Verfahrensinformation

Der Kläger, ein im April 1975 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich im Revisionsverfahren gegen seine Ausweisung und sein auf drei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.


Der Kläger reiste im Juli 1975 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seine Eltern waren in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seit Dezember 1991 besaß der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt. Seit August 2019 ist er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Er ist Vater von vier Kindern, die deutsche Staatsangehörige sind und die aus anderen Beziehungen stammen.    


Der Kläger wurde zwischen 1996 und 2016 wiederholt strafrechtlich verurteilt. Am 1. Juli 2016 verurteilte das Landgericht Bremen den Kläger wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 4 Monaten. Die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe wurde im November 2019 zur Bewährung ausgesetzt. Im Juni 2018 wies der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen den Kläger aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und verband dies mit einem dreijährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot. Eine mit Ergänzungsbescheid vom Mai 2019 verfügte Abschiebungsandrohung wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem VG Bremen im August 2020 von der Beklagten aufgehoben.


Im Oktober 2019 stellte der Kläger einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Januar 2020 - hinsichtlich der Zuerkennung der Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet – ablehnte. Nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die vom Bundesamt verfügte Abschiebungsandrohung drohte das Bundesamt im Oktober 2020 erneut die Abschiebung in die Türkei an und setzte ein auf 36 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot fest. Ein hiergegen gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde im Januar 2021 abgelehnt.  


Die Klage gegen die Ausweisung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Senator für Inneres der Beklagten als für die angefochtene Verfügung sachlich zuständig und die Ausweisung nebst Einreise- und Aufenthaltsverbot als materiell rechtmäßig angesehen. Das persönliche Verhalten des Klägers stelle gegenwärtig eine so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, dass das öffentliche Aufenthaltsbeendigungsinteresse dessen Interesse an einem weiteren Verbleib in Deutschland überwiege. Ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG bestehe, sei wegen des Asylantrages im Ausweisungsverfahren nicht zu prüfen, mit dem er materiell Gründe für Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz geltend mache. Die Befristungsentscheidung sei rechtsfehlerfrei. 


Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Revision, die das Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen hat, ob und ggf. in welchem Umfang vom Betroffenen geltend gemachte Nachteile im Heimatstaat, die ihrer Art nach objektiv geeignet sind, die Asylberechtigung, Flüchtlingsanerkennung, Gewährung subsidiären Schutzes oder Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG zu begründen, bei der Abwägung im Rahmen des § 53 Absatz 2 AufenthG zu berücksichtigen sind.


Pressemitteilung Nr. 13/2022 vom 16.02.2022

Ausweisungsbezogenes Einreise- und Aufenthaltsverbot bei allein asylrechtlicher Rückkehrentscheidung

Ein an eine Ausweisung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot der Ausländerbehörde kann auch dann mit einer Rückkehrentscheidung einhergehen, wenn lediglich eine in einem Asylverfahren ergangene Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorliegt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 1975 kurz nach seiner Geburt mit seinen Eltern nach Deutschland ein und besaß zuletzt eine Niederlassungserlaubnis. Er ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und zudem Vater von vier Kindern, die deutsche Staatsangehörige sind und aus anderen Beziehungen stammen. Der Kläger wurde zwischen 1996 und 2016 wiederholt strafrechtlich verurteilt, zuletzt im Jahr 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz. Im Juni 2018 wies ihn die beklagte Ausländerbehörde aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und verband dies mit einem dreijährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot. Eine im Mai 2019 verfügte Abschiebungsandrohung wurde nach einem Asylantrag des Klägers von der Beklagten aufgehoben. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Januar 2020 als offensichtlich unbegründet ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei an. Mit seiner Klage gegen die Ausweisung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot machte der Kläger insbesondere geltend, im Rahmen der Abwägung bei der Ausweisung seien die ihm in seinem Heimatstaat drohende Verfolgungsgefahr sowie die ihm drohende Haft, Folter, Misshandlung und politisch motivierte Strafverfolgung nicht berücksichtigt worden.


Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht ging davon aus, dass das persönliche Verhalten des Klägers die Begehung weiterer schwerer Betäubungsmitteldelikte durch diesen erwarten lasse und die Ausweisung verhältnismäßig, weil für ein Grundinteresse der Gesellschaft unerlässlich, sei. Für die Prüfung der geltend gemachten Verfolgungsgefahren in der Türkei sei dabei allein das Bundesamt im Rahmen des Asylverfahrens zuständig. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei ermessensfehlerfrei.


Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Hinsichtlich der Ausweisungsentscheidung bekräftigt er seine jüngere Rechtsprechung, dass in die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen nur solche zielstaatsbezogenen Umstände einzubeziehen sind, die nicht der Prüfung durch das Bundes­amt in einem Asylverfahren vorbehalten sind. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundes­amt noch einen Anspruch auf Doppelprüfung.


Das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich im Ergebnis ebenfalls als rechtmäßig. Aus der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgt, dass auch ein allein an eine Ausweisung geknüpftes Einreise- und Aufenthaltsverbot im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) mit einer Rückkehrentscheidung einhergehen muss. Das Einhergehen setzt voraus, dass im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt objektiv eine Rückkehrentscheidung vorliegt. Eine solche Rückkehrentscheidung kann auch eine im Asylverfahren ergangene Abschiebungsandrohung sein.


BVerwG 1 C 6.21 - Urteil vom 16. Februar 2022

Vorinstanzen:

OVG Bremen, 2 LC 311/20 - Urteil vom 17. Februar 2021 -

VG Bremen, 4 K 1680/18 - Urteil vom 31. August 2020 -


Urteil vom 16.02.2022 -
BVerwG 1 C 6.21ECLI:DE:BVerwG:2022:160222U1C6.21.0

Ausweisungsbezogenes Einreise- und Aufenthaltsverbot bei allein asylrechtlicher Rückkehrentscheidung

Leitsätze:

1. In die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen sind nur solche zielstaatsbezogenen Umstände einzubeziehen, die nicht der Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einem Asylverfahren vorbehalten sind. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2019 - 1 C 30.17 - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 6 Rn. 22) noch einen Anspruch auf Doppelprüfung.

2. Ein an eine Ausweisung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot der Ausländerbehörde kann auch dann mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einhergehen, wenn lediglich eine in einem Asylverfahren ergangene Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorliegt.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 6
    AufenthG § 11 Abs. 1, 2 und 3, § 53 Abs. 1, 2, 3 und 4, § 54 Abs. 1 und 2, § 55 Abs. 1
    AsylG §§ 6, 36 Abs. 3, § 42
    VwGO § 114
    GRC Art. 7
    EMRK Art. 8 Abs. 1
    Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 Art. 7 und 13
    RL 2008/115/EG Art. 3, 6 und 11
    RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 6 und 8

  • VG Bremen - 31.08.2020 - AZ: VG 4 K 1680/18
    OVG Bremen - 17.02.2021 - AZ: OVG 2 LC 311/20

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:160222U1C6.21.0]

Urteil

BVerwG 1 C 6.21

  • VG Bremen - 31.08.2020 - AZ: VG 4 K 1680/18
  • OVG Bremen - 17.02.2021 - AZ: OVG 2 LC 311/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dollinger,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 17. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland und ein auf drei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.

