Verfahrensinformation

Die zur gemeinsamen Verhandlung terminierten Verfahren betreffen die Abgrenzung von (stofflichen) Medizinprodukten zu Arzneimitteln.


Die Klägerinnen stellen Nasensprays bzw. Nasentropfen her und vertreiben diese als Medizinprodukte der Klasse I. Nachdem die zuständige Landesbehörde zu der Auffassung kam, die physikalisch-chemische Hauptwirkung der Präparate sei nicht hinreichend belegt, beantragte sie eine Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes. Dieses stellte daraufhin fest, dass es sich bei den Produkten jeweils um zulassungspflichtige Arzneimittel handele. Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung werde auf pharmakologische Weise erreicht, sodass bereits die Voraussetzungen für die Annahme eines Funktionsarzneimittels erfüllt seien. Darüber hinaus würden die Produkte auch als Arzneimittel präsentiert.


Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen ausgeführt, die Produkte erwiesen sich nach ihrer Aufmachung als Präsentationsarzneimittel. Sie würden in der Gebrauchsanweisung zwar eingangs als Medizinprodukte bezeichnet, dann aber als arz­neiliche Produkte zur Linderung von Krankheitssymptomen beschrieben. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels finde auch dann Anwendung, wenn ein Erzeugnis als Medizinprodukt auf den Markt gebracht werde. Ein Ausschluss der Anwendbarkeit auf potentielle Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung sei dem geltenden Recht nicht zu entnehmen. Die Frage der Hauptwirkungsweise stelle sich erst bei der Prüfung der Frage, ob das Erzeugnis (auch) die Voraussetzungen des Medizinproduktebegriffs erfülle und damit unter die in § 2 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes geregelte Ausnahmebestimmung falle. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass das Produkt nach seiner Hauptwirkung eindeutig dem Medizinprodukterecht zugeordnet werden könne. Sei - wie hier - nach dem Stand der Wissenschaft nicht feststellbar, ob das Erzeugnis seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper durch eine physikalisch-chemische Wirkung erreicht, verbleibe es bei der Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts.


Gegen diese Urteile wenden sich die Klägerinnen mit ihren bereits vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revisionen.


Beschluss vom 20.05.2021 -
BVerwG 3 C 9.20ECLI:DE:BVerwG:2021:200521B3C9.20.0

Beschluss

BVerwG 3 C 9.20

  • VG Köln - 10.10.2017 - AZ: VG 7 K 5248/14
  • OVG Münster - 04.03.2020 - AZ: OVG 13 A 3209/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Kenntner
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung und Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 S. 1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. L 247 S. 21), und der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67), in der hier maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. L 299 S. 1), zur Vorabentscheidung vorgelegt:
  3. 1. Kann die bestimmungsgemäße Hauptwirkung eines Stoffs auch dann im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG pharmakologisch sein, wenn sie nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruht und die Substanz vom menschlichen Körper auch nicht absorbiert wird, sondern an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und dort reagiert? Nach welchen Kriterien sind in einem solchen Fall pharmakologische und nicht pharmakologische, insbesondere physikalisch-chemische Mittel zu unterscheiden?
  4. 2. Kann ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG angesehen werden, wenn die Wirkweise des Erzeugnisses nach dem Stand der Wissenschaft offen ist und deshalb nicht abschließend geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf pharmakologischem oder physikalisch-chemischem Wege erzielt wird?
  5. 3. Ist in einem solchen Fall die Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel oder Medizinprodukt auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung auch seiner sonstigen Eigenschaften und aller weiteren Umstände vorzunehmen oder ist das Erzeugnis, wenn es zur Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, als Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG anzusehen unabhängig davon, ob eine spezifisch arzneiliche Wirkung in Anspruch genommen wird oder nicht?
  6. 4. Gilt auch in einem solchen Fall nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG der Vorrang des Arzneimittelregimes?

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Abgrenzung von stofflichen Medizinprodukten und Arzneimitteln.

2 Die Klägerin, ein Pharmaunternehmen mit Sitz in ..., bringt das Nasenspray "N." als Medizinprodukt in Deutschland sowie mehreren anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Verkehr. Es enthält 50 mg eines gefriergetrockneten Pflanzenextrakts aus dem ... pro Fläschchen. Nach den Angaben auf der Packung ist das Produkt "Zur Reinigung und Drainage der mit Schleim und Sekreten gefüllten Nasenhöhlen" bestimmt und soll eine Symptomerleichterung bei Stauungszuständen der Nase herbeiführen. In der Packungsbeilage heißt es unter Vorsichtsmaßnahmen: "In den ersten zwei Stunden nach Anwendung nicht Auto fahren und keine Maschinen bedienen". In der englischen Produktinformation ist hierzu ausgeführt, dass die Anwendung einen intensiven Sekretabfluss zur Folge habe, der bis zu zwei Stunden anhalten könne, weswegen für diesen Zeitraum von einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr und dem Bedienen von Maschinen abgeraten werde.

3 Auf Antrag der zuständigen Landesbehörde nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG) stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit Bescheid vom 20. Juni 2013 fest, dass es sich bei dem Produkt um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele; den hiergegen erhobenen Widerspruch wies es mit Bescheid vom 22. August 2014 zurück. N. erweise sich bereits als Funktionsarzneimittel, weil die bestimmungsgemäße Hauptwirkung primär durch die Wechselwirkung der Triterpensaponine mit Membranbestandteilen zustande komme und daher von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen sei. Die schleimhautreizende Wirkung der Saponine löse eine reflektorische Hyperreflektion aus. Den Nachweis einer rein physikalischen Wirkung habe die Klägerin nicht erbracht. In höheren Konzentrationen könne N. im Übrigen zur Schädigung der Zellmembranen führen. Da das Präparat vom Hersteller für einen medizinischen Zweck, nämlich der Linderung der mit einer Rhinosinusitis einhergehenden Symptome, ausgelobt werde, handle es sich zudem um ein Präsentationsarzneimittel.

