Urteil vom 21.11.2024 -
BVerwG 2 WD 10.24ECLI:DE:BVerwG:2024:211124U2WD10.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 21.11.2024 - 2 WD 10.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:211124U2WD10.24.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 10.24

  • TDG Nord 8. Kammer - 18.12.2023 - AZ: N 8 VL 55/21

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 21. November 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Major Leclerc und
ehrenamtlicher Richter Stabsunteroffizier Paß,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung der früheren Soldatin gegen das Urteil der 8. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 18. Dezember 2023 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihr das Ruhegehalt aberkannt wird.
  2. Die frühere Soldatin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihr darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I

1 Das Verfahren betrifft den Vorwurf des Trennungsgeld- und Reisebeihilfebetrugs.

2 1. Die ... geborene, ledige und kinderlose frühere Soldatin ist transsexuell, gilt aber personenstandsrechtlich noch als Frau. Sie leistete nach der neunten Klasse der Realschule, einer unvollendeten Ausbildung zur Köchin und Tätigkeiten in den Bereichen Service und Küche ab April 2012 freiwilligen Wehrdienst. Zu September 2013 wurde sie Zeitsoldatin und als Unteroffizieranwärterin für die Laufbahn der Fachunteroffiziere des ... zugelassen. Zuletzt wurde sie 2015 zum Stabsunteroffizier befördert. Ihre Dienstzeit endete mit Ablauf März ... Sie bezieht noch bis Ende März ... Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich 2 219,15 € netto. Eine Übergangsbeihilfe von 25 858,32 € wurde einbehalten.

3 2. Nach ihrer Grundausbildung wurde sie zum Oktober 2012 zur ... in ... und zum Juni 2014 zum ... versetzt. Vom 24. August bis zum 30. Oktober 2016 war sie im Auslandseinsatz in ... Zum November 2019 folgte eine Versetzung zur ... in ...

4 3. Die frühere Soldatin wurde vom 27. Juli bis zum 12. August 2019 in der Fachklinik ..., vom 16. Dezember 2019 bis zum 31. Januar 2020 mit kurzer Unterbrechung im Bundeswehrkrankenhaus ..., vom 7. Juli bis zum 29. September 2020 und vom 7. Juni bis zum 12. August 2021 in der ... Klinik ..., vom 17. bis zum 19. August 2022 erneut im Bundeswehrkrankenhaus ..., vom 19. Dezember 2023 bis zum 23. Januar 2024 im Bundeswehrkrankenhaus ... und vom 23. August bis zum 25. September 2024 im ... Krankenhausgesellschaft ... Klinikum stationär psychiatrisch behandelt. Zudem unterzog sie sich ambulanten Psychotherapien vom 14. Januar bis März 2022 beim Diplom-Psychologen M., vom 12. September 2022 bis Februar 2024 bei der Psychologischen Psychotherapeutin Dr. B. und seit dem 25. Juni 2024 bei der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie G. Ab dem 13. Dezember 2022 wurde ihr ein Grad der Behinderung von 20 wegen eines depressiven Syndroms und einer posttraumatischen Belastungsstörung zuerkannt. Zuletzt war sie nach einer ärztlichen Mitteilung vom 13. März 2024 nicht mehr verwendungsfähig.

5 4. Nachdem im September 2018 disziplinare Vorermittlungen gegen die frühere Soldatin aufgenommen worden waren und das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum ... von ihr Trennungsgeld und Reisebeihilfen in Höhe von 8 965,86 € zurückgefordert hatte, wurde ihr in dem im Oktober 2019 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren mit Anschuldigungsschrift vom 11. Dezember 2019 vorgeworfen:
"Zwischen dem 1. Februar 2017 und dem 2. Mai 2018 erstellte die Soldatin in ... insgesamt 16 Forderungsnachweise für die Zahlung von Trennungsgeld für den Zeitraum Januar 2017 bis April 2018, in denen sie ihren Wohnort mit ... in ... angab und die Richtigkeit ihrer Angaben versicherte.
Tatsächlich hatte ihr aber ab Januar 2017 die Wohnung in ... nicht mehr zur Nutzung zur Verfügung gestanden, weil der Vermieter der Wohnung das Hab und Gut der Soldatin ab diesem Zeitpunkt anderweitig eingelagert hatte, was die Soldatin erst mehrere Monate später erfuhr, da sie die Wohnung zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr regelmäßig aufsuchte.
Zugleich beantragte die Soldatin im oben genannten Zeitraum in ... in 14 Anträgen die Gewährung einer Reisebeihilfe für Familienheimfahrten in die oben genannte Wohnung in ..., obwohl sie diese nicht aufsuchte, sondern ihre Mutter, die zwei Straßen weiter wohnte, besuchte.
Durch ihre falschen Angaben wurden der Soldatin insgesamt 8.965,86 Euro an Trennungsgeld und Reisebeihilfen ausgezahlt, die ihr nicht zustanden.
Die Unwahrheit ihrer Angaben hätte die Soldatin bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen."

6 Mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 1. April 2020 wurde der früheren Soldatin zusätzlich vorsätzliches Verhalten zu Last gelegt.

7 5. Das Amtsgericht ... verurteilte die frühere Soldatin im sachgleichen Strafverfahren mit Urteil vom 25. Mai 2020 wegen Betrugs in 17 Fällen, davon in 16 Fällen gewerbsmäßig, zu einer achtmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe auf Bewährung. Ihre Berufung nahm die frühere Soldatin am 8. Juli 2020 zurück.

