Verfahrensinformation

Die Klägerin ist ein 15 Jahre altes  Mädchen türkischer Staatsangehörigkeit. Ihr Vater ist als Asylberechtigter anerkannt und besitzt seit dem Jahr 2004 auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Im  Mai 2006 beantragte er für seine Tochter die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.


Der beklagte Landkreis lehnte dies unter Verweis auf die niedersächsischen Verwaltungsvorschriften ab, weil die Klägerin ihre türkische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben habe. Das Verwaltungsgericht Hannover verpflichtete den Beklagten zur Einbürgerung mit der Begründung, dass nach dem türkischen Recht die Entlassung Minderjähriger aus der türkischen Staatsangehörigkeit nicht vorgesehen sei. In diesen Fällen sog. altersbedingter Unmöglichkeit sehe § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vor.


Auf die Berufung des beklagten Landkreises änderte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Entscheidung und wies die Klage ab. Die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit sei nicht im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG generell unmöglich, und es sei für die Klägerin auch nicht unzumutbar, das Erreichen der Volljährigkeit abzuwarten. Ihre Revision begründet die Klägerin unter anderem damit, dass die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche.


Die Frage, ob bei der Einbürgerung von Kindern Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist, stellt sich auch in anderen Fällen, weil auch verschiedene andere Staaten Minderjährige nicht oder nur sehr eingeschränkt aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen.


Verfahrensinformation

Die Klägerin ist ein 15 Jahre altes  Mädchen türkischer Staatsangehörigkeit. Ihr Vater ist als Asylberechtigter anerkannt und besitzt seit dem Jahr 2004 auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Mai 2006 beantragte er für seine Tochter die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.


Der beklagte Landkreis lehnte dies unter Verweis auf die niedersächsischen Verwaltungsvorschriften ab, weil die Klägerin ihre türkische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben habe. Das Verwaltungsgericht Hannover verpflichtete den Beklagten zur Einbürgerung mit der Begründung, dass nach dem türkischen Recht die Entlassung Minderjähriger aus der türkischen Staatsangehörigkeit nicht vorgesehen sei. In diesen Fällen sog. altersbedingter Unmöglichkeit sehe § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vor.


Auf die Berufung des beklagten Landkreises änderte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Entscheidung und wies die Klage ab. Die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit sei nicht im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG generell unmöglich, und es sei für die Klägerin auch nicht unzumutbar, das Erreichen der Volljährigkeit abzuwarten. Ihre Revision begründet die Klägerin unter anderem damit, dass die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche.


Die Frage, ob bei der Einbürgerung von Kindern Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist, stellt sich auch in anderen Fällen, weil auch verschiedene andere Staaten Minderjährige nicht oder nur sehr eingeschränkt aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen.


Pressemitteilung Nr. 12/2013 vom 22.02.2013

Keine Einbürgerung eines türkischen Kindes ohne Ausscheiden aus seiner Staatsangehörigkeit

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass die Einbürgerung eines Kindes mit türkischer Staatsangehörigkeit grundsätzlich die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit voraussetzt.


Dieser Entscheidung liegt der Fall eines heute 15 Jahre alten türkischen Mädchens zu Grunde. Ihr Vater ist als Asylberechtigter anerkannt und besitzt seit dem Jahr 2004 die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Mai 2006 beantragte er für seine Tochter die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Der nach Ablehnung des Antrags erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die dagegen erhobene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.


Ein Anspruch auf Einbürgerung setzt unter anderem voraus, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG). Von diesem Grundsatz der Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit macht das Gesetz eine Ausnahme, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG). Diese Ausnahme ist hier nicht einschlägig, da die Republik Türkei nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ein Ausscheiden aus ihrer Staatsangehörigkeit unter anderem bei Volljährigen zulässt. Die Bestimmung findet nur Anwendung, wenn das Recht des Herkunftsstaates ein Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Sie erfasst hingegen nicht auch den Fall, dass ein Ausscheiden an sich vorgesehen ist, hierfür aber - wie bei der minderjährigen Klägerin - die dafür vorgesehenen Voraussetzungen nicht vorliegen. Auch der weitere Ausnahmetatbestand, dass der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG), ist nicht erfüllt.


