Beschluss vom 24.06.2024 -
BVerwG 7 B 27.23ECLI:DE:BVerwG:2024:240624B7B27.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.06.2024 - 7 B 27.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:240624B7B27.23.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 27.23

  • OVG Münster - 27.04.2023 - AZ: 8 D 368/21.AK

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juni 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

II

2 Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

3 Die Frage,
"Ist eine UVP stets auch bei 2 sehr grossen Windanlagen heutiger Generation ausgeschlossen, unabhängig von deren Grösse und Einwirkungen in die Umwelt?",
lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 2 Satz 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.6.3 der Anlage 1 UVPG abgestellt. Danach ist eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls erst vorzunehmen, wenn es sich um eine Windfarm aus mindestens drei genehmigten Anlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m Höhe handelt. Das ist hier nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat auch einen funktionalen Zusammenhang (§ 2 Abs. 5 UVPG) der beiden genehmigten Windkraftanlagen mit weiteren Anlagen verneint. Hiergegen wendet sich die Beschwerde nicht. Soweit die Beschwerde der Auffassung ist, dass angesichts der weiter reichenden Auswirkungen immer größer werdender Anlagen der Schwellenwert von drei Windenergieanlagen nicht mehr mit dem ursprünglichen Ziel des Gesetzes vereinbar sei, vermag dies eine grundsätzliche Bedeutung ebenfalls nicht zu begründen. Das Oberverwaltungsgericht hat auch insoweit zutreffend darauf abgestellt, dass die Überlegungen der Kläger angesichts des eindeutigen Wortlauts eine die Grenze zulässiger Auslegung überschreitende Rechtsfortbildung darstellen würden.

4 Die aufgeworfene Frage ist unabhängig davon nicht erheblich, da nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts eine Umweltprüfung auf Antrag des Vorhabenträgers nach § 7 Abs. 3 UVPG stattgefunden hat und daher selbst dann, wenn von einer Vorprüfungspflicht auszugehen wäre, die Kläger daraus keinen Aufhebungsanspruch hinsichtlich der angefochtenen Genehmigung ableiten könnten. Ist eine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kommt die Zulassung der Revision aber nur in Betracht, wenn hinsichtlich jedes Begründungselements Revisionsgründe geltend gemacht werden und vorliegen. Soweit die Kläger abschließend u. a. in der fehlenden Auseinandersetzung mit den Urteilen des Gerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union auch einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sehen, fehlt es an jeder Erläuterung, worin der vermeintliche Verfahrensfehler liegen soll. Dies wird den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht ansatzweise gerecht.

5 Auch die mit der ersten Frage in Zusammenhang stehende Frage,
"Ist es zulässig dass das Gericht es für ausreichend erachtet, ohne dazu eine Quelle zu haben bzw zu zitieren, dass der Richtliniengeber sich Gedanken dazu gemacht habe auch nach 2011 und 2014 erst ab drei Windanlagen eine UVP zu fordern?",
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Die Aussage des Oberverwaltungsgerichts, dass die technische Weiterentwicklung der Windkraftanlagen bei der Neufassung der UVP-Richtlinie hätte berücksichtigt werden können, wenn dies für notwendig erachtet worden wäre, stellt nur eine ergänzende Überlegung des Oberverwaltungsgerichts dar, die nicht entscheidungserheblich war. Sie ändert nichts daran, dass das Gericht angesichts des eindeutigen Wortlauts der Richtlinie unabhängig hiervon keine Möglichkeit zu einer erweiternden Auslegung gesehen hat. Zudem gilt auch hinsichtlich dieser Frage, dass sie wegen der tatsächlich durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erheblich ist.

6 Die Beschwerde wirft weiterhin die folgenden Fragen auf:
"1. Ist ein abschließendes Urteil des EuGH durch Einstufung von Bisphenol-A auf wissenschaftlichen Grundlagen als 'besonders besorgniserregend' für das Oberverwaltungsgericht NRW bindend, wenn dieser Stoff über das für die Rotoren unentbehrliche Oberflächen-Trägermaterial Epoxidharz Verwendung findet und über jahrzehntelangen Betrieb und Erosion iVm Mikropartikeln in signifikantem Umfang und über Jahrzehnte des Betriebs der Anlagen angereichert frei gesetzt wird und das umliegende Ackerland zunehmend kontaminiert?
2. Ist es zulässig, dass das Gericht von einem bestimmungsgemässen Betrieb mit unbestimmter Kontamination der umliegenden Ackerflächen durch Bisphenol-A im Lichte des Urteils des EuGH ausgeht, wenn eine solche Kontamination - in welchem Umfang auch immer - nie Gegenstand des Antrags-Verfahrens oder der Genehmigung war?
3. Stellt eine Kontamination durch Bisphenol-A über die technisch mögliche Betriebszeit und damit eine kontinuierliche (schleichende) Anreicherung des BPA über einen Zeitraum von 25-30 Jahren von grossflächigen Ackerflächen zur Produktion von Lebensmitteln einen substantiellen Eingriff ins Eigentum und in den ausgeübten landwirtschaftlichen Betrieb gem Art 12, 14 GG dar der ggfls. entschädigt werden muss?".