8 6. Das Truppendienstgericht hat die frühere Soldatin mit Urteil vom 18. Dezember 2023 aus dem Dienstverhältnis entfernt. Im sachgleichen Strafurteil sei bindend festgestellt worden, dass die frühere Soldatin - wie angeschuldigt - in insgesamt 30 Anträgen über den Fortbestand eines in Wahrheit nicht mehr existenten Hauptwohnsitzes wissentlich und willentlich zum Zwecke der eigenen Bereicherung getäuscht und dadurch Trennungsgeld in einer Gesamthöhe von 8 965,86 € erlangt habe. Sie habe wiederholt gehandelt und die Anträge immer wieder gestellt, um sich ein zusätzliches Einkommen für ihren Lebensunterhalt zu sichern.

9 An der Richtigkeit dieser Feststellungen bestünden keine Zweifel. Sie beruhten nicht auf einem inhaltsleeren Formalgeständnis. Dass die frühere Soldatin und ihr Verteidiger die Vorwürfe in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung eingeräumt hätten, sei vielmehr vor dem Hintergrund der erdrückenden Beweislage zu sehen. Auch habe die frühere Soldatin ihre Berufung gegen das Strafurteil zurückgenommen. Sie habe bereits im Rückforderungsverfahren die Änderung ihrer Wohnsituation im Jahr 2016 eingeräumt und erklärt, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass dies trennungsgelderheblich gewesen sei. Auch habe zweifelsfrei festgestanden, dass sie zuvor mehrfach belehrt worden sei, Änderungen anzuzeigen. Zudem seien die Vorwürfe durch die ergänzende Beweisaufnahme der Truppendienstkammer bestätigt worden. Danach stehe fest:

10 Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) habe der früheren Soldatin mit Bescheid vom 20. November 2014 die von ihr gemietete Zwei-Zimmer-Wohnung in der ..., ..., als Wohnung im Sinne von § 10 Abs. 3 BUKG bestätigt und aufgrund des von ihr vorgelegten Mietvertrags berücksichtigt. Die Wohnung habe sich in einem Mehrfamilienhaus des Vermieters befunden, der darin eine andere Wohnung bewohnt habe. Im Bescheid sei die frühere Soldatin darauf hingewiesen worden, dass sie jegliche Änderung ihrer Wohnverhältnisse anzuzeigen habe.

11 2016 sei sie mit ihrem Vermieter übereingekommen, den Mietvertrag aufzuheben und stattdessen einen mündlichen Mietvertrag über ein möbliertes Zimmer in der vom Vermieter im selben Haus bewohnten Wohnung zu schließen, wofür sie monatlich 50 € Betriebskosten gezahlt habe. Nachdem sie ihren Vater und ihren Bruder wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt und in dem Zusammenhang auch Vorwürfe gegen ihren Vermieter erhoben habe, habe sich das Verhältnis so verschlechtert, dass sie Ende 2016 nicht mehr in die Wohnung des Vermieters zurückgekehrt sei. Sie habe erst im Mai 2018 erfahren, dass dieser das Haus im Frühjahr 2017 verkauft und ihre Sachen einlagert habe.

12 Die frühere Soldatin habe dem BAPersBw den Auszug aus ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung und den Einzug in das Zimmer in der Wohnung ihres Vermieters nicht mitgeteilt. Zwar habe sie bestritten, vorsätzlich falsche Angaben gemacht zu haben; sie sei davon ausgegangen, dass ... weiterhin ihr Lebensmittelpunkt gewesen sei, weil sie dort ihre Mutter und Freunde besucht und die Fahrten wie angegeben durchgeführt habe. Dies entlaste sie aber nicht, da sie gewusst habe, dass ihr das Trennungsgeld nicht mehr zugestanden habe.

13 Die frühere Soldatin habe damit ein Dienstvergehen begangen und vorsätzlich gegen ihre Dienstpflichten nach §§ 7, 13 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.

14 Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei bei einem Trennungsgeldbetrug eine Dienstgradherabsetzung. Auf der zweiten Stufe sei zur Höchstmaßnahme überzugehen.

15 Das Dienstvergehen wiege nach Eigenart und Schwere sehr schwer. Wer 15 Monate lang in 30 Formularen falsche Angaben mache, handele mit erheblicher krimineller Energie. Wer sich so fortlaufend aus Eigennutz über die finanziellen Interessen seines Dienstherrn hinwegsetze, offenbare erhebliche Charaktermängel. Auch der Schaden von 8 965,86 € sei erheblich. Zudem sei die frühere Soldatin Vorgesetzte gewesen. Das Dienstvergehen habe ferner erhebliche nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn gehabt. Neben der beträchtlichen Schädigung seines Vermögens habe er mit Verwaltungsaufwand die Überzahlungen zurückfordern müssen. Gegen die frühere Soldatin sprächen auch ihre eigennützigen Beweggründe.

16 An ihrer Schuldfähigkeit bestünden keine Zweifel. Zwar habe sie in der Hauptverhandlung erklärt, spielsüchtig gewesen zu sein, und ein Schreiben der Psychologischen Psychotherapeutin Dr. B. vorgelegt, die bei ihr pathologisches Spielen, abstinent, eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelschwere Depression diagnostiziert habe. Nach eigenen Angaben habe die frühere Soldatin aufgrund eines Beinahe­Verkehrsunfalls mit Kindern im Auslandseinsatz an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten. Um den Kopf freizukriegen, habe sie angefangen, mit Kameraden in einer Spielothek zu spielen. Massiv verschlechtert habe sich ihr Gesundheitszustand Ende 2018, als ihre Partnerschaft in die Brüche gegangen sei. Stationäre Klinikaufenthalte seien gefolgt. Ihren gesundheitlichen Tiefpunkt habe sie nach eigenen Angaben 2020/21 erlebt. Auffällig sei, dass sich ihr Gesundheitszustand erst massiv verschlechtert habe, nachdem das Dienstvergehen ans Licht gekommen sei, sodass kein zeitlicher Zusammenhang zum Dienstvergehen bestehe.