BVerwG 5 C 9.12 - Urteil vom 21. Februar 2013

Vorinstanzen:

OVG Lüneburg, 13 LC 240/10 - Urteil vom 08. Februar 2013 -

VG Hannover, 10 A 874/07 - Urteil vom 20. September 2010 -


Urteil vom 21.02.2013 -
BVerwG 5 C 9.12ECLI:DE:BVerwG:2013:210213U5C9.12.0

Leitsätze:

1. Bei der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband wird Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG nur dann hingenommen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsieht.

2. Macht das ausländische Recht die Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit vom Erreichen der Volljährigkeit abhängig, stellt dies grundsätzlich eine zumutbare Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG dar.

  • Rechtsquellen
    StAG § 4 Abs. 3; § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4,
    § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 bis 3
    KRK Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
    EuStAngÜbk Art. 16

  • VG Hannover - 20.09.2010 - AZ: VG 10 A 784/07
    Niedersächsisches OVG - 08.02.2012 - AZ: OVG 13 LC 240/10

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 21.02.2013 - 5 C 9.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:210213U5C9.12.0]

Urteil

BVerwG 5 C 9.12

  • VG Hannover - 20.09.2010 - AZ: VG 10 A 784/07
  • Niedersächsisches OVG - 08.02.2012 - AZ: OVG 13 LC 240/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten um die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung eines türkischen Kindes.

2 Die Klägerin wurde am 13. Januar 1998 als Kind türkischer Eltern in S. geboren. Sie ist ebenfalls türkische Staatsangehörige und verfügt seit ihrer Geburt über Aufenthaltserlaubnisse. Ihr Vater ist als Asylberechtigter anerkannt und seit dem Jahr 2004 im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Am 29. Mai 2006 beantragte sie ihre Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Januar 2007 ab.

3 Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung und wies die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Einbürgerungsanspruch, weil sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben habe. Von dieser Voraussetzung werde nur abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben könne. Davon sei nur auszugehen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsehe. Es sei zwar Voraussetzung für die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, dass die betreffende Person volljährig und urteilsfähig sei. Minderjährige könnten jedoch gemeinsam mit ihren Eltern oder einem Elternteil aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen werden, weswegen eine Entlassung minderjähriger Personen grundsätzlich möglich sei. Bei nach dem Recht des ausländischen Staates grundsätzlich gegebener Entlassungsmöglichkeit stelle der Gesetzeswortlaut nicht darauf ab, an welche sachlichen Voraussetzungen das Recht des Herkunftsstaates die Aufgabe oder den Verlust der Staatsangehörigkeit knüpfe. Ein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit ergebe sich auch nicht daraus, dass der türkische Staat die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht habe.

4 Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, bei einer Einbürgerung sei Mehrstaatigkeit nicht nur in den Fällen genereller, sondern auch in den Fällen individueller Unmöglichkeit hinzunehmen. Daher erfülle auch die bei Minderjährigen bestehende Unmöglichkeit der isolierten Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit diesen Ausnahmetatbestand. Die gegenteilige Auffassung lasse sich nicht mit dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes begründen. Für ein weites Verständnis spreche insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Aus dem Vergleich mit der Vorläuferregelung und aus den Materialien zum Zuwanderungsgesetz ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei der hier einschlägigen Minderjährigenproblematik eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit angestrebt habe. Nur dieses Verständnis der Norm entspreche dem Europäischen Staatsangehörigkeitsübereinkommen und der UN-Kinderrechtskonvention. Auch sei es für die Klägerin eine unzumutbare Bedingung, die türkische Staatsangehörigkeit bis zur Volljährigkeit beibehalten zu müssen.

5 Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

II

6 Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit zusteht.

