Pressemitteilung Nr. 51/2016 vom 10.06.2016
Auflösung von Stellenblockaden während eines beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahrens
Das Rechtsinstitut der fiktiven Fortschreibung von dienstlichen Beurteilungen ermöglicht die Vergabe von Funktionsämtern während der Dauer eines beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahrens. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.
Die antragstellende Beamtin bewarb sich um einen höherwertigen Dienstposten (eine Referatsleitung) beim Bundesnachrichtendienst. Nachdem die Auswahlentscheidung zu Ihren Gunsten ergangen war, teilte der Dienstherr ihr mit, dass die Entscheidung auf den Widerspruch eines Mitbewerbers aufgehoben und das Auswahlverfahren habe abgebrochen werden müssen, weil für den Mitbewerber keine hinreichend aktuelle dienstliche Beurteilung mehr vorgelegen habe. Ebendiesem Mitbewerber hatte die Behördenleitung zwischenzeitlich die Aufgaben des streitgegenständlichen Dienstpostens kommissarisch übertragen.
Das für Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes erstinstanzlich zuständige Bundesverwaltungsgericht hat der Bundesrepublik Deutschland im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, das abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen, und dazu im Wesentlichen ausgeführt:
Der Abbruch eines Auswahlverfahrens um einen Beförderungsdienstposten mit der Begründung, die dienstliche Beurteilung eines Mitbewerbers sei nicht mehr aktuell, erfolgt ohne sachlichen Grund, wenn die dienstliche Beurteilung - wie hier - nicht länger zurückliegt als der Regelbeurteilungszeitraum und es auch keinen Grund für eine Anlassbeurteilung gibt. Die Notwendigkeit einer neuen aktuellen dienstlichen Beurteilung und damit ein sachlicher Abbruchgrund folgen nicht aus dem Umstand, dass der Dienstherr die Aufgaben des streitbefangenen Beförderungsdienstpostens einem Mitbewerber übertragen hat. Ein dadurch ggf. erlangter Bewährungsvorsprung dieses Mitbewerbers muss vielmehr - im Gegenteil - zur Vermeidung einer unzulässigen Bevorzugung dieses Bewerbers im Auswahlverfahren „ausgeblendet“ werden, d.h. unberücksichtigt bleiben.
Das Ausblenden eines etwaigen Bewährungsvorsprungs bei rechtswidriger Dienstposteninhaberschaft wird ermöglicht durch eine „fiktive Fortschreibung“ der dienstlichen Beurteilung (für den Bereich der Bundesbeamten gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 der Bundeslaufbahnverordnung - BLV). Die „fiktive“ Komponente erfordert in dieser Konstellation nur, dass die aus der Aufgabenwahrnehmung des höherwertigen Dienstpostens folgenden Besonderheiten (z.B. die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben) in der dienstlichen Beurteilung unberücksichtigt bleiben. Das Rechtsinstitut der fiktiven Fortschreibung ermöglicht so die Vergabe von Funktionsämtern während des Laufs von beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren um die Vergabe des Statusamts und vermeidet damit das in dieser Fallkonstellation offenkundig werdende Problem der Stellenblockade. Die Vergabe des Funktionsamtes selbst unterliegt dabei nicht den Vorgaben der Bestenauswahl, solange eine Vorwirkung auf die nachfolgende Statusamtsvergabe vermieden wird.
BVerwG 2 VR 2.15 - Beschluss vom 10. Mai 2016
Beschluss vom 10.05.2016 -
BVerwG 2 VR 2.15ECLI:DE:BVerwG:2016:100516B2VR2.15.0
Abbruch eines Auswahlverfahrens; kommissarische Besetzung des Beförderungsdienstpostens mit einem Mitbewerber; Ausblenden eines Bewährungsvorsprungs durch fiktive Fortschreibung der dienstlichen Beurteilung
Leitsätze:
1. Der Abbruch eines Auswahlverfahrens um einen Beförderungsdienstposten mit der Begründung, die dienstliche Beurteilung eines Mitbewerbers sei nicht mehr aktuell, entbehrt eines sachlichen Grundes, wenn die dienstliche Beurteilung nicht länger zurückliegt als der Regelbeurteilungszeitraum und es auch keinen Grund für eine Anlassbeurteilung gibt.