17 Bei einer Spielsucht könne ohnehin nur dann eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen werden, wenn sie zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten habe. Schwerste Persönlichkeitsveränderungen hätten die Disziplinarvorgesetzten bei der früheren Soldatin zur Tatzeit nicht bemerkt. Auch seien keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit durch Entzugserscheinungen ersichtlich. Vielmehr habe die frühere Soldatin in der Hauptverhandlung bestritten, dass die Spielsucht Einfluss auf ihr Verhalten bei der Trennungsgeldbeantragung gehabt habe, geschweige denn ein Trennungsgeldbetrug begangen worden sei, um mit dem Geld weiter spielen zu können. Zudem sei es ausgeschlossen, dass die Spielsucht derart stark gewesen sei, dass die Steuerungsfähigkeit 15 Monate lang vermindert gewesen sei.

18 Zu ihren Gunsten sprächen zwar ihre Bewährung im Auslandseinsatz, die fehlende Vorbelastung, die zumindest anfangs guten Leistungen und dass sie sich zur Tatzeit in einer schwierigen Lebensphase befunden habe, insbesondere im Hinblick auf die empfundene Ausgrenzung wegen ihrer Homo­ und Transsexualität und Schwierigkeiten in ihrer Partnerschaft. Wegen des deutlichen Überwiegens der erschwerenden Umstände sei aber zur Höchstmaßnahme überzugehen.

19 7. Mit ihrer unbeschränkten Berufung macht die frühere Soldatin geltend, das Truppendienstgericht hätte sich von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil lösen müssen, da dieses auf einem inhaltsleeren Formalgeständnis beruhe. Der Amtsrichter habe darauf hingewiesen, dass eine Bewährungsstrafe nur in Betracht komme, wenn sie den Vorwurf einräume. Nach Beratung mit ihrem Verteidiger sei dies erklärt worden. Ihre Berufung gegen das Strafurteil habe sie nur zurückgenommen, weil das Berufungsgericht das Strafurteil allenfalls in eine Geldstrafe von 12 500 € habe ändern wollen, die sie nicht hätte zahlen können. Dass sie in den Forderungsnachweisen als "Wohnort" jeweils die ... in ... eingetragen habe, sei nicht unwahr. Denn die Frage nach dem "Wohnort" beziehe sich auf die "politische Gemeinde". Bis zum 2. August 2018 sei sie in ... gemeldet gewesen. Soweit ihr eine Verletzung von Dienstpflichten durch das Verschweigen der geänderten Wohnverhältnisse vorgeworfen werde, habe sie allenfalls fahrlässig gehandelt. Gegen vorsätzliches Handeln spreche insbesondere, dass sie durch die Anmeldung ihrer Hauptwohnung am Dienstort ... zum 1. August 2017 die Ermittlungen begünstigt habe. Auch laut Rückforderungsbescheid habe sie möglicherweise nicht vorsätzlich gehandelt. Jedenfalls fehle ein Vorsatz in Bezug auf die Angaben zum "Wohnort". Sie sei zur Tatzeit wegen erheblicher psychischer Beeinträchtigungen, die ihre Ursache jedenfalls auch im dienstlichen Bereich hätten, und eines daraus resultierenden Kontrollverlustes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gewesen. Angemessen sei allenfalls eine Dienstgradherabsetzung. Denn der Schaden sei nur vierstellig. Auch habe sie nicht von vornherein eine falsche Trennungsgeldabrechnung beabsichtigt, sondern es lediglich unterlassen, spätere Änderungen anzugeben.

20 8. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hält die Höchstmaßnahme für angemessen.

21 9. Für Einzelheiten zur Person der früheren Soldatin und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Für die im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen und Aussagen der dort vernommenen Zeugen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.

II

22 Die Berufung, über die gemäß § 124 WDO in Abwesenheit der früheren Soldatin und ihres Betreuers verhandelt werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet.

23 1. Das Urteil des Truppendienstgerichts ist nicht gemäß § 121 Abs. 2 WDO wegen eines schweren Verfahrens- oder Aufklärungsmangels aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

24 a) Ein Verfahrensmangel liegt nicht darin, dass sich das Truppendienstgericht von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil nicht gelöst hat.

25 aa) Ein Lösungsbeschluss nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ist als Ausnahme von der in § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO normierten Prozessregel der Bindung an strafgerichtliche Feststellungen nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Aus dem Sinn und Zweck des § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO, im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unterschiedliche Feststellungen zu einem historischen Geschehensablauf in verschiedenen rechtskräftigen Entscheidungen zu verhindern, ergibt sich, dass die Wehrdienstgerichte an die Beweiswürdigung in einem sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil grundsätzlich auch dann gebunden sein sollen, wenn sie aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Denn die Wehrdienstgerichte sind nach ihrer Zuständigkeit und Funktion keine Überprüfungsinstanz für Strafurteile. Die bloße Möglichkeit, dass das Geschehen objektiv oder subjektiv anders gewesen sein könnte als vom Strafgericht rechtskräftig festgestellt, reicht daher für einen Lösungsbeschluss nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2021 - 2 WD 14.20 - juris Rn. 19 m. w. N.). Die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen in einem sachgleichen Strafurteil ist vielmehr auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Dies kann der Fall sein, wenn der betreffende Soldat geltend macht, dem Strafurteil liege ein "Deal" zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, der den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Verfahrensabsprache nicht genüge, oder ein Formalgeständnis zugrunde. Dabei kommt ein Lösungsbeschluss nur in Betracht, wenn sich die Zweifel an der Richtigkeit aus dem Strafurteil selbst oder in Verbindung mit dem Protokoll der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2014 - 2 WD 31.12 - NZWehrr 2015, 31 <32> m. w. N.).

