Beschluss vom 12.06.2007 -
BVerwG 7 VR 1.07ECLI:DE:BVerwG:2007:120607B7VR1.07.0
Leitsatz:
Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO betreffen, erfasst nicht Streitigkeiten um Ansprüche auf Auskunft über planfeststellungspflichtige Vorhaben, die auf das Umweltinformationsgesetz gestützt sind.
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Rechtsquellen
VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 6 MBPlG § 2d Abs. 1 UlG § 3 Abs. 1 -
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 12.06.2007 - 7 VR 1.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:120607B7VR1.07.0]
Beschluss
BVerwG 7 VR 1.07
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:
- Das Verfahren wird hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 eingestellt.
- Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
- Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu je einem Drittel.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Antragsteller begehren den Zugang zu Umweltinformationen.
2 Nach § 4 Abs. 1 des Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes (AMbG) i.V.m. § 23 Abs. 1 der Magnetschwebebahn-Bau- und Betriebsordnung (MbBO) ist das Eisenbahn-Bundesamt unter anderem zuständig für die Genehmigung des Sicherheitskonzeptes, das der Unternehmer als Voraussetzung für die Aufnahme des Fahrbetriebs aufzustellen hat. Die Antragsteller sind Einwender im Planfeststellungsverfahren für den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke von München Hauptbahnhof zum Flughafen München. Die Antragsteller zu 1 und zu 3 beantragten sowohl beim Eisenbahn-Bundesamt als auch bei der DB Magnetbahn GmbH Akteneinsicht in das Sicherheitskonzept der DB Magnetbahn GmbH, die hierzu ergangene Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes und die für das Fahrzeug Transrapid TR 09 vorliegenden Unterlagen. Sie stützten ihren Antrag auf das Umweltinformationsgesetz. Die DB Magnetbahn GmbH lehnte den Antrag durch Schreiben vom 25. Mai 2007 ab, weil die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG nicht vorlägen. Das Eisenbahn-Bundesamt hat sich nach Angaben der Antragsteller zu ihrem Antrag auf Akteneinsicht nicht geäußert.
3
Die Antragsteller haben beim Bundesverwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Akteneinsicht in das seitens der DB Magnetbahn GmbH zur Genehmigung vorgelegte Sicherheitskonzept für das Fahrzeug Transrapid TR 09 sowie in die hierfür seitens des Eisenbahn-Bundesamtes erteilte Genehmigung sowie in die über das Fahrzeug vorhandenen Unterlagen zu gewähren, soweit diese Umweltinformationen im Sinne des § 2 Abs. 3 UIG enthalten.
4 Die Antragsteller verweisen darauf, sie seien im Rahmen des gegenwärtig andauernden Erörterungstermins im Planfeststellungsverfahren auf die begehrten Informationen angewiesen.
5 Die Antragstellerin zu 2 hat ihren Antrag zurückgenommen.
II
6 Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Antragstellerin zu 2 ihren Antrag zurückgenommen hat.
7 Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen. Er ist unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht ist für eine Entscheidung über den gestellten Antrag sachlich unzuständig. Eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich nicht aus § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 2d Abs. 1 Magnetschwebebahnplanungsgesetz (MBPlG). Nach diesen Vorschriften entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren für Vorhaben des Baues oder der Änderung von Magnetschwebebahnstrecken einschließlich der für den Betrieb notwendigen Anlagen betreffen. Die hier anhängig gemachte Streitigkeit betrifft nicht im Sinne dieser Zuständigkeitsregelung das Planfeststellungsverfahren für den Bau der Magnetschwebebahnstrecke von München Hauptbahnhof zum Flughafen München.