2. Die Notwendigkeit einer neuen aktuellen dienstlichen Beurteilung und damit ein sachlicher Abbruchgrund folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Dienstherr die Aufgaben des streitgegenständlichen Beförderungsdienstpostens einem Mitbewerber übertragen hat (als "kommissarische Vakanzvertretung"). Ein hierdurch ggf. erlangter Bewährungsvorsprung dieses Mitbewerbers muss - im Gegenteil - zur Vermeidung einer unzulässigen Bevorzugung dieses Bewerbers im Auswahlverfahren "ausgeblendet" werden, d.h. unberücksichtigt bleiben.
3. Das Ausblenden eines etwaigen Bewährungsvorsprungs bei rechtswidriger Dienstposteninhaberschaft erfolgt im Wege der "fiktiven Fortschreibung" der dienstlichen Beurteilung (für den Bundesbereich gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV). Die "fiktive" Komponente erfordert in dieser Konstellation nur, dass die aus der Aufgabenwahrnehmung des höherwertigen Dienstpostens folgenden Besonderheiten in der dienstlichen Beurteilung unberücksichtigt bleiben.
4. Das Rechtsinstitut der fiktiven Fortschreibung (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV) ermöglicht die Vergabe von Funktionsämtern während des Laufs von beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren und vermeidet damit das in dieser Fallkonstellation offenkundig werdende Problem der Stellenblockade. Die Vergabe des Funktionsamtes selbst unterliegt dabei nicht den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG, solange eine Vorwirkung auf die nachfolgende Statusamtsvergabe vermieden wird.
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Rechtsquellen
GG Art. 33 Abs. 2 BBG § 9 Satz 1, § 21 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 2 BLV § 33 Abs. 3 Satz 1 -
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 10.05.2016 - 2 VR 2.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:100516B2VR2.15.0]
Beschluss
BVerwG 2 VR 2.15
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dollinger
beschlossen:
- Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, das durch Mitteilung vom 6. August 2015 abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren (Kennziffer .../Dienstposten ...) fortzusetzen.
- Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Abbruch eines Auswahlverfahrens für die Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens.
2 Die Antragstellerin ist Regierungsdirektorin (Besoldungsgruppe A 15 BBesO) im Dienst der Antragsgegnerin im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes (BND). Sie bewarb sich im Juni 2012 erfolglos um einen mit der Besoldungsgruppe A 16 BBesO bewerteten Dienstposten. Weil das Anforderungsprofil in der Ausschreibung unzulässig eingeengt worden war, untersagte auf den Antrag der Antragstellerin hin der Senat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 - (BVerwGE 147, 20) im Wege der einstweiligen Anordnung, den Dienstposten mit dem damals Beigeladenen G. zu besetzen. Die Antragsgegnerin brach das Auswahlverfahren daraufhin ab und schrieb den Dienstposten im November 2013 erneut aus.
3 Im erneuten Auswahlverfahren ist die Antragstellerin als bestgeeignete Kandidatin durch den Präsidenten des BND ausgewählt und die Zustimmung des Bundeskanzleramts erteilt worden. Zu der für den 1. Februar 2015 geplanten Dienstpostenvergabe kam es jedoch nicht, weil drei im Auswahlverfahren unterlegene Bewerber Widerspruch gegen die ihnen mitgeteilte Auswahl der Antragstellerin erhoben hatten. Mit Schreiben vom 6. August 2015 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die zu ihren Gunsten erfolgte Auswahlentscheidung aufgehoben und das Auswahlverfahren aus rechtlichen Gründen abgebrochen worden sei. Für einen Mitbewerber habe eine hinreichend aktuelle Beurteilung nicht mehr vorgelegen. Es werde daher eine erneute förderliche Ausschreibung des Dienstpostens erfolgen. Im gerichtlichen Verfahren trug die Antragsgegnerin hierzu ergänzend vor: Da der Mitbewerber L. die Aufgaben des streitgegenständlichen Dienstpostens seit September 2014 kommissarisch übernommen habe, könne für die Auswahlentscheidung nicht mehr auf die zum Stichtag 1. April 2013 datierende Regelbeurteilung zurückgegriffen werden. Über den am 25. August 2015 erhobenen Widerspruch der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.
