Beschluss vom 07.06.2010 -
BVerwG 1 WB 49.09ECLI:DE:BVerwG:2010:070610B1WB49.09.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 07.06.2010 - 1 WB 49.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:070610B1WB49.09.0]
Beschluss
BVerwG 1 WB 49.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 7. Juni 2010 beschlossen:
Die Selbstanzeige des ehrenamtlichen Richters Major G... vom 1. Juni 2010 ist nicht begründet.
Gründe
I
1
Mit gerichtlichem Schreiben vom 21. Mai 2010 wurde Major G... als ehrenamtlicher Richter für die Sitzung des Senats am 8. Juni 2010 - unter anderem - in dem Verfahren des Oberleutnants ... K... (BVerwG 1 WB 49.09 ) herangezogen. Mit Telefax vom 1. Juni 2010 teilte Major G... Folgendes mit:
„Gemäß Bezug 1.) haben Sie angeordnet, den Major G... zur Sitzung am 08.06.2010, 09:15 Uhr in 04107 Leipzig, Simsonplatz 1, Sitzungssaal III als ehrenamtlicher Richter heranzuziehen.
Nach Kenntnisnahme der Anordnung habe ich festgestellt, dass zwei der am Verfahren beteiligten Soldaten mir durch dienstliche Tätigkeit als Staffelchef der ... von 2001 - 2008 bekannt sind. Das sind die Herren Olt ... K... und Hptm K..., die im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Prüfgruppe § 78 BHO das ... regelmäßig überprüften. Die Überprüfungen fanden in kameradschaftlicher und absolut korrekter
Atmosphäre statt.
Persönlich halte ich mich für nicht befangen, aber aus dem oben beschriebenen Sachverhalt bitte ich um eine Entscheidung, inwieweit eine Befangenheit bezogen auf meine Person vorliegt oder auch nicht, die die Ausübung des Richteramtes eventuell gefährden könnte.“
2 Das Gericht hat den Beteiligten des Verfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - und der Bundeswehrdisziplinaranwalt haben mitgeteilt, dass ihrer Ansicht nach keine Bedenken gegen die Mitwirkung von Major G... als ehrenamtlicher Richter bestehen.
II
3 Major G... ist weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter ausgeschlossen noch hat er mit seinem Schreiben vom 1. Juni 2010 von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.
4 Über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen ist im Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten nach den gemäß § 23a Abs. 2 WBO entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 VwGO i.V.m. §§ 41 bis 49 ZPO zu entscheiden. Soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine bundeswehrspezifischen Regelungen für den Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes enthält, gilt gemäß § 23a Abs. 1 WBO außerdem § 77 WDO in entsprechender Anwendung (vgl. zu der seit der Neufassung der Wehrbeschwerdeordnung zum 1. Februar 2009 geltenden Rechtslage im Einzelnen Beschluss vom 23. März 2010 - BVerwG 1 WB 28.09 - m.w.N. <zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen>).
5 Nach dem im Schreiben vom 1. Juni 2010 mitgeteilten Sachverhalt sind in der Person von Major G... keine gesetzlichen Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO, nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach § 77 WDO gegeben.
6 Es sind auch keine Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich, die gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 ZPO eine Ablehnung von Major G... wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten.
7 Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Ein solcher Grund kann sich - unter anderem - aus besonderen Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten oder aus seinem persönlichen Verhalten im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand ergeben; maßgeblich ist, ob der ehrenamtliche Richter bei verständiger Würdigung den Eindruck erweckt, er werde dem Antragsteller gegenüber möglicherweise eine nicht unvoreingenommene innere Haltung einnehmen (vgl. Dau, WBO, 5. Aufl. 2009, § 18 Rn. 13 m.w.N.).
8 Die Tatsache, dass Major G... den Antragsteller aus dienstlicher Tätigkeit in den Jahren 2001 bis 2008 kennt, rechtfertigt hiernach nicht die Annahme, er sei gegenüber dem Antragsteller befangen. Dienstliche Beziehungen begründen nach Wortlaut und Schutzzweck der Vorschriften über die Ausschließung und Befangenheit für sich allein nur dann die - unwiderlegliche - Vermutung fehlender Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters, wenn dieser bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat oder Disziplinarvorgesetzter des Antragstellers ist, in dieser Funktion oder als Vertrauensperson im Verfahren des Antragstellers tätig war oder Angehöriger desselben Bataillons oder entsprechenden Truppenteils bzw. derselben Dienststelle wie der Antragsteller ist. Insoweit enthalten § 54 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 und 3 WDO abschließende Ausschließungs-Regelungen, die einer erweiternden Interpretation nicht zugänglich sind (vgl. auch Meissner, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand November 2009, § 54 Rn. 17, 23 f. m.w.N.).
9 Aus den genannten Vorschriften ist zugleich - umgekehrt - zu schließen, dass andere dienstliche Beziehungen nur dann die Ausübung des Richteramtes in Frage stellen können, wenn zusätzlich individuelle Befangenheitsaspekte ersichtlich sind oder von den Verfahrensbeteiligten geltend gemacht werden. Das ist hier nicht der Fall. Der Antragsteller war Mitglied einer Prüfgruppe nach § 78 BHO, die im Rahmen ihrer Tätigkeit auch das ... regelmäßig überprüfte; Major Grabis war von 2001 bis 2008 Staffelchef der .... Die Kontakte zwischen Major G... und dem Antragsteller bewegten sich damit im Rahmen des regulären Dienstbetriebs. Besondere Vorkommnisse, wie Animositäten, Spannungen oder auch - auf der anderen Seite - über die Kameradschaft hinausgehende Sympathien, wurden weder von den Verfahrensbeteiligten berichtet noch sind sie sonst ersichtlich. Es bestehen damit keine Anhaltspunkte dafür, dass Major G... in der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch entscheiden werde.