26 bb) Danach bestand für das Truppendienstgericht kein Anlass, sich von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil lösen. Eine förmliche Verständigung nach § 257c StPO ("Deal") fand im Strafverfahren ausweislich des amtsgerichtlichen Protokolls nicht statt. Ein inhaltsleeres Formalgeständnis liegt nur vor, wenn die selbstbelastende Einlassung nicht wenigstens so konkret ist, dass geprüft werden kann, ob sie derart im Einklang mit der Aktenlage steht, dass sich hiernach keine weitergehende Sachaufklärung aufdrängt (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 40 m. w. N.). Auch dies war nicht der Fall. Die frühere Soldatin hat dem amtsgerichtlichen Protokoll zufolge nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt, zur Äußerung bereit zu sein und ihr Verteidiger hat sodann für sie die Erklärung abgegeben, dass sie die subjektiven und objektiven Tatbestände einräume. Diese Erklärung war zwar allgemein gehalten, steht aber im Einklang insbesondere mit dem laut Protokoll vom Amtsgericht im Anschluss erörterten Schreiben des Vermieters vom 23. Oktober 2018, in dem dieser die Wohnsituation der früheren Soldatin erläutert. Ungeachtet dessen hat das Truppendienstgericht zusätzlich eine Beweisaufnahme durchgeführt, deren Ergebnis die amtsgerichtlichen Feststellungen bestätigt hat.

27 b) Ob ein Aufklärungsmangel darin liegt, dass das Truppendienstgericht keine weiteren Maßnahmen ergriffen hat, um festzustellen, ob die frühere Soldatin zur Tatzeit uneingeschränkt schuldfähig war, kann offenbleiben. Dies würde bei der nach § 121 Abs. 2 WDO gebotenen Ermessensentscheidung aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung nicht zur Zurückverweisung führen, weil diese Frage aufgrund der im Berufungsverfahren angeforderten und eingesehenen Gesundheitsakte der früheren Soldatin beantwortet werden kann.

28 2. Da die frühere Soldatin die Berufung in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Dabei erweist sich die Höchstmaßnahme als angemessen. Diese besteht für die frühere Soldatin, die Angehörige der Reserve ist und wegen der einbehaltenen Übergangsbeihilfe gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO als Soldatin im Ruhestand gilt, nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 WDO in einer Aberkennung des Ruhegehalts.

29 a) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die frühere Soldatin die ihr in der Anschuldigungs- in Gestalt der Nachtragsanschuldigungsschrift zur Last gelegten Taten wissentlich, willentlich und mit Bereicherungsabsicht beging. Dies folgt aus den gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO auch im Berufungsverfahren bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts ... vom 25. Mai 2020, da für einen Lösungsbeschluss aus den genannten Gründen kein Anlass besteht.

30 Insbesondere wurde das von der früheren Soldatin weiterhin bestrittene vorsätzliche Handeln durch die Aussage des in der Berufungshauptverhandlung erneut vernommenen Zeugen M., der seit Mitte 2017 beim Bundeswehr-Dienstleistungszentrum ... für das Trennungsgeld zuständig war, bestätigt. Er hat nochmals detailliert erläutert, dass er die Akten Mitte 2017 übernommen habe, die Anträge der früheren Soldatin zunächst regelgerecht gewirkt hätten, ihm dann aber aufgefallen sei, dass die frühere Soldatin trotz der eher geringen Entfernung nach ... nicht regelmäßig am Wochenende nach Hause gefahren sei, sondern nur bei möglicher Beantragung der Reisebeihilfe. Nach ca. zwei Monaten habe er die frühere Soldatin dazu befragt und die Auskunft erhalten, dass sich diese aktuell in einer Weiterbildung befinde. Er habe dann in Abweichung vom üblichen Vorgehen die Trennungsgeldabrechnung statt an die Einheit der früheren Soldatin an ihre angegebene Heimatadresse in ... geschickt. Nachdem die Post mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückgekommen sei, habe er das Einwohnermeldeamt ... um Unterstützung gebeten. Der zur Adresse der früheren Soldatin geschickte Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes habe sodann mitgeteilt, dass die frühere Soldatin bereits seit ca. eineinhalb Jahren dort nicht mehr wohnhaft sei. Im Februar 2018 habe er, der Zeuge M., die frühere Soldatin in Absprache mit seinem Vorgesetzten explizit gefragt, ob sie sicher sei, dort noch zu wohnen; sie habe dies als sicher bestätigt. Es habe sich um eine mit seinem Vorgesetzten abgesprochene Chance für die frühere Soldatin gehandelt, ihr Versäumnis "glattzuziehen". Auch nach diesem sehr deutlichen und unmissverständlichen Hinweis an sie seien jedoch weiter bis zur Einleitung des Verfahrens pünktlich Trennungsgeldanträge von ihr eingegangen.

