Verfahrensinformation

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung ehemaliger Wohnräume in "gewerbliche Nutzung" (gewerbliche Zimmervermietung, mithin bordellähnlicher Betrieb). Sie ist Mieterin dreier miteinander verbundener, insgesamt 428 m2 großer Wohneinheiten im 2. Obergeschoss eines siebenstöckigen Gebäudes in Berlin. Sie betreibt an diesem Standort seit 1996 eine prostitutive Einrichtung (Wohnungsbordell). Das Gebäude war ursprünglich als Wohnhaus genehmigt und weist 28 Wohneinheiten auf. Derzeit wird es jedenfalls im Vorderhaus, in dem sich auch der Betrieb der Klägerin befindet, überwiegend gewerblich bzw. freiberuflich genutzt. Das Gebäude liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der insofern ein Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO 1962 ausweist.


Den Bauantrag lehnte der Beklagte ab. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das ihrer Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts hob das Oberverwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab.


Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Im Revisionsverfahren wird zu klären sein, ob die Rechtsprechung zur Typisierung von Bordellen oder bordellartigen Betrieben als das Wohnen mehr als nur nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe mit Blick auf das zum 1. Juli 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz, insbesondere unter Berücksichtigung sogenannter "Wohnungsbordelle", einer Fortentwicklung bedarf, ggf. auch, ob der verfahrensgegenständliche Betrieb einer Einzelfallbetrachtung zu unterziehen ist.


Pressemitteilung Nr. 71/2021 vom 09.11.2021

Zulässigkeit eines sog. Wohnungsbordells in einem Mischgebiet

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass ein sog. Wohnungsbordell in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet bauplanungsrechtlich nicht von vorneherein unzulässig ist.


Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung für die Änderung einer Wohnnutzung in eine gewerbliche Nutzung. Sie ist Mieterin dreier miteinander verbundener Wohnungen mit insgesamt 428 m2 im 2. Obergeschoss eines siebenstöckigen Gebäudes in Berlin. Dort betreibt sie seit 1996 eine prostitutive Einrichtung (sog. Wohnungsbordell). Das Gebäude liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der ein Mischgebiet ausweist.


Der Bauantrag wurde abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht hob das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts auf und wies die Klage ab. Das Vorhaben der Klägerin sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Ein bordellartiger Betrieb, wie ihn die Klägerin führe, sei mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung wegen der damit bei typisierender Betrachtung verbundenen "milieutypischen Unruhe" nicht vereinbar. Das Prostituiertenschutzgesetz von 2016 ändere daran nichts. Eine atypische Fallgestaltung, die eine Einzelfallbetrachtung erfordere, liege nicht vor.


Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das der Typisierung zugrundeliegende Störpotenzial fehlerhaft bestimmt, weil es den Begriff der "milieubedingten Unruhe" zu weit verstanden hat. Begleitumständen des Prostitutionsgewerbes, die keine städtebauliche Relevanz haben, ist vielmehr mit Auflagen und ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen. Die Unverträglichkeit von bordellartigen Betrieben und Wohnnutzung beruht auf der Annahme, dass die Betriebe nach außen als solche in Erscheinung treten und dies gerade in den Abend- und Nachtstunden zu Störungen insbesondere durch den Zu- und Abgangsverkehr führt. Dieses typische Störpotenzial kommt einem auf Diskretion angelegten, nach 20.00 Uhr geschlossenen sog. Wohnungsbordell nicht zu. Es unterscheidet sich für den Betrachter nicht erkennbar von der sonst zulässigen Nutzung und zieht daher insbesondere keine Laufkundschaft an. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines sog. Wohnungsbordells ist daher mittels Einzelfallbetrachtung zu prüfen. Die dafür erforderlichen Tatsachenfeststellungen hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. Das führt zur Zurückverweisung.


