Urteil vom 09.11.2023 -
BVerwG 10 C 4.22ECLI:DE:BVerwG:2023:091123U10C4.22.0
keine Anwendung des IFG auf Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staaten
Leitsätze:
1. Präsidentielle Akte des Bundespräsidenten und ihre Vorbereitung sind nicht vom Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes umfasst.
2. Die Übermittlung eines Glückwunschschreibens an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den der Bundespräsident in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen.
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Rechtsquellen
IFG § 1 Abs. 1 -
Instanzenzug
VG Berlin - 15.10.2020 - AZ: 2 K 181.19
OVG Berlin-Brandenburg - 25.08.2022 - AZ: 12 B 25/20
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 09.11.2023 - 10 C 4.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:091123U10C4.22.0]
Urteil
BVerwG 10 C 4.22
- VG Berlin - 15.10.2020 - AZ: 2 K 181.19
- OVG Berlin-Brandenburg - 25.08.2022 - AZ: 12 B 25/20
In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Löffelbein und
Dr. Wöckel und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
für Recht erkannt:
- Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Insoweit ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. August 2022 wirkungslos.
- Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
- Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Gründe
I
1 Der Kläger, ein Journalist, begehrt nach dem Informationsfreiheitsgesetz Zugang zu Glückwunschtelegrammen des Bundespräsidenten an den Staatspräsidenten der Islamischen Republik Iran anlässlich des iranischen Nationalfeiertages sowie den dazugehörigen Verwaltungsvorgängen und Aktenvermerken. Seinen Antrag lehnte das Bundespräsidialamt ab.
2 Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die Heranziehung der Begründung des Gesetzentwurfs zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des Informationsfreiheitsgesetzes sei eine nachrangige und wenig hilfreiche Auslegungsmethode. Bei der Übermittlung von Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter handele der Bundespräsident nicht als Verfassungsorgan, sondern nehme eine informelle Tätigkeit wahr, die dem Verwaltungshandeln zuzurechnen sei. Im Rahmen des Anspruchs nach dem Informationsfreiheitsgesetz sei die Wertung des Art. 10 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen.
3
Der Kläger beantragt,
unter teilweiser Änderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. August 2022 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Oktober 2020 den Bescheid des Bundespräsidialamtes vom 19. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Einsicht in sämtliche Gruß- und Glückwunschschreiben anlässlich des "Tages der Revolution" seit Gründung der Islamischen Republik Iran ab dem Jahr 1994 bis zum letzten Glückwunschschreiben im Jahr 2019 sowie die dazu gehörigen Verwaltungsvorgänge und Aktenvermerke - durch Farbkopie - zu gewähren, ausgenommen die Jahre 2007 bis 2013.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
5 Sie verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.
II
6 Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz - hinsichtlich des Glückwunschschreibens aus dem Jahr 1993 - übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist insoweit wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
7 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes zutreffend als nicht eröffnet angesehen. Bei der Übermittlung eines Glückwunschschreibens des Bundespräsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt handelt es sich um einen präsidentiellen Akt und nicht um die Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgabe. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch gegenüber dem Bundespräsidialamt auf Zugang zu den begehrten Informationen.
8 1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und Bundeseinrichtungen gilt das Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG).
9 Beim Bundespräsidialamt handelt es sich zwar um eine Behörde im organisationsrechtlichen Sinne. Der Behördenbegriff des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist jedoch funktioneller Natur. Eine Behörde ist jede Stelle im Sinne einer eigenständigen Organisationseinheit, die öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt (BVerwG, Urteil vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 22). Der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes bezieht sich daher allein auf die materielle Verwaltungstätigkeit der Behörden und sonstigen Stellen des Bundes (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15). Diese bestimmt sich nach materiellen Kriterien in negativer Abgrenzung zu den anderen Staatsfunktionen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 13).
10 Das Berufungsgericht hat für seine Annahme, dass es sich bei der streitgegenständlichen Tätigkeit des Bundespräsidialamtes nicht um eine Verwaltungsaufgabe handelt, zu Recht die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz herangezogen. Der Gesetzgeber legt in § 1 Abs. 1 IFG die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich deren Öffnung als Informationsquelle fest, so dass in diesem Umfang der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG eröffnet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 BvR 1978/13 - BVerfGE 145, 365 Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 29. März 2023 - 10 C 2.22 - K&R 2023, 623 Rn. 33). Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben ist deshalb das Regelungsziel des Informationsfreiheitsgesetzes, wie es sich insbesondere unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien erschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 3.11 - BVerwGE 141, 122 Rn. 19).
