Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung als Opfer des DDR Staatsdopings. Sie war in den Jahren 1968 bis 1973 – als 12- bis 17-jährige – in der ehemaligen DDR im Kanusport als Leistungssportlerin aktiv. Ihr wurden verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht. Dies führte zu schweren und bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen.


Ihren Antrag auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung lehnte der Beklagte ab. Zur Begründung führte er aus, rehabilitierungsfähig seien gemäß § 1 Abs. 2 VwRehaG nur Maßnahmen, die der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben. Hieran fehle es. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Politische Verfolgung habe nicht vorgelegen. Willkür im Einzelfall sei nur zu bejahen, wenn die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen sei, den Adressaten bewusst zu benachteiligen. Es bedürfe einer bewussten Diskriminierung. Daran fehle es im Falle des staatlichen Dopings.


Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass jedenfalls eine mittelbare politische Verfolgung darin liege, dass die Nachwuchssportler durch die gesundheitsschädigenden Dopingvergaben zur Erreichung der staatspolitischen Ziele der DDR missbraucht worden seien. Auch ein Willkürakt im Einzelfall liege vor. Dies ergebe sich aus den zutreffenden Gründen eines Urteils des Verwaltungsgerichts Greifswald. Das DDR-Zwangsdoping stelle keinesfalls ein Allgemeinschicksal und keine systemimmanente Maßnahme der DDR dar.


Pressemitteilung Nr. 13/2024 vom 27.03.2024

Keine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung für Betroffene des DDR-"Zwangsdopings"

Das systematische staatliche Doping von Leistungssportlern in der ehemaligen DDR stellt weder "politische Verfolgung" noch einen "Willkürakt im Einzelfall" im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin begehrt ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung als Opfer staatlichen Dopings in der DDR. Sie war dort von 1968 bis 1973, damals 12- bis 17-jährig, als Leistungssportlerin aktiv. In dieser Zeit wurden ihr verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht. Diese führten zu erheblichen und bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Klägerin ist seit ihrem 43. Lebensjahr erwerbsunfähig und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90. Sie erhielt eine einmalige Hilfeleistung des Bundes nach dem am 31. August 2002 in Kraft getretenen Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz. Im Jahre 2021 beantragte die Klägerin ihre Rehabilitierung nach § 1 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG). Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Nach § 1 Abs. 2 VwRehaG kommt eine Rehabilitierung nur in Betracht, wenn eine Maßnahme in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen und der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt hat. Zwar verstieß die heimliche Verabreichung von Dopingsubstanzen, deren gesundheitsschädigende Wirkung den staatlichen Stellen der DDR bekannt war, in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme diente jedoch nicht der politischen Verfolgung und stellte auch keinen Willkürakt im Einzelfall dar. Letzteres setzt voraus, dass die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihren Adressaten bewusst zu benachteiligen. Das folgt aus der Gesetzesbegründung und dem Zweck des Gesetzes. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass zu dem objektiven Erfordernis eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit die subjektive Zielrichtung hinzutreten muss, dass die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient hat oder der Betroffene bewusst gegenüber vergleichbaren Personen diskriminiert worden ist. An einer solchen gezielten Diskriminierungsmaßnahme fehlt es hier. Den später erlassenen Dopingopfer-Hilfegesetzen, die eine finanzielle Hilfe lediglich aus humanitären und sozialen Gründen gewähren, liegt ebenfalls die Annahme zugrunde, dass ein Rechtsanspruch der Opfer staatlichen Dopings nicht besteht. Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob und inwieweit er die Opfer staatlichen Dopings in der DDR in die Entschädigungsregelungen des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes einbezieht. Eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten durch das Bundesverwaltungsgericht würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten.


