Beschluss vom 15.08.2013 -
BVerwG 2 B 19.13ECLI:DE:BVerwG:2013:150813B2B19.13.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 15.08.2013 - 2 B 19.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:150813B2B19.13.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 19.13
- VG Dresden - 06.10.2009 - AZ: VG 10 K 1297/08
- Sächsisches OVG - 09.11.2012 - AZ: OVG D 6 A 241/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Kenntner
beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. November 2012 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 70 SächsDG) ist unbegründet.
2 1. Die 1980 geborene Beklagte steht als Justizobersekretärin im Dienst des Klägers. Sie wird beim Finanzgericht als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verwendet. Im Jahr 2008 wurde die Beklagte wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit Computerbetrug verurteilt. Sie hatte an ihrer Arbeitsstätte einer Kollegin die EC-Karte entwendet und mit dieser unter Angabe der persönlichen Geheimnummer, die sie bei vorherigen Abhebungen der Geschädigten am Geldautomat heimlich beobachtet und sich gemerkt hatte, von deren Konto 1 000 € abgehoben. Gegenstand der Disziplinarklage ist zum einen dieser durch einen Strafbefehl geahndete Sachverhalt und zum anderen der Umstand, dass die Beklagte im unmittelbaren Anschluss an die erste erfolgreiche Abhebung auf dieselbe Art versucht hatte, weitere 1 000 € vom Konto der Kollegin abzubuchen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte aus dem Dienst entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
3 Da der zum Nachteil einer Kollegin begangene Diebstahl einschließlich des nachfolgenden Versuchs mit einer Schadenshöhe von insgesamt 2 000 € die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteige, sei von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Richtschnur der Maßnahmebestimmung auszugehen. Die feststellbaren Entlastungsgründe hätten kein solches Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme gerechtfertigt wäre.
4 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
5 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 70 SächsDG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.
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Als Frage von grundsätzlicher Bedeutung nennt die Beklagte zunächst:
„Setzt das geltende Recht zwingend insbesondere vor dem Hintergrund einer angemessenen Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten im Rahmen der Prüfung von Milderungsgründen das Vorliegen einer Ausnahmesituation voraus, in der die Tat begangen worden sein könnte, um gerade unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten die Annahme rechtfertigen zu können, dass der Beamte zukünftig seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird?“
7 Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu den Grundsätzen der Zumessungsentscheidung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten lässt.
8 § 13 Abs. 1 SächsDG schreibt für die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende Disziplinarmaßnahme vor, dass sie nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen ist (Satz 2). Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen (Satz 3). Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat (Satz 4). Hat der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 SächsDG).
9 Ist, wie hier, aufgrund der Schwere des Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung, so ist zu prüfen, ob sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört. Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor und nach der Tat. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten entspricht oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <259> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1, vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - juris Rn. 13 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4>, vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 14 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3> und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 197; Beschlüsse vom 19. Juni 2007 - BVerwG 2 B 60.07 - juris Rn. 4 und vom 28. Juni 2010 - BVerwG 2 B 84.09 - juris Rn. 14).
10 Aus diesen Grundsätzen, die auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, folgt, dass dem Persönlichkeitsbild des Beamten für die Gesamtabwägung Entlastendes entnommen werden kann, wenn die Pflichtverletzung aus einer Ausnahmesituation resultiert und deshalb der Schluss gerechtfertigt ist, in Zukunft müsse nicht erneut mit einem solchen persönlichkeitsfremden Verhalten des Beamten gerechnet werden. Stimmt dagegen das dienstliche Verhalten des Beamten vor, bei und nach dem Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild überein, kann jedenfalls aufgrund des Persönlichkeitsbildes nicht angenommen werden, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört.
11 Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage sieht, wie bestimmte Umstände im Rahmen der nach § 13 SächsDG in die Beurteilung einfließenden Kriterien - hier das Persönlichkeitsbild - zu berücksichtigen sind, wird nicht beachtet, dass dies von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängt und deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
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Auch die beiden weiteren Fragen
„Sind Vertrauensbekundungen mehrerer Mitarbeiter der Dienststelle sowie des Leiters derselben nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ als objektiv tragfähige Gründe für eine positive Zukunftsprognose unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten zu qualifizieren bzw. indizieren deren Vorliegen zumindest auch das Vorliegen objektiv tragfähiger Gründe in diesem Sinne?“
und
„Hat die eindeutige Vertrauensbekundung des Tatopfers eines Zugriffsdelikts mit dem Inhalt, dass das Tatopfer mit der Beklagten (Beamtin) nach Bekanntwerden der Tat problemlos zusammengearbeitet hat, die Beklagte (Beamtin) deren Vertrauen genossen hat und genießt, zwischen Tatopfer und Beklagter (Beamtin) ein gutes und kollegiales Verhältnis fortbesteht und der Dienstfrieden nicht gestört war und ist, als (unbenannter) Milderungsgrund hinreichendes Gewicht, um von der Regelmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst abzusehen?“
rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht. Sie betreffen jeweils die Frage, ob die auf die derzeitige Dienststelle der Beklagten bezogenen Umstände, zum einen Vertrauensbekundungen von Mitarbeitern und des Leiters und zum anderen eine entsprechende Erklärung der Geschädigten, für die Bemessensentscheidung von Bedeutung sind. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aber geklärt, dass es für die vom Gericht eigenverantwortlich zu treffende Zumessungsentscheidung nicht auf die Verhältnisse bei der derzeitigen Dienststelle des betroffenen Beamten ankommt (Beschluss vom 2. März 2012 - BVerwG 2 B 8.11 - juris Rn. 13).