4 Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen ausgeführt, das Produkt erweise sich nach seiner Aufmachung als Präsentationsarzneimittel. Bereits auf der Verpackung und damit in einer den (ersten) Eindruck des Verbrauchers besonders prägenden Weise nehme die Herstellerin eine besondere Wirksamkeit ihres Präparats zur Symptomlinderung in Anspruch. Für den Verbraucher aussagekräftige Hinweise, dass er es nicht mit einem Arzneimittel zu tun habe, fänden sich dagegen nicht. Aus dem auf der Packung angebrachten CE-Kennzeichen folge nichts Anderes, weil die damit verbundene Einordnung des Erzeugnisses als Medizinprodukt eine über das Wissen eines durchschnittlich informierten Verbrauchers hinausgehende Kenntnis voraussetze. Für die Arzneimitteleigenschaft spreche darüber hinaus die in Anspruch genommene "Apothekenexklusivität" des Produkts, die der dem Verbraucher von Arzneimitteln bekannten Apothekenpflicht ähnele. Schließlich werde auf den in englischer Sprache verfügbaren Produkthomepages der Herstellerin auf eine klinisch erwiesene Wirksamkeit und einen revolutionär neuen Ansatz in der Rinosinusitis-Behandlung verwiesen. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung finde der Begriff des Präsentationsarzneimittels auch dann Anwendung, wenn das Erzeugnis als Medizinprodukt auf den Markt gebracht werde. Ein Ausschluss der Anwendbarkeit auf potentielle Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung sei dem geltenden Recht nicht zu entnehmen. Die Frage der Hauptwirkungsweise stelle sich erst bei der Prüfung der Frage, ob das Erzeugnis (auch) die Voraussetzungen des Medizinproduktebegriffs erfülle und damit unter die in § 2 Abs. 3 des AMG geregelte Ausnahme falle. Voraussetzung hierfür sei, dass das Produkt nach seiner Hauptwirkung eindeutig dem Medizinprodukterecht zugeordnet werden könne. Sei nach dem Stand der Wissenschaft nicht feststellbar, dass das Erzeugnis seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper durch eine physikalisch-chemische Wirkung erreiche, verbleibe es bei der Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts. Die nicht-pharmakologische Wirkung von N. könne bereits nach dem aus den vorgelegten Studien ersichtlichen Stand der Wissenschaft nicht belegt werden. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. gebe es keine allgemein akzeptierten Erklärungsmodelle, mit denen die sensorischen Mechanismen und Reizweiterleitungsprozesse durch Saponine beschrieben würden. Ob die Wirkung der Saponine auf die Drüsenzellen, die durch eine Anlagerung des Wirkstoffs an der Membran der Nasenschleimhaut entstehe, durch eine pharmakologische Wechselwirkung erzielt oder durch eine physikalische Reizung ausgelöst werde, bleibe damit offen.

5 Die Klägerin hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie trägt zur Begründung insbesondere vor, die Einstufung stofflicher Medizinprodukte als Präsentationsarzneimittel sei fehlerhaft. Für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel in Abgrenzung zum stofflichen Medizinprodukt dürfe ausschließlich der Begriff des Funktionsarzneimittels herangezogen werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müsse hierfür auch das CE-Kennzeichen berücksichtigt werden. Der Normgeber habe für diese Erzeugnisse eine vorherige behördliche Zulassungsentscheidung nicht vorgesehen. Im Übrigen habe das Berufungsgericht übergangen, dass das streitgegenständliche Erzeugnis seit dem Jahr 2006 in 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Medizinprodukt der Klasse I in den Verkehr gebracht werde und damit das Behinderungsverbot aus Art. 4 der Richtlinie 93/42/EWG gelte.

6 Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Anders als im Arzneimittelrecht, in dem alle Produkte vor ihrem Inverkehrbringen in einem Zulassungsverfahren geprüft werden müssten, setze das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts der Klasse I keine vorherige Prüfung durch eine Überwachungsbehörde voraus. Auch die EU-Konformitätsbewertung werde vom Hersteller in eigener Verantwortung durchgeführt. Die Anwendbarkeit des weniger eingreifenden Rechts der Medizinprodukte setze daher voraus, dass der Hersteller den Nachweis der nicht-pharmakologischen Wirkung erbracht habe. Andernfalls habe es der Hersteller allein durch die Angabe einer bestimmten Produktkategorie in der Hand, die Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts und damit die Zulassungspflicht für Arzneimittel zu umgehen. Den damit erforderlichen Nachweis einer nicht-pharmakologischen Wirkung habe das Berufungsgericht ohne Verletzung seiner Aufklärungspflicht verneint.

II

7 Das Verfahren ist auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 S. 1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. L 247 S. 21), und der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67), in der hier maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. L 299 S. 1), einzuholen. Von der Frage, wie der Anwendungsbereich der Regelungsregime für Arzneimittel und Medizinprodukte gegeneinander abzugrenzen ist, hängt der Erfolg der Klage ab. Klärungsbedürftig ist der Begriff der "pharmakologischen" Mittel im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG (1.), wie die Zuordnung eines Erzeugnisses zu erfolgen hat, bei dem nicht geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung durch pharmakologische oder durch physikalisch-chemische Mittel erreicht wird (2.), unter welchen Voraussetzungen ein vom Hersteller als Medizinprodukt der Klasse I in Verkehr gebrachtes Erzeugnis als Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG anzusehen ist (3.), und ob die Vorrangregelung für das Arzneimittelrecht in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG auch für Präsentationsarzneimittel Anwendung findet (4.).