BVerwG 4 C 5.20 - Urteil vom 09. November 2021

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 2 B 2.18 - Urteil vom 29. Oktober 2019 -

VG Berlin, VG 19 K 195.16 - Urteil vom 24. Mai 2018 -


Beschluss vom 29.09.2020 -
BVerwG 4 B 13.20ECLI:DE:BVerwG:2020:290920B4B13.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.09.2020 - 4 B 13.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:290920B4B13.20.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 13.20

  • VG Berlin - 24.05.2018 - AZ: VG 19 K 195.16
  • OVG Berlin-Brandenburg - 29.10.2019 - AZ: OVG 2 B 2.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. September 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Decker
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 29. Oktober 2019 aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 15 084,16 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur Klärung der Frage beitragen, ob an der Rechtsprechung zur typisierenden Einordnung von Bordellen oder bordellartigen Betrieben als das Wohnen mehr als nur nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe (BVerwG, Urteile vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 - BVerwGE 68, 213 und vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 - BVerwGE 147, 379) mit Blick auf das zum 1. Juli 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz vom 21. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2372), festzuhalten ist.

2 Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 5.20 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 09.11.2021 -
BVerwG 4 C 5.20ECLI:DE:BVerwG:2021:091121U4C5.20.0

Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines sog. Wohnungsbordells im Mischgebiet

Leitsätze:

1. An der Beurteilung prostitutiver Betriebe auf der Grundlage der eingeschränkten Typisierungslehre haben weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz etwas geändert.

2. Das Störpotenzial eines sog. Wohnungsbordells im Mischgebiet nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 lässt sich nicht typisierend erfassen. Es bedarf vielmehr einer Einzelfallprüfung.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
    BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 2 und 3, § 30 Abs. 1
    BauNVO 1962 § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4

  • VG Berlin - 24.05.2018 - AZ: VG 19 K 195.16
    OVG Berlin-Brandenburg - 29.10.2019 - AZ: OVG 2 B 2.18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 09.11.2021 - 4 C 5.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:091121U4C5.20.0]

Urteil

BVerwG 4 C 5.20

  • VG Berlin - 24.05.2018 - AZ: VG 19 K 195.16
  • OVG Berlin-Brandenburg - 29.10.2019 - AZ: OVG 2 B 2.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Decker,
Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Oktober 2019 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten über die baurechtliche Zulässigkeit einer prostitutiven Einrichtung in der Form eines sog. Wohnungsbordells.

2 Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung ehemaliger Wohnräume in "gewerbliche Nutzung (gewerbliche Zimmervermietung, bordellähnlicher Betrieb)". Sie ist Mieterin dreier miteinander verbundener, insgesamt 428 m2 großer Wohneinheiten im 2. Obergeschoss eines siebenstöckigen Gebäudes in Berlin. Dort betreibt sie seit 1996 eine prostitutive Einrichtung (Wohnungsbordell). Das Gebäude war ursprünglich als Wohnhaus genehmigt und weist 28 Wohneinheiten auf. Derzeit wird es jedenfalls im Vorderhaus, in dem sich auch der Betrieb der Klägerin befindet, überwiegend gewerblich oder freiberuflich genutzt. Das Gebäude liegt im Geltungsbereich des mit Verordnung vom 15. September 1964 (GVBl. S. 1045) festgesetzten Bebauungsplans IX-73. Dieser setzt ein Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO 1962 fest.

3 Den Bauantrag lehnte der Beklagte ab. Die auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Klage hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Die Nutzungsänderung sei nicht nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 im Mischgebiet allgemein zulässig. Zwar sei bei dem Betrieb der Klägerin von einem Gewerbebetrieb auszugehen. Aufgrund einer (begrenzt) typisierenden Betrachtungsweise, die für Bordelle oder - wie hier - bordellartige Betriebe anzustellen sei, könne dem Verwaltungsgericht jedoch nicht darin gefolgt werden, dass der Betrieb der Klägerin das Wohnen nicht wesentlich störe. Solche Betriebe seien vielmehr mit der im Mischgebiet zulässigen Wohnnutzung unverträglich. Denn sie seien regelmäßig mit nach außen wirkenden Begleiterscheinungen in ihrer gerichtsbekannten Ausprägung, der sog. "milieubedingten" Unruhe, verbunden. Ihr belästigender Charakter folge aus dem städtebaulichen Konfliktpotential, welches das Nebeneinander von prostitutiver Tätigkeit und Wohnen begründe. Die gegen die herkömmliche Differenzierung von Wohnungsprostitution, bordellartigen Betrieben und Bordellen angeführten Argumente überzeugten nicht. Die Unterscheidung sei hinreichend differenziert, um das typische Störpotential prostitutiver Betriebe sachgerecht zu erfassen. Für den Sonderfall des "Berliner Wohnungsbordells" ergebe sich nichts Anderes. Ferner gäben weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz Anlass zu einer abweichenden Einschätzung. Eine atypische Fallgestaltung, die die Beurteilung anhand einer typisierenden Betrachtung ausschlösse, sei ebenfalls nicht gegeben. Die Mischgebietsunverträglichkeit von Bordellen oder bordellartigen Betrieben stehe im Einklang mit Bundesrecht. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB seien nicht gegeben.