11 Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt die Tätigkeit des Bundespräsidialamtes in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes, insbesondere nicht die Vorbereitung präsidentieller Akte des Bundespräsidenten (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Diese Begründung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht widersprüchlich, sondern eindeutig. Sie schließt unmittelbar an die Begründung des Gesetzentwurfs zu den in § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG genannten Staatsfunktionen an, worin, soweit es um die diesen zuzuordnenden spezifischen Aufgaben geht, im Wesentlichen die Tätigkeitsbereiche umschrieben werden, auf die das Informationsfreiheitsgesetz sich nicht erstreckt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 15).
12 a) Die Übersendung eines Glückwunschtelegramms des Bundespräsidenten an ein ausländisches Staatsoberhaupt ist ein präsidentieller Akt, den er in seiner Funktion als Staatsoberhaupt in Ausübung seiner allgemeinen Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, die ihm über die von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse hinaus zukommen (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 2/09 u. a. - BVerfGE 136, 277 Rn. 94). Der Bundespräsident repräsentiert hierbei Staat und Volk der Bundesrepublik nach außen. Er verkörpert die Einheit des Staates. Wie der Bundespräsident seine ungeschriebenen Verfassungsaufgaben der Repräsentation und Integration mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 - BVerfGE 136, 323 Rn. 25). Für den Einwand des Klägers, bei der Ausübung ungeschriebener Staatsaufgaben repräsentativen Charakters durch den Bundespräsidenten könne es sich nicht um einen präsidentiellen Akt handeln, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen ihn spricht auch die Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz, die mit der Ausübung des Ordensrechts in ihrer nicht abschließenden Aufzählung der präsidentiellen Akte eine dem Bundespräsidenten nicht vom Grundgesetz ausdrücklich zugewiesene Materie benennt (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Umgekehrt wird dem Bundespräsidenten in Art. 60 Abs. 1 GG die Ernennung und Entlassung u. a. der Bundesrichter und Bundesbeamten ausdrücklich zugewiesen, während diese Aufgaben in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht als Beispiele für präsidentielle Akte genannt werden. Ein präsidentieller Akt des Bundespräsidenten erfordert nach allem auch keine Rechtsverbindlichkeit.
13 Am Vorliegen eines präsidentiellen Aktes ändert es schließlich nichts, dass auch Mitglieder der Bundesregierung Glückwunschschreiben an ausländische Staatsoberhäupter versenden. Dies geschieht gegebenenfalls in Ausübung ihrer Befugnis zur Staatsleitung (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 62 Rn. 30 ff.). Hierdurch wird die Wahrnehmung der Repräsentationsfunktion durch den Bundespräsidenten bei der Übermittlung entsprechender eigener Glückwunschschreiben nicht in Frage gestellt.
14 b) Das Bundespräsidialamt bereitet die Glückwunschschreiben des Bundespräsidenten an ausländische Staatsoberhäupter durch Entwürfe und die dazugehörigen Aktenvermerke, die den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen sind, vor. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs fällt bereits die Vorbereitung präsidentieller Akte nicht in den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes (BT-Drs. 15/4493 S. 8). Wegen der strikten Akzessorietät der Aufgaben des Amtes zu denjenigen des Bundespräsidenten ist das Bundespräsidialamt nur insoweit informationspflichtig, als dies auch für den Bundespräsidenten anzunehmen ist (vgl. auch Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 1 Rn. 138, 191). Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Aufgabenverteilung mit derjenigen im Verhältnis der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu dessen Wissenschaftlichen Diensten nicht vergleichbar. Die Informationsaufbereitung und Wissensgenerierung durch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die als solche Verwaltungsaufgabe ist, liegt der mandatsbezogenen Aufgabenerfüllung der Abgeordneten voraus. Deshalb ist der Informationszugang zu den Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes als solchen nicht geeignet, die parlamentarische Tätigkeit eines Abgeordneten nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2015 - 7 C 1.14 - BVerwGE 152, 241 Rn. 18 f.). An einer solchen Unterscheidung fehlt es jedoch bei der Vorbereitung präsidentischer Akte durch das Bundespräsidialamt.
15 2. Als Journalist kann sich der Kläger zwar auf das Jedermannsrecht des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG berufen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - NVwZ 2013, 431 Rn. 46). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Funktion von Journalisten als "public watchdog" (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Oktober 2021 - 6106/16 - NVwZ 2022, 533 Rn. 35, 38) zwingt jedoch umgekehrt nicht dazu, den Behördenbegriff des Informationsfreiheitsgesetzes im Lichte von Art. 10 Abs. 1 EMRK erweiternd auszulegen.
16 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO.