Pressemitteilung Nr. 11/2014 vom 03.02.2014
Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen zur Genehmigung von Tierversuchen rechtskräftig
Das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen hat mit seinem Urteil vom 11. Dezember 2012 festgestellt, dass die Freie Hansestadt Bremen verpflichtet war, dem Leiter der Abteilung Neurobiologie des Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen die von diesem beantragte tierschutzrechtliche Genehmigung von Tierversuchen zu erteilen.
Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die Belastungen der Versuchstiere (Rhesusaffen) seien im Hinblick auf die hohe wissenschaftliche Bedeutung des Versuchsvorhabens ethisch vertretbar. Auf der Grundlage der vorgelegten Sachverständigengutachten seien die Belastungen allenfalls als mäßig einzustufen. Der Freien Hansestadt Bremen stehe weder ein Beurteilungsspielraum noch sonst Ermessen zu. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2014 zurückgewiesen. Damit ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts rechtskräftig. Zur Begründung seines Beschlusses hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt: Die Rechtssache habe nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, denn aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung des Tierschutzgesetzes sei geklärt, dass der Genehmigungsbehörde bei ihrer Entscheidung kein Ermessen verbleibe. Weiter sei nicht klärungsbedürftig, dass die geltend gemachte besondere demokratische Legitimation der zuständigen Senatsverwaltung es allein nicht rechtfertigen könne, die verfassungsrechtlich grundsätzlich vorgegebene umfassende gerichtliche Kontrolle durch Einräumung eines Beurteilungsspielraums einzuschränken. Das Oberverwaltungsgericht habe der Grundlagenforschung und deren mehr oder weniger abstrakt bleibendem Erkenntnisgewinn auch nicht pauschal Vorrang eingeräumt, weshalb ein weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf von der Beschwerde nicht aufgezeigt worden sei. Die geltend gemachten Verfahrensfehler lägen nicht vor.
BVerwG 3 B 29.13 - Beschluss vom 20. Januar 2014
Vorinstanzen:
OVG Bremen, 1 A 180/10, 1 A 367/10 - Urteil vom 11. Dezember 2012 -
VG Bremen, 5 K 1274/09 - Urteil vom 28. Mai 2010 -
Beschluss vom 20.01.2014 -
BVerwG 3 B 29.13ECLI:DE:BVerwG:2014:200114B3B29.13.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.01.2014 - 3 B 29.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:200114B3B29.13.0]
Beschluss
BVerwG 3 B 29.13
- VG Bremen - 28.05.2010 - AZ: VG 5 K 1274/09
- OVG Bremen - 11.12.2012 - AZ: OVG 1 A 180/10; 1 A 367/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und Rothfuß
beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 11. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens über die Genehmigung von Tierversuchen.
2 Der Kläger leitet die Abteilung für Theoretische Neurobiologie im Institut für Hirnforschung der Universität Bremen und forscht über neuronale Mechanismen komplexer Hirnfunktionen. Hierbei werden Tierversuche mit Makaken (Rhesusaffen) durchgeführt, für die dem Kläger erstmals im Jahr 1998 eine befristete tierschutzrechtliche Genehmigung erteilt wurde. Bei den Versuchen wird die Gehirnaktivität der Tiere mittels in das Gehirn eingeführter Elektroden gemessen. Die Tiere sind während der Versuche in einem sogenannten Primatenstuhl fixiert und haben die Aufgabe, auf bestimmte Zeichen zu reagieren, wofür sie mit Wasser belohnt werden. Das Forschungsvorhaben des Klägers wurde von einer Expertenkommission im Juni 2007 mit dem Ergebnis evaluiert, dass der Forschungsansatz internationales Profil habe und grundlegende Einsichten in kognitive Leistungen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis verschaffe.
3 Mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 lehnte es die Beklagte ab, das Forschungsvorhaben für den Versuchszeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 30. November 2011 weiter zu genehmigen. Die Versuche seien wegen der mit ihnen verbundenen Belastungen der Tiere im Verhältnis zu dem angestrebten Erkenntnisgewinn ethisch nicht vertretbar.