8 Zweck des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO ist es, durch die Verkürzung des Verwaltungsgerichtsverfahrens auf eine Instanz die Verwirklichung der Vorhaben der Verkehrsinfrastruktur zu beschleunigen, die von der Vorschrift erfasst werden. Zugleich sollen durch die Konzentration der Streitsachen beim Bundesverwaltungsgericht divergierende Entscheidungen vermieden werden. Diesem Gesetzeszweck wird nur eine Auslegung der Vorschrift gerecht, die alle Verwaltungsstreitverfahren erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben. Nur dieses weite Verständnis des Begriffs „betreffen“ verhindert die Aufspaltung gerichtlicher Zuständigkeiten und die damit verbundenen Verzögerungen und rechtlichen Divergenzen (so zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes <VerkPBG>: Beschluss vom 21. Januar 1994 - BVerwG 7 VR 12.93 - NVwZ 1994, 370). Eine Streitigkeit betrifft danach das Planfeststellungsverfahren, wenn sie Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens ist (vgl. ebenfalls zu § 5 Abs. 1 VerkPBG: Beschluss vom 1. Juli 1993 - BVerwG 7 ER 308.93 - NVwZ 1994, 368). In diesem Sinne muss ein unmittelbarer Bezug zu einem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren für ein Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO gegeben sein (Urteil vom 5. Dezember 2001 - BVerwG 9 A 13.01 - NVwZ 2002, 470, 471). Das ist beispielsweise der Fall, wenn um Maßnahmen gestritten wird, die zeitlich und sachlich der späteren Planfeststellung oder Plangenehmigung vorausgehen, indem sie der Vorbereitung eines solchen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens dienen oder einen Ausschnitt der Probleme darstellen, die in einem laufenden Planfeststellungsverfahren zu lösen sind (Beschluss vom 18. Mai 2000 - BVerwG 11 A 6.99 - NVwZ 2000, 1168). § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO verlangt mithin, dass über die Rechtmäßigkeit einer Planfeststellung für ein Vorhaben im Sinne dieser Vorschrift gestritten wird (Urteil vom 10. August 2000 - BVerwG 4 A 11.99 - NVwZ 2001, 206, 208).
9 Zwar will danach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO unter anderem verhindern, dass über bloße Verfahrensfragen im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens in einem anderen Rechtszug entschieden wird als über den umfassenderen Streit um die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung selbst (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 30. August 1989 - 7 B II 3/89 - NVwZ 1989, 1178). Das gilt jedoch nur, soweit ein Streit um die Rechtmäßigkeit der betreffenden Planfeststellung, der in die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gehört, seinem Gegenstand nach tatsächlich den Streit um vorausgehende Verfahrensfragen umfasst. Hier handelt es sich hingegen um zwei Streitgegenstände, die in verschiedenen Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu behandeln sind.
10 Der Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG besteht unabhängig von einem Planfeststellungsverfahren und seiner Beteiligung an ihm. Er kann zwar auch von Betroffenen und Einwendern zeitlich parallel während eines Planfeststellungsverfahrens geltend gemacht werden. Der Anspruch besteht aber auch in diesem Fall neben und getrennt von den Informationsrechten, die Einwender und Betroffene im Planfeststellungsverfahren haben. Der Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen wird außerhalb des Planfeststellungsverfahrens erfüllt. Er vermittelt kein zusätzliches Verfahrensrecht im Planfeststellungsverfahren.
11 Der Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen steht jedermann zu. Ein rechtliches Interesse ist nicht erforderlich (§ 3 Abs. 1 Satz 1 UIG). Macht ein Einwender oder Betroffener gegenüber einer informationspflichtigen Stelle einen Anspruch auf Umweltinformationen mit der Begründung geltend, diese Informationen seien für seine Rechtswahrung in dem bereits anhängigen Planfeststellungsverfahren von Bedeutung, kommt es für seinen Informationsanspruch nicht darauf an, ob die begehrten Informationen tatsächlich das Planfeststellungsverfahren betreffen; es muss sich nur um Umweltinformationen im Sinne des § 2 Abs. 3 UIG handeln. Macht ein Betroffener und Einwender parallel zu einem laufenden Planfeststellungsverfahren einen Informationsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz geltend, wird der Bezug zu dem Planfeststellungsverfahren mithin allein durch seine subjektive Einschätzung hergestellt, die von ihm begehrten Informationen könnten für das Planfeststellungsverfahren von Bedeutung sein. Diese Frage ist hingegen im Verfahren auf Gewährung von Umweltinformationen nicht zu prüfen.