7 Diese Fragen sind schon nicht klärungsbedürftig, weil die Vorinstanz nicht über sie entschieden hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die den Fragen zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen gerade nicht festgestellt, sondern ist im Gegenteil zu dem Ergebnis gelangt, dass es keine wissenschaftliche Erkenntnislage gebe, die auf Gesundheitsgefahren oder eine Beeinträchtigung des klägerischen Eigentums durch Kontamination als schädliche Umwelteinwirkung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG schließen ließe. Es hat hiervon ausgehend die Frage, ob die streitgegenständlichen Anlagen überhaupt Bisphenol A und PFAS enthielten, ausdrücklich offengelassen. Damit legt die Beschwerde ihren Fragen durchgängig Tatsachen zugrunde, die durch das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt wurden. Hierauf kann eine Grundsatzrüge nicht gestützt werden. Soweit im Rahmen der Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung gerügt wird, dass dann, wenn keine allgemein anerkannte fachliche Meinung existiere, das Gericht kontrollieren müsse, ob die von der Behörde verwendeten fachlichen Maßstäbe und Methoden vertretbar sind und im Gerichtsverfahren vorgebrachte "sachhaltige Einwände" die verwendete Methodik und Grundannahmen und Schlussfolgerungen der Behörde in Frage stellen, ist damit ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür muss, wenn - wie hier - nicht bereits in der mündlichen Verhandlung ein entsprechender Beweisantrag gestellt und dadurch auf die begehrte Sachaufklärung hingewirkt worden ist, substantiiert dargetan werden, warum sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 ‌- 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie setzt sich in keiner Weise mit den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auseinander, das hinsichtlich der gesundheitlichen Gefährdung durch Bisphenol A und PFAS die Verlautbarungen der WHO, der European Chemicals Agency, des Umweltbundesamtes und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ausgewertet hat und zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass "keine substantiierten Anhaltspunkte für eine drohende Überschreitung des TDI-Wertes von 0,2 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag gerade durch den Betrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlagen" bestünden (UA S. 49).

8 Der Beschwerde kann ferner nicht gefolgt werden, soweit sie der folgenden Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst:
"Stellt es eine substantiellen Verletzung der Eigentumsgarantie und des eingerichteten und ausgeübten landwirtschaftlichen Betriebs mit ca 60 ha Fläche rund um zwei Windanlagenstandorte gem Art 12, 14 GG dar, durch absehbare langjährige in signifikantem Umfang sich über viele Jahre addierende Kontamination von Mikropartikel, Bisphenol-A und PFAS, insoweit deren Ewigkeits-Eintrag - jedenfalls auf Dauer - eine Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebs zwecks Nutzung für Lebensmittelprodukte ausschließt und dadurch das Eigentum gem Art 14 GG verletzt.".

9 Auch insoweit geht die Beschwerde von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht - wie oben dargelegt - nicht festgestellt hat. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch auf Lärmemissionen der Anlage auf das Wohn- und Miethaus der Kläger eingeht, fehlt es von vornherein an einem Zusammenhang mit der als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Frage.

10 Schließlich rechtfertigen auch die Fragen,
"1. Ist es zulässig dass das Gericht es für ausreichend erachtet, ohne das Vorliegen von insoweit unbekannten Lärmmessergebnissen, insbesondere wegen des Nachts bei kalten Temperaturen anderen Leistungs- und Schallverhaltens von Windanlagen, einerseits und zugleich des höchsten Lärmschutzes in diesen Zeiten andererseits ein Urteil zu fällen, zumal auch höhere Annahmen für Emissionen nicht erkennbar einen nächtlichen Betrieb bei kalten
3. Ist es zulässig, dass das Gericht in einem anderen Verfahren den für den Projektierer tätigen Mitarbeiter eines Schallbüros, das - soweit bekannt - bisher nur für die Windindustrie tätig war, in einer mündlichen Verhandlung als einzelne Person Aussagen zum Schallverhalten von Windanlagen machen lässt, für die keinerlei schriftliche Messergebnisse vorgelegt werden und diesen hier unter Bezugnahme als Sachverständigen bezeichnet und zudem zu einem Plural macht (mehrere Sachverständige) bezeichnet und zur Grundlage auch des hiesigen Urteils macht?",
nicht die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die erste Frage ist schon sprachlich unverständlich formuliert und offensichtlich unvollständig und daher nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu rechtfertigen.

11 Die weitere Frage erschöpft sich allein in der Kritik an der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht, ohne dass die Beschwerde ihr Vorbringen auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung oder einen der anderen Zulassungsgründe ausrichtet und unter diese subsumiert. Damit genügt die Beschwerde den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.