4 Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass es sich bei ihrem Betrieb um einen das Wohnen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 handele. Angesichts des Regelungsregimes des Prostituiertenschutzgesetzes könne an der typisierenden Einordnung bordellartiger Betriebe nicht festgehalten werden. Wie § 12 Abs. 7 ProstSchG zeige, ständen Baugenehmigung und Betriebserlaubnis nach § 12 ProstSchG nebeneinander. Die funktionsgerechte Nutzung werde aber vom Prostituiertenschutzgesetz geregelt. Da der klägerische Betrieb danach das Wohnen nicht wesentlich störe, sei er zulässig. Die Klägerin macht zudem Verfahrensmängel geltend.

5 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II

6 Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die tatrichterlichen Feststellungen lassen eine Entscheidung in der Sache nicht zu (§ 144 Abs. 4 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

7 Das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, das klägerische Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans IX-73 widerspreche (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO 1962). Es handele sich um keinen, das Wohnen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962. Das ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

8 Nach § 6 Abs. 1 BauNVO 1962 dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Allgemein zulässig sind u.a. sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962).

9 1. Zutreffend geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei dem Betrieb der Klägerin um einen sonstigen Gewerbebetrieb handelt (BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juni 2014 - 4 BN 8.14 - ZfBR 2014, 574 Rn. 10, vom 2. November 2015 - 4 B 32.15 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 23 Rn. 4 f. und vom 16. August 2017 - 4 B 18.17 - BRS 85 Nr. 47). Die Annahme, dieser sei bei typisierender Betrachtung als das Wohnen wesentlich störend einzustufen, steht hingegen mit Bundesrecht nicht im Einklang. Das Oberverwaltungsgericht hat die Reichweite der Typisierung überdehnt, weil es bei der Bestimmung des hierfür maßgeblichen Störpotentials den Begriff der "milieubedingten" Unruhe zu weit gefasst hat.

10 a) Bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung, ob ein Betrieb als im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO (in allen Fassungen) "das Wohnen wesentlich störender" und damit im Mischgebiet unzulässiger Gewerbebetrieb zu bewerten ist, ist im Ausgangspunkt eine - eingeschränkte - typisierende Betrachtung anzustellen (grundlegend BVerwG, Urteil vom 3. Februar 1984 - 4 C 54.80 - BVerwGE 68, 342 <346 f.>; ferner BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 7 C 7.92 - Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22). Der Betrieb ist als unzulässig einzustufen, wenn von Betrieben seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen ausgehen können; auf das Maß der konkret hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen Störungen kommt es grundsätzlich nicht an (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1969 - 4 C 21.67 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 23; Beschlüsse vom 22. November 2002 - 4 B 72.02 - Buchholz 406.12 § 6 BauNVO Nr. 17 und vom 27. Juni 2018 - 4 B 10.17 - Buchholz 406.12 § 6 BauNVO Nr. 19 Rn. 8). Eine typisierende Betrachtungsweise verbietet sich jedoch, wenn der zur Beurteilung stehende Betrieb zu einer Branche gehört, deren übliche Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine große Bandbreite aufweisen, die von nicht wesentlich störend bis störend oder sogar erheblich belästigend reichen kann. Ist mithin ein Betrieb einer Gruppe von Gewerbebetrieben zuzurechnen, die hinsichtlich ihrer Mischgebietsverträglichkeit zu wesentlichen Störungen führen können, aber nicht zwangsläufig führen müssen, wäre eine abstrahierende Bewertung des konkreten Betriebs nicht sachgerecht. Ob solche Betriebe in einem Mischgebiet zugelassen werden können, hängt dann von ihrer jeweiligen Betriebsstruktur ab. Maßgeblich ist, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben ist (BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 4 B 10.17 - Buchholz 406.12 § 6 BauNVO Nr. 19 Rn. 9).

