Beschluss vom 04.10.2022 -
BVerwG 20 F 15.22ECLI:DE:BVerwG:2022:041022B20F15.22.0

Unwirksame elektronische Beschwerdeeinlegung im docx-Format

Leitsatz:

Eine über das besondere elektronische Anwaltspostfach im docx-Format eingelegte Beschwerde verstößt gegen § 55a Abs. 2 VwGO i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV in den seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassungen und ist vorbehaltlich einer Heilung nach § 55a Abs. 6 VwGO unwirksam.

  • Rechtsquellen
    BGB § 188 Abs. 2
    ERVV § 2 Abs. 1 Satz 1, 2 und 3, Abs. 2 und 3, § 5 Abs. 1 Nr. 1
    VwGO § 55a Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Satz 1 und 2, § 55d Satz 1, 3 und 4, Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, § 57 Abs. 2, § 99 Abs. 2 Satz 12 und 13, § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
    ZPO § 222 Abs. 1

  • VG Dresden - 08.11.2021 - AZ: 6 K 849/19
    OVG Bautzen - 29.06.2022 - AZ: 10 F 25/21

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.10.2022 - 20 F 15.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:041022B20F15.22.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 15.22

  • VG Dresden - 08.11.2021 - AZ: 6 K 849/19
  • OVG Bautzen - 29.06.2022 - AZ: 10 F 25/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 4. Oktober 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1 Mit Beschluss vom 29. Juni 2022 hat der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Weigerung des Beklagten, dem Verwaltungsgericht Dresden im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten des Klägers ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig ist.

2 Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 30. Juni 2022 zugestellten Beschluss für den Kläger am 1. Juli 2022 beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat "docx" über das besondere Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am 4. Juli 2022 beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingegangen.

3 Der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwerde am 13. Juli 2022 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 28. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt worden sei, das Dokument aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gelte, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht reagiert.

II

4 Die nach § 99 Abs. 2 Satz 12 VwGO statthafte Beschwerde ist unzulässig, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist nicht formgerecht eingereicht worden ist.

5 Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zwei Wochen ab Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung. Da der angefochtene Beschluss dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. Juni 2022 bekannt gegeben worden ist, endete die Beschwerdefrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 14. Juli 2022.

6 Bis dahin ist die Beschwerde entgegen § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO weder beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, dessen Entscheidung angefochten wird, noch beim Bundesverwaltungsgericht als zuständigem Beschwerdegericht (§ 99 Abs. 2 Satz 13 VwGO) formgerecht eingereicht worden.

7 Die postalische Einlegung der Beschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2022 ist unwirksam. Denn nach dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Diese Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte betrifft grundsätzlich alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der betreffenden Prozessordnung (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 28 zu § 130d ZPO). Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 27 § 130d ZPO). Nur wenn - was vorliegend nicht i. S. d. § 55d Abs. 1 Satz 4 VwGO glaubhaft gemacht worden ist - eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt gemäß § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.

8 Auch die elektronische Einreichung der Beschwerdeschrift beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Juli 2022 entspricht nicht den Formvorgaben. Zwar wurden die Vorgaben des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO gewahrt. Denn die Beschwerdeschrift war mit dem maschinenschriftlichen Namenszug (einfach) signiert (vgl. BAG, Beschluss vom 14. September 2020 - 5 AZB 23/20 - juris Rn. 15 m. w. N.) und wurde vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach (§ 31a BRAO) und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO an die elektronische Poststelle des Gerichts gesandt. Jedoch ist der elektronisch übermittelte Beschwerdeschriftsatz nicht zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet, weil er im falschen Dateiformat eingereicht wurde.

9 Nach § 55a Abs. 2 Satz 1 VwGO muss das elektronische Dokument zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

10 Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach - Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV - in der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) ist das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Grund hierfür ist, dass sich dieses Dateiformat im Rahmen des elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs zum Standardformat entwickelt hat und für die Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr besonders geeignet ist. Die Festlegung eines einheitlichen Dateiformates ermöglicht die reibungslose Weiterverarbeitung und elektronische Aktenführung durch die Gerichte, Behörden und anderen Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr (vgl. BR-Drs. 645/17 S. 12). Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV). § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 ERVV benennen die zulässigen Dateiformate abschließend (vgl. BR-Drs. 645/17 S. 12). Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den von der Bundesregierung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV bekannt gemachten Versionen dieser Dateiformate entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV).

