Beschluss vom 13.05.2020 -
BVerwG 6 PKH 6.19ECLI:DE:BVerwG:2020:130520B6PKH6.19.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 13.05.2020 - 6 PKH 6.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:130520B6PKH6.19.0]
Beschluss
BVerwG 6 PKH 6.19
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
beschlossen:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. ... wird abgelehnt.
Gründe
1 1. Mit Schreiben vom 11. November 2019 beantragte der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des vertretungsbereiten Rechtsanwalts Dr. ... für eine von ihm beabsichtigte Klage, mit der das Bundesinnenministerium verpflichtet werden soll, die Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des mit Bescheid des Bundesministers des Inneren vom 14. August 2017 festgestellten Verbots des Vereins "linksunten.indymedia" festzustellen, hilfsweise dieses Verbot zurückzunehmen. Hilfsweise wolle er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbots durch das Gericht beantragen. Mit Schreiben vom 13. November 2019 ergänzte er höchsthilfsweise weitere Anträge, die für den Fall der Abweisung des Verpflichtungsbegehrens jedenfalls ein Bescheidungsurteil, ggf. in Form einer Korrektur oder Ergänzung des Verbotsbescheids herbeiführen sollen.
2 Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine vom Antragsteller beabsichtigte Anfechtungsklage gegen das mit Bescheid des Bundesministers des Inneren vom 14. August 2017 festgestellte Verbot des Vereins "linksunten.indymedia" hat der Senat bereits mit Beschlüssen vom 23. Oktober 2019 (6 PKH 4.19 ) und 13. November 2019 (6 PKH 5.19 ) mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt.
3 2. Dem Antragsteller kann Prozesskostenhilfe auch für die vorliegend beabsichtigte Klage nicht bewilligt werden.
4 a. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist beim für das Erkenntnisverfahren zuständigen Gericht zu stellen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Bundesverwaltungsgericht ist für die beabsichtigte Klage sachlich zuständig und daher zur Entscheidung über den Antrag berufen.
5 § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffnet eine erstinstanzliche Zuständigkeit für Klagen gegen die vom Bundesminister des Innern nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 des Vereinsgesetzes ausgesprochenen Vereinsverbote und die nach § 8 Abs. 2 Satz 1 des Vereinsgesetzes erlassenen Verfügungen. Die von den Regelbestimmungen abweichenden besonderen Zuständigkeitsregelungen in § 48 Abs. 2 VwGO und § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO tragen dem Umstand Rechnung, dass Vereinsverbote wegen ihres politischen Charakters und ihres Einflusses auf die Staatssicherheit einen die Verhältnisse rasch klärenden Rechtsschutz erfordern (BT-Drs. 4/430 S. 25). Diese Zuständigkeitsbestimmungen knüpfen - anders als etwa § 52 Nr. 2 und 3 VwGO (vgl. hierzu Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 52 Rn. 17) - nicht an eine bestimmte Klageart, sondern lediglich daran an, dass sich die Klage gegen den Verbotsbescheid und gegen nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Vereinsgesetz erlassene Verfügungen richtet. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift sind von der Zuständigkeitsregelung nicht lediglich Anfechtungsklagen im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO erfasst, sondern sämtliche Streitigkeiten, die um die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Verbots geführt werden.
6 Um eine solche Streitigkeit handelte es sich der Sache nach auch bei der vom Antragsteller beabsichtigten Klage. Denn er geht mit der im Hauptantrag beantragten Verpflichtung der Verbotsbehörde zur Feststellung der Nichtigkeit und der hilfsweise begehrten Nichtigkeitsfeststellung durch das Gericht in der Sache gegen das Vereinsverbot vor (vgl. zum Verhältnis Anfechtung - Nichtigkeitsfeststellung im Rahmen des § 52 Nr. 2 VwGO auch Redecker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 52 Rn. 10; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 52 Rn. 14). Nichts anderes gilt, soweit der Antragsteller hilfsweise auch eine Verpflichtung zur Rücknahme oder inhaltlichen Korrektur des Verbots anstrebt. Denn auch hier stützt er sich auf eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Verbots und will daraus einen Aufhebungsanspruch oder als Minus jedenfalls eine Pflicht zum erneuten Eintritt in eine inhaltliche Rechtmäßigkeitsprüfung herleiten.
7 b. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den bereits in den Beschlüssen vom 23. Oktober 2019 (6 PKH 4.19 ) und 13. November 2019 (6 PKH 5.19 ) erläuterten Gründen keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Als Nichtmitglied des verbotenen Vereins ist der Antragsteller durch das Verbot nicht in einer die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 oder § 43 Abs. 1 2. Alt. VwGO begründender Weise betroffen.
8 Der Umstand, dass ein Vereinsverbot für und gegen jedermann wirkt und ein Zuwiderhandeln gegen das Verbot als Straftat geahndet werden kann (§ 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 VereinsG), eröffnet Dritten keine Klagemöglichkeit gegen den Verbotsbescheid. Für die Allgemeinheit ist dieses strafbewehrte Verbot einer zukünftigen Fortsetzung der verbotenen Vereinigung nicht Inhalt der durch die Verbotsbehörde im Einzelfall gesetzten Rechtsfolge, sondern lediglich eine gesetzesunmittelbare Folge der Verbotsverfügung nach § 3 Abs. 1 VereinsG. Der Bescheid enthält insoweit lediglich einen deklaratorischen Hinweis auf die Rechtslage (vgl. Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:100118B1VR14.17.0] - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 73 Rn. 18). Auch das von dem Antragsteller reklamierte Interesse an einer Klärung der Rechtslage im Falle einer künftigen Betätigung im Rahmen einer vergleichbaren Vereinigung eröffnet keine Möglichkeit zur Überprüfung der materiellen Verbotsgründe. Das Erfordernis einer Verletzung in eigenen Rechten dient gerade dem Ausschluss der sog. Interessentenklage, also desjenigen Klägers, der an der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung ein eigenes materielles, aktuelles oder künftiges Interesse hat, ohne aber in seinen Rechten verletzt zu sein.
9 Vom Verbot ist infolge der umfassenden organisatorischen Auflösung des Vereins auch die Abschaltung seiner Internetpräsenzen und der von ihm geschaffenen Informations- und Kommunikationsstrukturen erfasst. Das in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Verbot der Nutzung der Internetadressen des Vereins wiederholt lediglich die Gesetzeslage (vgl. zum Betätigungsverbot BVerwG, Urteil vom 4. November 2016 - 1 A 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:041116U1A6.15.0] - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 72 Rn. 37). Daher erweist sich auch der Entzug der Nutzungsmöglichkeiten der von "linksunten.indymedia" unterhaltenen Internetangebote für bisherige Nutzer des Angebots als bloßer Rechtsreflex. Die in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikations- und Medienfreiheiten in ihrer Ausprägung als Meinungsäußerungs-, Informations- und Pressefreiheit räumen einem früheren Autor oder Leser der dort verfügbaren Inhalte kein subjektiv-öffentliches Recht ein, auf dessen Grundlage er eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verbotsbescheids im Rahmen einer Anfechtungs- oder Feststellungsklage erreichen könnte. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der vom Verein unterhaltenen Internetplattform als Informationsquelle oder Kommunikations- und Veröffentlichungsmedium lässt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 oder 2 GG nicht herleiten.