11 b) Eine typisierende Betrachtung kann auch das Störpotential prostitutiver Betriebe in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen sachgerecht erfassen. Sie deckt aber nicht das gesamte Spektrum solcher Einrichtungen ab.

12 aa) So wird angenommen, dass - hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts allerdings nicht entscheidungserheblich - die sogenannte Wohnungsprostitution gesondert zu betrachten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 4 B 137.95 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 9) und typischerweise als mischgebietsverträglich einzuordnen sei (siehe etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987/96 - NVwZ 1997, 601; Urteil vom 13. Februar 1998 - 5 S 2570/96 - NVwZ-RR 1998, 550; VGH München, Beschlüsse vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 - UPR 1999, 395 und vom 10. Juni 2010 - 1 ZB 09.19 71 - juris Rn. 23). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Prostituierte in der Wohnung, in der sie dauerhaft wohnt, der Prostitution nachgeht. Diese gewerbliche Nutzung der Räumlichkeiten ist in der Regel von außen nicht wahrnehmbar und hat keine erheblichen negativen Auswirkungen auf die benachbarte Wohnnutzung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 6 C 28.13 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 105 Rn. 21; VGH Mannheim, Urteil vom 24. Juli 2002 - 5 S 149/01 - GewArch 2003, 496; OVG Koblenz, Beschluss vom 16. September 2013 - 8 A 10560/13 - juris Rn. 12).

13 bb) Zu sonstigen Prostitutionseinrichtungen, denen der prägende Bezug zur Wohnung der Prostituierten fehlt, und die Bordelle sowie bordellartige Betriebe in unterschiedlicher Gestalt umfassen, hat der Senat entschieden, dass es sich um das Wohnen wesentlich störende Betriebe handelt. Zur Begründung hat er maßgeblich auf die von einem solchen Betrieb ausgehenden Nachteile und Belästigungen, insbesondere auf den Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und sonstige "milieubedingte" Unruhe abgestellt (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 - BVerwGE 68, 213 <216>; siehe auch Urteil vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 - BVerwGE 147, 379 Rn. 14). Eine typisierende Betrachtung kann danach nur soweit reichen, als es um Betriebe geht, die insbesondere solche beeinträchtigenden Auswirkungen auf ihre Umgebung hervorrufen können, die dem städtebaulich zu verstehenden Begriff der "milieubedingten" Unruhe zuzuordnen sind. Dieser ist allein auf Störungen ausgerichtet, aus denen Konflikte zu anderen Nutzungsarten, insbesondere zur Wohnnutzung, entstehen können und die durch räumliche Trennung und Gliederung widerstreitender Nutzungsarten, nämlich der Verweisung in eine andere Gebietskategorie der Baunutzungsverordnung, gelöst werden können (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 - a.a.O.).

14 Solche Störungen setzen voraus, dass der prostitutive Betrieb nach außen - in welcher Form auch immer - in Erscheinung tritt, wie z.B. durch Werbung im Umfeld des Betriebs oder auch eine entsprechende (Fassaden-)Gestaltung (Aufschriften, auffällige Werbung). Hierdurch hebt sich die Einrichtung von der umgebenden Nutzung ab und ist so dem Prostitutionsgewerbe ohne weiteres zuzuordnen. Eine deutlich in Erscheinung tretende prostitutive Einrichtung löst zusätzlichen, gebietsfremden (Publikums-)Verkehr aus, weil hierdurch vor allem Laufkundschaft angesprochen und zum Besuch des Betriebs angeregt wird. Das bringt Unruhe (Immissionen, insbesondere Lärm) in das Mischgebiet, beeinträchtigt damit die Wohnruhe und wirkt sich negativ auf das soziale Umfeld (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB) und die Wohnbedürfnisse, insbesondere von Familien mit Kindern aus (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass nicht nur die Kunden, sondern auch die Prostituierten die Betriebsstätte aufsuchen und wieder verlassen müssen, weil in Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben im Unterschied zu solchen der Wohnungsprostitution nicht gewohnt wird und dort zudem immer mehrere Prostituierte tätig sind. Hinzu kommt, dass solche Betriebe regelmäßig auch in den Nachtstunden geöffnet sind. Schließlich kann mit nach außen in Erscheinung tretenden Bordellen oder bordellartigen Betrieben ein sog. Trading-down-Effekt einhergehen (siehe hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 C 13.93 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 172 S. 25; Beschluss vom 21. Dezember 1992 - 4 B 182.92 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 15 jeweils zu Vergnügungsstätten). Die sichtbare Existenz eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebs kann auch Auswirkungen auf den Bodenmarkt im betroffenen Gebiet haben (§ 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Ferner sind negative Folgen für die Bewohnerstrukturen denkbar, weil Bewohner sich durch einen solchen ohne weiteres wahrnehmbaren Betrieb veranlasst sehen können, das Gebiet zu verlassen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Das gilt umso mehr, wenn die Prostituierten oder andere Bedienstete vor dem Betrieb für den Besuch der Einrichtung "werben".