4 Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Genehmigungsantrag neu zu bescheiden. Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Klage wegen des Ablaufs des Versuchszeitraums umgestellt und beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, die beantragte Genehmigung zu erteilen. Diesem Antrag hat das Oberverwaltungsgericht stattgegeben.
5 Das Oberverwaltungsgericht führt aus, der Kläger habe einen Anspruch auf die beantragte Tierversuchsgenehmigung gehabt. Jenseits von Fragen mit spezifischem Wissenschaftsbezug beschränke sich die Überprüfung der Genehmigungsvoraussetzungen nicht auf eine qualifizierte Plausibilitätskontrolle der wissenschaftlich zu begründenden Darlegungen des Klägers, sondern unterliege voller - gerichtlicher - Kontrolle. Das gelte sowohl für die Bewertung der Belastung der Versuchstiere als auch für die Abwägung dieser Belastung mit der Bedeutung des Forschungsvorhabens. Für einen Beurteilungsspielraum der Beklagten sei in diesem Zusammenhang ebenso wenig Raum, wie für ein nach dieser Abwägung verbleibendes Versagungsermessen. Dem Versuchsvorhaben, das der Grundlagenforschung diene, komme nach den Darlegungen des Genehmigungsantrags eine hohe wissenschaftliche Bedeutung zu, was durch verschiedene Stellungnahmen bestätigt werde. Die Belastungen der Tiere seien allenfalls mäßig/mittel. Die Tierversuche seien ethisch vertretbar, denn die Belastungen der Tiere hätten nicht das Gewicht, das es rechtfertige, die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit des Klägers zurückstehen zu lassen.
II
6 Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch leidet das Urteil des Oberverwaltungsgerichts an einem Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
7 1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Rechtsfragen, die sich auf ausgelaufenes Recht beziehen, haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine richtungweisende Klärung für die Zukunft herbeiführen soll. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Fragen auch für die Anwendung der Nachfolgevorschriften offensichtlich in gleicher Weise stellen oder wenn ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 24. Oktober 1994 - BVerwG 9 B 83.94 - DVBl 1995, 568, vom 8. März 2000 - BVerwG 2 B 64.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21 und vom 17. Mai 2004 - BVerwG 1 B 176.03 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 29, jeweils m.w.N.). Einer Frage kommt darüber hinaus kein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf zu, wenn sie sich auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln der Gesetzesauslegung ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228).
8
a) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt die Frage,
„Eröffnet § 8 Abs. 3 TierSchG der zuständigen Behörde ein Versagungsermessen für den Fall, dass die Voraussetzungen aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 TierSchG erfüllt sind?“,
nicht die Zulassung der Revision, denn sie wird mittlerweile durch die aktuelle Fassung des § 8 Abs. 1 Satz 2 TierSchG beantwortet.
9 Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl Nr. L 276 S. 33) hat der Gesetzgeber mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl I S. 2182) die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes über Tierversuche teilweise neu geordnet, angepasst und geändert. Dabei wurde die bisher in § 8 Abs. 3 TierSchG (a.F.) enthaltene Regelung über die Erteilung der tierschutzrechtlichen Genehmigung eines Versuchsvorhabens, die in der Gestaltung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 12. August 1986 (BGBl I S. 1309) bis dahin unverändert gegolten hat, in § 8 Abs. 1 TierSchG neu gefasst. Die bisherige Regelung, nach der die Genehmigung unter näher bestimmten Voraussetzungen erteilt werden „darf“, wurde dahin geändert, dass die Genehmigung zu erteilen „ist“, wenn - unter anderem - wissenschaftlich begründet dargelegt ist, dass die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind (§ 8 Abs. 1, § 7a Abs. 1 und 2 Nr. 3 TierSchG). Die Begründung des Regierungsentwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes enthält lediglich den Hinweis, dass § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG inhaltlich § 8 Abs. 3 Nr. 1 des TierSchG (a.F.) entspreche. Der Gesetzentwurf ging augenscheinlich davon aus, dass mit der geänderten Formulierung keine materielle Rechtsänderung verbunden sei. Diesem Gesetzesverständnis entspricht die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes vom 9. Februar 2000 (BAnz 2000, Nr. 36a), nach der die Genehmigung erteilt wird, wenn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Versuchsvorhabens erfüllt sind (AVV 6.4.2.). Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde diese Frage - soweit ersichtlich - nicht vertieft (vgl. insb. BTDrucks 17/11811, Beschlussempfehlung und Bericht und die dort - S. 22 - genannten Materialien sowie das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung).