8 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einem Feststellungsbescheid nach § 21 Abs. 4 Satz 1 AMG der Abschluss des Verwaltungsverfahrens (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 - 3 C 4.18 - BVerwGE 167, 1 Rn. 12). Zwar entfaltet auch der Feststellungsbescheid Wirkungen für die Zukunft. Diese sind indes nicht Regelungsgegenstand des Bescheids. Durch die Feststellung wird vielmehr nur der rechtliche Status des Erzeugnisses im Entscheidungszeitpunkt geklärt. Die daran anknüpfenden Folgen, hier also die fehlende Verkehrsfähigkeit des Erzeugnisses ohne vorherige behördliche Zulassung, ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Beklagte muss die getroffene Feststellung daher auch nicht von sich aus "unter Kontrolle halten" und fortdauernd überprüfen.

9 Nach Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der damit noch anwendbaren Richtlinie 93/42/EWG (sowie Art. 1 Abs. 6 Buchst. b der nachfolgenden Verordnung <EU> 2017/745) ist bei der Entscheidung, ob ein Produkt in den Geltungsbereich der Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG oder der für Medizinprodukte geltenden Vorschriften fällt, insbesondere die hauptsächliche Wirkungsweise des Produkts zu berücksichtigen. Der Geltungsbereich der Vorschriften ist danach klar voneinander abzugrenzen (vgl. auch Erwägungsgrund 7 der Verordnung <EU> 2017/745). Dies spricht gegen die vom Berufungsgericht für zutreffend befundene Prüffolge, die als stoffliche Medizinprodukte in den Verkehr gebrachte Erzeugnisse zunächst stets dem Begriff des (Präsentations-)Arzneimittels zuordnet. Aus dem Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 2004/27/EG folgt nichts Anderes: Auch diese geht vielmehr vom gleichberechtigten Nebeneinander unterschiedlicher Regulierungssysteme aus.

10 Für die Klärung, ob die hauptsächliche Wirkungsweise eines Erzeugnisses durch pharmakologische Mittel erreicht wird, ist eine Begriffsbestimmung der pharmakologischen Wirkung erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann hierfür als zweckdienlicher Anhaltspunkt auf die von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitlinien - und damit insbesondere die sogenannte "Borderline-Leitlinie" (European Commission, Medical Devices: Guidance Document, MEDDEV 2.1/3 rev 3, Ziffer A.2.1.1) - zurückgegriffen werden. Danach ist unter einer pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffs und einem - gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten - Zellbestandteil zu verstehen, die entweder zu einer direkten Reaktion führt oder die Reaktion auf einen anderen Agenten blockiert. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass eine Substanz, deren Moleküle keine Wechselwirkung mit einem zellulären Bestandteil des Menschen aufweisen, gleichwohl aufgrund ihrer Wechselwirkung mit anderen im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteilen, wie Bakterien, Viren oder Parasiten bewirken kann, dass physiologische Funktionen beim Menschen wiederhergestellt, korrigiert oder beeinflusst werden. Somit könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Substanz, deren Moleküle keine Wechselwirkung mit einem zellulären Bestandteil aufweisen, ein Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG darstellen kann (EuGH, Urteil vom 6. September 2012 - C-308/11 [ECLI:​EU:​C:​2012:​548] - Rn. 31 f.; ebenso auch BGH, Urteil vom 24. November 2010 - I ZR 204/09 - PharmR 2011, 299 Rn. 14). Auch die von einem Wirkstoff ausgelöste Reaktion, die nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruht und bei der die Substanz vom menschlichen Körper nicht absorbiert wird, sondern an der Oberfläche - etwa von Schleimhäuten - verbleibt, kann demnach wohl nicht von vornherein als nichtpharmakologische Wirkung eingestuft werden. Die von der Beklagten angenommene Erhöhung der Ionendurchlässigkeit als Folge einer Interaktion der Saponine mit der Zellmembran könnte demnach als pharmakologisches Mittel angesehen werden.

11 Nach welchen Kriterien pharmakologische und nicht-pharmakologische Mittel in derartigen Fällen abgegrenzt werden können und ob es für eine pharmakologische Wirkung etwa einer Strukturveränderung der betroffenen Zellen bedarf oder ob eine nur temporäre Anbindung - etwa an den Proteinbestandteilen der Zellmembran - ausreicht, ist aber nicht hinreichend sicher geklärt.

12 2. Unklar erscheint insbesondere die Frage, wie und nach welchen Kriterien die Zuordnung zu einer Produktkategorie erfolgen soll, wenn die Wirkungsweise des Erzeugnisses nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht aufgeklärt werden kann.

13 Nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsverfahren bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil kann nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht geklärt werden, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Erzeugnisses auf pharmakologischem oder physikalisch-chemischem Weg erzielt wird.