2 Der im April 1975 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli desselben Jahres zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seine Mutter war mindestens von September 1978 bis März 1984 als Arbeitnehmerin ordnungsgemäß auf dem regulären deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt. Seine Mutter und seine vier älteren Geschwister leben in Deutschland. Der Vater ist verstorben. Seit seiner Kindheit leidet der Kläger an Mittelmeeranämie, aufgrund derer das Versorgungsamt Bremen einen Grad der Behinderung von 30 Prozent ab dem 30. Mai 2001 bescheinigt hat. Der Kläger besuchte in Deutschland die Schule bis zur 10. Klasse. Einen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzt er nicht. Zeitweise bezog er Arbeitslosengeld II, zeitweise war er - zum Teil geringfügig - berufstätig. Seit Dezember 1991 besaß der Kläger einen unbefristeten Aufenthaltstitel, der ab Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortbestand.

3 Der Kläger ist Vater von vier Kindern, die deutsche Staatsangehörige sind und die aus anderen Beziehungen stammen. Zu den beiden Ältesten hat er seit langem keinen Kontakt mehr. Mit einer anderen Frau hat der Kläger zwei in den Jahren 2014 und 2019 geborene Töchter. Die 2014 geborene Tochter ist seit ihrem zweiten Lebensjahr in Pflegefamilien oder Einrichtungen untergebracht. Für die jüngste Tochter hat der Kläger gemeinsam mit der Kindesmutter das Sorgerecht, mit der er sich zuletzt außergerichtlich auf einen Umgang mit der Tochter verständigt hat, der begleitet und unter Aufsicht des Jugendamts zweimal im Monat stattgefunden hat. Seit 2010 ist der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen liiert, die er 2019 in der Haft geheiratet und mit der er seit der Haftentlassung im November 2019 zusammengelebt hat.

4 Der Kläger wurde zwischen 1996 und 2016 achtmal zu Geldstrafen und siebenmal zu Freiheitsstrafen, von denen sechs zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wurden, verurteilt. Zuletzt verurteilte das Landgericht Bremen den Kläger am 1. Juli 2016 wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten. Seine Ehefrau wurde als Gehilfin zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Nachdem sich der Kläger zunächst in Untersuchungshaft befunden hatte, verbüßte er bis November 2019 die Freiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil. Die Vollstreckung des Strafrests wurde zur Bewährung ausgesetzt.

5 Nach Anhörung des Klägers durch das Migrationsamt der Beklagten im Juli 2017 und Mitteilung der Zuständigkeitsübernahme durch den Senator für Inneres der Beklagten Ende Mai 2018 wies dieser den Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 2018 für die Dauer von drei Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziff. 1). Zudem wurde festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis erloschen ist (Ziff. 2). Zur Begründung führte der Senator für Inneres im Wesentlichen aus, dass das persönliche Verhalten des Klägers, insbesondere mit Blick auf die der strafrechtlichen Verurteilung vom 1. Juli 2016 zugrundeliegende Anlasstat, gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Nach der auf spezialpräventiven Gesichtspunkten abzustellenden Gefährdungsprognose bestehe angesichts seiner umfangreichen strafrechtlichen Vita, der Art und Schwere seiner bisherigen Rechtsverstöße und der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe, seiner Verwurzelung im Betäubungsmittelmilieu sowie seiner Persönlichkeitsstruktur, seines Vollzugsverhaltens und seiner Sozialprognose die begründete Annahme, dass der Kläger auch zukünftig die öffentliche Ordnung durch einschlägige Straftaten gefährden und in schützenswerte Rechtsgüter eingreifen werde. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte überwiege das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers dessen persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots seien in die Ermessensentscheidung einerseits die vom Kläger ausgehende Gefahr, andererseits dessen persönlichen Belange wie seine Aufenthaltsberechtigung als assoziationsberechtigter türkischer Staatsbürger, seine Stellung als faktischer Inländer und seine privaten Beziehungen zu seinen Familienangehörigen berücksichtigt worden.

6 Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, die Beklagte habe seine Rechtsposition als assoziationsberechtigter türkischer Staatsbürger sowie seine chronische Erkrankung an Mittelmeeranämie nicht hinreichend berücksichtigt. Er sei in Deutschland auf den Beistand seiner hier lebenden Angehörigen angewiesen. Zudem lägen Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG hinsichtlich der Türkei vor.

7 Nachdem der Senator für Inneres der Beklagten dem Kläger mit Ergänzungsbescheid vom 27. Mai 2019 die Abschiebung in die Türkei angedroht sowie die sofortige Vollziehung von Ausweisung und Abschiebungsandrohung angeordnet hatte, hat der Kläger die Klage zunächst auf diesen Bescheid erweitert. Der gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung und Abschiebungsandrohung gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist erstinstanzlich mit Beschluss vom 16. Oktober 2019 abgelehnt worden. Mit Beschluss vom 23. Februar 2021 hat das Oberverwaltungsgericht die hiergegen gerichtete Beschwerde zwischenzeitlich zurückgewiesen.

8 Am 22. Oktober 2019 hat der Kläger einen Asylantrag gestellt, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) mit Bescheid vom 2. Januar 2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Nachdem das Verwaltungsgericht aufgrund eines diesbezüglichen Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 11. Mai 2020 die aufschiebende Wirkung angeordnet hatte, da die in der Abschiebungsandrohung verfügte Ausreisefrist gegen Unionsrecht verstoße, erließ das Bundesamt mit Bescheid vom 30. Oktober 2020 eine neue Abschiebungsandrohung und ein neues auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Auch hiergegen hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Der hiergegen gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss vom 19. Januar 2021 abgelehnt.

9 Mit Schreiben vom 21. August 2020 hat die Beklagte ihr Vorbringen im Klageverfahren die Ausweisung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot betreffend dahingehend ergänzt, dass das Ausweisungsinteresse überwiege, auch wenn nunmehr durch die Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vorliege. Zudem begründe die Geburt des jüngsten Kindes nicht die Verkürzung der streitgegenständlichen Befristungsentscheidung.