10 Mit dem klaren Wortlaut der Gesetzesänderung ist der aufgeworfenen Frage die Grundlage entzogen worden. Die Beklagte stützt sich für ihre Annahme, ihr stehe ein Versagungsermessen zu, darauf, dass nach der außer Kraft getretenen Fassung die Genehmigung erteilt werden „darf“, wenn - unter anderem - die ethische Vertretbarkeit des Tierversuchs wissenschaftlich begründet dargelegt ist (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a, § 7 Abs. 3 Satz 1 TierSchG a.F.). Dieser Wortlaut mochte, wenn man ihm nicht nur die bloße Ermächtigung zur Genehmigungserteilung entnimmt, für sich gesehen dafür sprechen, dass der Beklagten Versagungsermessen eingeräumt war, was nach Einfügung des Staatsziels Tierschutz in Art. 20a GG vereinzelt so erwogen wurde (vgl. Goetschel, in: Kluge (Hrsg.), Tierschutzgesetz, 1. Aufl. 2002, § 8 Rn. 7a). Der Gesetzgeber hat mit der neuen Rechtsfolgeanordnung jedoch klargestellt, dass die Genehmigung ohne Weiteres zu erteilen „ist“, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 TierSchG erfüllt sind.
11
b) Auch mit der Frage,
„Steht der zuständigen Behörde im Rahmen der Prüfung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 lit. a) TierSchG, ob ein beantragter Tierversuch ethisch vertretbar gemäß § 7 Abs. 3 TierSchG ist, eine Befugnis zur administrativen Normkonkretisierung oder ein im Ergebnis vergleichbarer, gerichtlich nur eingeschränkt zu überprüfender Spielraum zu?“,
wird ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.
12 Die Beklagte trägt vor, dem Tierschutzgesetz selbst könne zwar kein behördlicher Beurteilungsspielraum für die Beantwortung der Frage, ob ein Tierversuch ethisch vertretbar sei, entnommen werden. Gleichwohl stehe ihr ein Beurteilungsspielraum aufgrund der Funktionsgrenzen von Verwaltung und Rechtsprechung zu, weil nur die Verwaltung, die hier von gewählten Senatoren geleitet werde, „hinreichend personell demokratisch legitimiert“ sei, die gebotene ethische Abwägung vorzunehmen.
13 Diese Überlegung ist ersichtlich nicht tragfähig. Sie geht bereits daran vorbei, dass der Bund mit dem Tierschutzgesetz von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG umfassend Gebrauch gemacht hat. Der Bremischen Bürgerschaft fehlt es daher an einer Kompetenz, die Zulässigkeit von Tierversuchen jenseits dessen zu regeln, was ihr im Gesetz zugestanden ist. Ihre demokratische Legitimation und eine von ihr abgeleitete demokratische Legitimation der Senatsverwaltung ändert hieran nichts.
14 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbindet sich mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, angefochtene Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig und uneingeschränkt nachzuprüfen. Beruht die angefochtene Entscheidung auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, so ist deren verbindliche Konkretisierung Sache der Gerichte. Ausnahmen hiervon, in denen der Verwaltung Beurteilungsspielräume und damit von Gerichten nicht oder nur eingeschränkt überprüfbare Letztentscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, dürfen der vollziehenden Gewalt nur aufgrund eines Gesetzes eingeräumt werden. Ob ein Spielraum besteht, muss sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein. Wegen der mit ihm verbundenen Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf es stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes (BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 <20 ff.> m.w.N.).