14 Gegen die vom Berufungsgericht in dieser Situation für zutreffend erachtete Lösung nach Beweislastgrundsätzen könnte sprechen, dass Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42/EWG eine Berücksichtigung anderer Kriterien nicht ausschließt. Danach ist vielmehr nur "insbesondere" die Hauptwirkungsweise des Produkts zu berücksichtigen. Ist diese nicht aufklärbar, dürfte die Regelung damit den Rückgriff auf andere Kriterien nicht sperren. Vielmehr könnten dann alle Merkmale des Produkts zu berücksichtigen sein, wie etwa die Signifikanz der Wirkung auf die physiologischen Eigenschaften des Menschen oder potentielle Gesundheitsgefahren für den Anwender. Wie bei der Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition eines Arzneimittels fällt, könnte dann eine Gesamtbetrachtung des Erzeugnisses im Einzelfall vorzunehmen sein. Die Zuordnung eines Erzeugnisses zum Begriff des Medizinprodukts wäre daher auch dann möglich, wenn seine nicht-pharmakologische Wirkung nicht positiv festgestellt werden kann.

15 3. Nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG sind alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, Arzneimittel (sogenannte Präsentationsarzneimittel).

16 Da auch stoffliche Medizinprodukte nach Art. 1 Abs. 2 Buchst a Spiegelstrich 1 der Richtlinie 93/42/EWG zur Linderung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten bestimmt sind, besteht zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln hinsichtlich der therapeutischen Zweckbestimmung kein Unterschied. Allein entsprechende Angaben in der Gebrauchsanweisung o.ä. dürften insoweit kein taugliches Abgrenzungskriterium sein. Es bestehen daher Zweifel, ob ein vom Hersteller nach Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 93/42/EWG als Medizinprodukt der Klasse I in den Verkehr gebrachtes Erzeugnis bereits dann als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG angesehen werden kann, wenn es nach seiner Präsentation zwar zur Heilung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, hierfür aber keine spezifisch arzneiliche Wirkung in Anspruch genommen wird (vgl. Voit, PharmR 2015, 425 <430>; Lücker, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 2 MPG Rn. 15).

17 Dem Berufungsgericht ist zwar beizupflichten, dass der Angabe des Herstellers zur Produktkategorie allein keine ausschlaggebende Bedeutung für die Einordnung zukommt. Die Einstufung als Medizinprodukt durch den Hersteller macht eine Präsentation als Arzneimittel nach dem Gesamteindruck der Aufmachung nicht unmöglich. Die Herstellerangabe ist aber als Teil der Präsentation des Produkts zu berücksichtigen, sie kann "ein nützlicher Anhaltspunkt" für die Auslegung sein (vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 1991 - C-369/88 [ECLI:​EU:​C:​1991:​137] - Rn. 41). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher auch das auf der Produktpackung angebrachte CE-Kennzeichen nicht "ohne Bedeutung". Grundsätzlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Durchschnittsverbraucher ein ausdrücklich als Medizinprodukt angebotenes Präparat für ein Arzneimittel halten wird (vgl. für Nahrungsergänzungsmittel BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 3 C 21.06 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 4 Rn. 40 m.w.N.). Hierfür bedarf es besonderer, zusätzlicher Umstände.

18 Zur Begründung derartiger Anhaltspunkte dürfte der Verweis auf eine therapeutische Zweckbestimmung jedenfalls dann nicht ausreichen, wenn das Erzeugnis nicht mit spezifisch arzneilichen Wirkungen beworben wird. Auch ein Medizinprodukt darf zur Behandlung bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis präsentiert werden. Mit solchen Angaben erweckt der Hersteller nicht den Anschein eines Arzneimittels, sondern weist die gesetzlich vorgesehene Zweckbestimmung eines Medizinprodukts aus (vgl. zur Angabe des Verwendungszwecks bei kosmetischen Mitteln auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-667/19 [ECLI:​EU:​C:​2020:​1039]).

19 Auch die Bezugnahme auf "Vorsichtsmaßnahmen" dürfte den Schluss auf eine spezifisch arzneiliche Präsentation des Produkts nicht zulassen. Zwar weist diese Angabe eine gewisse Ähnlichkeit zu den auf der Packungsbeilage eines Arzneimittels anzubringenden Pflichtinformationen auf (vgl. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Ziffer ii der Richtlinie 2001/83/EG). Doch gehören auch zu den für die Kennzeichnung von Medizinprodukten vorgeschriebenen Angaben nach Nr. 13.3 des Anhangs I zur Richtlinie 93/42/EWG besondere Anwendungshinweise (Buchst. j) sowie Warnungen und/oder Hinweise auf zu treffende Vorsichtsmaßnahmen (Buchst. k).

20 Schließlich dürfte sich auch aus dem vom Berufungsgericht angeführten Vertrieb über Apotheken kein besonderer Umstand dafür ergeben, dass die Klägerin das Produkt nicht als Medizinprodukt, sondern als Arzneimittel präsentiert (ebenso für Nahrungsergänzungsmittel BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 - PharmR 2000, 184 <187>). Denn der apothekenexklusive Vertrieb ist nicht Arzneimitteln vorbehalten, sondern auch für bestimmte Medizinprodukte vorgesehen (vgl. § 2 der Verordnung zur Regelung der Abgabe von Medizinprodukten vom 25. Juli 2014, BGBl. I S. 1227, zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. April 2021, BGBl. I S. 833).

21 Ob die in englischer Sprache auf den Produkthomepages der Klägerin verfügbaren Angaben zur Bewertung der Präsentation von in Deutschland vertriebenen Produkten herangezogen werden dürfen, wie vom Berufungsgericht angenommen, erscheint nicht frei von Zweifeln. Zwar kann auch ein deutscher Verbraucher diese Angaben durch eine Internetrecherche ausfindig machen und ein großer Teil des angesprochenen Verbraucherkreises dürfte auch in der Lage sein, englischsprachige Hinweise zu verstehen. Mit diesen Angaben wird das streitgegenständliche Erzeugnis in Deutschland aber nicht beworben. Unabhängig hiervon dürfte auch der Verweis auf klinische Studien oder eine erwiesene Wirksamkeit und Sicherheit des Erzeugnisses eine Einordnung als Medizinprodukt nicht ohne weiteres ausschließen.