10 Mit Urteil vom 31. August 2020 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren nach Aufhebung der im Ergänzungsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2019 verfügten Abschiebungsandrohung und übereinstimmender Erledigungserklärung insoweit eingestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

11 Im Berufungsverfahren hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte hat im Wesentlichen auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

12 Mit Urteil vom 17. Februar 2021 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ausweisung des Klägers für die Dauer von drei Jahren sei formell und materiell rechtmäßig. Es bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut bewaffneten Handel mit Heroin oder Kokain in nicht geringer Menge treiben werde. Die Ausweisung sei für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich. Die Interessenabwägung gehe unter Berücksichtigung der bestehenden hohen Rückfallwahrscheinlichkeit einerseits und der privaten Bleibeinteressen des Klägers wie seiner Vaterschaft, der Beziehung zu seiner deutschen Ehefrau, seiner Erkrankung, der Beziehungen zu seiner Mutter und zu seinen Geschwistern, seiner Stellung als faktischer Inländer und den Herausforderungen bei der Reintegration in der Türkei andererseits zulasten des Klägers aus. Ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG bestehe, weil dem Kläger in der Türkei Folter und/oder Inhaftierung wegen einer ihm unterstellten Nähe zur PKK drohe, könne im Ausweisungsverfahren nicht geprüft werden. Materiell mache der Kläger Gründe für eine Asylanerkennung, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz geltend. Aber selbst für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG wäre zwischenzeitlich nach § 24 Abs. 2 AsylG das Bundesamt zuständig, denn der Kläger habe im Oktober 2019 einen Asylantrag gestellt. Vorliegend sei es auch nicht sinnvoll möglich, den Vortrag des Klägers zu drohender Verhaftung und Misshandlung durch Sicherheitskräfte in der Türkei unter der Prämisse in die ausweisungsrechtliche Abwägung einzustellen, dass sie nicht die Schwelle eines Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG erreichen würden und bloße Reintegrationsschwierigkeiten darstellen könnten. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Jahre sei nicht zu beanstanden, insbesondere habe die Beklagte ihre Ermessenserwägungen nach der Geburt der jüngsten Tochter ergänzt.

13 Mit seiner Revision rügt der Kläger, das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts verstoße gegen die §§ 53 ff. AufenthG sowie gegen Art. 8 EMRK, da bei der Abwägung die dem Kläger in seinem Heimatstaat drohende Verfolgungsgefahr, die drohende Haft, Folter und Misshandlung sowie die drohende politisch motivierte Strafverfolgung nicht berücksichtigt worden seien. Er habe als kurdischer Volkszugehöriger an diversen prokurdischen Veranstaltungen und Demonstrationen mitgewirkt. Darüber hinaus sei er ins Visier der türkischen Sicherheitskräfte geraten, weil sein Pass bei einem verstorbenen kurdischen Kämpfer gefunden worden sei. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten und des Auffindens seines Passes bei einem Terroristen würde der Kläger von türkischen Sicherheitskräften als Unterstützer der PKK und anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen. Diese dem Kläger in der Türkei drohenden Gefahren begründeten ein besonders hohes Bleibeinteresse, das das Berufungsgericht in seinen Abwägungsvorgang bei der Ausweisung hätte einbeziehen und aufgrund dessen es hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass das Bleibeinteresse das Ausweisungsinteresse überwiege. Das angefochtene Urteil verstoße auch gegen § 11 AufenthG, da die Beklagte bei der Bemessung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots dieses besondere Bleibeinteresse aus der ihm in der Türkei drohenden Verfolgung in die Ermessenserwägungen hätte einstellen müssen.

14 Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

15 Zwischenzeitlich hat die Beklagte den Kläger in die Türkei abgeschoben.

16 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er unterstützt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und der Beklagten.

II

17 Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Ausweisung, die (deklaratorische) Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis sowie das auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

18 1. Die Klage ist zulässig. Sie ist nicht nur bezogen auf die Ausweisung und die Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 5 AufenthG, die vom Aufhebungsbegehren mit umfasst ist, sondern auch bezüglich des mit der Ausweisungsentscheidung und deren Befristung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (in diesem Sinne bereits BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 42; ferner BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - NVwZ 2021, 1842 Rn. 10).

19 Die Befristung eines in § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung noch vorgesehenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, das mit der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98, nachfolgend RL 2008/115/EG) so nicht vereinbar war (vgl. zur Anwendbarkeit der RL 2008/115/EG auf sogenannte nichtmigrationsbedingte Einreiseverbote wegen einer Ausweisung infolge einer strafrechtlichen Verurteilung auch BVerwG, Beschlüsse vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 Rn. 29 ff. und vom 6. Mai 2020 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 114 Rn. 2 ff.), ist nach der Rechtsprechung des Senats unionsrechtskonform regelmäßig als konstitutiver Erlass eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer auszulegen (BVerwG, Urteile vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 42 und vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - BVerwGE 162, 382 Rn. 28; ferner BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 5 Rn. 72). Damit handelt es sich um einen einheitlichen, auch in sich nicht teilbaren belastenden Verwaltungsakt (BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - NVwZ 2021, 1842 Rn. 10; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 6. Mai 2020 - 13 LB 190/19 - juris Rn. 54 und Beschluss vom 18. März 2021 - 8 ME 146/20 - InfAuslR 2021, 238 <239>; ferner Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 36 VwVfG Rn. 38), der mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Ein Ermessensfehler bei der Befristung führt zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots insgesamt.

20 2. Die Klage ist indessen nicht begründet. Das Berufungsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche Ausweisung, die (deklaratorische) Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig sind.

21 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis sowie des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch den am 15. Juli 2021 in Kraft getretenen Art. 9 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters vom 9. Juli 2021 (BGBl. I S. 2467) - AsylG - zugrunde zu legen.

22 2.1 Die angefochtene Verfügung vom 27. Juni 2018 ist formell rechtmäßig, insbesondere war der Senator für Inneres der Beklagten nach § 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 4 der Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden nach dem Aufenthaltsgesetz vom 28. November 2017 (Brem.GBl. S. 581) i.V.m. § 79 Abs. 3 BremPolG (a.F.) und dem wortgleichen § 141 Abs. 3 BremPolG in der am 8. Dezember 2020 in Kraft getretenen aktuellen Fassung des Gesetzes vom 24. November 2020 (Brem.GBl. S. 1486, 1568) für ihren Erlass zuständig (näher hierzu BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - juris Rn. 18 ff.).

23 2.2 Die angefochtene Verfügung vom 27. Juni 2018 ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

24 2.2.1 Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge betreiben wird (a). Zudem ist die Ausweisung auch für ein Grundinteresse der Gesellschaft unerlässlich (b). Dass die Ausweisung nicht unter einer Bedingung verfügt worden ist, steht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ebenso wenig entgegen (c) wie die Tatsache, dass jedenfalls eine ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts nicht gegeben war (d).