4 Zur Begründung ihres am 1. September 2015 gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führt die Antragstellerin aus, ein sachlicher Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens liege nicht vor. Die dem Mitbewerber zum Beurteilungsstichtag 1. April 2013 erteilte Regelbeurteilung sei noch aktuell. Die Annahme einer zeitlichen Verwertbarkeitsgrenze der Regelbeurteilung widerspreche dem im Bundesbeamtengesetz vorgesehenen System der periodischen Beurteilung. Im Übrigen falle der Zeitraum der kommissarischen Vakanzvertretung jedenfalls nicht ins Gewicht, weil der Bewerber diese Aufgaben bis zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung im Januar 2015 noch keine fünf Monate verrichtet habe. Insbesondere aber könne die kommissarische Vakanzvertretung des streitgegenständlichen Dienstpostens im Rahmen des Auswahlverfahrens nicht berücksichtigt werden. Eine Übertragung des ausgeschriebenen Dienstpostens auf einen der Bewerber während des laufenden Auswahlverfahrens verletze den Grundsatz der Chancengleichheit zu Lasten der anderen Bewerber unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen Bewährungsvorsprungs.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das durch Mitteilung vom 6. August 2015 abgebrochene Stellenbesetzungsverfahren (Kennziffer ... / Dienstposten ...) fortzusetzen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
7 Sie ist der Auffassung, das Auswahlverfahren rechtmäßig abgebrochen zu haben. Durch den Abbruch sei der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin erloschen. Der Mitbewerber L. habe ab September 2014 den streitgegenständlichen Dienstposten kommissarisch übernommen. Dadurch habe sich sein Aufgabenbereich funktional wesentlich verändert, so dass seine auf den Stichtag 1. April 2013 datierende Regelbeurteilung zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung - im Januar 2015 - nicht mehr aktuell im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei. Der darin liegende rechtliche Mangel rechtfertige es, das Auswahlverfahren abzubrechen.
8 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Senatsakten sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II
9 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den der Senat gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz entscheidet, ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass durch den Abbruch des Auswahlverfahrens für den ausgeschriebenen Dienstposten die Verwirklichung eigener Rechte vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
10 1. Der Antragstellerin steht ein Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Seite.
11 Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletzt den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber können bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen.
12 Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) gegen den unberechtigten Abbruch eines Auswahlverfahrens kann nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden. Das Begehren auf zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens kann durch eine Hauptsacheklage nicht erreicht werden. Der Anordnungsgrund für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens selbst, das auf eine sofortige Verpflichtung des Dienstherrn gerichtet ist und deshalb bereits aus strukturellen Gründen nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 22).
13 Der Obliegenheit zur zeitnahen Rechtsverfolgung binnen der Frist von einem Monat nach Zugang der Abbruchmitteilung (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 24) ist die Antragstellerin nachgekommen. Mitgeteilt worden ist ihr der Abbruch des Auswahlverfahrens unter dem 6. August 2015; ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung datiert auf den 1. September 2015.
14 2. Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsanspruch zu, weil die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Auswahlverfahren abzubrechen, ihren Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt. Für die Abbruchentscheidung fehlt es an einem hinreichenden sachlichen Grund.
15 a) Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 Satz 1 BBG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Belange, die nicht im Grundsatz der Bestenauswahl verankert sind, dürfen bei der Vergabe öffentlicher Ämter nur Berücksichtigung finden, wenn ihnen ebenfalls Verfassungsrang eingeräumt ist. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten sind nach § 21 Satz 1 BBG regelmäßig zu beurteilen. Dem gesetzlichen Regelungssystem in § 21 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Satz 2 BBG liegt die Vorstellung zugrunde, dass die dienstliche Beurteilung an den Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG zu orientieren ist, damit sie die Grundlage für nachfolgende Auswahlentscheidungen darstellen kann (BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 - ZBR 2016, 134 Rn. 31). Die dienstlichen Beurteilungen sollen darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amtes genügt und sich in einem höheren Amt voraussichtlich bewähren wird. Anderen Kriterien darf nur Bedeutung beigemessen werden, wenn sich aus dem Vergleich anhand leistungsbezogener Kriterien kein Vorsprung eines der Bewerber ergibt (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 Rn. 20).
16 Die in Art. 33 Abs. 2 GG normierten Auswahlgrundsätze und der hierauf bezogene Bewerbungsverfahrensanspruch sind auf eine Auswahlentscheidung bezogen. Entfällt diese, weil das ausgeschriebene Amt so nicht mehr vergeben werden soll, gehen auch die hierauf bezogenen Bewerbungsverfahrensansprüche unter. Ein Auswahlverfahren zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens kann auch durch einen Abbruch beendet werden, wenn der Dienstherr die Stelle zwar weiterhin vergeben will, hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich hält. Wirksam ist diese Entscheidung indes nur, wenn sie rechtmäßig ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. April 2005 - 1 BvR 2231/02 u.a. - BVerfGK 5, 205 <214 f.>; BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 17). Prüfungsmaßstab hierfür ist Art. 33 Abs. 2 GG. Der Abbruch betrifft nicht die der Organisationsgewalt des Dienstherrn vorbehaltene Entscheidung darüber, ob und welche Ämter er schaffen und wie er seine Dienstposten zuschneiden will (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012- 2 C 11.11 - BVerwGE 145, 237 Rn. 20). Die Stelle soll vielmehr unverändert bestehen bleiben und auch vergeben werden. Die Entscheidung, das in Gang gesetzte Auswahlverfahren abzubrechen und die Stelle erneut auszuschreiben, bezieht sich allein auf die Vergabe des Amtes.
