Beschluss vom 17.03.2025 -
BVerwG 3 BN 7.24ECLI:DE:BVerwG:2025:170325B3BN7.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 17.03.2025 - 3 BN 7.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:170325B3BN7.24.0]
Beschluss
BVerwG 3 BN 7.24
- OVG Greifswald - 16.04.2024 - AZ: 1 K 779/20 OVG
In der Normenkontrollsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. März 2025
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und Hellmann
beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. April 2024 wird verworfen.
- Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Antragstellerin, Inhaberin eines Kosmetikstudios in W., wendet sich gegen eine Regelung über Betriebsschließungen von Kosmetikstudios in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2020 durch Rechtsverordnung des Antragsgegners.
2
Die angegriffene Vorschrift des § 2 Abs. 3 der Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern (Corona-LVO M-V) vom 31. Oktober 2020 (GVOBl. M-V S. 926; im Folgenden: Corona-LVO) hatte folgenden Wortlaut:
"§ 2
Einzelhandel, Einrichtungen, sonstige Stätten
[...]
(3) Kosmetikstudios, Massagepraxen, Nagelstudios, Sonnenstudios, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe, wie zum Beispiel Barbiere, sind für den Publikumsverkehr geschlossen. Für den Betrieb und den Besuch von Betrieben des Heilmittelbereichs und Friseuren besteht die Pflicht, die Auflagen aus Anlage 3 einzuhalten.
[...]"
3 Die Verordnung trat am 2. November 2020 in Kraft und mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft. Die Antragstellerin hat am 4. November 2020 einen Normenkontrollantrag gegen (u. a.) § 2 Abs. 3 Corona-LVO gestellt. Nach dem Außerkrafttreten der Verordnung hat sie beantragt festzustellen, dass § 2 Abs. 3 Corona-LVO unwirksam war. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat den Normenkontrollantrag durch Urteil vom 16. April 2024 abgelehnt. Der zulässige Antrag sei unbegründet. § 2 Abs. 3 Corona-LVO habe auf einer tragfähigen Rechtsgrundlage beruht und sei rechtmäßig gewesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
II
4 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Antragstellerin hat nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise einen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO dargelegt bzw. bezeichnet.
5 1. Ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung dargelegt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 = NJW 1997, 3328).
6 a) Zur Bezeichnung des von der Antragstellerin geltend gemachten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Vornahme der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 17. August 2022 - 9 B 7.22 - NVwZ-RR 2022, 903 Rn. 20, jeweils m. w. N.). Des Weiteren muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung durch entsprechende Beweisanträge, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Februar 2024 - 9 B 28.23 - juris Rn. 17 und vom 24. Juni 2024 - 7 B 27.23 - juris Rn. 7, jeweils m. w. N.).
7 Die Antragstellerin trägt vor, das Oberverwaltungsgericht hätte die Ende März 2024 veröffentlichten, zum Teil geschwärzten Protokolle des Robert Koch-Instituts zur Corona-Pandemie ("RKI-Protokolle") ungeschwärzt beiziehen müssen. Im Streitfall stehe die Frage im Raum, "ob die fachliche Gefahreneinschätzung des Robert Koch-Instituts zwingend dazu hätte führen müssen, das öffentliche Leben flächendeckend stillzulegen". An der Erforderlichkeit der Betriebsschließungen im Herbst 2020 bestünden nach der Veröffentlichung der teilgeschwärzten "RKI-Protokolle" erhebliche Zweifel. Zur Frage, ob die streitige Maßnahme medizinisch geboten gewesen sei, hätte das Oberverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Mit diesem Beschwerdevorbringen genügt die Antragstellerin nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Sie legt nicht dar, inwiefern die von ihr bezeichneten "RKI-Protokolle" für die Entscheidung der Vorinstanz erheblich gewesen wären. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Vortrag der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung, die vom RKI im Jahr 2020 herausgegebenen Risikobewertungen und Maßnahmeempfehlungen müssten angesichts der Ende März 2024 veröffentlichten teilgeschwärzten "RKI-Protokolle" neu bewertet und umfassend aufgearbeitet werden, ohne rechtliche Relevanz für den Streitfall sei; es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Verordnungsgeber im Zeitpunkt des Erlasses der Corona-Landesverordnung vom 31. Oktober 2020 Kenntnis von den "RKI-Protokollen" gehabt habe und Veranlassung gehabt hätte, die Risikobewertungen und sonstigen Erkenntnisse des RKI in Zweifel zu ziehen. Für den Senat habe daher weder Anlass bestanden, eine Auswertung der bereits veröffentlichten Protokolle vorzunehmen, noch eine mögliche Veröffentlichung ungeschwärzter Protokolle vor einer Entscheidung des Rechtsstreits abzuwarten (UA S. 17). Mit diesen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, das eine Entscheidungserheblichkeit der "RKI-Protokolle" verneint hat, setzt sich die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht auseinander. Des Weiteren zeigt sie nicht auf, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht durch eine entsprechende Beweisantragstellung auf die begehrte Sachaufklärung hingewirkt hat oder warum sich dem Gericht ausgehend von seiner Annahme, der Verordnungsgeber habe im Zeitpunkt des Verordnungserlasses weder Kenntnis von den "RKI-Protokollen" noch Veranlassung gehabt, die Risikobewertungen und sonstigen Erkenntnisse des RKI in Zweifel zu ziehen, die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen.
8 b) Die Beschwerde bezeichnet auch die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht hinreichend. Die Antragstellerin legt nicht dar, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Oberverwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben sollte. Soweit sie beanstandet, das Gericht sei ihrem Vortrag nicht gefolgt, die "RKI-Protokolle" beizuziehen und ein Sachverständigengutachten zur Frage der Erforderlichkeit der Betriebsschließungen einzuholen, ist damit ein Gehörsverstoß nicht dargetan. Das Oberverwaltungsgericht hat das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin zur Kenntnis genommen und sich damit auseinandergesetzt (UA S. 17). Dass es ihrer Auffassung nicht gefolgt ist, den "RKI-Protokollen" keine Entscheidungserheblichkeit beigemessen und die begehrte Sachaufklärung nicht vorgenommen hat, kann eine Gehörsverletzung nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Dezember 2015 - 2 B 40.14 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 82 Rn. 37 und vom 12. Juni 2024 - 3 B 3.23 - juris Rn. 28).
9 2. Mit ihrem weiteren Vortrag auf S. 2 (vorletzter Absatz) ff. der Beschwerdebegründungsschrift rügt die Antragstellerin in mehrfacher Hinsicht eine unrichtige Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist mit diesem Vorbringen nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Eine solche Darlegung setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 11. Dezember 2007 - 3 B 61.07 - juris Rn. 5 und vom 4. Januar 2022 - 3 B 14.21 - ZfBR 2022, 405). Diese Anforderungen erfüllt das Beschwerdevorbringen nicht.
10 3. Vortrag zu dem Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) enthält die Beschwerdebegründungsschrift nicht. Sollte der Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2002 - 7 AV 1.02 - (Buchholz 310 § 124b VwGO Nr. 1) als Divergenzrüge zu verstehen sein, ist mit dem Vorbringen eine die Revision eröffnende Divergenz nicht hinreichend bezeichnet. Die Antragstellerin benennt keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2002 - 7 AV 1.02 - aufgestellten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 4. August 2020 - 2 B 41.19 - juris Rn. 6 m. w. N.).
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.