25 Da das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise und im Einklang mit den rechtlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die von der Beklagten auch nicht angegriffen worden sind, davon ausgegangen ist, dass dem Kläger nach Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (nachfolgend ARB 1/80) ein Aufenthaltsrecht zusteht bzw. zustand, findet die Ausweisung ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Maßstäbe, die der rechtlichen Beurteilung der hier streitgegenständlichen Ausweisung zugrunde zu legen sind, sind in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt (vgl. grundlegend Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 20 ff.; ferner Urteile vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 15 und vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 17).

26 Nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung setzt nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Die Abwägung erfolgt dabei nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54 und 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

27 § 53 Abs. 3 AufenthG ergänzt den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG und legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für die dort bezeichneten rechtlich privilegierten Personengruppen fest, unter anderem für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Eine solche Person darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (zur Auslegung des § 53 Abs. 3 AufenthG s.a. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 46 und 57, vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 23 und vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 32). Nach diesen Grundsätzen, an denen der Senat auch nach neuerlicher Prüfung und unter Berücksichtigung der zum 21. August 2019 geänderten Fassung des § 53 Abs. 3 AufenthG festhält, modifiziert diese Regelung den allgemeinen Prüfungsmaßstab des § 53 Abs. 1 AufenthG, ändert aber im Übrigen nichts an der durch diese Grundnorm vorgegebenen Prüfungsstruktur. Insbesondere sind bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Lichte des spezifischen Prüfungsmaßstabs des § 53 Abs. 3 AufenthG auch die §§ 54 und 55 AufenthG anzuwenden (BT-Drs. 18/4097 S. 50; vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 36 ff. und 57 ff. und vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 14 ff. und 30; dem folgend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juli 2020 - 11 N 24.18 - juris Rn. 15; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 13. Mai 2016 - 10 ZB 15.492 - Asylmagazin 2016, 223; OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Juli 2018 - 13 LB 44/17 - BeckRS 2018, 46529 Rn. 36 ff.; a.A. OVG Münster, Urteil vom 12. Juli 2017 - 18 A 2735/15 - juris Rn. 40 ff.).

28 a) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine gegenwärtige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Maßstab verweist - im Unterschied zu dem Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz. Erfasst sind nur solche Rechtsnormen und Schutzgüter, die ein Grundinteresse der Gesellschaft verkörpern. Dabei ist das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit nicht gleichbedeutend mit einer "gegenwärtigen Gefahr" im Sinne des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts. Der Eintritt eines Schadens muss nicht sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten sein. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erheblich beeinträchtigen wird. Die Beurteilung, ob Art und Schwere des persönlichen Verhaltens des Drittstaatsangehörigen die Annahme einer Gefahr neuerlicher erheblicher Verfehlungen begründen, bedingt dabei stets eine unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Betroffenen und eine daran anknüpfende aktuelle Gefährdungsprognose (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <304 ff.>).

29 Das Berufungsgericht ist hiernach in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut bewaffneten Handel mit Heroin und Kokain in nicht geringer Menge treiben wird, ausgegangen. Dabei hat das Berufungsgericht die Anlasstat, nämlich die strafrechtliche Verurteilung vom 1. Juli 2016 zu sechs Jahren und vier Monaten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen gewürdigt, insbesondere die erhebliche Menge an Drogen, mit der der Kläger gehandelt hat. Zudem hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der seiner Entscheidung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Umstände der Begehung dieser Straftaten, insbesondere die dort gezeigte hohe kriminelle Energie und Hartnäckigkeit, die lange kriminelle Karriere des Klägers über einen Zeitraum von 17 Jahren vor den Anlasstaten, in denen er zu acht Geldstrafen und sechs Freiheitsstrafen verurteilt worden ist, die erneute Begehung immer schwerwiegenderer Straftaten durch den Kläger jeweils nach Ablauf der Bewährungszeiten, die beiden einschlägigen vorherigen Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten, seine Verwurzelung im Drogenmilieu seiner Heimatstadt sowie die vom Kläger weiterhin teilweise gezeigte Bagatellisierung seiner Straftaten ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das die Prognose rechtfertigt, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut bewaffneten Handel mit Heroin und Kokain treiben wird. Die strafrechtlichen Verurteilungen sind gemäß § 47 BZRG im Bundeszentralregister noch nicht getilgt oder zu tilgen. An der Prognose einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit habe sich auch unter Berücksichtigung des insgesamt guten Vollzugsverhaltens des Klägers sowie seiner familiären Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts nichts geändert, zumal er bereits mehrfach Hafterfahrung gesammelt habe und auch die den Anlasstaten zugrundeliegenden Umstände mit der jetzigen Situation vergleichbar seien. Zudem hat sich das Berufungsgericht ausführlich damit auseinandergesetzt, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 die Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 21; zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 2. September 2009 - 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 18 und vom 15. Januar 2013 - 1 C 10.12 - Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 16 Rn. 18), auf die das Berufungsgericht zu Recht hinweist, haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus. Bei fortbestehenden konkreten Gefahren für höchste Rechtsgüter kommt eine Abweichung von der strafrechtlichen Legalprognose auch bei einer im Wesentlichen vergleichbaren Tatsachengrundlage in Betracht, ohne dass es insoweit der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens bedarf (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 24). Hiervon ist das Berufungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgegangen und hat sich ausführlich mit dem von der Strafvollstreckungskammer eingeholten Prognosegutachten befasst, das sich für das Berufungsgericht in wesentlichen Teilen als nicht nachvollziehbar dargestellt hat, was im Detail ausgeführt wird; an diese tatrichterliche Würdigung, auf die hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen werden kann (UA S. 17 ff.), ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden; der Kläger hat sich dagegen auch nicht substantiiert gewandt und namentlich keine Verfahrensrüge erhoben.

30 Die Schwere dieser Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ergibt sich schließlich auch aus der vom Berufungsgericht zu Recht hervorgehobenen Art der Straftaten und der (auch) unionsrechtlichen Bewertung, denn nach Art. 83 AEUV zählt der illegale Drogenhandel zur besonders schweren Kriminalität (vgl. auch EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - C-145/09 [ECLI:​EU:​C:​2010:​708], Tsakouridis - Rn. 46 f.).

31 Anhaltspunkte für einen Verbrauch des Ausweisungsinteresses durch Verzicht der Ausländerbehörde liegen nicht vor. Zwar ist der Kläger diverse Male verwarnt worden, ohne dass es zu einer Ausweisung gekommen ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist dem Kläger unter anderem im Jahr 2003 und zuletzt 2007 mitgeteilt worden, dass wegen seines langen Aufenthalts in Deutschland von einer Ausweisung abgesehen werde, diese aber umgehend erfolgen würde, falls er wieder straffällig werde. Selbst wenn hierin ein (zeitweiliger) Verzicht auf die Ausweisung gelegen hätte, hat sich anschließend die maßgebliche Sach- und Rechtslage geändert, in dem der Kläger weiter und noch schwerwiegender strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wodurch ein möglicherweise zunächst geschaffener Vertrauenstatbestand wieder beseitigt worden wäre. Denn ein Vertrauenstatbestand steht unter dem Vorbehalt, dass sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage nicht ändert, was auch in der jeweiligen Warnung der Ausländerbehörde vor einer erneuten Straffälligkeit deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Die neuerliche Begehung einer Straftat oder ein sonstiger Umstand, der das Ausweisungsinteresse erhöht, führt dazu, dass auch von einem möglichen Verbrauch erfasste frühere Sachverhalte wieder in die Gefahrenbeurteilung einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. November 1999 - 1 C 11.99 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG Nr. 19 und vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313 f.>).

32 b) Das Berufungsgericht ist zudem im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegangen, dass die Ausweisung für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Der Begriff der Unerlässlichkeit ist nicht im Sinne einer "ultima ratio" zu verstehen, sondern bringt zum Ausdruck, dass der Ausweisungsentscheidung eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit zugrunde liegen muss (vgl. VGH München, Beschluss vom 27. September 2019 - 10 ZB 19.17 81 - BeckRS 2019, 27461 Rn. 7).

33 aa) Das Berufungsgericht hat das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers gegen seine Bleibeinteressen gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt. Das Berufungsgericht hat insbesondere zutreffend erkannt, dass der Kläger mit Blick auf seine Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Zudem besteht auch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG. Dabei hat das Berufungsgericht die nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR<GK>, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner - Rn. 57 ff.) zu berücksichtigenden Kriterien aufgeführt, die in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen sind, um die Ausweisung als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen. Nach dieser Rechtsprechung sind insbesondere die Art und Schwere der begangenen Straftat, die seither vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, die familiäre Situation, die Kenntnis des Partners von der Straftat bei der Begründung der Beziehung, das Interesse und das Wohl eventueller Kinder, insbesondere deren Alter, der Umfang der Schwierigkeiten, auf die Kinder oder der Partner im Heimatland des Ausländers treffen würden, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Aufenthaltsstaat, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen des Ausländers zum Gastland sowie zum Bestimmungsland zu berücksichtigen. Hiermit korrespondieren die - nicht abschließend aufgeführten - Kriterien des § 53 Abs. 2 AufenthG, nach dem bei der Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen sind. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die dem öffentlichen Interesse an der Ausweisung gegenüberstehenden besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie bestimmt. Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist und er mit seiner deutschen Ehefrau in familiärer Lebensgemeinschaft lebt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Berufungsgericht die familiären Bindungen des Klägers im Sinne des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu seinen beiden jüngsten Kindern, zu seiner deutschen Ehefrau sowie zu seiner in Deutschland lebenden Mutter und seinen Geschwistern umfassend gewürdigt. Zudem befasst sich das Berufungsgericht detailliert mit der Stellung des Klägers als "faktischer" Inländer, der nahezu sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht hat. Diese Personen genießen zwar keinen absoluten Ausweisungsschutz (EGMR<GK>, Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99 - Rn. 57 ff.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 19), und ihre Ausweisung ist nicht von vornherein unzulässig. Es ist aber der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 19 und vom 25. August 2020 - 2 BvR 640/20 - InfAuslR 2020, 424 Rn. 24). Bei eng mit Deutschland verwurzelten "faktischen" Inländern bedarf es hiernach einer besonders sorgfältigen Prüfung und Erfassung der individuellen Lebensumstände eines Ausländers, seiner Verwurzelung in Deutschland einerseits und seiner Entwurzelung im Herkunftsland andererseits (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 19). Das Berufungsgericht setzt sich in diesem Zusammenhang auch ausführlich mit der Möglichkeit der Integration des Klägers in der Türkei auseinander. Hierbei berücksichtigt es, dass dem Kläger die Türkei nur aus früheren Familienurlauben bekannt ist und dass ihm seine gesundheitlichen Einschränkungen eine Arbeitsaufnahme in der Türkei erschweren werden. Auf der anderen Seite würdigt das Berufungsgericht seine vorhandenen türkischen Sprachkenntnisse sowie die (bestehende) Möglichkeit des Klägers, in der Türkei Sozialleistungen sowie die gegebene finanzielle Unterstützung des Klägers durch Mutter und Schwester in Anspruch zu nehmen. Auch die Erkrankungen des Klägers bezieht das Berufungsgericht mit ein, aufgrund derer der Kläger aber in einer Gesamtschau keine besonderen Schwierigkeiten in der Türkei zu erwarten habe, insbesondere könnten dort die von ihm gelegentlich eingenommenen Schmerzmittel bezogen werden. Die Behandlung der vom Kläger geltend gemachten psychischen Erkrankungen sei in der Türkei ebenfalls möglich; seit dem 1. Januar 2012 seien alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei, also auch der Kläger, obligatorisch krankenversichert. Das Berufungsgericht hat sich auch im Rahmen der Interessenabwägung ausführlich mit der Aussetzung des Strafrests zur Bewährung durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts befasst.