11 Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments im Dateiformat PDF zwingend. Dies folgt auch aus einem Vergleich der "Muss"-Vorschriften des § 2 Abs. 1 ERVV mit den weiteren "Soll"-Bestimmungen für elektronische Dokumente in § 2 Abs. 2 und 3 ERVV. Die Gesetzes- und Verordnungshistorie bestätigt dies. Durch die Neufassung des § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO und des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV zum 1. Januar 2022 sollte die Maßgeblichkeit der Eignung zur gerichtlichen Bearbeitung klargestellt werden. Formunwirksamkeit soll im Grundsatz nur eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber sollen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs führen, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Die technischen Rahmenbedingungen sollen "nur noch" insoweit verbindlich vorgegeben werden, als dies für die Bearbeitung durch das Gericht notwendig ist. Zwingend ist danach "nur noch" die Übermittlung im Format PDF (vgl. BT-Drs. 19/28399 S. 40 und 48; vgl. auch BAG, Beschluss vom 25. April 2022 - 3 AZB 2.22 - juris Rn. 23; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 - juris Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. Juni 2022 - 4 OLG 4 Ss 67/22 - juris Rn. 14; Ulrich in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, Stand: Februar 2022, § 55a Rn. 118).

12 Der Formmangel ist auch nicht nach § 55a Abs. 6 VwGO geheilt worden. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen (§ 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit Schreiben vom 28. Juli 2022 darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen ist, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt wurde, dass aber das Dokument als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gilt, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Dies ist indes nicht geschehen.

13 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss vom 29.03.2023 -
BVerwG 20 F 15.22ECLI:DE:BVerwG:2023:290323B20F15.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.03.2023 - 20 F 15.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:290323B20F15.22.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 15.22

  • VG Dresden - 08.11.2021 - AZ: 6 K 849/19
  • OVG Bautzen - 29.06.2022 - AZ: 10 F 25/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 29. März 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdefrist gewährt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger u. a. Auskunft zu über ihn beim Beklagten gespeicherten Daten, die verschiedenen Institutionen übermittelt wurden.

2 Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die Aktenteile bzw. Daten vorzulegen, die der TU ..., ... gGmbH ... und dem ... übermittelt wurden.

3 Daraufhin wurden 21 teilweise geschwärzte Aktenseiten und ein ungeschwärztes Behördenzeugnis vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten hingegen unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Oktober 2021 verweigert.

4 Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht das Verfahren zur Durchführung eines "In-camera-Verfahrens" an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Dieser hat mit Beschluss vom 29. Juni 2022 festgestellt, dass die Weigerung des Beklagten, dem Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten des Klägers ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig sei.

5 Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat für diesen gegen den Beschluss am 1. Juli 2022 beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat "docx" über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am 4. Juli 2022 beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat unter dem 28. Juli 2022 ein Hinweisschreiben an den Prozessbevollmächtigten des Klägers verfügt, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei. Sie sei im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Dateiformat übermittelt worden. Das Dokument gelte aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Die Verfügung ist mit einem Abfertigungsvermerk der Geschäftsstelle vom 28. Juli 2022 versehen. Nachdem darauf keine Reaktion erfolgt war, hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts die Beschwerde mit Beschluss vom 4. Oktober 2022 verworfen, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist nicht formgerecht eingereicht worden sei.

6 Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der am 25. Oktober 2022 eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses erhalten hat, hat am 28. Oktober 2022 unter Beifügung des Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat PDF und Versicherung der inhaltlichen Identität mit dem ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz an Eides Statt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe erst am 25. Oktober 2022 erfahren, dass der Beschwerdeschriftsatz versehentlich im Dateiformat "docx" übermittelt worden sei. Das Hinweisschreiben vom 28. Juli 2022 habe er nicht erhalten. Die Umwandlung in das ihm als notwendig bekannte Dateiformat "PDF" sei Routine. Weshalb es unterlassen worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Das Büroversehen sei unbemerkt geblieben, weil vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach Dokumente im Dateiformat "docx" akzeptiert würden.

7 Der Beklagte ist der Ansicht, die Frist sei schuldhaft versäumt worden. Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beschwerde sowohl am 1. als auch am 4. Juli 2022 im falschen Dateiformat eingereicht habe, habe er nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt. Ungeachtet dessen sei die Sperrerklärung rechtmäßig.