22 4. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG gilt in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung all seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere unionsrechtliche Rechtsvorschriften geregelt ist, diese Richtlinie.

23 Der damit angeordnete Vorrang des Arzneimittelregimes gilt für "Arzneimittel" und erfasst vom Wortlaut her auch Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG. "Eigenschaften", die gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG zu berücksichtigen sind, weist aber möglicherweise nur ein Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG auf. Die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen Grundlage seine Eignung beurteilt wird, die physiologischen Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 - C-109/12 [ECLI:​EU:​C:​2013:​626] - Rn. 43). Der Präsentationsarzneimittelbegriff dagegen ist weit gefasst und nimmt gerade auch nur behauptete, tatsächlich aber nicht vorhandene "Eigenschaften" des Erzeugnisses in Bezug (EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 - C-140/07 [ECLI:​EU:​C:​2009:​5] - Rn. 25). Denkbar wäre daher auch, die Vorrangregelung auf Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG zu beschränken.

24 Hierfür könnte auch sprechen, dass in den Fällen, in denen eine pharmakologische Wirkung des Stoffs nicht festgestellt ist, kein Grund für einen Vorrang des Arzneimittelrechts bestehen dürfte. Zwar muss der Verbraucher vor Erzeugnissen, die nicht die Wirksamkeit besitzen, die sie nach ihrer Präsentation erwarten lassen, geschützt werden. Sofern das Erzeugnis aber unter die Definition eines anderen Erzeugnisses fällt - etwa des Medizinprodukts im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG - kann dieser Schutz auch nach den für dieses Erzeugnis geltenden Rechtsvorschriften erfolgen (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 - C-109/12 - Rn. 53; Lücker, in: Schorn, Medizinprodukte-Recht, Stand: Juli 2020, § 2 MPG Rn. 7). Diese Regelungen dürften im Hinblick auf die tatsächlichen Eigenschaften des Erzeugnisses sachnäher sein als diejenigen des Arzneimittelrechts. Die Anwendung des Arzneimittelrechts könnte sich daher als unverhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit erweisen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 9 S 783/10 - PharmR 2011, 92 Rn. 19).

25 Die benannten, im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts können anhand der maßgeblichen Bestimmungen und der bislang ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht hinreichend sicher beantwortet werden. Sie sind - insbesondere im Hinblick auf die sich auch in anderen Mitgliedstaaten in gleicher Weise stellenden Fragen - dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 [ECLI:​EU:​C:​1982:​335], C.I.L.F.I.T. - Rn. 21; BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 2 BvR 424/17 - BVerfGE 147, 364 Rn. 37 ff.).

Urteil vom 14.09.2023 -
BVerwG 3 C 1.23ECLI:DE:BVerwG:2023:140923U3C1.23.0

Abgrenzung von Arzneimittel und stofflichem Medizinprodukt (Nasenspray)

Leitsätze:

1. Ein als stoffliches Medizinprodukt vertriebenes Erzeugnis kann ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG sein.

2. Auch eine nicht rezeptorvermittelte Wirkweise kann im Einzelfall vom Begriff der pharmakologischen Wirkung im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. a des Medizinproduktegesetzes und Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG erfasst sein.

3. Der Hersteller, der ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertreiben möchte, muss die Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Produkts nachweisen.

  • Rechtsquellen
    AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Nr. 7, § 21 Abs. 4, § 77 Abs. 1
    MPG § 2 Abs. 5 Nr. 1, § 3 Nr. 1 Buchst. a
    VwGO § 137

  • VG Köln - 10.10.2017 - AZ: 7 K 5248/14
    OVG Münster - 04.03.2020 - AZ: 13 A 3209/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.09.2023 - 3 C 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:140923U3C1.23.0]

Urteil

BVerwG 3 C 1.23

  • VG Köln - 10.10.2017 - AZ: 7 K 5248/14
  • OVG Münster - 04.03.2020 - AZ: 13 A 3209/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Abgrenzung von stofflichen Medizinprodukten und Arzneimitteln.

2 Die Klägerin stellt das Nasenspray "..." her und bringt es als Medizinprodukt auf den Markt. Das Präparat enthält 50 mg eines gefriergetrockneten Pflanzenextrakts aus dem Rhizom des Alpenveilchens (...). Nach den Informationen in der Packungsbeilage ist das Spray angezeigt zur Befreiung und zum Abfluss von angestauten Schleimsekreten in Nasenhöhlen und oberem Atemwegstrakt, um eine Symptomerleichterung bei Stauungszustand in der Nase herbeiführen. Unter "Vorsichtsmaßnahmen" heißt es: "In den ersten zwei Stunden nach Anwendung nicht Auto fahren und keine Maschinen bedienen". Auf der Verpackung findet sich der Hinweis "Reinigung und Drainage der mit Schleim und Sekreten gefüllten Nasenhöhlen; symptomatische Erleichterung bereits ab der ersten Anwendung".

3 Mit Bescheid vom 20. Juni 2013 stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG) fest, dass es sich bei dem Präparat um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele. Es erfülle die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG. Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Präparats werde mit den im Produkt enthaltenen Triterpensaponinen, mit der Hauptkomponente ..., auf pharmakologische Weise erreicht. Das Produkt sei außerdem ein Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 22. August 2014 zurückgewiesen.

