Beschluss vom 10.12.2024 -
BVerwG 2 B 19.24ECLI:DE:BVerwG:2024:101224B2B19.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.12.2024 - 2 B 19.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:101224B2B19.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 19.24

  • VG Dresden - 24.11.2021 - AZ: 10 K 2232/19.D
  • OVG Bautzen - 26.01.2024 - AZ: 12 A 57/22.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Dezember 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Hissnauer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Der Beklagte wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

2 1. Der Beklagte steht als Polizeimeister im Dienst des klagenden Freistaates Sachsen. Im September 2011 war der Beklagte durch Urteil der Disziplinarkammer zum Polizeimeister zurückgestuft worden, weil er Informationen aus polizeilichen Datenbanken an einen Dritten weitergegeben hatte. Zuvor war der Beklagte vom Amtsgericht wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und der besonderen Geheimhaltungspflicht gemäß § 353b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

3 Gegenstand der Ende 2019 erhobenen Disziplinarklage ist der Vorwurf, im Zeitraum vom 15. Dezember 2012 bis 4. August 2013 in 17 Fällen unbefugte Datenabfragen aus polizeilich geführten Informationssystemen vorgenommen sowie ein mehrseitiges Protokoll bezüglich einer Zeugenvernehmung ausgedruckt und seiner damaligen Lebensgefährtin zum Lesen übergeben zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, weil auf der Grundlage der im Einzelfall bedeutsamen Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden müsse, er werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen. Als Polizeibeamter sei der Beklagte in besonderer Weise gehalten gewesen, der Geheimhaltungspflicht über ihm dienstlich bekannt gewordene Vorgänge nachzukommen. Gegen diese ihm obliegende Kernpflicht habe er durch das unbefugte Recherchieren, Ausdrucken und Weitergeben des polizeilichen Zeugenprotokolls verstoßen. Zwar sei es nicht zu einer Behinderung polizeilicher Ermittlungen gekommen, sodass der Tatbestand des § 353b StGB nicht erfüllt sei, wohl aber sei der Straftatbestand des § 203 StGB wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen vollendet. Allein der fehlende Strafantrag habe einer strafrechtlichen Ahndung entgegengestanden. Erschwerend komme hinzu, dass der Weitergabe des Protokolls an seine damalige Lebensgefährtin über den Zeitraum von acht Monaten regelmäßig weitere unbefugte Datenabfragen, wenn auch ohne Weitergabe an Dritte, vorausgegangen seien, die das frühere familiäre Umfeld seiner Lebensgefährtin betroffen hätten.

4 2. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde (§ 70 SächsDG und § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) ist unbegründet.

5 a) Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.

6 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2013 - 1 B 25.12 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 7 Rn. 3).

7 Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,
"ob Polizeibeamte unabhängig von Statusamt und konkreter Aufgabe hinsichtlich sämtlicher Daten aus polizeiinternen Datenbanken der Geheimhaltungspflicht als Kernpflicht unterliegen, deren Verletzung per se geeignet ist, eine Entfernung aus dem Dienst zu rechtfertigen."

9 Diese Frage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zu rechtfertigen, weil die Grundsätze zur Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme durch die Disziplinargerichte auf der Grundlage von § 13 SächsDG (= § 13 BDG a. F.) in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind. Diese stehen der der Fragestellung zugrundeliegenden Annahme eines Automatismus entgegen, wonach die Verletzung einer einzelnen Dienstpflicht stets zu einer bestimmten Disziplinarmaßnahme führt. Eine solche schematische Zuordnung ist mit den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht zu vereinbaren.

10 Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Hat der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, so ist er auf die vom Dienstherrn erhobene Disziplinarklage hin vom Gericht aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SächsDG). Die frühere Rechtsprechung zur "Regeleinstufung", d. h. die Zuordnung von Fallgruppen von innerdienstlichen Dienstvergehen zu einer Disziplinarmaßnahme (z. B. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <260>) hat der Senat aufgegeben. Auch bei einem innerdienstlich begangenen Dienstvergehen richtet sich die an seiner Schwere orientierte grundsätzliche Zuordnung zu einer der Disziplinarmaßnahmen nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 19). Diese Zuordnung zu einer konkreten Disziplinarmaßnahme bildet allerdings als Orientierungsrahmen nur die erste Stufe der dem Gericht obliegenden Bemessungsentscheidung. Ausgehend von dieser Einstufung ist die Disziplinarmaßnahme vom Gericht unter Berücksichtigung aller im konkreten Einzelfall relevanten be- und entlastenden Umstände zu bestimmen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2021 - 2 A 7.21 - BVerwGE 174, 219 Rn. 46).

11 b) Das Berufungsurteil leidet auch nicht an dem vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 70 SächsDG und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

12 Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe § 108 Abs. 1 VwGO verletzt, berücksichtigt aber nicht den Bezugspunkt dieser Verfahrensvorschrift.

13 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich nicht auf die Auslegung des anzuwendenden Rechts, sondern auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1980 - 5 C 7.79 - Buchholz 431.1 Architekten Nr. 5 S. 16 f., Beschlüsse vom 22. Mai 2003 - 6 B 11.03 - Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 17 und vom 2. Mai 2024 - 2 B 24.23 - ZBR 2024, 387 Rn. 12).

14 Das Vorbringen der Beschwerde zu einer angeblichen Verletzung des § 108 Abs. 1 VwGO zielt nicht auf die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch das Berufungsgericht ab, sondern auf die Richtigkeit der konkreten Bemessungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts nach Maßgabe des § 13 SächsDG, die nach Ansicht der Beschwerde an verschiedenen inhaltlichen Mängeln leidet. Der danach geltend gemachte Fehler in der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts ist aber nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Rechts zuzurechnen (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266).

15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 4 SächsDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühr aus dem Gebührenverzeichnis ergibt (Anlage zu § 79 SächsDG).