8 Eine Prüfung durch die zuständige Sachbearbeiterin der Geschäftsstelle des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts hat ergeben, dass das richterliche Hinweisschreiben vom 28. Juli 2022 entgegen dem darauf in der Akte angebrachten Abfertigungsvermerk dem Prozessbevollmächtigten des Klägers versehentlich nicht übersandt worden ist.

II

9 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

10 1. Dem Kläger ist zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist zu gewähren.

11 a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig.

12 Er ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO statthaft, weil der Kläger die Beschwerdefrist nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO versäumt hat. Denn sein Prozessbevollmächtigter hat aus den im Beschluss des Senats vom 4. Oktober 2022 aufgezeigten Gründen die Beschwerde innerhalb dieser Frist nicht formgerecht, sondern im falschen Dateiformat über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereicht.

13 Der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags steht nicht entgegen, dass das Beschwerdeverfahren durch die Verwerfung der Beschwerde bereits rechtskräftig abgeschlossen ist. Es kann nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fortgesetzt werden, wenn die Verwerfung auf der Fristversäumung beruht und sich die Fristversäumung nachträglich als entschuldbar herausstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 1961 - 3 ER 414.60 - BVerwGE 11, 322 <323>).

14 Der Wiedereinsetzungsantrag ist ferner fristgerecht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat glaubhaft gemacht, mangels Erhalt des richterlichen Hinweisschreibens vom 28. Juli 2022 erst durch den Verwerfungsbeschluss am 25. Oktober 2022 Kenntnis von der versäumten Frist erhalten zu haben. Er hat den Wiedereinsetzungsantrag wenige Tage später am 28. Oktober 2022 gestellt. Zugleich hat er gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die versäumte Handlung nachgeholt, indem er den Beschwerdeschriftsatz unter Versicherung der inhaltlichen Identität mit dem ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz an Eides Statt formgerecht im Dateiformat "PDF" über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt hat.

15 b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.

16 Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei der Anwendung und Auslegung dieser Vorschrift ist das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu berücksichtigen. Danach darf der Zugang zu den dem Rechtssuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden. Insbesondere dürfen die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden. Beruht eine Fristversäumung auch auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - BVerfGE 110, 339 <342>; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - 2 AZR 611/03 - NJW 2005, 3515 <3516>; BVerwG, Beschluss vom 8. März 2019 - 5 PB 15.18 - juris Rn. 12). Aus Fehlern des Gerichts dürfen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 2327/07 - NJW 2008, 2167 Rn. 22 m. w. N.). Dementsprechend ist eine Wiedereinsetzung unabhängig vom Verschulden eines Beteiligten zu gewähren, wenn dies wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten ist; in dem Fall tritt ein in der eigenen Sphäre des Beteiligten liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurück (vgl. BSG, Beschlüsse vom 20. März 2019 - B 1 KR 7/18 B - juris Rn. 9 und vom 12. Oktober 2022 - B 1 KR 46/22 BH - juris Rn. 5).

17 Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, hat es dies dem Absender gemäß § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO). Der Hinweispflicht nach § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO wurde hier im Ergebnis nicht genügt. Denn das richterliche Hinweisschreiben ist aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entgegen dem darauf in der Akte angebrachten Abfertigungsvermerk nicht übermittelt worden. Wäre dies geschehen, hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beschwerdeschriftsatz unverzüglich im Dateiformat "PDF" über das besondere elektronische Anwaltspostfach nachreichen und damit die Fiktion eines fristgerechten Eingangs der Beschwerde bewirken können. In einem solchen Fall soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (vgl. BT-Drs. 15/4067 S. 37; siehe auch R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO 28. Aufl. 2022, § 55a Rn. 16).

18 c) Der erfolgreiche Wiedereinsetzungsantrag hat zur Folge, dass der Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2022 gegenstandslos und das Beschwerdeverfahren fortzuführen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 1989 - 2 B 75.89 - NJW 1990, 1806). Einer Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses vom 4. Oktober 2022 bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1957 - IV ZB 236/57 - juris).

19 2. Die danach zulässige Beschwerde ist aber unbegründet.

20 a) Der Antrag des Klägers ist zwar zulässig. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten und gesperrten Aktenbestandteile ordnungsgemäß bejaht.