15 Ausgehend von einem so verstandenen Begriff der "milieubedingten" Unruhe kann der im Rahmen des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise nur ein Betrieb zugrunde gelegt werden, der nach außen als solcher in Erscheinung tritt und/oder in den Nachtstunden (ab 22.00 Uhr) betrieben wird.

16 c) Das Oberverwaltungsgericht ist demgegenüber von einem unzutreffenden Verständnis der "milieubedingten" Unruhe ausgegangen und hat deshalb den Kreis der von einer typisierenden Betrachtung erfassten Betriebe zu weit gezogen. Es hat darauf abgestellt, dass bei Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben mit milieutypischen Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten zu rechnen sei. Hierbei handelt es sich jedoch - auch in Ansehung des Senatsurteils vom 25. Januar 2007 - 4 C 1.06 - (BVerwGE 128, 118) – nicht um städtebauliche Belange. Solchen Gefahren, die in keinem Baugebiet hingenommen werden können, ist vielmehr mit ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen. Darauf hat der Senat bereits im Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 - (BVerwGE 68, 213 <216 f.>) hingewiesen. Das Oberverwaltungsgericht lässt zudem unberücksichtigt, dass dem Bauplanungsrecht keine sozial-ethischen (Moral-)Vorstellungen zugrunde liegen (Stühler, BauR 2010, 1013 <1033>; derselb. GewArch 2018, 335 <336>) und es auch nicht seine Aufgabe ist, rechtswidriges Verhalten zu sanktionieren (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - 4 C 15.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 394 Rn. 9).

17 2. An der Beurteilung prostitutiver Betriebe auf der Grundlage der eingeschränkten Typisierungslehre haben weder das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz - ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) noch das Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz - ProstSchG) vom 21. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2372) etwas geändert.