BVerwG 8 C 6.23 - Urteil vom 27. März 2024

Vorinstanz:

VG Potsdam, VG 11 K 2567/21 - Urteil vom 24. April 2023 -


Urteil vom 27.03.2024 -
BVerwG 8 C 6.23ECLI:DE:BVerwG:2024:270324U8C6.23.0

Leitsatz:

Ein Willkürakt im Einzelfall im Sinne des § 1 Abs. 2 VwRehaG setzt voraus, dass eine Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen (Bestätigung der Rechtsprechung vgl. BVerwG, Urteile vom 23. August 2001 - 3 C 39.00 - Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 S. 9 und vom 24. Juli 2019 - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200 Rn. 18; Beschluss vom 25. Juli 2000 - 3 B 7.00 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 32). Die Benachteiligung muss dabei gegenüber vergleichbaren Personen erfolgen.

  • Rechtsquellen
    VwRehaG § 1 Abs. 1 und 2
    Dopingopfer-Hilfegesetz §§ 1, 8

  • VG Potsdam - 24.04.2023 - AZ: 11 K 2576/21

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 27.03.2024 - 8 C 6.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:270324U8C6.23.0]

Urteil

BVerwG 8 C 6.23

  • VG Potsdam - 24.04.2023 - AZ: 11 K 2576/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2024
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller, Dr. Löffelbein,
Dr. Meister und Dr. Naumann
für Recht erkannt:

  1. Die Revision wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die ... in L. geborene Klägerin begehrt ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung.

2 Sie war in den Jahren ... bis ... – als 12- bis 17-Jährige - in den Vereinen S. B., M. B. und A. P. im Kanusport als Leistungssportlerin aktiv. Ihr wurden verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht, ohne dass über Wirkstoffe und Dosierungen Näheres bekannt ist. Die Dopingmaßnahmen führten zu erheblichen, bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter anderem Nierenproblemen, einem Schlaganfall und einem unheilbaren Immundefekt. Die Klägerin ist seit ihrem 43. Lebensjahr erwerbsunfähig. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90. Sie erhielt eine Hilfeleistung nach dem (ersten) Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR.

3 Die Klägerin beantragte im Februar 2021 ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen der ihr ohne ihr Wissen verabreichten Dopingsubstanzen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Verabreichung der Dopingmittel habe weder der politischen Verfolgung der Klägerin gedient, noch habe das systematische Staatsdoping einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt. Soweit das Verwaltungsgericht Greifswald dies anders gesehen habe, könne dem nicht gefolgt werden.

4 Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der Beklagte überspanne die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Willküraktes im Einzelfall. Die Dopingmittel seien den (Nachwuchs-)Leistungssportlern nicht im Interesse ihrer individuellen Leistungssteigerung, sondern allein um der sportlichen Erfolge der DDR willen und ohne jede Rücksicht auf ihre Gesundheit verabreicht worden.

5 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Dopingmaßnahmen. Zwar stelle die im "Staatsplanthema 14.25" manifestierte und schon zuvor staatlich gewollte zentral gesteuerte Verabreichung von Dopingmitteln eine hoheitliche Maßnahme dar. Zudem bestehe kein Zweifel daran, dass diese in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe. Ebenso habe sie bei der Klägerin zu erheblichen, bis heute andauernden gesundheitlichen Schädigungen geführt. Es fehle jedoch an der weiteren Tatbestandsvoraussetzung, dass die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt habe. Letzteres sei nur zu bejahen, wenn die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen sei, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen. Es bedürfe einer bewussten Diskriminierung. Eine diskriminierende Tendenz gegenüber den durch das Doping geschädigten Nachwuchssportlern habe nicht bestanden.

6 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, es liege eine mittelbare politische Verfolgung darin, dass die Nachwuchssportler durch die gesundheitsschädigenden Dopingvergaben zur Erreichung der staatspolitischen Ziele der DDR missbraucht worden seien. Einen Willkürakt im Einzelfall habe das Verwaltungsgericht Greifswald zutreffend in dem staatlichen Zwangsdoping erkannt. Das DDR-Zwangsdoping stelle keinesfalls ein Allgemeinschicksal und keine systemimmanente Maßnahme der DDR dar. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass die Klägerin schon Leistungen nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz erhalten habe.