21 b) Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Sperrerklärung vom 26. Oktober 2021 rechtmäßig ist.

22 aa) Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat das Vorliegen der mit der Sperrerklärung differenzierend für die einzelnen gesperrten Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe gewürdigt.

23 (1) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen. Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen. Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt vorzulegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 2022 - 20 F 9.21 - juris Rn. 9 m. w. N.).

24 (2) Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter. Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 2022 - 20 F 9.21 - juris Rn. 10 m. w. N.).

25 bb) In Anwendung dieser Maßstäbe hat ein Abgleich der geschwärzten mit den ungeschwärzten Aktenseiten durch den Senat ergeben, dass die geltend gemachten Weigerungsgründe für alle Schwärzungen bestehen.

26 Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten und elektronischen Dokumente nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 14 i. V. m. Satz 10 Halbs. 2 VwGO).

27 cc) Auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden. In der Sperrerklärung wurde eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und die widerstreitenden Interessen der Beteiligten abwägende Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.

28 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss vom 27.05.2024 -
BVerwG 20 F 10.23ECLI:DE:BVerwG:2024:270524B20F10.23.0

Begründete Anhörungsrüge gegen Beschwerdeentscheidung im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO

Leitsätze:

1. Eine Anhörungsrüge gegen eine Beschwerdeentscheidung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts im In-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ist statthaft.

2. Die persönlichen Daten von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes können auch dann i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3 VwGO geheimhaltungsbedürftig sein, wenn sie rechtswidrig gehandelt haben. Der Umstand ist aber bei der Ermessensentscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO zu berücksichtigen.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1
    SächsVSG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
    VwGO § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3, Abs. 2 Satz 13, § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 und 2, § 154 Abs. 2

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.05.2024 - 20 F 10.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:270524B20F10.23.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 10.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 27. Mai 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:

  1. Auf die Anhörungsrüge des Klägers wird das Beschwerdeverfahren fortgeführt.
  2. Der Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2023 (20 F 15.22 ) wird wie folgt geändert:
  3. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022 aufgehoben. Die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Oktober 2021 ist rechtswidrig.
  4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich mit einer Anhörungsrüge gegen eine Beschwerdeentscheidung im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO.

2 Der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 29. Juni 2022 festgestellt, dass die Weigerung des Beklagten, dem Verwaltungsgericht Dresden im Hauptsacheverfahren Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten des Klägers auch ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig sei.

3 Der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 4. Oktober 2022 - 20 F 15.22 - verworfen. Mit Beschluss vom 29. März 2023 hat er dem Kläger auf dessen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdefrist gewährt und die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

4 Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge des Klägers.

II

5 Die gegen den Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2023 - 20 F 15.22 - erhobene Anhörungsrüge des Klägers ist zulässig und begründet. Die gemäß § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO neu zu treffende Beschwerdeentscheidung führt zur Aufhebung des mit der Beschwerde angefochtenen Beschlusses des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022 und zur Feststellung, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Juli 2021 rechtswidrig ist.

6 1. Die Anhörungsrüge ist zulässig. Der Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2023 ist keine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung i. S. d. § 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO, gegen die eine Anhörungsrüge unstatthaft wäre. Zwar ist die "Endentscheidung" i. S. d. § 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO im Regelfall das Endurteil; in Betracht kommen nach der Gesetzesbegründung aber auch Beschlüsse, welche einen Beschwerderechtszug abschließen (vgl. BT-Drs. 15/3706, S. 16 und 22). Nach dem Grundsatz wirkungsvollen Rechtsschutzes in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG ist fachgerichtlicher Rechtsschutz auch gegen eine mögliche Gehörsverletzung in Zwischenverfahren notwendig, wenn dort abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über einen Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 782/07 - BVerfGE 119, 292 <294>). Dies ist bei einer Beschwerdeentscheidung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts nach § 99 Abs. 2 Satz 13 VwGO der Fall. Sie ist unanfechtbar und muss im Hauptsacheverfahren wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde gelegt werden, erwächst mithin in materielle Rechtskraft und entfaltet Bindungswirkung für das weitere Verfahren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 2021 - 20 F 1.21 - NVwZ 2022, 90 Rn. 8 f.; BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <120>).