13 Das Oberverwaltungsgericht hat eine eigenständige Zumessungsentscheidung zu treffen und ist nicht auf die Überprüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschränkt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 61 Abs. 2 Satz 2 SächsDG). Für diese Zumessungsentscheidung ist maßgeblich, inwieweit der Dienstherr oder die Allgemeinheit bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten be- und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 und vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - juris Rn. 78 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1>).
14 Die Entscheidung, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde, trifft das Gericht nach objektiven Kriterien. Da es der Behörde nicht eine eingeschränkte Verwendung eines disziplinarisch in Erscheinung getretenen Beamten vorschreiben kann (Urteil vom 22. Mai 1996 - BVerwG 1 D 72.95 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 6 S. 17 m.w.N.), ist die Prüfung des Gerichts, ob der betreffende Beamte im Beamtenverhältnis verbleiben darf, nicht auf den derzeitigen Tätigkeitsbereich (Amt im funktionellen Sinne) beschränkt, sondern hat sich auf sein Amt als Ganzes zu beziehen. Im Übrigen ergibt sich aus dem Senatsbeschluss vom 2. März 2012 (BVerwG 2 B 8.11 ) entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht, dass die Bekundungen des Vertrauens durch die Geschädigte, Behördenleiter oder Kollegen bei der Zumessungsentscheidung zwingend zu berücksichtigen sind.
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Schließlich rechtfertigt auch die vierte als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage
„Ist auch im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verfahrensdauer von über fünf Jahren in denjenigen Fällen, in denen ansonsten eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, im Rahmen der Bemessung des anzuwendenden Disziplinarmaßes zumindest in die anzustellende prognostische Gesamtwürdigung mit einzubeziehen, insbesondere wenn die Beamtin während der gesamten Verfahrensdauer nicht noch einmal disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist, während dessen Vertrauensbekundungen von Kollegen und Vorgesetzten ausgesprochen worden sind und die Beamtin beanstandungsfrei weiter ihren Dienst erfüllt hat, selbst wenn die Dauer des Verfahrens (noch) nicht die Schwelle des Unzumutbaren erreicht haben sollte?“
nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil sie in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt ist.
16 Auch die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl II S. 1055) - ERMK - stellt keinen bemessungsrelevanten Umstand dar, der das Verwaltungsgericht berechtigt, von der gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.
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Zur weiteren Begründung hat der Senat in seinen Urteilen vom 28. Februar 2013 (- BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 44 ff. sowie - BVerwG 2 C 62.11 - DokBer 2013, 183 Rn. 59 ff. - Ruhestandsbeamter) ausgeführt:
„Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat, entnimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einen Anspruch auf abschließende gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer des Verfahrens ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Parteien, der Vorgehensweise der Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für die Parteien zu beantworten. Dies gilt auch für Disziplinarverfahren. Sie müssen innerhalb angemessener Zeit, d.h. ohne schuldhafte Verzögerungen, unanfechtbar abgeschlossen sein. Dabei sind behördliches und gerichtliches Verfahren als Einheit zu betrachten (vgl. nur EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>).
Die Konvention gilt als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich nicht unmittelbar; sie genießt - im Gegensatz zum Unionsrecht - keinen Anwendungsvorrang vor dem abweichenden innerstaatlichen Recht. Allerdings ist die Bundesrepublik nach Art. 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WRK) völkervertragsrechtlich verpflichtet, ihr innerstaatlich Geltung zu verschaffen. Der Bundesgesetzgeber hat die EMRK und ihre Zusatzprotokolle mit dem Rang eines Bundesgesetzes in die deutsche Rechtsordnung transformiert (Gesetz vom 7. August 1952, BGBl II S. 685; neue Bekanntmachung der EMRK in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls, BGBl II 2002, S.1054).
Darüber hinaus ist die Bundesrepublik völkervertragsrechtlich verpflichtet sicherzustellen, dass die bundesdeutsche Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit mit der Konvention übereinstimmt. Das innerstaatliche Recht muss im Konfliktfall an die Konvention angepasst werden (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 <322> = NJW 2004, 3407 <3409>). Auch folgt aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dass Verwaltung und Gerichte verpflichtet sind, das innerstaatliche Recht in Einklang mit der Konvention auszulegen, soweit dies nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation vertretbar erscheint (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O. S. 323 f. bzw. S. 3409; Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. - BVerfGE 128, 326 = NJW 2011, 1931 <jeweils Rn. 93>).
Es liegt nahe, dass für die konventionskonforme Auslegung diejenigen Regeln Anwendung finden, die für die verfassungskonforme Auslegung entwickelt worden sind. Demnach findet diese Auslegung ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut der Norm sowie in dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers; sie darf Wortlaut und gesetzgeberischem Willen nicht widersprechen (BVerfG, Beschlüsse vom 24. Mai 1995 - 2 BvF 1/92 - BVerfGE 93, 37 <81> und vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44, 48/92 - BVerfGE 95, 64 <93>; BVerwG, Urteile vom 28. April 2005 - BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <316> und vom 26. Juni 2008 - BVerwG 2 C 22.07 - BVerwGE 131, 242 Rn. 25).
Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Beschluss vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 12).
Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der überlangen Dauer eines Verfahrens und den geltend gemachten materiellrechtlichen Positionen herzustellen. Er hat die Verfahrensbeteiligten auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) verwiesen. Diese Vorschriften finden nach § 173 Satz 2 VwGO, § 3 LDG MV auch für Disziplinarverfahren Anwendung (Urteil vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 85; Beschluss vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 14).
Daraus folgt für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach einem unangemessen lange dauernden Disziplinarverfahren:
Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG), dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Das von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden.
Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl. 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80; vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27 und vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 84 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8; vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 9 f.).“
18 Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar.
19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwertes bedarf es nicht, weil die Gebühren streitwertunabhängig nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 79 SächsDG erhoben werden.