7 1. Für die Beurteilung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ist gemäß § 40c des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vom 22. Juli 1913 (RGBI I S. 583), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224), die vor dem 28. August 2007 geltende Fassung der §§ 8 bis 14 StAG anzuwenden, soweit sie im Vergleich zur gegenwärtigen Regelung günstigere Bestimmungen enthält. Denn die Klägerin hat ihren Einbürgerungsantrag bereits im Mai 2006 und damit vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle 2007 gestellt. Hinsichtlich der umstrittenen Frage der Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 12 Abs. 1 StAG enthält das vor dem 28. August 2007 geltende Recht aber keine für die Revision der Klägerin entscheidungserheblichen Besserstellungen. Daher ist insoweit die aktuelle Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes anzuwenden.

8 2. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband mit Ausnahme des Merkmals des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG erfüllt. Daher hat der Beklagte der Klägerin während des Verwaltungsprozesses eine Einbürgerungszusicherung erteilt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gegeben, die Klägerin nach Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband aufzunehmen. Aus den unstreitigen und im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <302> = Buchholz 402.240 § 87 AuslG Nr. 2 S. 4) folgt, dass die minderjährige Klägerin nach türkischem Recht bis zum Eintritt der Volljährigkeit im Alter von 18 Jahren nicht allein aus der Staatsangehörigkeit entlassen werden kann. Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (Gesetz Nr. 5901 vom 29. Mai 2009 - Resmi Gazete Nr. 27256 vom 12. Juni 2009 - deutsche Übersetzung durch Nomer-Ertan/Kossendey in StAZ 2009, 346 - im Folgenden: TStAG) - ist Voraussetzung für die Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, dass die betreffende Person volljährig und urteilsfähig ist. Eine Entlassung Minderjähriger aus der türkischen Staatsangehörigkeit ist lediglich im Zusammenhang mit der Entlassung ihrer Eltern oder eines Elternteils nach Art. 27 Abs. 2 Satz 2 TStAG möglich.

9 3. Die Klägerin kann keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit beanspruchen. Denn § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG billigt einem Ausländer grundsätzlich nur dann einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung zu, wenn er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert.

10 a) § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG gebietet von diesem Grundsatz zwar eine Ausnahme, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht. Dieses Merkmal ist aber nur erfüllt, wenn das jeweilige nationale Staatsangehörigkeitsrecht das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt (vgl. Berlit, in: GK-StAR, Stand Juli 2012, § 12 StAG Rn. 35 ff.; Geyer, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl. 2008 § 12 StAG Rn. 10 f.; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, StAngR, 5. Aufl. 2010, § 12 StAG Rn. 13; a.A. Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, 1997, § 87 AuslG Rn. 26).

11 In diese Richtung weist bereits der Wortlaut der Bestimmung. Die Wendung, dass „das Recht“ ein Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit „nicht vorsieht“ deutet darauf hin, dass es allein auf das Vorliegen einer objektiven Voraussetzung ankommt. Bei einem solchen Verständnis liegt es aber fern, den Anwendungsbereich der Bestimmung auch in den Fällen als eröffnet anzusehen, in denen das Recht des ausländischen Staates zwar die Möglichkeit des Ausscheidens vorsieht, im Einzelfall hingegen - wie hier - die subjektiven Voraussetzungen für ein Ausscheiden nicht vorliegen.

12 Aus der Systematik des Gesetzes ergibt sich deutlich, dass § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur unter der Voraussetzung zulässt, dass das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Dies folgt insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG. Diese Bestimmung gebietet die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht. Sie setzt mithin voraus, dass der ausländische Staat das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit grundsätzlich zulässt und dass er daran Bedingungen knüpft. Die insoweit in Betracht kommenden Entlassungserfordernisse beziehen sich auf alle Fälle, in denen der ausländische Staat das Ausscheiden aus seinem Staatsverband grundsätzlich zulässt, aber von einem bestimmten Verhalten oder von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht (vgl. zur Bedingung der Volljährigkeit Berlit, a.a.O. Rn. 166). Dies schließt es aus systematischen Gründen aus, auch diese Fallgestaltungen als von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG erfasst anzusehen und gebietet zugleich die Annahme, dass die Bestimmung auf die Fälle beschränkt ist, in denen das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit ausnahmslos nicht vorgesehen ist.