17 Auch die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens hat den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. November 2011 - 2 BvR 1181/11 - NVwZ 2012, 366 Rn. 22). Verfahrensrechtliche Anforderungen oder Maßnahmen können wesentliche Weichen stellen, die den materiellen Gehalt der nachfolgenden Auswahlentscheidung beeinflussen oder vorherbestimmen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/07 - BVerfGK 12, 265 <270 f.>). Durch die mit einem Abbruch verbundene Veränderung des zeitlichen Bezugspunkts der Auswahlentscheidung etwa kann der Bewerberkreis verändert und ggf. auch gesteuert werden (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 18).
18 Der Abbruch eines Auswahlverfahrens bedarf daher eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 2007 - 2 BvR 2494/06 - BVerfGK 10, 355 <358>). Der Dienstherr kann das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012- 2 C 6.11 - BVerwGE 145, 185 Rn. 17). Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren nach dessen Maßgaben fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf nicht erfolgen (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2005 - 1 BvR 2231/02 u.a. - BVerfGK 5, 205 <216> und vom 28. November 2011 - 2 BvR 1181/11 - NVwZ 2012, 366 Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 19).
19 Die Rechtmäßigkeit des Abbruchs setzt darüber hinaus voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird (BVerwG, Urteile vom 26. Januar 2012 - 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 Rn. 27 f. und vom 29. November 2012 - 2 C 6.11 - BVerwGE 145, 185 Rn. 19 f.).
20 Die von der Antragsgegnerin erlassenen Bestimmungen über die Beurteilung der Beamtinnen, Beamten und Beschäftigten des Bundesnachrichtendienstes vom 1. Juli 2009 in der geltenden Fassung vom 27. Dezember 2011 enthalten keine weitergehenden Regelungen zu Form und Verfahren des Abbruchs eines Auswahlverfahrens.
21 b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Abbruch des Auswahlverfahrens im vorliegenden Fall rechtswidrig. Ein sachlicher Grund für den Abbruch liegt nicht vor. Insbesondere fehlte es nicht an aktuellen dienstlichen Beurteilungen.
22 Zutreffend geht die Antragsgegnerin zwar davon aus, dass der von Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 Satz 1 BBG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um ein Beförderungsamt anhand aussagekräftiger, d.h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden muss (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 Rn. 15 m.w.N.). Erfolgt die Auswahlentscheidung auf der Grundlage dienstlicher Beurteilungen, darf das Ende des letzten Beurteilungszeitraums bei Bundesbeamten zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BBG höchstens drei Jahre zurückliegen. Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Höchstgrenze festgelegt, derzufolge eine Auswahlentscheidung auf eine dienstliche Beurteilung gestützt werden darf, die zum Zeitpunkt der Auswahl nicht älter als drei Jahre alt ist. Dem entspricht der von der Antragsgegnerin in ihren Beurteilungsbestimmungen unter Ziffer 2.2. festgelegte Rhythmus eines jeweils nahtlos an die vorangegangene Regelbeurteilung anschließenden dreijährigen Beurteilungszeitraums.
23 Der Senat hat darüber hinausgehend entschieden, dass ein Zeitablauf von rund eineinhalb Jahren zu lang ist, wenn der Bewerber nach dem Beurteilungsstichtag wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat (BVerwG, Urteile vom 11. Februar 2009 - 2 A 7.06 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 44 Rn. 20 und vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 - BVerwGE 140, 83 Rn. 23). In einem solchen Fall muss eine Anlassbeurteilung erstellt werden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin erfordert die Übertragung der Aufgaben aus dem streitgegenständlichen Dienstposten an den Mitbewerber L. indes nicht die Erstellung einer neuen dienstlichen Beurteilung. Denn dessen ohne vorangegangenes Auswahlverfahren erlangter Bewährungsvorsprung auf dem höherwertigen Dienstposten kann im Auswahlverfahren für diesen Dienstposten ohnehin nicht berücksichtigt werden.