7 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. April 2023 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 19. Oktober 2021 zu verpflichten festzustellen, dass die Verabreichung von Dopingmitteln an die Klägerin in den Jahren ... bis ... als Hochleistungssportlerin im Kanusport in den Vereinen S. B., M. B. und A. P. rechtsstaatswidrig war.

8 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9 Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz sei auf das staatlich veranlasste Doping in der DDR nicht anwendbar.

II

10 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung ist in Einklang mit revisiblem Recht davon ausgegangen, dass das Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1620), zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652), vorliegend anwendbar ist (1.) und die Verabreichung von Dopingpräparaten an die Klägerin eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle darstellte (2.), die zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt hat (3.). Ebenso ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstaatswidrigkeit des staatlichen Dopings verneint, weil dieses zwar in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstieß, jedoch weder der politischen Verfolgung gedient noch einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt hat (4.).

11 1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht von der Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auf Dopingmaßnahmen im Beitrittsgebiet ausgegangen. Das Gesetz ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG nur auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen und Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz oder vom Entschädigungsrentengesetz erfasst werden, nicht anwendbar. Aus der Annahme des (späteren) Gesetzgebers der Dopingopfer-Hilfegesetze, ein Rechtsanspruch der Opfer des staatlichen Dopings in der DDR auf Entschädigung bestehe nicht, folgt demgegenüber keine Beschränkung des Anwendungsbereichs. Ob diese Annahme zutrifft, ist eine Frage der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm und nicht der Anwendbarkeit des Gesetzes.

12 2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer hoheitlichen Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle, die im Sinne des § 1 Abs. 5 VwRehaG nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, bejaht. Der Begriff der "deutschen behördlichen Stelle" erfasst nicht nur die "vollziehend-verfügenden Organe des Staatsapparats", sondern beispielsweise auch die staatlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Krankenhäuser etc. (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 21 f.) Für Maßnahmen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands oder der von ihr beherrschten Parteien und gesellschaftlichen Organisationen gelten die Vorschriften des Gesetzes gemäß § 1 Abs. 6 VwRehaG entsprechend. Danach ist vorliegend von einer Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle auszugehen, weil das Doping im Leistungssport nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts staatlich gewollt war und die konkrete Verabreichung eines Dopingpräparats durch Trainer und/oder Ärzte am Ende einer Kette von staatlichen Beschlüssen stand. Dies war schon in der Zeit vor 1974, also vor dem Beschluss über das "Staatsplanthema 14.25", in dem das staatliche Doping institutionalisiert wurde, der Fall.

13 3. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Verabreichung der Dopingpräparate zu einer unmittelbar und schwer fortwirkenden gesundheitlichen Schädigung der Klägerin geführt.

14 4. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstaatswidrigkeit des staatlichen Dopings im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 VwRehaG verneint. Mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sind gemäß § 1 Abs. 2 VwRehaG Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben (a.) und die der politischen Verfolgung gedient (b.) oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben (c.).

15 a. Die Verabreichung von Dopingmitteln an die Klägerin verstieß in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Verabreichung von Dopingsubstanzen an Minderjährige unter Inkaufnahme gesundheitlicher Schädigungen stand zu dem damit angestrebten Zweck der sportpolitischen Profilierung der DDR erkennbar außerhalb jeden vernünftigen Verhältnisses. Darüber hinaus verletzte die heimliche Verabreichung von Dopingsubstanzen auch die Menschenwürde der Sportler, da sie hierdurch zum Objekt staatlicher Willkür degradiert wurden (vgl. zu diesem Maßstab BT-Drs. 12/4994 S. 24 f.).