15 Nach diesen Grundsätzen ist die demokratische Legitimation als solche, die allen staatlichen Organen mehr oder weniger unmittelbar zukommt, kein denkbarer Anknüpfungspunkt für die Zuerkennung eines Entscheidungsspielraums der Verwaltung. Nicht die Legitimation des Organs, sondern der aus Besonderheiten einer Materie folgende Sachgrund kann eine Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung rechtfertigen. Einen solchen hat die Beklagte für die Entscheidung nach § 8 TierSchG nicht benannt, er ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere führt es nicht weiter, wenn sie sich darauf beruft, ein behördlicher Entscheidungsspielraum könne, wie das Bundesverfassungsgericht (a.a.O. S. 23) nicht ausgeschlossen habe, ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage von Verfassungs wegen dann zulässig sein, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße. Eine solche Konstellation ist hier offensichtlich nicht gegeben. Die Prüfung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 TierSchG liegt keineswegs außerhalb der Beurteilungsmöglichkeiten von Fachgerichten. Auch soweit dabei eine Kontrolle der Abwägung zwischen dem Gewicht des Versuchszwecks und der ethischen Vertretbarkeit der zu erwartenden Beeinträchtigungen der Tiere (§ 7a Abs. 2 Nr. 3 TierSchG vorgenommen wird, führt dies nicht über die Grenzen hinaus, die Gerichten bei der Rechtsanwendung gezogen sind.
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c) Mit der weiteren Frage,
„Kann die ethische Abwägung der Bedeutung eines Versuchsvorhabens gegen die Belastung der Versuchstiere nach § 7 Abs. 3 TierSchG zugleich konkret und einzelfallbezogen und insbesondere ohne pauschalisierende Betrachtungsweisen durchgeführt werden, während die für die ethische Vertretbarkeit eines Tierversuchs gemäß § 7 Abs. 3 TierSchG relevante Bedeutung eines Versuchsvorhabens der Grundlagenforschung allein anhand ihres abstrakten Erkenntnisgewinns, frei von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen bestimmt wird?“,
möchte die Beklagte die Vereinbarkeit zweier Rechtssätze und insoweit geklärt wissen, wie die ethische Vertretbarkeit von zu erwartenden Schmerzen, Leiden und Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf ein Versuchsvorhaben der Grundlagenforschung zu bestimmen ist.
17 Der im ersten Teil der Frage enthaltene Rechtssatz, den das Oberverwaltungsgericht seiner Abwägung der Belange des Tierschutzes gegenüber den Belangen der Wissenschaft zugrunde gelegt hat, verweist auf die Notwendigkeit, die ethische Vertretbarkeit konkret und einzelfallbezogen zu bestimmen. Er wird von der Beklagten für sich gesehen nicht in Frage gestellt und ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz, so dass insoweit kein selbstständiger rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf gegeben ist.
18 Mit dem im zweiten Teil der Frage formulierten Rechtssatz stellt die Beklagte dem ersten Rechtssatz einen anderen gegenüber, dessen Aussage sie als dazu im Widerspruch empfindet und für unzutreffend hält. Ein von Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen unabhängiger Freiraum führe letztlich dazu, dass alle Tierversuche zu Zwecken der Grundlagenforschung von vornherein als ethisch vertretbar anzusehen seien.
19 Auch insoweit rechtfertigt die Frage nicht die Zulassung der Revision. Soweit ein Rechtssatz, wie ihn die Beklagte im zweiten Satzteil ihrer Frage formuliert und verstanden hat, der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts überhaupt zugrunde liegt, weist die Frage keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf.