13 Dieser Befund steht mit Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG im Einklang. Die Bestimmung verfolgt das Ziel, dass in dem in ihr geregelten Fall der rechtlichen Unmöglichkeit des Ausscheidens aus der ausländischen Staatsangehörigkeit die Mehrstaatigkeit hingenommen wird. Dies lässt es zu, den Anwendungsbereich auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen das Ausscheiden generell ausgeschlossen ist.

14 Die historische Auslegung der Bestimmung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Allerdings sind der Entstehungsgeschichte Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung gehabt haben könnte, die Fälle der Entlassungsbedingungen der Volljährigkeit unterfielen § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG. Die Bestimmung entspricht § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz - AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) in der bis einschließlich 31. Dezember 2004 gültigen Fassung. § 87 Abs. 5 AuslG in jener Fassung sah vor, dass der Ausländer „abweichend von Absatz 1“ eine Einbürgerungszusicherung erhält, wenn seine Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit seine Volljährigkeit erfordert, er nach dem Recht seines Heimatstaates noch minderjährig ist und weitere näher bezeichnete Voraussetzungen vorliegen.

15 Die Gesetzesmaterialien wiesen vor dem Hintergrund des systematischen Zusammenhangs der genannten Bestimmungen deutlich in die Richtung, dass § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG auch den Fall erfasste, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit wegen Minderjährigkeit nicht aufgeben konnte. Ein Anspruch auf Hinnahme der Mehrstaatigkeit bestand (nur) deshalb nicht, weil für den in Rede stehenden Personenkreis § 87 Abs. 5 AuslG „abweichend“ von der zuvor genannten Bestimmung die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung vorsah. Dieses Verständnis entsprach wohl auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BRDrucks 188/99 S. 24 f. und S. 26). Im Zuge der Eingliederung der einbürgerungsrechtlichen Bestimmungen des Ausländergesetzes in das Staatsangehörigkeitsgesetz durch Art. 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) wurde zwar mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG der Sache nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG übernommen, nicht hingegen § 87 Abs. 5 AuslG. Der Verzicht auf eine dem § 87 Abs. 5 AuslG entsprechende Bestimmung wurde u.a. damit begründet, dass die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung sich nicht bewährt habe (BTDrucks 15/420 S. 116).

16 Dem Umstand, dass der Gesetzgeber zwar mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG den Inhalt des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AuslG übernommen hat, es jedoch an einer dem § 87 Abs. 5 AuslG entsprechenden Bestimmung fehlt, könnte mit Blick auf die zitierten Gesetzesmaterialien der gesetzgeberische Wille zu entnehmen sein, dass die Unmöglichkeit der Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit wegen Minderjährigkeit von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG erfasst sein soll (vgl. auch BTDrucks 15/955 S. 41). Dies kann hingegen dahinstehen. Jedenfalls hat ein solcher Wille keinen erkennbaren Ausdruck im Gesetzestext gefunden. Die Gesetzesmaterialien können bei der Auslegung von Normen nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden, als sie auf einen „objektiven“ Gesetzesinhalt schließen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann hiernach bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Die Materialien dürfen nicht dazu verleiten, den subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Februar 1983 - 2 BvE 1, 2, 3, 4/83 - BVerfGE 62, 1 <45> m.w.N.). Erkenntnisse zum Willen des Gesetzgebers können sich nicht gegenüber widerstreitenden gewichtigen Befunden durchsetzen, die aus der Anwendung der anderen Auslegungskriterien gewonnen werden. So liegt es hier. Der Gesetzessystematik ist - wie aufgezeigt - deutlich zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG nur eröffnet ist, wenn das ausländische Recht das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit generell ausschließt. Bereits der Wortlaut weist in diese Richtung.