31 Diese Aussage ist glaubhaft. Der Zeuge konnte sich nach eigenen Angaben gut an den Vorgang erinnern und hat kein Belastungsmotiv. Aus seiner Aussage ergibt sich, dass die frühere Soldatin in ihren Anträgen durchweg wissentlich und willentlich vorgab, noch in der ... in ... zu wohnen, obwohl sie jedenfalls seit Anfang Januar 2017 weder die ursprünglich dort gemietete Zwei-Zimmer-Wohnung noch das 2016 stattdessen an derselben Anschrift bezogene Zimmer in der von ihrem Vermieter bewohnten Wohnung aufsuchte. Zugleich folgt aus der Aussage, dass die Ermittlungen gegen die frühere Soldatin nicht etwa deshalb ausgelöst wurden, weil sie sich zum August 2017 mit ihrer Hauptwohnung in ... anmeldete, sondern aufgrund der vom Zeugen M. beobachteten Umstände und daraufhin vorgenommenen Ermittlungstätigkeiten. Dementsprechend kann aus der Ummeldung, die im Übrigen erst mehrere Monate nach Tatbeginn stattfand, auch kein fehlender Vorsatz abgeleitet werden.

32 b) Die frühere Soldatin hat damit ein Dienstvergehen (§ 23 Abs. 1 SG) begangen.

33 aa) Durch ihre Eintragungen in den 16 Forderungsnachweisen für das Trennungsgeld für die Monate Januar 2017 bis April 2018, der "Wohnort der Familie" sei in der ... in ..., hat sie jeweils wissentlich und willentlich in dienstlichen Angelegenheiten nicht die Wahrheit gesagt, weil sie jedenfalls seit Januar 2017 nicht mehr dort wohnte. Entsprechendes gilt für das Nichtausfüllen der Unterrubrik "Abweichender Familienwohnort (Anschrift)" der bei einer Änderung der persönlichen Daten auszufüllenden Rubrik Nr. 2 in 14 der genannten Forderungsnachweise beigefügten Formularen "Reisebeihilfe - Familienheimfahrt" sowie in einem gesondert eingereichten Formular. Denn das Nichtausfüllen der genannten Rubrik enthält die konkludente Erklärung, am Familienwohnort der früheren Soldatin habe sich nichts geändert. Jedoch hatte sich dieser bereits geändert, als sie 2016 aus der von der Trennungsgeldstelle anerkannten, für monatlich 300 € gemieteten Zwei-Zimmer-Wohnung in das möblierte Zimmer der von ihrem Vermieter bewohnten Wohnung für monatlich nur noch 50 € gezogen war. Jedenfalls seit Januar 2017 hatte sich der Wohnort ein weiteres Mal geändert, weil sie auch dieses Zimmer seither nicht mehr aufsuchte. Maßgeblich für eine Wohnung außerhalb des Einzugsgebiets des Dienstortes im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 TGV ist nicht, ob der betreffende Soldat dort gemeldet ist und Miete entrichtet, sondern ob in der betreffenden Wohnung sein Lebensmittelpunkt ist (BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 ‌- 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 30 f.). Die frühere Soldatin handelte vorsätzlich, weil sie wusste, dass sie jedenfalls ab Januar 2017 nicht mehr in der ... in ... wohnte, und weil sie die unwahren Erklärungen dennoch abgeben wollte, um weiter Trennungsgeld zu beziehen.

34 bb) Darin liegt zugleich in zweifacher Hinsicht ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG).

35 (1) Diese beinhaltet die Verpflichtung eines Soldaten, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 - 2 WD 1.16 - juris Rn. 50). Die frühere Soldatin hat indes eine Schädigung des Vermögens des Dienstherrn dadurch bewirkt, dass aufgrund ihrer unwahren (ausdrücklichen und konkludenten) Erklärungen rechtsgrundlose Auszahlungen von Trennungsgeld und Reisebeihilfen in der festgestellten Höhe an sie erfolgten.

36 (2) Ebenso hat die frühere Soldatin gegen § 7 SG in Gestalt der Verpflichtung verstoßen, der Rechtsordnung gegenüber loyal zu sein und insbesondere die Strafgesetze zu achten (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2011 - 2 WD 21.10 - juris Rn. 33). Denn sie hat mit dem Einreichen der 16 Forderungsnachweise nebst den diesen beigefügten 14 Formularen "Reisebeihilfe - Familienheimfahrt" sowie mit dem einen gesondert eingereichten entsprechenden Formular in insgesamt 17 Fällen einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB begangen. Denn sie hat damit bei den betreffenden Sachbearbeitern bei den insgesamt 17 Bearbeitungsvorgängen jeweils einen Irrtum über das Vorliegen der Grundvoraussetzung für die Gewährung von Trennungsgeld und Reisebeihilfen - dem Lebensmittelpunkt in der angegebenen Wohnung am Heimatort - erregt, was diese zu Vermögensverfügungen im festgestellten Umfang mit einem entsprechenden Vermögensschaden beim Bund veranlasste. Die frühere Soldatin handelte vorsätzlich, mit Zueignungsabsicht, rechtswidrig und schuldhaft. Es handelt sich um einen besonders schweren Fall des Betrugs im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB, weil sie gewerbsmäßig agierte. Denn sie wollte sich auf die beschriebene Weise eine nicht unerhebliche, fortlaufende Einnahmequelle verschaffen.

37 cc) Damit einher geht eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 2023 - 2 WD 4.23 - juris Rn. 48 m. w. N.).

38 c) Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe der früheren Soldatin zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, welches hier zur Verhängung der Höchstmaßnahme führt.