16 b. Die Maßnahme diente nicht der politischen Verfolgung. Eine Verfolgungshandlung ist dann politisch im Sinne des § 1 Abs. 2 VwRehaG, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an bestimmte, regelmäßig unverfügbare Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Gemeinschaft ausgrenzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2019 - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200, Rn. 18). Dabei kommt es nicht allein auf die Intensität der Handlung an; vielmehr ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 3 B 72.03 - juris, Rn. 3). Gemessen daran diente das staatlich veranlasste Doping nicht der politischen Verfolgung. Die DDR verfolgte nicht das Ziel, die Leistungssportler aus ihrer staatlichen Friedensordnung auszugrenzen. Vielmehr galten diese als besonders wichtige Repräsentanten des Staates. Dass sie hierbei zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurden, rechtfertigt nicht die Annahme politischer Verfolgung. Etwas anderes folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafverfolgungsverjährung bezüglich der heimlichen Vergabe von Doping-Mitteln an DDR-Sportler. Danach ruht die Verjährung, wenn in der Staatspraxis der DDR bestimmte Straftaten aus politischen oder sonst mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen generell nicht verfolgt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2000 - 5 StR 451/99 - NJW 2000, 1506 <1507>). Die Nichtverfolgung von Straftaten aus politischen Gründen bedeutet jedoch für sich genommen nicht, dass diese Straftaten als politische Verfolgung im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes eingeordnet werden müssten.

17 c. Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Einklang mit Bundesrecht von einem zutreffenden Verständnis des "Willkürakts im Einzelfall" ausgegangen (aa.) und hat einen solchen zu Recht verneint (bb.).

18 aa. Nach gefestigter Rechtsprechung stellt eine hoheitliche Maßnahme einen Willkürakt im Einzelfall im Sinne von § 1 Abs. 2 VwRehaG dar, wenn die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. August 2001 - 3 C 39.00 - Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 S. 9 und vom 24. Juli 2019 - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200 Rn. 18; Beschluss vom 25. Juli 2000 - 3 B 7.00 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 32). Die Benachteiligung muss dabei gegenüber vergleichbaren Personen erfolgen (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 25).

19 Für dieses Verständnis spricht der Wortlaut des § 1 Abs. 2 VwRehaG. Danach soll nicht jeder Willkürakt der DDR-Behörden rehabilitierungsfähig sein, sondern lediglich Willkürakte "im Einzelfall". Diese Beschränkung bringt zum Ausdruck, dass systematisch in der ehemaligen DDR erfolgende Unrechtsakte, die nicht der politischen Verfolgung dienten (vgl. oben Rn. 16), nicht einbezogen werden sollten. Nicht ausreichend ist es demnach, dass sich die Willkürakte - wie regelmäßig der Fall - auf einzelne Individuen ausgewirkt haben.

20 Nach der Gesetzesbegründung sollte das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz keine Gesamtrevision von 40 Jahren Verwaltung in der DDR bewirken (BT-Drs. 12/4994 S. 23). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber zusätzlich zu dem objektiven Kriterium des schwerwiegenden Verstoßes gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit die subjektive Zielrichtung forderte, dass die Maßnahme entweder der politischen Verfolgung diente oder einen Willkürakt im Einzelfall darstellte, das heißt, "daß der Betroffene bewußt gegenüber vergleichbaren Personen diskriminiert wurde" (BT-Drs. 12/4994 S. 25). Der Gesetzgeber forderte damit die Diskriminierung gegenüber einer vergleichbaren Personengruppe und ließ eine Benachteiligung gegenüber der allgemeinen Bevölkerung der DDR nicht ausreichen. Gravierende Willkürakte wurden einbezogen, weil sie manifester Ausdruck eines Systems waren, das seine Bürger schutzlos der Willkür von Amtsträgern auslieferte (BT Drs. 12/4994 S. 25).

21 An diesem Verständnis hat der Gesetzgeber auch später festgehalten. Sowohl das Erste (BGBl. I 2002 S. 3410) als auch das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz (BGBl. I 2016 S. 1546) gewährten Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 aus humanitären und sozialen Gründen. Dem lag jeweils die Annahme zugrunde, ein Rechtsanspruch der Dopingopfer auf Entschädigung durch die Bundesrepublik bestehe nicht (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 5 und 14/9028 S. 4 sowie 18/8040 S. 8). Damit brachte der Gesetzgeber die damals einhellige Auffassung zum Ausdruck, dass Dopingopfern im Regelfall keine Ansprüche nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zustanden (so etwa auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 17/12393). Im Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen zum Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz, der mit dem Entwurf der die Bundesregierung tragenden Fraktionen hinsichtlich Voraussetzungen und Verfahren weitgehend identisch war, wurde die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamts gerade damit begründet, eine Gleichsetzung der Dopingopfer mit politisch Verfolgten zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 6).