17 b) Die Klägerin kann aber auch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit verlangen. Eine vom ausländischen Staat gestellte Bedingung ist im Sinne dieser Vorschrift unzumutbar, wenn sie schon abstrakt-generell betrachtet nach den Wertungen der deutschen Rechtsordnung nicht hinnehmbar ist. Nach verbreiteter Ansicht ist sie darüber hinaus unzumutbar, wenn sie sich konkret-individuell betrachtet für den Einbürgerungsbewerber in nicht hinnehmbarer Weise auswirkt (vgl. Berlit, a.a.O. Rn. 108 bis 110; Geyer, a.a.O. Rn. 18; Hailbronner, a.a.O. Rn. 24). Der Wortlaut der Norm lässt eher auf das Erfordernis einer abstrakt-generellen Prüfung schließen. Ob die darüber hinaus erforderliche individuelle Prüfung des Vorliegens besonders schwieriger Bedingungen ebenfalls von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG gefordert wird oder als gesonderter Prüfungsschritt im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG zu erfolgen hat, kann der Senat auch im vorliegenden Fall offenlassen (vgl. Urteil vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 9.10 - BVerwGE 137, 237 Rn. 37 = Buchholz 130 § 12 StAG Nr. 2 Rn. 37).

18 Denn es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass das nach türkischem Recht bestehende Volljährigkeitserfordernis abstrakt oder konkret betrachtet unzumutbar wäre. Bei einer generalisierenden Betrachtungsweise ist zunächst festzustellen, dass auch verschiedene andere Staaten (z.B. Slowenien und die Schweiz) Minderjährige nur gemeinsam mit ihren Eltern ausbürgern und ansonsten die Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit vom Erreichen des Volljährigkeitsalters abhängig machen (Geyer, a.a.O. Rn. 10 Fn. 37). Für eine solche Regelung können auch sachliche Gründe angeführt werden, insbesondere die mangelnde Reife Minderjähriger und die im familiären Umfeld nicht völlig abgeschlossene Loslösung von der nationalen Identität des Herkunftslandes. Auch wirkt sich das mit der Altersbeschränkung verbundene Entlassungshindernis im Regelfall nur vorübergehend und nicht dauerhaft und gravierend aus, wenn den Betroffenen nach Erreichen der Volljährigkeitsschwelle die staatsangehörigkeitsrechtliche Entscheidungsfreiheit gewährt wird. Da auch das nationale Recht die Entscheidungsfreiheit Minderjähriger und ihrer Erziehungsberechtigten bei rechtsgeschäftlichen Fragen von besonderer Tragweite z.B. nach §§ 1641 und 1643 BGB eingrenzt, kann eine solche Einschränkung nicht nach den Maßstäben des nationalen Rechts als unzumutbar angesehen werden.

19 Schließlich sind vom Berufungsgericht auch keine Tatsachen festgestellt worden, die das Volljährigkeitserfordernis im konkreten Einzelfall als unzumutbare oder besonders schwierige Bedingung erscheinen ließen. Ist eine Entlassungsvoraussetzung generell betrachtet zumutbar, dann hat dies zur Folge, dass die betroffenen Ausländer in der Regel die Bedingung erfüllen müssen, um nach Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband aufgenommen zu werden. Schon aus Gleichbehandlungsgründen muss für die Annahme einer hiervon befreienden individuell-konkreten Unzumutbarkeit eine vom Regelfall abweichende atypische Belastungssituation vorliegen, die bei wertender Betrachtung nach nationalem Recht nicht hinzunehmen ist.