4 Klage und Berufung der Klägerin sind ebenfalls erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat im Urteil vom 4. März 2020 ausgeführt, das Produkt der Klägerin erfülle aufgrund der Angaben in der Packungsbeilage, auf der Verpackung und auf der englischsprachigen Produkt-Website die Voraussetzungen eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels finde auch dann Anwendung, wenn ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt auf den Markt gebracht werde. Zugleich sei eine nicht-pharmakologische Wirkungsweise im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG in Verbindung mit § 2 Abs. 5 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 des Medizinproduktegesetzes (MPG) auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach dem Stand der Wissenschaft nicht erwiesen; die Wirkweise des Erzeugnisses sei letztlich offen. Damit bleibe es bei der Arzneimitteleigenschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.

5 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Für die Einordnung eines stofflichen Medizinprodukts als Arzneimittel könne nur der Begriff des Funktionsarzneimittels herangezogen werden. Ein Produkt, das entsprechend der medizinprodukterechtlichen Vorgaben gekennzeichnet sei, präsentiere sich damit trotz seiner heilenden Wirkung, die die gesetzliche Zweckbestimmung eines Medizinprodukts sei, als Medizinprodukt und nicht als Arzneimittel. Daher sei bereits die Prüfungsreihenfolge des Oberverwaltungsgerichts unzutreffend. Die Abgrenzung zwischen Medizinprodukt und Arzneimittel habe anhand der Wirkungsweise der Produkte zu erfolgen; ein Abstellen auf das Erscheinungsbild sei nicht geeignet. Der Schutzzweck der Richtlinie 2001/83/EG verlange nicht die Anwendung des Begriffs des Präsentationsarzneimittels auf Erzeugnisse, die die Vorgaben des Medizinprodukteregimes erfüllten. Entgegen den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts sei den Verbrauchern die Bedeutung der CE-Kennzeichnung bekannt. Die Apothekenexklusivität spreche nicht für die Arzneimitteleigenschaft. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts widerspreche der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts.

6 Mit Beschluss vom 20. Mai 2021 (3 C 9.20 ) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 19. Januar 2023 (C-495/21 und C-496/21) hat der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Die Beteiligten haben zu der Entscheidung des Gerichtshofs Stellung genommen.

II

7 Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil beruht nicht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die zulässige Klage ist unter Zugrundelegung der bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 20. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

8 1. Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist, wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist, § 21 Abs. 4 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) in der bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2019 - 3 C 4.18 - BVerwGE 167, 1 Rn. 12 und vom 17. September 2021 - 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 13) geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 27. März 2014 (BGBl. I S. 261). Hiernach entscheidet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als nach § 77 Abs. 1 AMG zuständige Bundesoberbehörde auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde unter anderem über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels.

9 2. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht bejaht, dass es sich bei dem von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Nasenspray um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt. Ausgehend von seinen tatsächlichen Feststellungen begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, dass es das Nasenspray als Präsentationsarzneimittel (a) eingeordnet hat, das nicht nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG von der Anwendung des Arzneimittelgesetzes ausgenommen ist (b).

10 a) Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenommen, dass das Nasenspray ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG ist.

11 aa) Bestimmungen zum Präsentationsarzneimittel finden sich sowohl im Arzneimittelgesetz als auch in der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67) in der hier maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012 (ABl. L 299 S. 1). Die Begriffsbestimmungen im Arzneimittelgesetz sind im Lichte der Vorgaben des Unionsrechts auszulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2021 - 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 18). Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG fallen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind.

12 bb) Das Oberverwaltungsgericht hat die so definierte Kategorie des Präsentationsarzneimittels zutreffend auch dann für anwendbar gehalten, wenn ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertrieben wird. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat im Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass auch ein als Medizinprodukt vertriebenes Erzeugnis ein Präsentationsarzneimittel sein kann (EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 [ECLI:​​EU:​​C:​​2023:​​34] und C-496/21 - Rn. 49). Der Einwand der Klägerin, damit werde ihr systemwidrig die Beweislast für das Vorliegen eines Medizinproduktes auferlegt, greift nicht durch. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass ein Hersteller, der ein Erzeugnis als Medizinprodukt vertreiben möchte, die Erfüllung der Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen Produkts nachweisen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 - Rn. 38).

13 cc) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass das von der Klägerin hergestellte Nasenspray als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt ist, begegnet keinen Bedenken.

14 (1) Der vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Maßstab, wonach ein Erzeugnis als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt ist, wenn es entweder ausdrücklich als solches bezeichnet wird oder bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis nach seiner Aufmachung in Bezug auf bestimmte Erkrankungen eine heilende, vorbeugende oder Leiden lindernde Wirkung hat, entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - C-319/05 [ECLI:​​EU:​​C:​​2007:​​678] - Rn. 44, 46; bestätigt mit Urteil vom 19. Januar 2023 ‌- C-495/21 und C-496/21 - Rn. 45 f.) und des erkennenden Senats (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2021 - 3 C 20.20 - BVerwGE 173, 262 Rn. 20). Gleiches gilt für das vom Oberverwaltungsgericht angenommene Erfordernis einer Gesamtbetrachtung (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 - Rn. 48; BVerwG, Urteil vom 17. September 2021 - 3 C 20.20 - ‌BVerwGE 173, 262 Rn. 20). Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren auch bestätigt, dass im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung die Präsentation des Erzeugnisses, die Bezugnahmen auf Wechselwirkungen mit Arzneimitteln und auf unerwünschte Wirkungen sowie die Apothekenexklusivität als relevante Kriterien herangezogen werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 - Rn. 48). Das im Vorlagebeschluss angesprochene Kriterium der Inanspruchnahme einer spezifisch arzneilichen Wirkung hat er nicht aufgegriffen und dadurch deutlich gemacht, dass es für die Bejahung eines Präsentationsarzneimittels in Abgrenzung zum Medizinprodukt hierauf nicht ankommt.