24 Der Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG ist auf ein konkretes Verfahren zur Vergabe eines bestimmten öffentlichen Amtes bezogen. Die Bewerber um dieses Amt stehen in einem Wettbewerb, dessen Regeln durch den Grundsatz der Bestenauswahl vorgegeben sind. Die Ansprüche der Bewerber stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Jede Benachteiligung oder Bevorzugung eines Bewerbers wirkt sich auch auf die Erfolgsaussichten der Mitbewerber aus (BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 - 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 Rn. 23).
25 Die ohne vorangegangenes Auswahlverfahren - oder sogar entgegen der nach Leistungsgesichtspunkten veranlassten Auswahl - erfolgte Übertragung der Aufgaben aus dem höherwertigen Dienstposten an den Mitbewerber L. kann wegen der darin liegenden, mit Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbaren Bevorzugung nicht zu Lasten der Antragstellerin berücksichtigt werden. In Konkurrenzsituationen kommt dem Gebot der Chancengleichheit entscheidende Bedeutung zu. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber verpflichtet den Dienstherrn während eines laufenden Bewerbungsverfahrens nicht nur zur leistungsgerechten Auswahl, sondern auch zur chancengleichen Behandlung aller Bewerber im Verfahren. Der Dienstherr muss sich fair und unparteiisch gegenüber allen Bewerbern verhalten. Dies schließt es aus, dass er Maßnahmen ergreift, die bei objektiver Betrachtung, d.h. aus der Sicht eines unbefangenen Beobachters, als eine Bevorzugung oder aktive Unterstützung eines Bewerbers erscheinen. Er darf nicht bestimmten Bewerbern Vorteile verschaffen, die andere nicht haben (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 2 C 6.11 - BVerwGE 145, 185 Rn. 25).
26 Die "kommissarische" Übertragung des streitgegenständlichen Dienstpostens an einen Mitbewerber im laufenden Auswahlverfahren stellt eine Maßnahme dar, die geeignet ist, diesem Vorteile zu verschaffen. Durch eine derartige - ohne vorangegangenes und den Maßgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG entsprechendes Auswahlverfahren erfolgte - Übertragung höherwertiger Aufgaben erhält ein Bewerber eine Bewährungschance, die andere Bewerber nicht haben. Der hieraus resultierende Vorsprung darf im Auswahlverfahren nicht zu Lasten der Antragstellerin herangezogen werden (vgl. hierzu bereits BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23. Juni 2005 - 2 BvR 221/05 - ZBR 2006, 165 Rn. 19 ff. und vom 8. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07 u.a. - BVerfGK 12, 284 Rn. 8; BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 2 C 14.02 - BVerwGE 118, 370 <375>).
27 Unbeschadet des Umstands, dass der Beamte auch für die tatsächlich erbrachte Leistung auf einem rechtswidrig erlangten Dienstposten eine dienstliche Beurteilung erhalten muss (BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 2 B 7.14 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 61 Rn. 18), dürfen die dort gezeigten Leistungen dem rechtswidrig übergangenen Beamten - dem die Chance auf eine entsprechende Bewährung vorenthalten worden ist - nicht entgegengehalten werden. Soweit der Senat im Urteil vom 4. November 2010 - 2 C 16.09 - (BVerwGE 138, 102 Rn. 60 a.E.) - dort zu einer anders gelagerten Fallkonstellation - Gegenteiliges geäußert hat, hält er daran nicht mehr fest.
28 Das Anliegen, eine dienstliche Beurteilung für die vom Mitbewerber L. auf dem streitgegenständlichen Dienstposten erbrachten Leistungen einzuholen, stellt daher keinen sachlichen Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens dar.
29 c) Liegt unabhängig hiervon - etwa im Hinblick auf die Dauer des Rechtsschutzverfahrens - eine hinreichend aktuelle dienstliche Beurteilung für den Mitbewerber L. nicht mehr vor, kann dieser Mangel von der Antragsgegnerin im Wege der "fiktiven Fortschreibung" einer dienstlichen Beurteilung behoben werden.