39 aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist bei einer vorsätzlichen Schädigung des Dienstherrn bzw. Gefährdung seines Vermögens durch einen Reisekosten- oder Trennungsgeldbetrug eine Dienstgradherabsetzung (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 - 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 40 m. w. N.), die auch bei früheren Soldaten zulässig ist (BVerwG, Urteil vom 30. November 2023 - 2 WD 4.23 - juris Rn. 50 m. w. N.), bei einer Kernbereichsverletzung die Höchstmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 2 WD 6.15 - juris Rn. 40 m. w. N.). Da die frühere Soldatin mit der Bearbeitung der Forderungsnachweise dienstlich nicht befasst war, liegt keine Kernbereichsverletzung vor, so dass von einer Dienstgradherabsetzung auszugehen ist.

40 bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten.

41 (1) Hier liegt ein besonders schwerer Fall des Trennungsgeld- und Reisebeihilfebetrugs vor, der nach Art und Schwere einen Übergang zur Höchstmaßnahme indiziert. Denn die frühere Soldatin hat nicht nur eine, sondern über 15 Monate hinweg 17 Betrugstaten begangen, um sich eine nicht unerhebliche, fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei hat sie es nicht nur unterlassen, der Trennungsgeldstelle in den Reisebeihilfeformularen ihre zwischenzeitlich gleich zweimal geänderten Wohnverhältnisse mitzuteilen, sondern hat auch Monat für Monat Forderungsnachweise für das Trennungsgeld eingereicht, in denen sie aktiv handschriftlich jedes Mal aufs Neue ihre nicht mehr aktuelle Wohnanschrift eintrug. Der Schaden ist mit knapp 9 000 € zudem beträchtlich. Nach der Senatsrechtsprechung zerstört die Kombination eines besonders hohen Schadens und eines fortgesetzten und wiederholten Handelns über einen längeren Zeitraum das Vertrauen des Dienstherrn in die persönliche Integrität und dienstliche Zuverlässigkeit eines Soldaten, was regelmäßig die Annahme eines besonders schweren Falles mit der Folge der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts rechtfertigt. Dies gilt nicht nur dann, wenn sich der Schaden im fünfstelligen Eurobereich bewegt (dazu BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2012 - 2 WD 33.11 - juris Rn. 69, vom 7. Dezember 2017 ‌- 2 WD 5.17 - juris Rn. 73 und vom 4. Februar 2021 - 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 42 m. w. N.), sondern kann bei einem - wie hier - gewohnheitsmäßigen Handeln über einen längeren Zeitraum zum Erschleichen eines Nebenverdienstes auch schon bei einer vierstelligen Schadenshöhe der Fall sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - juris Rn. 38 und vom 19. November 2020 - 2 WD 19.19 - juris Rn. 31).

42 (2) Hinzu treten drei weitere erschwerende Umstände.

43 Zum einen hat sich die frühere Soldatin besonders dreist verhalten, weil sie ihr Fehlverhalten trotz der vom Zeugen M. mit seinem Vorgesetzten abgesprochenen Chance für die frühere Soldatin, auf seinen unmissverständlichen Hinweis hin die Beantragung von Trennungsgeld und Reisebeihilfen unter Berufung auf eine Wohnung in ... einzustellen und damit ihr Versäumnis "glattzuziehen" weiter fortsetzte. Dies lässt auf einen schweren Charaktermangel schließen.

44 Des Weiteren hatte die frühere Soldatin zur Tatzeit wegen ihres Dienstgrads als Stabsunteroffizier eine Vorgesetztenstellung inne (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war sie damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 - 2 WD 20.19 - juris Rn. 40 m. w. N.). Insoweit ist es nicht erforderlich, dass sie es innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 - juris Rn. 40 m. w. N.).

45 Schließlich hatte das Dienstvergehen erhebliche nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn. Er musste die rechtsgrundlosen Auszahlungen mit entsprechendem Verwaltungsaufwand zurückfordern und im Wege einer Aufrechnung mit den Dienstbezügen in monatlichen Raten eintreiben. Dies zog sich wegen vorrangiger Bankforderungen von Dezember 2018 bis März 2020 hin.

46 (3) Dem stehen keine mildernden Umstände erheblichen Gewichts gegenüber.

47 (a) Eine Milderung wegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums entsprechend § 17 StGB scheidet aus. Denn die frühere Soldatin befand sich nicht in einem Verbotsirrtum. Ihr fehlte bei der Begehung der Taten nicht die Einsicht, Unrecht zu tun. Sie war langjährige Trennungsgeldempfängerin und hat in ihrer in der Berufungshauptverhandlung verlesenen schriftlichen Einlassung vom 13. November 2024 selbst erklärt, dass ihr die Regelungen theoretisch bekannt gewesen seien. Darüber hinaus war sie bereits in der Vergangenheit mit dem Vorwurf eines Trennungsgeldbetrugs konfrontiert und damit in Bezug auf die Anspruchsvoraussetzungen besonders sensibilisiert worden. So heißt es in einer Gesprächsnotiz vom 9. September 2014 der damals beim Bundeswehr-Dienstleistungszentrum ... für das Trennungsgeld zuständigen Sachbearbeiterin N., dass der früheren Soldatin vorgehalten wurde, die Aufgabe einer Wohnung in ... nicht angezeigt und für die Monate Januar bis März 2014 zu Unrecht Trennungsgeld bezogen zu haben. Das gezahlte Trennungsgeld sei zurückgefordert worden. Daraus ergibt sich, dass die frühere Soldatin wusste, dass im Fall des tatsächlichen Nichtmehrbewohnens einer angegebenen Wohnung am Heimatort kein Anspruch auf Trennungsgeld und Reisebeihilfen mehr besteht.