34 bb) Hingegen können die vom Kläger geltend gemachten Gefahren im Herkunftsstaat, die - sollten sie zutreffen - die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung und bei der freizügigkeitsrechtlichen Verlustfeststellung im Rahmen der Ermessensentscheidung jedenfalls insoweit nicht berücksichtigt werden, als für das Abschiebungsverbot eine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts besteht und dieses ein solches Verbot bislang nicht festgestellt bzw. hier sogar ausdrücklich verneint hat. Dies gilt insbesondere für zielstaatsbezogene Gefahren, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu begründen. Denn nach der - vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten - Rechtsprechung des Senats ist ein Ausländer mit einem Asylbegehren, das nach § 13 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) seit dem 1. Dezember 2013 auch das Begehren auf subsidiären Schutz umfasst, hinsichtlich aller zielstaatsbezogenen Schutzersuchen und Schutzformen auf das Asylverfahren zu verweisen; er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Februar 2019 - 1 C 30.17 - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 6 Rn. 22 und vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - juris Rn. 52 f.) und auch keinen Anspruch auf eine Doppelprüfung. Ein Ausländer ist daher nach aktueller Rechtslage schon dann - gemäß § 24 Abs. 2 AsylG auch hinsichtlich nationaler Abschiebungsverbote - zwingend auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen, wenn er sich auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, subsidiären Schutz zu begründen. Hat er bereits (erfolglos) ein Asylverfahren durchgeführt, ist unabhängig davon die Ausländerbehörde zudem nach § 6 Satz 1 und § 42 Satz 1 AsylG an die in jenem Verfahren (zuletzt) getroffene Entscheidung des Bundesamts oder des Verwaltungsgerichts gebunden. Diese Bindungswirkung kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch negativen Entscheidungen des Bundesamts zu (BVerwG, Urteile vom 7. September 1999 - 1 C 6.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 20, vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 <80 f.>, vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192 Rn. 12 und vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - juris Rn. 52 f.). Auch bedarf es für die Bindungswirkung nach § 6 AsylG, nach der die Entscheidung über den Asylantrag in allen Angelegenheiten verbindlich ist, in denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung des internationalen Schutzes rechtserheblich ist, keiner Bestandskraft. Die Bindungswirkung gilt auch für noch nicht bestandskräftige, aber sofort vollziehbare Bescheide, die auch im Falle ihrer Anfechtung jedenfalls vorläufig als verbindlich gelten (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 6 AsylG Rn. 9; Preisner, in: BeckOK, Ausländerrecht, 32. Edition, Stand Oktober 2021, § 6 AsylG Rn. 6; Oubensalh, in: Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/Asylgesetz, 3. Aufl. 2021, § 6 AsylG Rn. 13). Gleiches gilt auch für die Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylG bezogen auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auf. 2020, § 42 AsylG Rn. 3; zum Ganzen Funke-Kaiser, in: GK-Asyl, Stand August 2021, § 42 AsylG Rn. 21 ff.). Auch bei nachträglicher erheblicher Änderung der Sachlage ist ausschließlich das Bundesamt zur Korrektur seiner einmal getroffenen Feststellung befugt und zwar unabhängig von dem Zeitraum, der seit der Erstentscheidung des Bundesamts verstrichen ist (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - juris Rn. 53). Die Ausländerbehörde ist deshalb im Ausweisungsverfahren - wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen ist - an die sofort vollziehbare Entscheidung des Bundesamts, das den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet abgelehnt und auch ein Abschiebungsverbot verneint hat, gebunden.

35 cc) Zu Recht hat das Berufungsgericht indessen drohende Beeinträchtigungen von Belangen des Ausländers im Herkunftsstaat geprüft, die keinen strikten verfassungs- oder völkerrechtlichen Schutz in dem Sinne genießen, dass die deutschen Behörden unter allen Umständen verpflichtet wären, den Ausländer durch Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor ihrem Eintritt zu bewahren. Dies sind solche Nachteile, die das Gewicht eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nicht erreichen, aber gleichwohl so erheblich sind, dass sie sich auf die durch Art. 7 GRC und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Belange des Ausländers auswirken können (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - juris Rn. 50 ff. m.w.N.). Das Berufungsgericht ist hier rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht möglich ist, die vom Kläger geltend gemachten Gefahren einer drohenden Verhaftung und Misshandlung durch Sicherheitskräfte in der Türkei - sollten sie tatsächlich bestehen - in rechtlicher Hinsicht als unterhalb der Schwelle des § 60 AufenthG und damit als bloße Reintegrationsschwierigkeiten zu betrachten. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Reintegrationsmöglichkeiten und -schwierigkeiten des Klägers in der Türkei umfassend gewürdigt.

36 Ohne Erfolg bleibt in diesem Zusammenhang auch der - erstmals unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 16. Dezember 2021 - 1 C 60.20 - (juris Rn. 55) - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Einwand des Klägers, ihm drohe wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit eine erneute Strafverfolgung und langjährige Freiheitsstrafe in der Türkei wegen seiner in Deutschland abgeurteilten Betäubungsmitteldelikte und damit eine Doppelbestrafung, die sich auf sein Recht auf Privat- und Familienleben auswirken würde. Das Berufungsgericht hat die dem Kläger in der Türkei möglicherweise drohenden Nachteile unterhalb der Schwelle einer politischen Verfolgung geprüft, hat aber zu der jetzt behaupteten Gefahr einer Doppelbestrafung keine tatrichterlichen Feststellungen getroffen. Da der Kläger selbst einen Türkeibezug hinsichtlich der von ihm verübten Betäubungsmitteldelikte nicht behauptet, bestand hierzu auch keine Veranlassung.

37 c) Das Berufungsgericht ist des Weiteren im Einklang mit Bundesrecht davon ausgegangen, dass das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren der Ausweisung nicht entgegensteht. Gemäß § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von dieser Bedingung wird nach Satz 2 abgesehen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3 eine Ausweisung rechtfertigt (Nr. 1) oder eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist (Nr. 2). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 2. Januar 2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht zuletzt mit Beschluss vom 19. Januar 2021 abgelehnt. Damit liegt im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eine vollziehbare Abschiebungsandrohung nach den Vorschriften des Asylgesetzes vor, so dass hier - wovon auch das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen ist - die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt sind.

38 Die Vorschrift begegnet auch keinen durchgreifenden unionsrechtlichen Bedenken. Unionsrechtlich haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 [ECLI:​EU:​C:​2018:​465], Gnandi - Rn. 61). Das in dem Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gründende Gebot, alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen, findet auch Anwendung auf einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag auf internationalen Schutz im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60, nachfolgend RL 2013/32/EU) als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG trägt diesen Anforderungen Rechnung, da hiernach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht zulässig ist. Dies korrespondiert auch mit Art. 46 Abs. 6 Buchst. a RL 2013/32/EU, der als Ausnahme zu dem in seinem Absatz 5 aufgestellten Grundsatz des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf u.a. bei offensichtlich unbegründeten Asylanträgen eine Modifizierung dahingehend erlaubt, dass lediglich der Ausgang des Eilverfahrens abzuwarten ist, wenn der Mitgliedstaat ein Recht auf Verbleib in diesen Fällen nicht gewährt hat (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 15. April 2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 100 und 101). Nach Art. 46 Abs. 8 RL 2013/32/EU hat der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren zu gestatten, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben; bis zu einer solchen Entscheidung sind alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 61 und Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU [ECLI:​EU:​C:​2018:​544] - Rn. 50 ff.).

39 d) Der Ausweisung steht vorliegend auch nicht entgegen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts jedenfalls eine ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der RL 2008/115/EG nicht vorgelegen hat.