15 (2) Von diesem Maßstab ausgehend tragen die nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Qualifizierung des Nasensprays der Klägerin als Präsentationsarzneimittel. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass das Nasenspray der Klägerin in der Packungsbeilage und auf der Verpackung als Mittel beschrieben werde, das "der Reinigung und Drainage der mit Schleim und Sekreten gefüllten Nasenhöhlen" und zur "symptomatischen Erleichterung" diene bzw. das "zur Befreiung und zum Abfluss von angestauten Schleimsekreten in Nasenhöhlen und oberem Atemwegstrakt" angezeigt sei, "um eine Symptomerleichterung bei Stauungszustand in der Nase herbeizuführen". Ein Stau von Schleimsekreten in der Nase und den Nasennebenhöhlen sei ein krankhafter Zustand, der bei Schnupfen und besonders ausgeprägt bei einer Nasennebenhöhlenentzündung auftrete und - jedenfalls in letzterem Fall - typischerweise mit arzneilichen Nasensprays behandelt werde. Das Produkt werde auch allein in Apotheken verkauft. Diese Vertriebsform gleiche aus Verbrauchersicht der gerade von Arzneimitteln bekannten "Apothekenpflicht", während reine Salzwasser- oder Meerwasserpräparate auch in Drogerien erhältlich seien. Auf der Packung sei zwar auch das‌ CE-Kennzeichen angebracht. Hieraus auf den Vertrieb als Medizinprodukt zu schließen, setze aber eine über das Wissen eines durchschnittlich informierten Verbrauchers hinausgehende Kenntnis der Produktkennzeichnungen voraus. Das Kennzeichen sei für den Eindruck aus durchschnittlicher Verbrauchersicht deshalb ohne Bedeutung.

16 Hiervon ausgehend begegnet die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der überwiegende Eindruck der deutschsprachigen Verpackung und der deutschsprachigen Gebrauchsanweisung vermittelten einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung schlüssig, aber mit Gewissheit den Eindruck, dass das Erzeugnis wie ein Arzneimittel zur Heilung oder Linderung von Krankheitssymptomen bestimmt sei, keinen durchgreifenden Bedenken. Ob im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat - die Informationen auf der englischsprachigen Website des Präparats herangezogen werden können, kann daher offen bleiben.

17 b) Ebenfalls ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass das Nasenspray der Klägerin nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG von der Geltung des Arzneimittelgesetzes ausgenommen ist.

18 aa) Nach dieser Vorschrift sind Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes keine Arzneimittel, es sei denn, es handelt sich - hier nicht einschlägig - um in vivo-Diagnostika. Nach § 3 Nr. 1 Buchst. a des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der insoweit maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz - GKV-FQW) vom 21. Juli 2014 (BGBl. I S. 1133) sind Medizinprodukte unter anderem alle Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Der Wortlaut der Bestimmung entspricht damit der Formulierung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (ABl. L 169 S. 1) in der durch Richtlinie 2007/47/EG (ABl. L 247 S. 21) geänderten Fassung. Nach Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42/EWG ist bei der Entscheidung, ob ein Produkt in den Geltungsbereich der Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG oder den der für Medizinprodukte geltenden Vorschriften fällt, insbesondere die hauptsächliche Wirkungsweise des Produkts zu berücksichtigen. Dem entspricht die in § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG getroffene Regelung. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil im Vorabentscheidungsverfahren klargestellt, dass trotz der Formulierung "insbesondere" die Wirkungsweise das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln ist. Bei Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Nachweis ermöglichen würden, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, kann ein Erzeugnis nicht als Medizinprodukt eingestuft werden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 - ‌Rn. 40 f.).

19 bb) Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass nicht festgestellt werden kann, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Produktes der Klägerin durch nicht-pharmakologische Mittel erreicht wird.

20 (1) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass eine pharmakologische Wirkung nicht nur in Betracht kommt, wenn eine Substanz vom menschlichen Körper absorbiert wird und auf diese Weise in Wechselwirkung mit körpereigenen Molekülen tritt, sondern auch, wenn sie an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und mit dort vorhandenen sonstigen Zellmolekülen reagiert. Auch nicht rezeptorvermittelte Wirkweisen könnten vom Begriff der pharmakologischen Wirkung erfasst sein, vorausgesetzt die Substanz habe einen nennenswerten Einfluss auf die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers und beeinflusse diese gezielt (UA S. 37 f.).

21 Dass diese Auslegung mit revisiblem Recht vereinbar ist, kann der Senat ohne erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden. Zwar hat dieser die erste Frage des Vorlagebeschlusses, die den Begriff der pharmakologischen Wirkung betraf, unbeantwortet gelassen. Dass - anders als die Klägerin vorträgt - vom Begriff der pharmakologischen Wirkung auch nicht rezeptorvermittelte Wirkweisen erfasst sein können, lässt sich aber auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bejahen. Dieser hat in einem eine Mundspüllösung betreffenden Verfahren entschieden, dass vom Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung einer Substanz nicht nur dann ausgegangen werden kann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen dieser Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders kommt, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil genügt (EuGH, Urteil vom 6. September 2012 - C-308/11 [ECLI:​​EU:​​C:​​2012:​​548] -‌ Rn. 31 ff.); hierauf hat das Berufungsgericht Bezug genommen. Hätte der Gerichtshof diese Rechtsprechung für Konstellationen der vorliegenden Art einschränken wollen, wäre ein entsprechender Hinweis in seiner Vorabentscheidung zu erwarten gewesen.