12 Der Anspruch auf Umweltinformationen richtet sich gegen die informationspflichtige Stelle. Sie braucht nicht mit der Anhörungsbehörde oder der Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsverfahren identisch zu sein. So haben hier die Antragsteller das Eisenbahn-Bundesamt als informationspflichtige Stelle angegangen, während Anhörungsbehörde im Planfeststellungsverfahren die Regierung von Oberbayern ist, die in dieser Eigenschaft die Beteiligung der Betroffenen und Einwender am Planfeststellungsverfahren und damit deren Information über das Vorhaben sicherzustellen hat.
13 Eine nicht ordnungsgemäße, insbesondere verspätete Erfüllung des Anspruchs auf freien Zugang zu Umweltinformationen ist ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines ergehenden Planfeststellungsbeschlusses. Für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist allein maßgeblich, ob der Betroffene und Einwender die Rechte auf Einsicht in Unterlagen hat wahrnehmen können, die ihm § 73 VwVfG, die entsprechenden Vorschriften der Fachplanungsgesetze (hier § 2 MBPlG) oder die Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zur Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 9 UVPG) einräumen. Waren Gegenstand eines Anspruchs auf freien Zugang zu Umweltinformationen Unterlagen, die nach § 73 Abs. 3 Satz 1 VwVfG hätten ausgelegt werden müssen oder in die nach § 72 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 29 VwVfG hätte Einsicht gewährt werden müssen, kann die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nur aus einer Verletzung dieser Verfahrensrechte hergeleitet werden. Unerheblich ist hingegen, ob daneben ein Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen geltend gemacht worden ist. Dasselbe gilt, wenn der Vorhabenträger Unterlagen nicht vorgelegt hat und diese Unterlagen auch nicht von der Planfeststellungsbehörde oder der Anhörungsbehörde beigezogen worden sind, auf deren Kenntnis es für eine materiell richtige Entscheidung aber angekommen wäre. Auch insoweit ist für eine mögliche Fehlerhaftigkeit des Planfeststellungsbeschlusses allein das Ermittlungsdefizit im Planfeststellungsverfahren entscheidend, nicht aber, ob ein parallel gestellter Antrag auf Umweltinformation zu Unrecht oder zu Recht abschlägig beschieden worden ist. Deshalb ist ferner das laufende Planfeststellungsverfahren wegen dessen fehlender Abhängigkeit von dem Anspruch auf Erteilung von Umweltinformationen nicht etwa „auszusetzen“, bis über den Anspruch auf Umweltinformationen entschieden ist.
14 Da danach das Planfeststellungsverfahren einerseits und das Verfahren auf Gewährung freien Zugangs zu Umweltinformationen andererseits gänzlich getrennt nebeneinander stehen, bedarf es keiner Beschleunigung des Verfahrens auf Gewährung von Umweltinformationen durch eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, um das Planfeststellungsverfahren nicht entgegen dem Gesetzeszweck des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO zu verzögern. Auch besteht nicht die Gefahr divergierender Entscheidungen, weil die Frage, ob die informationspflichtige Stelle dem Einwender und Betroffenen des Planfeststellungsverfahrens zu Unrecht oder zu Recht Umweltinformationen vorenthalten hat, nicht vorgreiflich ist für die spätere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsverfahrens. Wäre es anders, müsste dem Antragsteller im Übrigen § 44a VwGO entgegengehalten werden.
15 Von einer Verweisung des Rechtsstreits an das danach zuständige Verwaltungsgericht Köln sieht der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ab.
16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.