40 Nach der Rechtsprechung des Senats lässt das Nichtergehen oder die Aufhebung einer Rückkehrentscheidung die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung unberührt (BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 - BVerwGE 165, 331 Rn. 10 ff. und Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100; so auch Bauer/Hoppe, Urteilsanmerkung, NVwZ 2021, 1207 <1210 f.). Zwar ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG, dass die Mitgliedstaaten unbeschadet der Ausnahmen nach den Abs. 2 bis 5 verpflichtet sind, gegen alle in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Folglich muss ein Mitgliedstaat, wenn er mit einem Drittstaatsangehörigen befasst ist, der sich in seinem Hoheitsgebiet befindet und nicht oder nicht mehr über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, nach den einschlägigen Bestimmungen ermitteln, ob diesem Drittstaatsangehörigen ein neuer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Ist dies nicht der Fall, ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, gegen diesen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, die gemäß Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG mit einem Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der RL 2008/115/EG einhergehen kann oder muss. Folglich läuft es sowohl dem Gegenstand Richtlinie 2008/115/EG, wie er in deren Art. 1 angeführt ist, als auch dem Wortlaut des Art. 6 RL 2008/115/EG zuwider, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies gilt auch für Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung (mehr) besteht. Es ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 2008/115/EG, dass dieser Umstand es nicht rechtfertigt, in einer solchen Situation keine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, sondern seine Abschiebung in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​432], BZ - Rn. 55 ff.).

41 Aus der Pflicht zum Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen alle sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhaltenden Drittstaatsangehörigen kann nicht geschlussfolgert werden, dass ein erst späterer Erlass einer Rückkehrentscheidung oder eine nachträgliche Aufhebung einer zuvor erlassenen Rückkehrentscheidung die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Ausweisung berührt. Denn die Ausweisung, die selbst keine Rückkehrentscheidung darstellt (BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 Rn. 30, vgl. hierzu auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Vorbemerkung §§ 53-56 Rn. 29), unterfällt bereits nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG, ihre Voraussetzungen werden daher nicht durch die Richtlinie 2008/115/EG bestimmt (so auch Bauer/Hoppe, Urteilsanmerkung, NVwZ 2021, 1207 <1210 f.>). Der Gerichtshof der Europäischen Union geht selbst davon aus, dass die Richtlinie 2008/115/EG nicht zum Ziel hat, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-290/14 [ECLI:​EU:​C:​2015:​640], Celaj - Rn. 20). Die mit der Richtlinie 2008/115/EG geschaffenen gemeinsamen Normen und Verfahren beziehen sich nämlich nur auf den Erlass von Rückkehrentscheidungen und deren Vollstreckung (EuGH, Urteil vom 24. Februar 2021 - C-673/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​127], M. u.a. - Rn. 43). Zudem ist dem europäischen Recht und auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht zu entnehmen, dass die Abschiebungsandrohung, die als Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG anzusehen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 Rn. 30 ff. und vom 6. Mai 2020 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 114 Rn. 14; ferner BVerwG, Urteile vom 29. Mai 2018 - 1 C 17.17 - Buchholz 402.242 § 4 AufenthG Nr. 4 Rn. 24, vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - BVerwGE 162, 382 Rn. 22 und vom 20. Februar 2020 - 1 C 19.19 - BVerwGE 167, 383 Rn. 16 und 23), gleichzeitig oder gar in einem Bescheid zu erlassen ist. Vielmehr bestimmt Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie nicht daran gehindert werden sollen, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach deren Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie einer Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen. Hieraus folgt - im Umkehrschluss - aber, dass zwar die Möglichkeit, nicht aber die Verpflichtung besteht, die Rückkehrentscheidung gemeinsam mit der Entscheidung, die den Aufenthalt des Betroffenen illegal macht, hier die Ausweisung, zu erlassen, sondern vielmehr, dass diese ebenso in einem gesonderten Bescheid ergehen kann wie ein Einreiseverbot und die Entscheidung über die Abschiebung. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Fall der Ablehnung internationalen Schutzes selbst ausdrücklich betont, in dem er ausgeführt hat, dass die Rückkehrentscheidung aber auch "unmittelbar nach der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz in einer gesonderten behördlichen Entscheidung [...] einer anderen Behörde" ergehen kann (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 60).

42 Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob im Lichte der oben dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union etwas anderes dann gelten müsste, wenn die Ausweisung von vornherein als sogenannte inlandsbezogene Ausweisung ergangen wäre, die gezielt nicht auf eine Aufenthaltsbeendigung durch freiwillige Ausreise oder Abschiebung, sondern wegen Vorliegens eines voraussichtlich auf absehbare Zeit bestehenden Abschiebungshindernisses lediglich auf die Vernichtung des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG gerichtet und der Erlass einer Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG auf absehbare Zeit nicht beabsichtigt wäre (vgl. zur inlandsbezogenen Ausweisung VGH Mannheim, Urteil vom 13. Januar 2016 - 11 S 889/15 - DVBl 2016, 387 <391 f.>; s.a. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 48 f., vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 23 und vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 - BVerwGE 165, 331 Rn. 28). Denn das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Ausweisung der Beklagten nicht um eine lediglich inlandsbezogene Ausweisung handelt, sondern die Ausweisung hier auf eine Aufenthaltsbeendigung gerichtet ist. Nicht aus jedem (vorübergehenden) Fehlen einer Abschiebungsandrohung kann bereits geschlossen werden, dass eine Aufenthaltsbeendigung auf absehbare Zeit nicht beabsichtigt ist und es sich lediglich um eine sogenannte inlandsbezogene Ausweisung handelt. Nach nationalem Recht ist die Ausweisung, auch wenn sie nach ständiger Rechtsprechung des Senats selbst keine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG darstellt (BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 Rn. 30; vgl. hierzu auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Vorbemerkung §§ 53-56 Rn. 29), grundsätzlich auf eine Beendigung des Aufenthalts des betroffenen Ausländers gerichtet oder hat diese jedenfalls zum Ziel. Die (nationalen) Vorschriften über die Ausweisung stehen im Kapitel 5 des Aufenthaltsgesetzes "Beendigung des Aufenthalts". Die wirksame Ausweisung begründet die Pflicht des Ausländers zum Verlassen des Bundesgebiets (Ausreisepflicht) nach § 50 Abs. 1 AufenthG, da sie sowohl zum Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG als auch zum Erlöschen einer Befreiung nach § 51 Abs. 5 AufenthG führt. Das Ausweisungsinteresse ist grundsätzlich auf die Ausreise aus dem Bundesgebiet gerichtet. Nach dem Grundtatbestand der Ausweisung in § 53 Abs. 1 AufenthG ist das öffentliche Interesse an der Ausreise mit dem privaten Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen.

