Verfahrensinformation

Anspruch von Anwohnern auf Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde gegen verbotswidriges Gehwegparken?


Die Kläger begehren ein Einschreiten der Bremischen Straßenverkehrsbehörde gegen das verbotswidrige Parken auf Gehwegen.


Die Kläger sind bzw. waren Eigentümer und Bewohner von Häusern in drei in Bremen gelegenen Straßen. Dabei handelt es sich um Einbahnstraßen, deren Fahrbahnen zwischen 5,00 m und 5,50 m breit sind und die beidseitig über Gehwege mit einer Breite zwischen 1,75 m und 2,00 m verfügen. In den Straßen wird seit Jahren auf beiden Straßenseiten nahezu durchgehend auf den Gehwegen geparkt; Verkehrszeichen, die das Halten und Parken regeln, sind nicht angeordnet. Den am 4. Dezember 2018 bei der Straßenverkehrsbehörde der Beklagten gestellten Antrag, geeignete und wirksame Maßnahmen gegen das Parken auf den Gehwegen in diesen Straßen zu ergreifen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2019 ab. Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Bremen die Beklagte verpflichtet, die Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Beklagte als auch die Kläger Berufung eingelegt.


Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass eine erneute Entscheidung über den Antrag der Kläger vom 4. Dezember 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts zu erfolgen habe; im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Die Klage sei nicht hinreichend bestimmt und daher unzulässig, soweit die Kläger begehrten, der Beklagten aufzugeben, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das regelmäßige Parken in den genannten Straßen zu unterbinden. Zulässig sei die Klage hingegen, soweit die Kläger eine Neubescheidung ihres Antrags auf behördliches Einschreiten verlangten. In der Sache hätten die Kläger einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Anträge, doch sei das Entschließungsermessen der Beklagten - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - nicht auf Null reduziert. § 45· Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), § 10 Abs.1 Satz 1 des Bremischen Polizeigesetzes und § 11 Abs. 2 des Bremischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (BremVwVG) begründeten in Verbindung mit dem zugunsten der Gehwegbenutzer drittschützenden Verbot des Gehwegparkens aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO einen individuellen Anspruch auf behördliches Einschreiten, soweit die Nutzbarkeit der Gehwege durch ein verbotswidriges Gehwegparken in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werde. Hier bestehe eine für die Kläger unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung der Gehwege, Weil die durch das Gehwegparken verbleibende Restgehwegbreite von - zum Teil deutlich - weniger als 1,5 m auf annähernd der gesamten Gehweglänge bestehe und dadurch ein Begegnungsverkehr nicht mehr möglich sei.Die von der Beklagten in den angegriffenen Bescheiden getroffene Ermessensentscheidung sei fehlerhaft. Da die Kläger Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hätten, habe die Beklagte erneut zu entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts zu beachten. Eine Pflicht der Beklagten, auf den Antrag der Kläger hin in den betroffenen Straßen unmittelbar einzuschreiten, bestehe jedoch jedenfalls derzeit noch nicht. Das Ermessen über das "ob" eines Einschreitens durch die Straßenverkehrsbehörde sei derzeit nicht auf Null reduziert. Es könnte auch dahin ausgeübt werden, dass ein sofortiges Einschreiten aus sachgerechten Gründen versagt werde, etwa um zunächst ein Konzept für ein stadtweites Vorgehen und eine Priorisierung besonders intensiv betroffener Straßen zu entwickeln.


Gegen dieses Urteil richten sich die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revisionen, die sowohl die Kläger als auch die Beklagte eingelegt haben.


Pressemitteilung Nr. 28/2024 vom 06.06.2024

Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs von Anwohnern gegen die Straßenverkehrsbehörde auf Einschreiten gegen verbotswidrig auf den Gehwegen geparkte Fahrzeuge

Anwohner können bei einer erheblichen Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Gehwegbenutzung einen räumlich begrenzten Anspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten gegen das verbotswidrige Gehwegparken haben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Kläger begehren von der Beklagten ein straßenverkehrsbehördliches Einschreiten gegen Fahrzeuge, **die aufgesetzt auf den Gehwegen in drei Bremer Straßen geparkt werden. Die Kläger sind Eigentümer von Häusern in den betreffenden Straßen. Die drei Straßen sind Einbahnstraßen. Die Fahrbahnen sind zwischen 5,00 und 5,50 Metern breit; auf beiden Seiten verlaufen Gehwege mit einer Breite zwischen 1,75 und 2,00 Metern. Verkehrszeichen mit Regelungen zum Halten und Parken sind nicht angeordnet. Seit Jahren wird unter anderem in den drei Straßen auf beiden Seiten nahezu durchgehend verbotswidrig aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt.


