Beschluss vom 18.12.2024 -
BVerwG 8 B 7.24ECLI:DE:BVerwG:2024:181224B8B7.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 18.12.2024 - 8 B 7.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:181224B8B7.24.0]
Beschluss
BVerwG 8 B 7.24
- VG Berlin - 23.11.2023 - AZ: 29 K 343.18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Dezember 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller und Dr. Naumann
beschlossen:
- Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2023 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Klägerin begehrt Feststellung ihrer Entschädigungsberechtigung für den verfolgungsbedingten Verlust der 100%igen Beteiligung des in der NS-Zeit verfolgten Kaufmanns G. an der V.-AG B. sowie die Feststellung ihrer Berechtigung zur - hälftigen - Bruchteilsrestitution des Grundstücks K.straße ... in Berlin-Mitte. Das Grundstück stand 1938 im Eigentum der "K.str. ... Grundstücks AG", deren 50%-Anteilseigner die V.-AG B. war. Der Sitz der V.-AG befand sich am 31. Dezember 1943 im späteren Ost-Berlin und am 17. Juli 1951 in West-Berlin. Die V.-AG unterlag mit Stichtag vom 1. November 1951 der Wertpapierbereinigung. Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des G. konkretisierte mit Schreiben vom 28. März 2001 ihre Anmeldung vom 23. Dezember 1992 hinsichtlich ihrer Ansprüche auf "Betriebsvermögen: V.-AG (L.-Konzern) ..." und übte das Wahlrecht auf Entschädigung aus. Mit Schreiben vom 12. Mai 2006 meldete die Klägerin Grundstücke der V.-AG, unter anderem auch das Grundstück K.straße ... an. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Auf die hiergegen gerichtete Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte, festzustellen, dass der Klägerin hinsichtlich der Anteilsschädigung und hinsichtlich des Miteigentumsanteils an dem vorgenannten Grundstück dem Grunde nach Entschädigung zustehe. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Entschädigungsansprüche bestünden gemäß § 1 Abs. 1a NS-VEntschG. § 1 Abs. 6 VermG sei anwendbar, weil sich das Verbringen der V.-AG in den Geltungsbereich des alliierten Rückerstattungsrechts erst am 17. Juli 1951, also nach Ablauf der Anmeldefrist nach Art. 50 Abs. 2 der Rückerstattungsanordnung (REAO), feststellen lasse. Zwar sei die geltend gemachte Anteilsschädigung nicht wirksam angemeldet worden. Der Klägerin sei jedoch Nachsicht zu gewähren. Bezüglich der Bruchteilsrestitution fehle ebenfalls eine wirksame Anmeldung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG; nur der Anspruch auf Feststellung der entsprechenden Entschädigungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG sei wirksam angemeldet worden.
2 Die ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Von den von der Beklagten zunächst aufgeworfenen Fragen,
"ist die Anwendung von § 1 Abs. 6 des ... Vermögensgesetz[es] (VermG) ausgeschlossen, wenn Vermögenswerte zu einem Zeitpunkt in den räumlichen Geltungsbereich der REAO verbracht wurden, zu dem die Geltendmachung von rückerstattungsrechtlichen Primäransprüchen aufgrund Fristablaufs bereits ausgeschlossen war, die Geltendmachung von Sekundär- oder Surrogatsansprüchen jedoch innerhalb der Frist der REAO möglich waren?"
beziehungsweise
"ist die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 6 VermG ausgeschlossen, wenn durch die Durchführung der Wertpapierbereinigung nachgewiesen ist, dass innerhalb der Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen nach der REAO mindestens die Verwaltung des Ausstellers von Wertpapieren in den Westsektoren stattgefunden haben muss, unabhängig von einer konkret benannten Anschrift desjenigen, gegen den sich der Anspruch richtete oder richten konnte, und damit die Geltendmachung von Surrogatsansprüchen möglich war?"
beziehungsweise
"sind Ansprüche auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 VermG wegen der Schädigung an Wertpapieren, die dem Geschädigten im späteren räumlichen Geltungsbereich des Vermögensgesetzes verfolgungsbedingt abhandengekommen sind, bereits dann ausgeschlossen, wenn zu diesen nachweislich ein Wertpapierbereinigungsverfahren durchgeführt wurde?",
gehen die ersten beiden von Tatsachen aus, die das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat (1.) und bedarf die dritte nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren (2.).
4 1. Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass zumindest die Verwaltung - wenn auch nicht der Sitz - des Unternehmens innerhalb der Anmeldefrist des Art. 50 Abs. 2 REAO, d. h. bis zum 30. Juni 1950, nach West-Berlin verlegt wurde und dass die Geltendmachung von Sekundär- oder Surrogatsansprüchen innerhalb der Frist möglich war. Auf beide Umstände kam es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht an. Es hat für das Verbringen des Vermögenswerts auf die Sitzverlegung und nicht auf die Verlegung der Unternehmensverwaltung ohne Sitzverlegung abgestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es nicht davon ausgegangen, bei fehlender Sitzverlegung schließe schon die Möglichkeit, rückerstattungsrechtliche Sekundär- oder Surrogatsansprüche geltend zu machen, eine Anwendung von § 1 Abs. 6 VermG aus.