48 (b) Die frühere Soldatin war im Tatzeitraum auch nicht entsprechend § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig. Zwar befand sie sich in einer von ihr als belastend empfundenen Lebenssituation. Sie kämpfte nach eigenen Angaben mit Erinnerungen an eine in den Akten nicht dokumentierte Situation im Auslandseinsatz im Jahr 2016, in der sie mit einem Fahrzeug eine Straßensperre mit Kindern durchbrochen habe und nicht wisse, ob dabei ein Kind zu Schaden gekommen sei. Ferner stellten sich nach dem Auslandseinsatz Beziehungsprobleme mit ihrer damaligen Partnerin ein, die kurz nach dem Tatende im Juni 2018 zu einem Nervenzusammenbruch der früheren Soldatin und später zur Trennung führten. Des Weiteren unterlag die frühere Soldatin Belastungen dadurch, dass sie sich seit ihrer Kindheit als dem falschen Geschlecht zugeordnet empfand. Sie fühlte sich aufgrund ihrer Homo- und Transsexualität gemobbt. Darüber hinaus war sie im Tatzeitraum mit Erinnerungen an sexuelle Missbrauchs- und Gewalterfahrungen durch nahe Bezugspersonen in ihrer Kindheit und Jugend belastet, wegen derer sie nach einem truppenärztlichen Eintrag vom 23. Januar 2017 an die FU 6 im Bundeswehrkrankenhaus ... zur Therapieempfehlung überwiesen wurde. Zudem berichtete sie rund vier Monate nach dem Tatende laut einer truppenärztlichen Epikrise vom 13. November 2018 von ca. 40 000 € Schulden, die zum Großteil aus dem Spielen an Geldautomaten stammen würden. Diese Belastungen begründeten aber keine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB im Tatzeitraum.

49 (aa) Die richterliche Entscheidung, ob im Sinne des § 21 StGB die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe zum Zeitpunkt des Dienstvergehens erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist festzustellen, ob beim Täter zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Taten beeinträchtigt worden sein (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2019 ‌- 2 StR 382/18- NStZ-RR 2019, 170 m. w. N.; BVerwG, Urteile vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 30 m. w. N. und vom 13. Oktober 2022 - 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 66).

50 (bb) Hier ist ohne vernünftige Zweifel auszuschließen, dass bei der früheren Soldatin zur Tatzeit eine psychische Störung eines solchen Ausmaßes vorlag, dass sie unter das allein in Betracht kommende Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (zur Tatzeit im Gesetzestext noch schwere andere seelische Abartigkeit genannt, vgl. BT-Drs. 19/19859 S. 35) fiel.

51 (aaa) Es kann dahinstehen, ob die frühere Soldatin seinerzeit bereits an dem in den Berichten über ihre späteren stationären Behandlungen diagnostizierten Pathologischen Spielen (ICD 10 F 63.0 ) litt.

52 Eine Spielsucht stellt für sich genommen noch keine schwere andere seelische Störung dar. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene durch seine Spielsucht gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfahren hat, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt, kann (ausnahmsweise) eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein. Zudem muss sich die Spielsucht in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben. Die begangenen Straftaten müssen der Fortsetzung des Spielens gedient haben (BVerwG, Urteil vom 12. April 2024 - 2 WD 6.23 - ‌NZWehrr 2024, 327 Rn. 50 m. w. N.).

53 Hinweise auf eine schwerste Persönlichkeitsveränderung der früheren Soldatin infolge ihrer Spielsucht etwa im Sinne der Depravation mit Persönlichkeitsabbau, Kritik- und Urteilsschwäche, Nivellierung des Wertgefüges und vollständiger Einengung des Interesses auf die Finanzierung und Sicherung des Spielverhaltens ergeben sich weder aus der Gesundheitsakte noch aus den Zeugenaussagen. Zudem fehlt es an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang der früheren Soldatin, an Geldautomaten zu spielen, und dem Dienstvergehen. In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung hat die frühere Soldatin die Frage, ob sie einen Zusammenhang zwischen der Spielsucht und dem Vorwurf sehe, mit "nein" beantwortet; es sei ihr nicht darum gegangen, Geld reinzuholen, sondern es sei der einzige Ort gewesen, an dem ihr Kopf Ruhe gehabt habe.

54 (bbb) Dahinstehen kann auch, ob die frühere Soldatin im Tatzeitraum an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und histrionen Zügen (ICD 10 F 61) litt, die bei ihr später zumindest im Entlassungsbericht der ... Klinik ... vom 13. Dezember 2021 und im Ambulanzbrief des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 31. August 2022 diagnostiziert wurde. Dazu wurde in der versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 3. Mai 2023 ausgeführt, dass die Schwelle zum Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung überwiegend wahrscheinlich überschritten worden sei. Hingegen heißt es im Ambulanzbrief des Bundeswehrkrankenhauses ... vom 22. Juni 2023, dass diese Diagnose aus der Gesamtschau nicht nachvollzogen werden könne, was vom Truppenarzt beim Sanitätsversorgungszentrum ... in einer Stellungnahme vom 10. November 2023 geteilt wurde.

55 Jedenfalls fällt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung nur dann unter das vierte Merkmal des § 20 StGB, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen. Die Störung muss nach ihrem Ausprägungsgrad Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit haben, also im Alltag und auch außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens geführt haben. Denn nur dann ist anzunehmen, dass nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was auch bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und oft Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 ‌- 2 WD 6.21 - juris Rn. 23 m. w. N.). Diese Voraussetzungen lagen im Tatzeitraum - wie ausgeführt - nicht vor.

