nach § 63 Abs. 1 Satz 1 BDG auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen, für den das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zuständig ist, ist zulässig, aber nicht begründet. Denn zu dem für § 63 Abs. 2 BDG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen.

20 Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Unter denselben Voraussetzungen kann die Behörde nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG auch anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden.

21 Das Merkmal "voraussichtlich" verlangt nicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden wird. Auch ist es nicht erforderlich, dass das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen in vollem Umfang nachgewiesen und aufgeklärt ist. Notwendig ist, dass das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird (Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 17 m.w.N.).

22 "Ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen i.S.v. § 63 Abs. 2 BDG sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 BDG sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (z.B. VGH Kassel, Beschluss vom 24. März 2016 - 28 A 2764/15.D - Rn. 32 und OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. Mai 2005 - 3 ZD 1/05 - Rn. 4; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017 § 38 Rn. 14 und 17).

23 Im Streitfall können zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen des BND in diesem Sinne nicht mehr angenommen werden.

24 1. Beschränkt auf den Gegenstand der Einleitungsverfügung des BND vom 5. April 2019 erweist sich die Annahme des BND, im Disziplinarverfahren werde voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden, noch als ernstlich zweifelhaft. Denn bezogen auf diesen Gegenstand wäre nach Maßgabe des auch im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) der Ausspruch der Höchstmaßnahme nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG wohl nicht in Betracht gekommen.

25 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass der Dienstherr bei zeitlich gestreckt auftretenden Dienstpflichtverletzungen, die nach ihrer Schwere für sich genommen keine höheren Disziplinarmaßnahmen gebieten, in der Regel zunächst zeitnah zur begangenen Verletzungshandlung mit niederschwelligen disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirkt (BVerwG, Urteil vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - BVerwGE 163, 356 Rn. 30).

26 Soweit vom Dienstherrn beanstandet wird, ein seit Jahren im Krankenstand befindlicher Beamter habe auf Kontaktversuche der Dienststelle nicht reagiert und habe damit die ihm obliegende Verpflichtung zur Mitarbeit bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung - gezielt - verletzt, ist darauf zu verweisen, dass die Behörde gehalten ist, auf die ersten dieser Verhaltensweisen disziplinarrechtlich zu reagieren, um den Beamten zu einem pflichtgemäßen Verhalten zu bewegen. Das Entsprechende gilt für den Vorwurf, ein Beamter gehe in Bezug auf seine telefonische Unerreichbarkeit geradezu gezielt und planmäßig vor. Dies gilt insbesondere, wenn die Behörde, wie hier der BND im Jahr 2016, den Beamten gerügt hatte, telefonisch nicht erreichbar zu sein.

27 Die Verpflichtung zum frühzeitigen und verhältnismäßigen disziplinarrechtlichen Vorgehen gegen sich wiederholende Verhaltensweisen eines pflichtwidrig handelnden Beamten kann auch nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, ein solch kleinteiliges Vorgehen sei schlicht nicht zu bewältigen und überschreite damit die Grenze der Belastbarkeit einer Behörde. Auch eine Behörde mit einem großen Personalkörper wie der BND muss sich darum bemühen, den Kontakt zu einer Beamtin aufrechtzuerhalten, die seit mehr als sieben Jahren keinen Dienst mehr geleistet hat. Für die disziplinarrechtliche Ahndung eines etwaigen pflichtwidrigen Verhaltens sieht § 5 Abs. 1 BDG mit den sich steigernden Disziplinarmaßnahmen die geeigneten Mittel vor.

28 2. Mit der Anordnung vom 5. September 2019 hat der BND das behördliche Disziplinarverfahren aufgrund von § 19 Abs. 1 BDG auf das außerdienstliche Verhalten der Antragstellerin ausgedehnt, das Gegenstand der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 26. März 2019 ist. Auf der Grundlage dieser Anklageschrift ist die Antragstellerin - noch nicht rechtskräftig - wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Bei Rechtskraft dieses Urteils endet das Beamtenverhältnis der Antragstellerin nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 BBG kraft Gesetzes.

29 Unter Berücksichtigung dieser Ausdehnung des behördlichen Disziplinarverfahrens ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin nach Maßgabe von § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden wird.

30 Auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Unterlagen ist die Ausdehnungsverfügung des BND vom 5. September 2019 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin ist in dieser Verfügung auf die ihr zustehenden Rechte nach § 20 Abs. 2 BDG hingewiesen worden. Das außerdienstliche Verhalten der Antragstellerin ist auch i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarwürdig. Das angeklagte Verhalten der Antragstellerin im Zeitraum vom 29. Mai bis zum 4. Juli 2017 - die Richtigkeit des Vorwurfs unterstellt - ist nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt der Antragstellerin oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

31 Die Entscheidung, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde, trifft das Gericht nach objektiven Kriterien (BVerwG, Beschluss vom 15. August 2013 - 2 B 19.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 21 Rn. 14). Dementsprechend kommt es für die disziplinarrechtliche Ahndung nicht darauf an, ob und inwieweit das Verhalten des betreffenden Beamten dem Kollegenkreis oder der Öffentlichkeit bekannt geworden ist.

32 Für einen besonders schweren Fall des Betrugs sieht das Gesetz in § 263 Abs. 3 StGB einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu 10 Jahren vor. Dementsprechend reicht der Orientierungsrahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

33 Ein Verhalten eines Beamten, das den Tatbestand des gewerbsmäßigen Betrugs erfüllt und zudem einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von ca. 4 870 € verursacht hat, kann ausgehend von der Schwere des Dienstvergehens ohne weiteres die Schlussfolgerung rechtfertigen, der Beamte habe i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren.

34 Für das weitere Disziplinarverfahren ist darauf hinzuweisen, dass nicht der BND, sondern die Bundesrepublik Deutschland Dienstherrin der Antragstellerin ist. Dementsprechend geht es auch nicht darum, inwieweit der BND noch Vertrauen zu der Antragstellerin haben kann. Schutzgut der Vorschriften des Bundesbeamtengesetzes und des Bundesdisziplinargesetzes ist auch nicht das Ansehen des BND in der Öffentlichkeit (BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 - 2 A 6.15 - Buchholz 11 Art. 5 Abs. 1 GG Nr. 9 Rn. 79).

35 3. Die Entscheidung über die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge des betroffenen Beamten steht nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG im Ermessen der für die Erhebung der Disziplinarklage zuständigen Behörde. Ausgehend von den dem Gericht derzeit vorliegenden Unterlagen erweist sich die Entscheidung nicht als ermessensfehlerhaft. Der BND hat die Ermächtigung in § 38 Abs. 2 Satz 1 BDG nicht ausgeschöpft, sondern hat den Einbehalt der Dienstbezüge auf 40 Prozent begrenzt. Vor seiner Entscheidung hat der BND die monatlichen Belastungen der Antragstellerin ermittelt und diese in die Berechnung eingestellt. Auch ist angesichts des der Antragstellerin noch auszuzahlenden Betrags eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz ausgeschlossen.

36 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Verfahren Festgebühren nach Nr. 40 der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.