Beschluss vom 15.03.2007 -
BVerwG 6 C 20.06ECLI:DE:BVerwG:2007:150307B6C20.06.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 15.03.2007 - 6 C 20.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:150307B6C20.06.0]
Beschluss
BVerwG 6 C 20.06
- VG Köln - 26.10.2005 - AZ: VG 21 K 4639/05
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Dr. Bier
beschlossen:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache C-262/06 ausgesetzt.
Gründe
1 Die Aussetzung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 94 VwGO. Zwar hängt die Entscheidung des Rechtsstreits nicht, wie es der Wortlaut des § 94 VwGO voraussetzt, von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Vorgreiflich ist aber die Beantwortung der Rechtsfragen, die der Senat mit Beschluss vom 17. Mai 2006 - BVerwG 6 C 14.05 - (BVerwGE 126, 74) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.
2 Eine Sachentscheidung ist dem Bundesverwaltungsgericht derzeit durch Art. 234 Abs. 3 EG verwehrt, da sie von einer nicht zweifelsfreien Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt. In dem vorliegenden Rechtsstreit stellt sich die Frage, ob die Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004 regelt, dass nicht nur konkret-individuell auferlegte Gebote, die an die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung anknüpfen, sondern auch unmittelbar aus dem Telekommunikationsgesetz (TKG) 1996 folgende gesetzliche Verpflichtungen (hier die Pflicht zur Ermöglichung von Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl gemäß § 43 Abs. 6 Satz 1 TKG 1996) vorläufig wirksam bleiben, bis sie durch neue Entscheidungen nach Teil 2 des Telekommunikationsgesetzes 2004 ersetzt werden. Die Antwort auf diese Frage hängt gemeinschaftsrechtlich davon ab, ob Art. 27 Satz 1 der Richtlinie 2002/21/EG vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) und Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2002/22 EG vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) dahin zu verstehen sind, dass ein im früheren innerstaatlichen Recht vorgesehenes gesetzliches Gebot zur Ermöglichung von Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl vorübergehend aufrechtzuerhalten ist, oder Gemeinschaftsrecht einer solchen weitgehenden Aufrechterhaltung jedenfalls nicht entgegensteht.
3 Diese Fragen sind im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Die Beklagte meint zwar, der Klägerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung des Beschlusses der Regulierungsbehörde vom 18. Juli 2005, weil dieser sich Wirksamkeit nur bis zum Erlass einer neuen Regulierungsverfügung beimesse, die inzwischen am 23. Juni 2006 erlassen worden sei. Sie übersieht dabei aber, dass die Regulierungsverfügung ihrerseits angefochten worden ist und daher noch keine Bestandskraft erlangt hat. Die Klägerin hat jedenfalls für den Fall, dass ihre Klage gegen die Regulierungsverfügung Erfolg haben sollte, ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung über den im vorliegenden Rechtsstreit verfolgten Aufhebungsanspruch. Auch in der Sache selbst sind die oben aufgeworfenen Fragen des nationalen und des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung wesentlich. Der Senat hat dies in seinem an die Beteiligten gerichteten Hinweisschreiben vom 12. Januar 2007 im Einzelnen erläutert; darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
4 Gemäß Art. 234 Abs. 3 EG ist das Bundesverwaltungsgericht regelmäßig verpflichtet, die konkret entscheidungserhebliche und zweifelhafte Frage des Gemeinschaftsrechts dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorzulegen. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles hält es der Senat aber für zulässig und sachgerecht, den Rechtsstreit stattdessen analog § 94 VwGO auszusetzen, ohne eine (weitere) Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Zwar bezog sich die ihm seinerzeit vorgelegte Frage nicht, wie im Streitfall, auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. b, sondern auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Universaldienstrichtlinie i.V.m. Art. 27 Satz 1 der Rahmenrichtlinie. Die Auslegungszweifel, die den Senat damals zur Vorlage bewogen haben (s. Beschluss vom 17. Mai 2006 a.a.O. Rn. 65 ff., inbes. Rn. 72, 73), gelten aber ebenso für die letztgenannten Normen, die hier einschlägig sind. Die Antwort, die der Europäische Gerichtshof in der bei ihm bereits anhängigen Rechtssache geben wird, wird daher auch für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits maßgebend sein. Eine neuerliche Anrufung des Gerichtshofs würde diesen zusätzlich belasten, ohne dass davon ein Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre. Unter diesen Umständen steht der der Vorschrift des § 94 VwGO zugrunde liegende Grundsatz der Prozessökonomie einer weiteren Vorlage entgegen (s.a. Beschlüsse vom 10. November 2000 - BVerwG 3 C 3.00 - BVerwGE 112, 166 und vom 4. Mai 2005 - BVerwG 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <341 ff.>).