5 Das dazu nach seiner Rechtsauffassung notwendige Kriterium der Sitzverlegung vor dem 30. Juni 1950 wird mit der Grundsatzrüge nicht angegriffen. Die Schlussfolgerungen der Beklagten aus der Durchführung des Wertpapierbereinigungsverfahrens bezeichnen, soweit sie alternative Kriterien zugrunde legen, keine revisible, im Revisionsverfahren klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage. In tatsächlicher Hinsicht wenden sie sich gegen die verwaltungsgerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, ohne wirksame Verfahrensrügen zu erheben.
6 2. Es bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, ob die Durchführung eines Wertpapierbereinigungsverfahrens stets eine Entschädigung auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 VermG ausschließt, weil sich diese Frage anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsregeln und der vorhandenen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ohne Weiteres beantworten lässt. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass § 1 Abs. 6 VermG nicht anwendbar ist, wenn das Restitutionsobjekt nach der Entziehung und vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes aus dem Beitrittsgebiet in den Geltungsbereich des alliierten Rückerstattungsrechts verbracht wurde und in dessen Anwendungsbereich fiel. Wurden im Beitrittsgebiet entzogene Vermögenswerte erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Anmeldefristen, aber vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes nach Westdeutschland oder West-Berlin verbracht, ist § 1 Abs. 6 VermG entsprechend anzuwenden (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 - 8 C 2.18 - LKV 2019, 455 Rn. 16 ff.). Auf die Durchführung eines Wertpapierbereinigungsverfahrens kommt es danach für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG nicht an. Das Wertpapierbereinigungsrecht war kein Wiedergutmachungsrecht, sondern allgemeines Kriegsfolgenrecht, welches gerade nicht auf den Ausgleich spezifischer Verfolgungsschäden gerichtet war (vgl. hierzu umfassend BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2014 - 5 C 27.13 - LKV 2014, 457 Rn. 16 ff.). Etwas anderes legt auch die Beklagte nicht dar. Ihre Annahme, die Durchführung des Wertpapierbereinigungsverfahrens indiziere die Unanwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG, beruht teils auf rechtlichen Annahmen, die für die angegriffene Entscheidung nicht erheblich waren, und im Übrigen auf einer von ihr abweichenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, ohne dass insoweit wirksame Verfahrensrügen erhoben worden wären (vgl. oben Rn. 4).
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3. Die weitere Frage,
"ist die Anmeldung eines Anspruches nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG für ein Unternehmen oder Anteilen daran mit der Ausübung des Wahlrechts auf Entschädigung nach § 6 Abs. 7 VermG gleichzusetzen, mit der Folge, dass neben dem Entschädigungsanspruch für das Unternehmen oder Anteile an diesem keine weiteren Ansprüche auf Entschädigung von Bruchteilseigentum nach § 1 Abs. 1 NS-VEntschG i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 4 und 5 VermG begründet sind?",
erfordert ebenfalls keine Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG ergänzend zu einer gewährten Unternehmensentschädigung auch eine Singularentschädigung umfassen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 3 B 118.05 - ZOV 2006, 142 Rn. 5 im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005 - 8 C 20.03 - ZOV 2005, 112 <113>). Etwas anderes gilt auch nicht im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG, dessen Wortlaut und Systematik keinen Ausschluss der Anwendbarkeit auf Ansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG erkennen lassen. Der hier ebenfalls anwendbaren Regelung des § 2 Satz 4 NS-VEntschG lässt sich entnehmen, dass im Anwendungsbereich des Gesetzes beide Ansprüche dem Grunde nach nebeneinander bestehen, eine doppelte Entschädigung jedoch durch die getroffene Anrechnungsregelung ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005 - 8 C 20.03 - a. a. O.). Danach besteht kein Grund für die Annahme, die Beschränkung des Antrags auf Entschädigung für die Unternehmens- bzw. Anteilsschädigung nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG schließe eine Entschädigung für den Bruchteilsrestitutionsanspruch aus. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des 7. Senats vom 26. Juni 1997 - 7 C 53.96 -. Dieser lässt sich allein entnehmen, dass nach einer Entschädigungswahl für ein geschädigtes Unternehmen gemäß § 6 Abs. 7 VermG nicht parallel eine Naturalrestitution und damit auch nicht eine Bruchteilsrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG begehrt werden kann (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1997 - 7 C 53.96 - ZOV 1997, 358 <360>). Zur Möglichkeit einer Entschädigung für Ansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG in dieser Konstellation verhält sich die Entscheidung nicht.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.