7 2. Die Anhörungsrüge ist auch begründet, weil der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör durch den Beschluss vom 29. März 2023 in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

8 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht nachgekommen ist. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Dies gilt namentlich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist allerdings anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20 - NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26 m. w. N.). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. August 2023 - 1 BvR 1654/22 - juris Rn. 25 m. w. N.). Da Art. 103 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf gewährt, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung sowohl zum Sachverhalt wie auch zur Rechtslage zu äußern, gelten die vorstehenden Maßstäbe für beide Aspekte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. September 2020 - 2 BvR 1605/16 - NJW 2021, 50 Rn. 14 m. w. N.).

9 Danach liegt eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör vor. Denn der Beschluss vom 29. März 2023 verhält sich nicht ausdrücklich zu dem wesentlichen Kern des Beschwerdevorbringens, die geschwärzten Akteninhalte seien - soweit sie nicht Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gefährden - nicht schutzwürdig, weil die Verfassungsschutzmitarbeiter bei der Verbreitung von Verdächtigungen außerhalb ihrer Kompetenzen rechtswidrig gehandelt hätten. Dem Beschluss ist auch nicht zu entnehmen, dass und weshalb dieser Gesichtspunkt nach dem Rechtsstandpunkt des Fachsenats unerheblich ist.

10 3. Die gemäß § 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO neu zu treffende Beschwerdeentscheidung führt zur Aufhebung des mit der Beschwerde angefochtenen Beschlusses des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022. Denn die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Oktober 2021 erweist sich bei erneuter Prüfung als rechtswidrig.

11 a) Zwar ändert der genannte Einwand des Klägers nichts am Vorliegen der für die betreffenden Akteninhalte geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO a. F. (jetzt: § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3 VwGO).

12 Ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO ist gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde. Eine entsprechende Erschwernis kann sich daraus ergeben, dass bei einer umfangreichen Zusammenschau offengelegter Unterlagen Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen möglich werden. Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind neben etwa Vorgangsvorblättern, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Arbeitstiteln, Verfügungen, Aktenvermerken, Arbeitshinweisen, Randbemerkungen, Querverweisen, Hervorhebungen und Unterstreichungen auch namentliche Hinweise auf Bearbeiter (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 - 20 F 6.23 - juris Rn. 7 m. w. N.).

13 Personenbezogene Daten sind grundsätzlich im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Bei ihnen besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundrechtlich geschützt ist. Der auf dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) beruhende Schutz personenbezogener Daten gilt grundsätzlich auch für Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden. Daran ändert nichts, dass sie in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Sie bleiben auch insoweit Träger von Grundrechten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. November 2022 - 2 BvR 2202/19 - NVwZ 2023, 159 Rn. 27 m. w. N.) Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen. Vielmehr können auch Äußerungen und Angaben zur Sache geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit dem Interesse des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 - 20 F 6.23 - juris Rn. 8 m. w. N.). Bei Mitarbeitern von Verfassungsschutzbehörden besteht zudem ein erhebliches öffentliches Interesse daran, ihre beruflich gebotene Anonymität zu wahren (BVerwG, Beschluss vom 1. August 2007 - 20 F 10.06 - juris Rn. 9). Eine Ausnahme gilt bei Beschäftigten, welche die Behörden nach außen vertreten oder die im Rahmen der Bearbeitung eines Auskunftsersuchens den Schriftverkehr nach außen führen und deren Name dort offengelegt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 11.16 - juris Rn. 10). Um solche Daten geht es vorliegend aber nicht, weil die Daten derjenigen Bediensteten, die im Schriftwechsel mit dem Kläger mit Nachnamen benannt wurden, von der Sperrerklärung ausdrücklich nicht erfasst sind.

14 Handeln Verfassungsschutzmitarbeiter bei der Datenerhebung außerhalb ihrer Kompetenzen rechtswidrig, so ändert dies nichts am Vorliegen der Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3 VwGO hinsichtlich aller Informationen, die etwas über die betreffenden Verfassungsschutzmitarbeiter aussagen. Denn mit den Tatbeständen des Wohles des Landes und der wesensmäßigen Geheimhaltungsbedürftigkeit wird das künftige rechtmäßige Handeln der Sicherheitsbehörde innerhalb ihrer Kompetenz und die hierfür als Grundvoraussetzung erforderliche persönliche Sicherheit ihrer Mitarbeiter geschützt. Die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit dieser Belange für die Zukunft wird durch rechtswidrige Handlungen in Einzelfällen in der Vergangenheit nicht in Frage gestellt oder verwirkt.