22 Etwas anderes folgt auch nicht aus der Regelung des § 8 Abs. 1 der Dopingopfer-Hilfegesetze. Danach bleiben Ansprüche wegen desselben Lebenssachverhalts aus anderen Rechtsgründen unberührt. Dies besagt allein, dass möglicherweise parallel - auch nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 9) – bestehende Ansprüche unangetastet bleiben, ohne aber generell deren Bestehen vorauszusetzen. Dagegen spricht auch, dass die Annahme, Dopingopfern stehe zusätzlich zu der in den Dopingopfer-Hilfegesetzen geregelten einmaligen Geldzahlung stets auch ein Anspruch nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu, ihrerseits unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten begründungsbedürftig gewesen wäre. Ohne Weiteres ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu politisch in der DDR Verfolgten eine solche einmalige Geldzahlung nicht auch neben den sonstigen Ansprüchen zugestanden hätte. Angesichts dieser Friktionen und des eindeutig entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers würde eine Einbeziehung der Dopingopfer in das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten.

23 Diese Auslegung steht auch in Einklang mit Verfassungsrecht. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass sich eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Unrecht einer nicht an das Grundgesetz gebundenen Staatsgewalt nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten lässt, der Gesetzgeber jedoch bei der Ausgestaltung solcher Wiedergutmachungsleistungen an den allgemeinen Gleichheitssatz in der Ausprägung des Willkürverbots gebunden ist. Verboten ist dem Gesetzgeber danach die willkürlich ungleiche Behandlung von Sachverhalten, die in wesentlichen Punkten gleich sind. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, dass ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, unterliegt regelmäßig seiner Entscheidung. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 ‌- 1 BvR 2307/94 u. a. - BVerfGE 102, 254 <299>).

24 Es begegnet danach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und die damit verbundenen Folgeansprüche politische Verfolgung oder Willkürakte im Einzelfall nach dem soeben dargelegten Verständnis voraussetzen. Angesichts der zahlreichen, äußerst herausfordernden Aufgaben im Rahmen der Wiedervereinigung konnte die Wiedergutmachung von DDR-Verwaltungsunrecht primär an politische Verfolgungsmaßnahmen anknüpfen, der die Betroffenen in der DDR in ganz besonderer Ausweglosigkeit ausgeliefert waren. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sonstigen in der DDR systematisch geschädigten Personengruppen die gleichen Entschädigungsansprüche zuzuerkennen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Betroffenen durch die beiden Dopingopfer-Hilfegesetze und die Erstreckung des räumlichen Anwendungsbereichs des Opferentschädigungsgesetzes auf Taten im Beitrittsgebiet (vgl. § 10a Abs. 1 Satz 2 OEG, heute § 138 Abs. 5 SGB XIV; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. März 2017 - L 7 VE 12/15 - juris, Rn. 61 ff.; zweifelnd Thüringer LSG, Urteil vom 21. September 2023 - L 5 VE 920/19 - juris, Rn. 32) nicht schutzlos gestellt, sondern ihnen Ansprüche des sozialen Entschädigungsrechts zugesprochen hat.

25 bb. Gemessen an diesem Maßstab hat das Verwaltungsgericht einen Willkürakt im Einzelfall zutreffend verneint. Die Klägerin wurde gegenüber der vergleichbaren Personengruppe, den anderen Jugendlichen, die in die Leistungskader der DDR aufgenommen wurden, nicht benachteiligt. Dass die Betroffenen einer schädigenden Handlung ausgesetzt waren, die die Bevölkerung der DDR nicht allgemein erdulden musste, reicht für die Annahme eines Willkürakts nicht aus.