20 Dass die Klägerin wie andere Kinder, die schon in jungen Jahren einen Antrag stellen, vergleichsweise lange auf die Einbürgerung warten muss, stellt keine atypische Belastung dar. Auch können Umstände, die rechtspolitisch eine vorzeitige Einbürgerung erwägenswert erscheinen lassen, wie z.B. die vorangegangene Einbürgerung des Vaters und der volljährigen Geschwister der Klägerin, ihr Aufwachsen in Deutschland und ihre weitgehende Integration ins deutsche Gesellschaftsleben, für die Annahme einer besonderen Belastungssituation nicht ausreichen. Diese Umstände können auch nicht deswegen eine die Hinnahme der Mehrstaatigkeit rechtfertigende Sondersituation begründen, weil viele vergleichbare Kinder ausländischer Eltern, die wie die Klägerin in Deutschland aufgewachsen und integriert sind, nach § 4 Abs. 3 StAG kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Zum einen liegen die weiteren Voraussetzungen der Norm in der Person der Klägerin nicht vor. Zum anderen ist dieser Staatsangehörigkeitserwerb mit der Optionspflicht nach § 29 Abs. 1 StAG belastet und führt daher anders als § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG nicht zur dauerhaften Hinnahme der Mehrstaatigkeit.

21 4. Die Versagung der Einbürgerung steht auch mit Völkerrecht im Einklang.

22 Etwas anders folgt nicht aus Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 99, 121). Das dort genannte Recht des Kindes, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, dient vorrangig dem Schutz staatenloser Kinder (vgl. BTDrucks 12/42 S. 37; Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, 1. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 21). Es gewährt daher grundsätzlich keinen Anspruch auf Entlassung aus einer bestehenden Staatsangehörigkeit oder auf den Hinzuerwerb einer zweiten Staatsangehörigkeit.

23 Es mag zwar zutreffen, dass eine vorzeitige Einbürgerung unter Hinnahme dauerhafter Mehrstaatigkeit - wie vorgetragen - dem Kindeswohl der Klägerin im Sinne des Art. 3 Abs. 1 KRK dienen würde. Die in dieser Vorschrift enthaltene vorrangige Berücksichtigungspflicht führt jedoch nicht dazu, dass dem Kindeswohlaspekt in jedem Einzelfall gegenüber divergierenden öffentlichen Interessen ein absoluter Vorrang einzuräumen ist (BTDrucks 12/42 S. 35; Schmahl, a.a.O. Art. 3 Rn. 7). Vielmehr kann im Rahmen der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung - d.h. bei der Prüfung der Zumutbarkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG - dem staatlichen Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit der Vorrang gebühren, wenn die Wartefrist bis zum Erreichen der Volljährigkeit - wie hier - nicht zu einer Gefährdung des Kindeswohls und damit zu einer besonderen Belastung führt.

24 Die Klägerin vermag auch aus dem Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit (EuStAngÜbk) vom 6. November 1997 (BGBl 2004 II S. 578) nichts zu ihren Gunsten herzuleiten. Nach dessen Artikel 1 richtet sich das Übereinkommen an die Vertragsstaaten und erzeugt deshalb grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Einzelnen. Bereits aus diesem Grund kann sich die Klägerin nicht auf die Verpflichtung der Vertragsstaaten berufen, den Erwerb der Staatsangehörigkeit von Kindern nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. c EuStAngÜbk und den Erwerb der Staatsangehörigkeit von im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates geborenen Personen nach Art. 6 Abs. 4 Buchst. e EuStAngÜbk zu erleichtern. Entsprechendes gilt für das Verbot, u.a. den Erwerb der Staatsangehörigkeit von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen, wenn die Aufgabe oder der Verlust unmöglich oder unzumutbar ist (Art. 16 EuStAngÜbk). Davon abgesehen erkennt das Übereinkommen das Recht der Vertragsstaaten an, die Einbürgerung von der Aufgabe oder dem Verlust einer anderen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen (vgl. Art. 15 Buchst. b EuStAngÜbk). Dem Erleichterungsgebot hat der deutsche Gesetzgeber insbesondere mit dem Anspruch auf Miteinbürgerung nach § 10 Abs. 2 StAG und der Möglichkeit der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG Rechnung getragen, dem Verbot des Art. 16 EuStAngÜbk mit § 12 StAG.

25 5. Der Klägerin steht - wie vom Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt - auch kein Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG zu, da bei der Ermessenseinbürgerung für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach den einschlägigen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften, die nicht zu beanstanden sind, die gleichen Maßstäbe gelten wie bei der Anspruchseinbürgerung.

26 6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.