20 Zunächst ist nicht zweifelhaft, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Abwägung das konkrete Versuchsvorhaben mit dem diesem beigemessenen Gewicht zugrunde gelegt hat. Das stellt auch die Beschwerdebegründung nicht in Abrede, denn sie referiert zutreffend aus der auf dieses Vorhaben bezogenen konkreten Würdigung der Bedeutung des Forschungsvorhabens durch das Oberverwaltungsgericht. Auch wenn sie lediglich „bei oberflächlicher Betrachtung Tendenzen in Richtung“ ihrer Rechtsauffassung zu erkennen vermag, hat das Oberverwaltungsgericht unter anderem darauf abgestellt, dass die vom Kläger betriebene Forschung grundlegende Einsichten in kognitive Leistungen wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis verschaffe, und hat damit nicht aufgrund eines irgendgearteten abstrakten Erkenntnisgewinns der Grundlagenforschung pauschal Vorrang gegeben. Entsprechend hat das Oberverwaltungsgericht allgemein lediglich ausgeführt, dass bei der Bestimmung der Bedeutung des Versuchsvorhabens sowohl - im Rahmen der anwendungsorientierten Forschung - der praktische Nutzen als auch - im Rahmen der Grundlagenforschung - der abstrakte Erkenntnisgewinn von Belang sein könne. Es hat darauf hingewiesen, dass der Wissenschaftsfreiheit auch der Gedanke zugrunde liege, dass eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen freie Wissenschaft Staat und Gesellschaft am besten diene, und daraus gefolgert, dass auf die Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Wissenschaftszweigs Rücksicht zu nehmen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat damit aber keineswegs gesagt, dass die Bedeutung eines Versuchsvorhabens der Grundlagenforschung in der Abwägung gegenüber dem Tierschutz entkoppelt von einem jedenfalls möglichen Nutzen für die Menschen zu bestimmen sei und damit letztlich stets dem Tierschutz vorgehe. Vielmehr hat es auf der Grundlage der wissenschaftlich begründeten Darlegungen des Klägers und einer entsprechenden Würdigung des Versuchsvorhabens dessen konkrete Bedeutung den Belastungen der Versuchstiere gegenübergestellt. Dass dabei in Fällen der Grundlagenforschung ein mehr oder weniger abstrakt bleibender, zu erwartender Erkenntnisgewinn in die Abwägung einzustellen ist, dessen tatsächlicher Nutzen sich vorweg nicht konkret ausmachen lässt, liegt in der Eigenart der Grundlagenforschung und bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung.
21 2. Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
22 a) Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt, zu mehreren Beweisbehauptungen ein Sachverständigengutachten einzuholen (Beweisantrag 2a). Sie meint, dieser Beweisantrag sei verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden. Insbesondere zu der Behauptung, dass deutliche Beeinträchtigungen des Wohlbefindens der Versuchstiere in vielen Fällen weder durch äußeres Verhalten noch durch messbare physiologische Korrelate feststellbar seien, habe ein Gutachten eingeholt werden müssen (Beweisantrag 2a zur 3. Beweisbehauptung). Die Beweiserhebung hätte erbracht, dass messbare physiologische Korrelate Belastungen der Versuchstiere belegen könnten, aber nicht belegen müssten. Das Berufungsurteil beruhe auf der gegenteiligen Annahme, die nicht Gegenstand eines der vorliegenden Gutachten gewesen sei.
23 Soweit damit ein Verfahrensfehler in der erforderlichen Weise bezeichnet ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), liegt dieser nicht vor.
24 Sind zu einer beweiserheblichen Tatsachenfrage von den Beteiligten Gutachten eingeholt und in das Verfahren eingebracht worden, so ist das Gericht nicht ohne Weiteres verpflichtet, ein zusätzliches Sachverständigengutachten einzuholen. Wird ein hierauf gerichteter Beweisantrag gestellt, so ist über diesen nach pflichtgemäßem Ermessen unter Auswertung der vorliegenden Gutachten zu entscheiden. Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen, weil sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit der Gutachter bestehen, so dass sie nicht geeignet sind, dem Gericht die für die Entscheidung notwendige Sachkunde zu vermitteln (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 und Beschluss vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5). Das zeigt die Beklagte nicht auf.