18 Das Prostitutionsgesetz regelt ausschließlich vergütungs- und sozialversicherungsrechtliche Fragen und hat folglich auf das Bauplanungsrecht keinen Einfluss. Auch das Prostituiertenschutzgesetz hat den bauplanungsrechtlichen Rahmen nicht verändert, wenn der Begriff der "milieubedingten" Unruhe - wie geboten - auf seinen städtebaulichen Gehalt zurückgeführt wird (vgl. auch Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2021, § 6a BauNVO Rn. 39 m.w.N.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 4a Rn. 23.74). Der Gesetzgeber verfolgt damit andere als städtebauliche Ziele (vgl. BT-Drs. 18/8556 S. 33). Das bringt bereits § 12 Abs. 7 ProstSchG zum Ausdruck, wonach Erlaubnis- oder Anzeigepflichten nach anderen Vorschriften, wie etwa des Baurechts, unberührt bleiben. Die Erlaubnis nach § 12 ProstSchG besitzt keine Konzentrationswirkung (Fickert/Fieseler, a.a.O., § 4 Rn. 9.621). Auch aus § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG folgt nichts Abweichendes. Die dort erwähnte "örtliche Lage" erfasst zwar auch bauplanungsrechtliche Erwägungen. Die Gesetzesbegründung belegt indessen, dass § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG dem § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG nachgebildet ist (BT-Drs. 18/8556 S. 79 mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 - 1 C 18.87 -). Daher sind die zum Verhältnis von Gaststättengenehmigung und Baugenehmigung entwickelten Grundsätze auf das Verhältnis von Baugenehmigung und Erlaubnis nach § 12 ProstSchG übertragbar (vgl. VGH München, Beschluss vom 30. März 2021 - 22 ZB 20.19 72 - BayVBl 2021, 411 Rn. 13). Dem entsprechend gilt auch hier der Vorrang der Entscheidung der sachnäheren Behörde (BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1989 - 1 C 18.87 - BVerwGE 84, 11 S. 13 f. und vom 4. Oktober 1988 - 1 C 72.86 - BVerwGE 80, 259 <261 f.>). Die Prüfung der mit dem bestimmungsgemäßen Betrieb eines Prostitutionsgewerbes in einer konkreten baulichen Umgebung verbundenen Störungen fällt auch weiterhin in die originäre Zuständigkeit der Baugenehmigungsbehörde. Diese entscheidet hierüber allein nach baurechtlichen Maßstäben und mit bindender Wirkung für die für den Vollzug des Prostituiertenschutzgesetzes zuständige Behörde. Das Prostituiertenschutzgesetz vollzieht die baurechtliche Prüfung nach, hat hierauf aber keinen Einfluss. Auch mittelbar ergeben sich keine Folgen aus dem Prostituiertenschutzgesetz für das Bauplanungsrecht. Die Bekämpfung der vom Oberverwaltungsgericht benannten strafrechtlich relevanten Begleiterscheinungen der Prostitution gehört zwar zu den Zielen des Prostituiertenschutzgesetzes (vgl. BT-Drs. 18/8556 S. 33). Wie ausgeführt, werden damit aber keine städtebaulichen Belange angesprochen. Der Gesetzgeber bringt mit dem Prostituiertenschutzgesetz vielmehr seine Erwartung zum Ausdruck, den beschriebenen Begleiterscheinungen durch die Neuregelung wirksam begegnen zu können (vgl. BT-Drs. 18/8556 S. 2).

19 3. Unter Anwendung vorstehender Rechtssätze lässt sich danach der klägerische Betrieb nicht typisierend erfassen. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) weicht er vom vertypten Erscheinungsbild eines Bordells bzw. bordellähnlichen Betriebs deutlich ab. Im Unterschied zum "typischen Betrieb" nutzt der klägerische Betrieb keine Außenwerbung; er ist von außen nicht als prostitutiver Betrieb wahrnehmbar. Das Betriebskonzept zielt auf Diskretion und Anonymität; Kontakt zu Kunden erfolgt nur über E-Mail und/oder Telefon, so dass Laufkundschaft ausgeschlossen bleibt. Die Zahl der Kunden ist geringer als bei großen Bordellen oder Laufhäusern. Erwartet werden bis zu 30 Besucher pro Tag, und damit eher weniger als in einer Arzt- oder Massagepraxis, die sich ebenfalls in dem Gebäude befinden. Der Betrieb schließt um 20.00 Uhr; dort wird nicht übernachtet. Damit entfallen nächtliche (nach 22.00 Uhr) dem Betrieb zurechenbare (Ruhe-)Störungen. Hieraus folgt, dass das Störpotential nicht im Wege der Typisierung bestimmt werden kann. Es ist vielmehr eine Einzelfallprüfung erforderlich, die den Betrieb am Maßstab des zur Genehmigung gestellten Bau- und Betriebskonzepts auf seine Vereinbarkeit mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung in den Blick nimmt.

20 Diese Prüfung kann der Senat nicht selbst vornehmen, weil das Oberverwaltungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Das zwingt zur Zurückverweisung. Das Oberverwaltungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Betrieb, der eine Nähe zur Wohnungsprostitution aufweist, insgesamt wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem er sich befindet, nicht das Gepräge gibt. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass er am Standort bereits seit 1996 betrieben wird. Ob dies bisher beanstandungsfrei erfolgte, bedarf ebenfalls der Aufklärung, weil sich hieraus Rückschlüsse auf seine Vereinbarkeit mit der Wohnnutzung ziehen lassen.

21 Mit der Zurückverweisung kommt es auf die Verfahrensrügen nicht mehr an.