30 Nach § 33 Abs. 3 BLV ist die letzte regelmäßige dienstliche Beurteilung fiktiv fortzuschreiben, wenn eine verwertbare aktuelle dienstliche Beurteilung nicht erstellt werden kann. Das Rechtsinstitut der "fiktiven Fortschreibung“ von dienstlichen Beurteilungen ist insbesondere für die Beurteilung freigestellter Mitglieder von Personalvertretungen (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV) und für elternzeitbedingte Freistellungen (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BLV) vorgeschrieben. Beispielhaft vorgesehene Anwendungsfälle sind darüber hinaus auch Beurlaubungen für eine Verwendung bei nicht dienstherrnfähigen Einrichtungen, wenn die Vergleichbarkeit der dort erhaltenen Beurteilungen nicht gegeben ist (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BLV). Die fiktive Fortschreibung wird in der Praxis des Weiteren in anderen vergleichbaren Konstellationen angewandt, etwa bei Beurlaubungen zum Zwecke der Kinderbetreuung (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 5. Oktober 2012 - 1 B 681/12 - ZBR 2013, 162 Rn. 13). Die Aufzählung in § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV ist nicht abschließend (vgl. auch Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur BLV vom 14. Juli 2009, zu § 33, letzter Absatz).
31 Wie bei den ausdrücklich in § 33 Abs. 3 BLV benannten Fällen kann auch bei der rechtswidrigen Dienstposteninhaberschaft eine aktuelle dienstliche Beurteilung, die für die Auswahlentscheidung herangezogen werden könnte, nicht erstellt werden. Im Falle der rechtswidrigen Dienstpostenbesetzung ergibt sich das Fehlen einer verwertbaren aktuellen Beurteilung dabei aus rechtlichen Gründen. Die auf dem höherwertigen Funktionsamt erzielten Leistungen dürfen in einer Auswahlentscheidung gegenüber demjenigen Bewerber, der bei der Dienstpostenbesetzung rechtswidrig übergangen worden ist und dem selbst die Chance einer entsprechenden Bewährung daher in fehlerhafter Weise vorenthalten wurde, nicht in Ansatz gebracht werden. In dieser Konkurrentensituation kann die - tatsächlich erbrachte - aktuelle dienstliche Leistung daher nicht verwertet werden. Wie in den durch § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BLV geregelten Fällen mangelnder Vergleichbarkeit kann die hierfür erstellte Beurteilung nicht herangezogen werden.
32 Die "fiktive" Komponente im Falle einer rechtswidrigen Dienstposteninhaberschaft erfordert dabei nur, dass die aus der Aufgabenwahrnehmung eines höherwertigen Dienstpostens folgenden Besonderheiten unberücksichtigt bleiben. Die fiktive Fortschreibung der letzten dienstlichen Beurteilung kann hier daher durch eine (fiktive) Ausblendung der aus der Höherwertigkeit des Dienstpostens folgenden Tätigkeiten erfolgen. Die dienstliche Beurteilung auf dem höherwertigen Dienstposten muss hierfür um einen Abschnitt ergänzt werden, in dem eine hypothetische Beurteilung der erbrachten Leistungen erfolgt, bei der die aus der Wahrnehmung eines höherwertigen Dienstpostens folgenden Besonderheiten unberücksichtigt bleiben.
33 Da durch das Ausblenden der höherwertigen Aufgabenwahrnehmung eine Vorwirkung auf künftige Auswahlentscheidungen für die Vergabe von Statusämtern vermieden werden kann, ermöglicht die Verwendung des Rechtsinstituts der fiktiven Fortschreibung auch die Vergabe von Funktionsämtern während des Laufs von beamtenrechtlichen Konkurrentenverfahren und vermeidet damit das in der vorliegenden Fallgestaltung offenkundig werdende Problem einer Stellenblockade. Die Aufgaben des ausgeschriebenen Dienstpostens bedürfen zur Sicherstellung des öffentlichen Interesses an einer ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung einer ununterbrochenen Wahrnehmung. Die Vergabe des Funktionsamtes selbst unterliegt dabei auch nicht den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG, solange eine Vorwirkung auf die nachfolgende Statusamtsvergabe vermieden wird. Die Antragsgegnerin ist daher zur vorläufigen Besetzung des höherwertigen Dienstpostens befugt. Sie muss die Auswahlentscheidung aber ggf. nachträglich korrigieren, wenn sie sich im gerichtlichen Verfahren als rechtswidrig erweist. Für diese Überprüfung darf nicht auf einen ggf. erzielten Bewährungsvorsprung des Mitbewerbers zurückgegriffen werden, der auf der Höherwertigkeit des übertragenen Dienstpostens beruht. Steht die Vergabe des höherwertigen Aufgabenbereichs im Streit, muss derjenige Teil der aktuellen dienstlichen Beurteilung daher unberücksichtigt bleiben, der die Wahrnehmung spezifisch höherwertiger Aufgaben betrifft.
34 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.