25 Abgesehen davon, dass sich das Berufungsurteil nicht allein auf physiologische Befunde, sondern auch auf Verhaltensbeobachtungen der Versuchstiere stützt, geht die Beschwerdebegründung daran vorbei, dass sich das Oberverwaltungsgericht näher mit der Frage der Feststellung von Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere auseinandergesetzt hat. Entsprechend der in Bezug genommenen tierschutzrechtlichen Fachliteratur und auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. Bo., Prof. Dr. K. aber auch Prof. Dr. Bu. und Prof. Dr. G. ist es davon ausgegangen, dass diese Parameter eine valide Bewertung der Belastungen erlaubten. Dabei hat es hinsichtlich des Erkenntniswertes der Verhaltensbeobachtung die Aussage von Prof. Dr. G. aufgegriffen, nach dem Makaken mangelndes Wohlergehen verbergen. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu auf die Stellungnahme von Prof. Dr. K. verwiesen, der deshalb entsprechend erfahrenes, kundiges Personal für notwendig erachtet. Darauf geht die Beschwerdebegründung nicht ein. Weshalb das Oberverwaltungsgericht gleichwohl von einer unzureichenden Erkenntnisgrundlage hätte ausgehen müssen, ist dem Senat nicht ersichtlich.
26 b) Weiter macht die Beklagte geltend, das Oberverwaltungsgericht habe das Parteigutachten von Herrn Prof. Dr. K. wie ein gerichtliches Gutachten behandelt und mit der Ablehnung, diesen zu der Behauptung anzuhören, dass auch unter Zugrundelegung seines Ansatzes und seiner Feststellungen die Belastungen eines Teils der Tiere über schlichtes Unbehagen deutlich hinausgingen (Beweisantrag 2b zur 1. Beweisbehauptung), gegen Prozessrecht verstoßen.
27 Erhebt das Gericht Beweis durch Sachverständige, so finden gemäß § 98 VwGO die Vorschriften der §§ 402, 397 ZPO entsprechende Anwendung. Die darin enthaltene Verpflichtung, einen Sachverständigen auf Antrag zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden und anzuhören, findet allerdings - jedenfalls grundsätzlich - nur auf die gerichtliche Beweisaufnahme Anwendung (Beschlüsse vom 21. September 1994 - BVerwG 1 B 131.93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46, vom 3. August 2001 - BVerwG 1 B 63.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 64 und vom 31. Januar 2012 - BVerwG 9 B 58.11 - juris Rn. 4). Geht man ausnahmsweise davon aus, dass die §§ 402, 397 ZPO jedoch dann entsprechend anzuwenden sind, wenn das Gericht seine Entscheidung auf ein von einer Partei eingeholtes und in das Verfahren eingebrachtes Gutachten stützen will (Beschluss vom 29. Mai 2009 - BVerwG 2 B 3.09 - a.a.O.), so führt auch dies hier nicht zu dem geltend gemachten Verfahrensverstoß. Die von der Beklagten beantragte Anhörung bezieht sich auf der Grundlage des von Prof. Dr. K. gewählten Ansatzes und seiner Feststellungen allein auf dessen hieraus abgeleitete Bewertung der Belastungen der Versuchstiere. Das Oberverwaltungsgericht hat auf diese Bewertung jedoch nicht abgestellt, sondern hat in eingehender Auseinandersetzung und Würdigung der Feststellungen der verschiedenen von den Beteiligten eingeholten und in das Verfahren eingebrachten Gutachten - darunter das Gutachten von Prof. Dr. K. - die Belastungen selbst als allenfalls mäßig/mittel eingestuft. Im Übrigen muss ein Anhörungsantrag wenigstens erkennen lassen, inwiefern ein schriftliches Gutachten für erläuterungsbedürftig gehalten wird (Beschlüsse vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 und vom 31. Januar 2012 - BVerwG 9 B 58.11 - a.a.O.). Nachdem Prof. Dr. K. in seinem Gutachten zu den allgemeinen Kriterien einer Belastungsbeurteilung Stellung genommen und seine Bewertung danach aus den vorliegenden Untersuchungsprotokollen und Laboranalysen sowie eigenen Beobachtungen der Versuchstiere gefolgert hat, ist aber auf der Grundlage, dass dessen Ansatz und Feststellungen nicht in Frage gestellt werden, die Erläuterungsbedürftigkeit des Gutachtens nicht ersichtlich.
28 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.