15 b) Jedoch erweist sich die Sperrerklärung als ermessensfehlerhaft.

16 Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben. § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Die oberste Aufsichtsbehörde ist im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO gefordert, in besonderer Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Verfahrensbestimmung (BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2024 - 20 F 28.22 - juris Rn. 11). Maßstab ist dabei neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem - je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse am Geheimnisschutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u. a. - BVerfGE 115, 205 <241>). Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - NJW 2010, 2295 Rn. 12 m. w. N.).

17 Dem wird die Sperrerklärung nicht gerecht. Denn der bereits vor Abgabe der Sperrerklärung erhobene Einwand des Klägers, die in Rede stehenden Akteninhalte seien nicht schutzwürdig, weil die Verfassungsschutzmitarbeiter außerhalb ihrer Kompetenzen rechtswidrig gehandelt hätten, wurde nicht in die Ermessenserwägungen eingestellt. Er beeinflusst jedoch das Gewicht der widerstreitenden privaten (Aufklärungs-) und öffentlichen (Geheimhaltungs-)Interessen. Es liegt vorliegend auch nicht fern, dass das den Aktengegenstand bildende Handeln der Verfassungsschutzmitarbeiter rechtswidrig war. Vielmehr verpflichtete sich der Freistaat Sachsen wegen des Verhaltens der Verfassungsschutzmitarbeiter in einem Zivilverfahren in einem gerichtlichen Vergleich dazu, dem Kläger eine Entschädigung von 145 000 € zu zahlen. Dies hätte er schwerlich getan, wenn er von der Rechtmäßigkeit des Handelns seiner Verfassungsschutzmitarbeiter überzeugt gewesen wäre.

18 Allerdings haben Geschädigte eines rechtswidrigen Handelns von Verfassungsschutzmitarbeitern entgegen der Annahme des Klägers keinen Anspruch auf maximale Transparenz. Angesichts des hohen Gemeinwohlinteresses an einem funktionsfähigen Verfassungsschutz besteht keine Ermessensreduktion auf Null mit der Folge, dass Informationen, die etwas über die betreffenden Verfassungsschutzmitarbeiter aussagen, stets offenzulegen wären.

19 Ebenso wenig ist die Sperrerklärung umgekehrt mit Blick auf die darin angestellte Ermessenserwägung, der Kläger beteilige sich an Bestrebungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SächsVSG, weshalb bei einer Offenlegung der Akteninhalte damit zu rechnen wäre, dass er diese im Rahmen seines gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Engagements nutzen oder ggf. Erkenntnisse an andere Extremisten weitergeben werde, wegen einer daraus folgenden Ermessensreduktion auf Null im Ergebnis rechtmäßig. Denn es steht nicht fest, dass sich der Kläger tatsächlich an Bestrebungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SächsVSG beteiligt. Er bestreitet dies. Eine solche Beteiligung wird auch nicht durch die dem Fachsenat vorgelegten Originalakten belegt. Soweit in dem darin ungeschwärzten Teil allgemein auf dem Landesamt für Verfassungsschutz "durch verschiedene Quellen zahlreich vorliegende Äußerungen" des Klägers abgestellt wird, die extremistisch seien, sind diese Äußerungen nicht Teil des vorgelegten Verwaltungsvorgangs, weshalb der Fachsenat nicht prüfen kann, ob die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, der Kläger beteilige sich an Bestrebungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SächsVSG, zutrifft. Es war daher zum einen ermessensfehlerhaft, das rechtswidrige Handeln dem Kläger gegenüber nicht in die Abwägung einzustellen. Zum anderen war es auch ermessensfehlerhaft, bei der Abwägung dem Kläger extremistische Bestrebungen entgegenzuhalten, ohne hierfür Belege vorzulegen.

20 c) Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beigeladenen hindert diesen nicht, eine neue Sperrerklärung unter Beachtung der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung abzugeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 20 F 5.05 - juris Rn. 9).

21 4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Für das Anhörungsrügeverfahren war keine Kostenentscheidung zu treffen, weil bei Erfolg der Anhörungsrüge insoweit keine weiteren Gerichts- oder Rechtsanwaltskosten anfallen (vgl. Kautz, in: Fehling/‌Kastner/Störmer, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2021, § 152a Rn. 35).

22 5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).