22 (2) In tatsächlicher Hinsicht hat das Oberverwaltungsgericht in Auseinandersetzung mit den von der Klägerin vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen der Beklagten ausgeführt, dass die Wirkweise des Nasensprays offen bleibe. Maßgeblich für die Wirkungen des Erzeugnisses seien die im Extrakt des Alpenveilchens enthaltenen Triterpensaponine. Diese könnten sich an die Membran der Nasenschleimhaut anlagern. Dadurch werde die Organisation und Funktion der Membran verändert, insbesondere ihre Durchlässigkeit erhöht, was zu einer Reizung der Zellen führe. Diese Reizung bewirke über einen Mechanismus eine gesteigerte Sekretion von Mucin durch Drüsenzellen im Nasenraum und in den Nasennebenhöhlen. Dass diese Wirkweise nicht-pharmakologisch, nämlich rein physikalisch sei, sei nicht wissenschaftlich belegt. Es fehle an wissenschaftlichen Belegen für die Theorie der Klägerin, dass die durch Adsorption der Saponine verursachte Membrankontraktion zu einer Stimulierung der Mechanorezeptoren führe, die reflektorisch eine Steigerung der Schleimsekretion bewirkten. Einer der Sachverständigen der Klägerin habe selbst ausgeführt, dass die vorliegenden Studien keine Aussage darüber träfen, ob die Wirkung der Saponine auf die Drüsenzellen durch einen physikalischen oder einen pharmakologischen Mechanismus induziert werde, und dass es aufgrund der bekannten generellen Eigenschaften von Saponinen lediglich "naheliege", einen physikalischen Wirkmechanismus zu "postulieren". Damit sei die von der Vertreterin der Beklagten im Berufungsverfahren aufrechterhaltene These, die Wechselwirkung der Saponine mit zellulären Bestandteilen der Membran der Nasenschleimhaut bewirke eine größere Durchlässigkeit der Membran und löse auf diese Weise die Hypersekretion aus, nicht widerlegt (UA S. 38 ff.).

23 Verfahrensrügen gegen diese Feststellungen bringt die Klägerin nicht vor.

24 (3) Es begegnet keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht hiervon ausgehend angenommen hat, dass eine der nach seinen Feststellungen in Betracht kommenden Wirkweisen des Nasensprays der Klägerin - die Steigerung der Durchlässigkeit der Membran der Nasenschleimhaut als Folge einer Wechselwirkung der Saponine mit zellulären Bestandteilen der Membran - als pharmakologisch zu qualifizieren wäre. Es hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die als Wirkmechanismus in Betracht kommende Wechselwirkung der Saponine mit den Schleimhautzellen eine substantielle Veränderung der physiologischen Funktionen des Schleimhautepithels hervorruft, die über die normalen physiologischen Abläufe hinausgeht. Dass das Berufungsgericht auf dieser Grundlage angenommen hat, dass es zu einer nennenswerten und gezielten Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers kommt, so dass eine pharmakologische Wirkung zu bejahen ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

25 cc) Ist damit das Oberverwaltungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine nicht-pharmakologische Wirkung des Nasensprays nicht festgestellt werden kann, so hat es im Folgenden ebenfalls im Einklang mit revisiblem Recht angenommen, dass die Nichterweislichkeit dieser Voraussetzung der Anerkennung als Medizinprodukt entgegensteht und damit zu Lasten der Klägerin geht.

26 Diese Beweislastverteilung hat der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren bestätigt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 -‌ Rn. 38). Ihre Anwendung führt auch nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit und in Grundrechte der Hersteller (Art. 16, 17 GrCh; Art. 12, 14 GG). Soweit die Schutzbereiche dieser Vorschriften überhaupt eröffnet sind, ist der Eingriff jedenfalls verhältnismäßig. Die aus der dargestellten Beweislastverteilung folgende Anwendung des Arzneimittelrechts auf Produkte, bei denen der Hersteller eine nicht-pharmakologische Wirkung nicht nachweisen kann, dient dem Gesundheitsschutz. Die Anwendung des Arzneimittelregimes ist zur Förderung dieses Zweckes auch geeignet. Dies folgt zum einen aus der Erwägung, dass von Produkten, die ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreichen, eine geringere Gefährlichkeit als von Arzneimitteln ausgeht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 -‌ Rn. 39). Eine geringere Gefährlichkeit kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn sicher feststeht, dass das fragliche Produkt keine mit einem erhöhten Gefahrenpotential verbundenen Wirkweisen hat. Zum anderen wird durch die Anwendung des Arzneimittelrechts gewährleistet, dass keine Erzeugnisse auf den Markt gelangen, denen die Verbraucher aufgrund ihrer Aufmachung als Arzneimittel zwar eine entsprechende Wirksamkeit zuschreiben, deren Wirkungsweise aber unbekannt und nicht in einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren überprüft worden ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 19. Januar 2023 - C-495/21 und C-496/21 - Rn. 42). Ein milderes, gleich geeignetes Mittel ist nicht erkennbar. Die Anwendung des Arzneimittelrechts ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Hierdurch wird ein erheblicher Beitrag zur Förderung des Gesundheitsschutzes geleistet, gegenüber dem die wirtschaftlichen Interessen der Hersteller zurücktreten.

27 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.