Die gegen die Straßenverkehrsbehörde der beklagten Freien Hansestadt Bremen gerichteten Anträge der Kläger, Maßnahmen gegen das Parken auf den Gehwegen in den Straßen zu ergreifen, lehnte die Beklagte ab. Verkehrszeichen und -einrichtungen seien nicht - wie für deren Anordnung geboten - zwingend erforderlich. Das Gehwegparken sei bereits auf der Grundlage von § 12 Abs. 4 und 4a der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verboten.


Auf die hiergegen nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht Bremen die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verpflichtet, die Kläger unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden; im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. § 12 Abs. 4 und 4a StVO habe eine drittschützende Wirkung zu ihren Gunsten. Wegen der Dauer und Häufigkeit der Beeinträchtigungen sei das Entschließungsermessen der Beklagten auf Null reduziert; die Beklagte sei zum Einschreiten verpflichtet. Gegen dieses Urteil haben die Kläger und die Beklagte Berufung eingelegt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Bremen die erstinstanzliche Entscheidung dahin geändert, dass eine erneute Entscheidung über die Anträge der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts zu erfolgen habe; im Übrigen hat es die Berufungen zurückgewiesen. Wie das Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht eine drittschützende Wirkung von § 12 Abs. 4 und 4a StVO zugunsten der Kläger bejaht. Die Beklagte habe über das Begehren der Kläger nicht ermessensfehlerfrei entschieden. Anders als das Verwaltungsgericht war das Oberverwaltungsgericht aber der Auffassung, dass das Entschließungsermessen der Beklagten nicht auf Null reduziert sei. Eine Pflicht, auf die Anträge der Kläger in den drei Straßen unmittelbar einzuschreiten, bestehe jedenfalls derzeit nicht. Es sei nicht zu beanstanden, wenn sie zunächst den Problemdruck in den am stärksten belasteten Quartieren zu ermitteln und ein Konzept für ein stadtweites Vorgehen umzusetzen gedenke.


Gegen das Berufungsurteil haben die Kläger und die Beklagte Revision eingelegt. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Urteile geändert und die Beklagte verpflichtet, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu zu bescheiden; im Übrigen hat es die Revisionen zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß angenommen, dass das § 12 Abs. 4 und 4a StVO zu entnehmende Gehwegparkverbot eine drittschützende Wirkung zugunsten der Kläger hat. Das Verbot des Gehwegparkens schützt nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch Anwohner, die in der Nutzung des an ihr Grundstück grenzenden Gehwegs erheblich beeinträchtigt werden. Nach den vom Oberverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen ist diese Voraussetzung bei den Klägern erfüllt. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, das Entschließungsermessen der Beklagten sei nicht auf Null reduziert, sie sei also noch nicht zu einem unmittelbaren Einschreiten verpflichtet, verstößt nicht gegen Bundesrecht. Da das unerlaubte Gehwegparken nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der gesamten Stadt, insbesondere in den innerstädtischen Lagen weit verbreitet ist, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zunächst die am stärksten belasteten Quartiere ermittelt, Straßen mit besonders geringer Restgehwegbreite priorisiert und ein entsprechendes Konzept für ein stadtweites Vorgehen umsetzt. Auf die Revision der Beklagten waren die angefochtenen Urteile zu ändern, soweit sie den Klägern einen Anspruch in Bezug auf die "streitgegenständlichen Straßen" zuerkannt haben. Die drittschützende Wirkung des Gehwegparkverbots aus § 12 Abs. 4 und 4a StVO ist regelmäßig - und so auch hier - auf den Gehweg beschränkt, der auf der "eigenen" Straßenseite des Anwohners verläuft; umfasst ist in der Regel auch nur der Straßenabschnitt bis zur Einmündung "seiner" Straße in die nächste (Quer-)Straße. In Bezug auf weitere Abschnitte des Gehwegs sind die Anwohner Teil des allgemeinen Kreises der Gehwegbenutzer und nicht mehr hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidbar. Unter Beachtung der insoweit vom Berufungsurteil abweichenden Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Beklagte erneut über die Anträge der Kläger zu entscheiden.


 


Fußnote:

Maßgebliche Rechtsnormen


§ 2 Abs. 1 Satz 1 StVO


Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte.


§ 12 Abs. 4 Satz 1 StVO


Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren.


§ 12 Abs. 4a StVO


Ist das Parken auf dem Gehweg erlaubt, ist hierzu nur der rechte Gehweg, in Einbahnstraßen der rechte oder linke Gehweg, zu benutzen.


 


§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO


Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.


§ 45 Abs. 9 Satz 1 StVO


Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.


BVerwG 3 C 5.23 - Urteil vom 06. Juni 2024

Vorinstanzen:

OVG Bremen, OVG 1 LC 64/22 - Urteil vom 13. Dezember 2022 -

VG Bremen, VG 5 K 1968/19 - Urteil vom 11. November 2021 -