Beschluss vom 09.06.2023 -
BVerwG 9 VR 1.23ECLI:DE:BVerwG:2023:090623B9VR1.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.06.2023 - 9 VR 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:090623B9VR1.23.0]

Beschluss

BVerwG 9 VR 1.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juni 2023
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler
als Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 1 und 3 VwGO
beschlossen:

  1. Das Verfahren über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird eingestellt.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten es mit Schriftsätzen vom 28. April 2023 und 10. Mai 2023 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

2 Über die Kosten des Verfahrens entscheidet das Gericht gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Danach sind die Kosten des Verfahrens vorliegend dem Antragsgegner aufzuerlegen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

3 Die Antragstellerin wendet sich gegen den Planänderungs- und -ergänzungsbeschluss des Antragsgegners zum Planfeststellungsbeschluss vom 30. Dezember 2014 für den Neubau der Bundesautobahn A 20 - Nord-West-Umfahrung Hamburg, Teilstrecke von der Landesgrenze Schleswig-Holstein/Niedersachsen (Mitte Elbstrom) bis zur Bundesstraße 431. Das Bundesverwaltungsgericht hat den vorgenannten Planfeststellungsbeschluss mit Urteilen vom 28. April 2016 - 9 A 9.15 (BVerwGE 155, 91) und 9 A 10.15 (juris) - auf die Klagen dreier Naturschutzvereine hin wegen eines gewässerschutzrechtlichen Fehlers für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt; die Klage der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin hat das Gericht hingegen abgewiesen (BVerwG, Urteil vom 28. April 2019 - 9 A 7.15 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 240). Der streitgegenständliche Planänderungs- und -ergänzungsbeschluss dient der Heilung des vom Gericht festgestellten Fehlers.

4 Die Nebenbestimmung zu 1 Ziffer 1 des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses vom 30. Dezember 2014 in der in der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2016 zu Protokoll erklärten Fassung bestimmt, dass der vorliegend inmitten stehende Abschnitt erst realisiert werden darf, wenn für den südwestlichen anschließenden Abschnitt auf niedersächsischem Gebiet (Elbquerung Niedersachsen) und einen sich daran anschließenden Abschnitt, der die Anbindung an das Straßennetz sicherstellt (Neubau des AK Kehdingen mit Anschluss an die L 111 und die K 27), sowie den in nordöstlicher Richtung anschließenden Planungsabschnitt 7 (A 20 - Abschnitt B 431 bis A 23) jeweils ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss vorliegt, gegen dessen Vollziehbarkeit innerhalb der gesetzlichen Frist kein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer ggf. erhobenen Anfechtungsklage gestellt oder ein entsprechender Antrag im gerichtlichen Verfahren zurückgewiesen wurde. Bislang existiert ein - bestandskräftiger - Planfeststellungsbeschluss lediglich für die niedersächsische Hälfte der Elbquerung. Für die beiden anderen genannten Abschnitte rechnet der Antragsgegner jeweils frühestens im Frühjahr 2024 mit dem Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses.

5 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fehlt es an einem das Suspensivinteresse überwiegenden Vollzugsinteresse, wenn der Vorhabenträger während eines längeren Zeitraums keine baulichen Vollzugsmaßnahmen beabsichtigt. In einem solchen Fall liegt es nahe, die kraft Gesetzes (§ 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG) bestehende sofortige Vollziehung bereits seitens der Planfeststellungsbehörde von Amts wegen gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO auszusetzen oder auf etwaige Vorabmaßnahmen zu begrenzen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - NVwZ-RR 2002, 153 <153 f.>, vom 31. März 2011 - 9 VR 2.11 - NVwZ 2011, 820 Rn. 2, vom 1. März 2012 - 9 VR 7.11 - NVwZ 2012, 571 Rn. 6, vom 15. Mai 2012 - 9 VR 3.12 - juris Rn. 2 und vom 15. April 2013 - 9 VR 1.13 - juris Rn. 2). Der Behörde bleibt es hierdurch unbenommen, auf eine Änderung der Sachlage hin ihre Aussetzungsentscheidung aufzuheben mit der Folge, dass die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung wiederauflebt und der Lauf der Antragsfrist nach § 17e Abs. 4 FStrG in Gang gesetzt wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2009 - 9 VR 1.09 - NVwZ-RR 2009, 753 Rn. 2 und vom 1. März 2012 - 9 VR 7.11 - NVwZ 2012, 571 Rn. 8); an verwaltungsinternen Maßnahmen zur Vorbereitung des Planvollzugs ist sie in der Zwischenzeit nicht gehindert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2011 - 9 VR 2.11 - NVwZ 2011, 820 <821>). Belässt es die Planfeststellungsbehörde gleichwohl bei dem gesetzlichen Sofortvollzug, führt dies ungeachtet der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zur Begründetheit eines Antrags auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und entspricht es der Billigkeit i. S. d. § 161 Abs. 2 VwGO, ihr die bei einer Aussetzung der sofortigen Vollziehung vermeidbaren Kosten eines Eilverfahrens aufzuerlegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2001 - 4 VR 19.01 - NVwZ-RR 2002, 153 <154>).

6 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Planfeststellungsbeschluss mit der aufschiebenden Bedingung versehen ist, dass die darin vorgesehenen Maßnahmen erst nach der Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses zu einem anderen Abschnitt des Gesamtvorhabens realisiert werden dürfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2013 - 9 VR 3.13 - NVwZ 2013, 1019 Rn. 3). Dass der streitgegenständliche Planänderungs- und -ergänzungsbeschluss ausführlich zu dem Verhältnis des Sofortvollzugs zu der Verklammerung mit den noch in der Planung befindlichen Folgeabschnitten Stellung nimmt und ausdrücklich feststellt, dass der streitgegenständliche Beschluss nicht vollziehbar ist, rechtfertigt daher keine abweichende Bewertung. Angesichts der Ausschlussfrist des § 17e Abs. 4 FStrG wäre der Antragsgegner vielmehr gehalten gewesen, durch die auch förmliche Aussetzung oder Einschränkung der Vollziehung Rechtsklarheit zu schaffen. Andernfalls müsste die Antragstellerin zur Bestimmung des Fristbeginns nach § 17e Abs. 4 FStrG den Planungsstand von drei weiteren Planungsabschnitten einschließlich sich dort ggf. anschließender gerichtlicher Eilverfahren beobachten.

7 Der Beigeladenen waren gem. § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten aufzuerlegen, da sie sich zwar den Ausführungen des Antragsgegners angeschlossen, jedoch keinen Antrag gestellt hat. Zugleich entspricht es damit nicht gem. § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dem Antragsgegner die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

8 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.