56 (ccc) Ebenso wenig ist aus der von der Psychologischen Psychotherapeutin Dr. B. in einem Schreiben vom 29. März 2023 diagnostizierten mittelschweren depressiven Störung (ICD 10 F 32.1 ) eine verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit abzuleiten. Da es bei Depressionen eine große Bandbreite von Ausprägungs- und Schweregraden gibt, genügt ein allgemeiner Hinweis auf diese Diagnose zur Begründung einer verminderten Schuldfähigkeit nicht. Für die Feststellung, ob eine mittelgradige depressive Episode den Schweregrad eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 21 StGB erreicht, sind vielmehr der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - 1 StR 651/18 - NStZ-RR 2019, 334 <335> m. w. N.). Maßgeblich ist auch hier, ob die Symptome in ihrer Gesamtheit das Leben des Betroffenen vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 2 StR 112/18 - juris Rn. 11 m. w. N.; BVerwG, Urteile vom 3. Dezember 2020 - 2 WD 4.20 - ‌NZWehrr 2022, 74 <79> und vom 2. Juni 2022 - 2 WD 30.20 - NVwZ-RR 2022, 949 Rn. 43). Für gravierende Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens im Tatzeitraum fehlt es - wie ausgeführt - an Anhaltspunkten.

57 (ddd) Offenbleiben kann auch, ob die frühere Soldatin bereits im Tatzeitraum an der bei ihr in den Berichten über ihre späteren stationären Aufenthalte diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1 ) litt, deren Ursache sie selbst in ihrem Auslandseinsatz von 2016 sieht, während sie in den ärztlichen Unterlagen und im Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 21. Juni 2023 über die Versagung einer Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz überwiegend auf traumatische Ereignisse in der Kindheit und Jugend zurückgeführt wurde. Zwar kommt es abhängig von den Umständen des Einzelfalls in Betracht, dass eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung im Zusammenwirken mit anderen Faktoren, etwa einer schweren Depression, zu einer massiven Persönlichkeitsveränderung führt, welche die gesamte Lebensführung des Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt, und somit als "schwere andere seelische Abartigkeit" zu bewerten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2019 - 3 StR 337/19 - ‌juris Rn. 12 m. w. N.). Dafür ist aber - wie ausgeführt - nichts ersichtlich.

58 (eee) Entsprechendes gilt für die sonstigen geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen der früheren Soldatin.

59 (c) Ebenso wenig erlangt die zwischenzeitliche Schadenswiedergutmachung ein erheblich milderndes Gewicht. Sie ist zwar bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen (vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 2 Alt. 6 StGB); jedoch ist sie nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens bedeutsam zu relativieren, weil die deutsche Rechtsordnung die Wiedergutmachung eines Schadens nicht in das Ermessen des Schädigers stellt, sondern sie als dessen rechtliche Verpflichtung ausgestaltet (vgl. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 3 StGB), womit sie sich als rechtliche Selbstverständlichkeit darstellt (BVerwG, Urteil vom 30. November 2023 - 2 WD 4.23 - juris Rn. 56 m. w. N.).

60 (d) Die frühere Soldatin handelte ferner nicht in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage. Dieser Milderungsgrund setzt eine Konfliktsituation voraus, in welcher der betreffende Soldat keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf das Vermögen des Dienstherrn sieht, um einen Notbedarf seiner Familie zu decken, und ist daher nur auf zeitlich begrenztes Fehlverhalten anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 -‌ juris Rn. 27 m. w. N.). Eine solche Situation liegt nicht mehr vor, wenn dies - wie hier - über einen längeren Zeitraum in dem Sinne geschieht, dass eine weitere Einkunftsquelle verwertet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2023 - 2 WD 6.22 - juris Rn. 48 m. w. N.).

61 (e) Die Taten sind auch nicht auf eine Mobbingsituation zurückzuführen. Mobbing setzt eine außergewöhnliche situationsbedingte Erschwernis durch systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren durch andere Beschäftigte oder durch Vorgesetzte voraus (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 ‌- 2 WD 29.18 - NZWehrr 2020, 124 <128> m. w. N.). Anhaltspunkte für solche systematischen Anfeindungen bestehen nicht. So hat der Leumundszeuge Hauptmann a.D. P. erstinstanzlich betont, die frühere Soldatin sei nicht die einzige homosexuelle Frau gewesen, es habe keinerlei Diskriminierung seitens der Führung gegeben und er könne auch über Mobbing nichts berichten. Oberfeldapotheker B. hat erstinstanzlich erklärt, es habe kein Mobbing gegeben, jedenfalls sei nichts dergleichen an ihn herangetragen worden. Ungeachtet dessen ist zwischen dem behaupteten Mobbing und den Betrugstaten keine Kausalität erkennbar.

62 (f) Dass die frühere Soldatin disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelastet ist, ist ebenfalls nicht mildernd zu berücksichtigen, weil sie insoweit nur den Mindesterwartungen des Dienstherrn gerecht geworden ist, aber keine Leistung erbracht hat, die sie aus dem Kreis der Kameraden besonders hervorhebt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 2021 - 2 WD 22.20 - juris Rn. 35).

63 (g) Reue und Einsicht hat die frühere Soldatin nicht gezeigt, so dass sie nicht mildernd berücksichtigt werden können. Dieses Verhalten bildet jedoch auch keinen nachteiligen Umstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 43 m. w. N.).

64 cc) Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände ist von der nach Art und Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme nicht abzugehen. Daher kann auch eine etwaige überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernden Wirkungen entfalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 56). Dies gilt unabhängig davon, ob die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist oder erst nach einer Gesamtwürdigung der Bemessungskriterien auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2020 - 2 WD 16.19 - juris Rn. 20 m. w. N.).

65 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.