43 Zwar hat die Beklagte im Bescheid vom 27. Juni 2018 zunächst die Ausweisung des zu diesem Zeitpunkt in Haft befindlichen Klägers ohne Abschiebungsandrohung erlassen, diese (einschließlich Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich Ausweisung und Abschiebungsandrohung) aber mit Ergänzungsbescheid vom 27. Mai 2019 verfügt. Dass die Beklagte diese Abschiebungsandrohung in der mündlichen Verhandlung vom 31. August 2020 wieder aufgehoben hat, lag ersichtlich darin begründet, dass der Aufenthalt des Klägers wegen dessen gestellten Asylantrags zu diesem Zeitpunkt nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG gestattet gewesen ist und die Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG entfallen war mit der Folge, dass die Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden ist (vgl. hierzu Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Oktober 2019, § 55 Rn. 7 und 33). Die Beklagte hat die Ausweisung indessen durchgängig als rückführungsbezogen behandelt, insbesondere ist sie in ihrem Bescheid vom 27. Juni 2018 ausführlich auch auf die Reintegrationsmöglichkeiten des Klägers in der Türkei eingegangen. Zudem lagen auch keine Hinweise auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis oder eine anderweitige Unmöglichkeit der Abschiebung auf unabsehbare Zeit vor, die die Beklagte zu einer inlandsbezogenen Ausweisung hätten veranlassen können. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht in seinem Urteil (UA S. 29 f.) - gefasst im Konjunktiv - darauf hingewiesen hat, dass das Bestehen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG im Übrigen lediglich zur Folge hätte, dass der tatsächliche Aufenthalt des Klägers in Deutschland nicht zwangsweise beendet werden dürfe und sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit wohl sogar zu seinem Nachteil auswirken würde, da eine konkrete Beeinträchtigung seines Bleibeinteresses durch eine die Ausweisung vollziehende Abschiebung dann auf absehbare Zeit nicht drohen dürfte. Dies stellt lediglich eine rein hilfsweise Argumentation im Anschluss an die Frage dar, ob und welche zielstaatsbezogenen Nachteile im Herkunftsland im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen sind. Das Berufungsgericht hat die Reintegrationsmöglichkeiten und -schwierigkeiten des Klägers in der Türkei zudem umfassend gewürdigt, ohne eine sogenannte inlandsbezogene Ausweisung in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

44 Darüber hinaus kann hier offenbleiben, ob und wie sich die vorgenannte Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu seiner Entscheidung vom 24. Februar 2021 - C-673/19 - (Rn. 36 ff. und 42 ff.) verhält, in der der Gerichtshof zwar ebenfalls betont hat, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, dies aber nicht gilt und eine Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen ist, wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt. Anhaltspunkte, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts der Grundsatz der Nichtzurückweisung einer Abschiebung des Klägers in die Türkei entgegengestanden hätte, sind hier nicht gegeben.

45 Schließlich lag im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eine Rückkehrentscheidung in Form der - nach erfolglosem Eilverfahren sofort vollziehbaren - Abschiebungsandrohung des Bundesamts als Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG vor. Da Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG lediglich verlangt, dass gegen alle illegal Aufhältigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist und eine Rückkehrentscheidung - wie bereits zuvor ausgeführt - grundsätzlich gesondert und auch durch eine andere Behörde erlassen werden kann, sind die Vorgaben des europäischen Rechts erfüllt. Die Ausweisung ist rechtmäßig.

46 2.2.2 Der Bescheid vom 27. Juni 2018 erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig.

47 a) Die Feststellung im Bescheid der Beklagten, dass die Niederlassungserlaubnis infolge der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschen ist, ist deklaratorisch.

48 b) Im Übrigen ist das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

49 aa) Rechtsgrundlage für den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Hiernach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Nach Absatz 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise beginnt (Satz 4). Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten. Nach Absatz 5 soll die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots zehn Jahre unter anderem dann nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist.

50 Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sind erfüllt. Insbesondere liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in einer auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der vor dem 21. August 2019 gültigen Fassung ergangenen behördlichen Befristungsentscheidung regelmäßig auch die konstitutive Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots, weil Unionsrecht ein allein auf einer Anordnung des Gesetzgebers beruhendes Einreise- und Aufenthaltsverbot ausschließt (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 34; vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 42 und vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - NVwZ 2019, 483 Rn. 25; Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 Rn. 27). Zudem liegt eine nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wirksame und nach den obigen Ausführungen rechtmäßige Ausweisung vor. Dem steht das Recht des Klägers aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht entgegen, da § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nach seinem Wortlaut auch in Bezug auf assoziationsrechtliche Aufenthaltsrechte Anwendung findet, und - anders als § 50 Abs. 1 AufenthG - nicht zwischen nationalen Aufenthaltstiteln und assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechten differenziert. Art. 13 ARB 1/80 widerstreitet einer solchen Anwendung nicht. Diese Vorschrift stellt wie auch bereits § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG lediglich klar, dass die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage nicht die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts beseitigt, vielmehr der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nur nicht vollzogen werden kann. Ebenso wenig steht einer solchen Anwendung das unionsrechtliche Erfordernis der Einzelfallprüfung und der unionsrechtliche Grundsatz des "effet utile" entgegen, da den Rechtswirkungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend eine im Rahmen der Ausweisung vorzunehmende und damit gleichsam vorverlagerte Einzelfallprüfung vorausgeht und dem von der Ausweisung betroffenen Assoziationsberechtigten hiergegen effektiver Rechtsschutz auch und gerade nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO offensteht (in diesem Sinne OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Januar 2021 - 13 ME 355/20 - InfAuslR 2021, 143 <145 ff.>; a.A. VGH Mannheim, Beschluss vom 16. November 2010 - 11 S 2328/10 - InfAuslR 2011, 51 <53 f.>). Auch hat die Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet.

51 bb) Dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot vorliegend an die Ausweisung anknüpft, ohne dass jedenfalls eine ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG vorgelegen hat, berührt im Ergebnis nicht die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots, insbesondere steht Unionsrecht, vor allem die Richtlinie 2008/115/EG, hier nicht entgegen. Denn im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts lag objektiv die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung und damit eine Rückkehrentscheidung vor. Dies kann jedenfalls dann, wenn der Ausländer wie hier noch nicht ausgereist war, für das unionsrechtlich geforderte "Einhergehen" genügen; die Befristung des ausländerbehördlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, das an eine Ausweisung anknüpft, kann dabei neben eine Befristungsentscheidung des Bundesamts treten und weitere Gesichtspunkte berücksichtigen.

52 Nach Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG ist unter einem Einreiseverbot die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme zu verstehen, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/115/EG bestimmt, dass Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde (Buchst. a) oder falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde (Buchst. b). In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen (Satz 2).

53 Nach der Definition des Einreise- und Aufenthaltsverbots muss ein Einreiseverbot im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG immer mit einer Rückkehrentscheidung einhergehen, kann also ein Einreiseverbot nicht ohne Rückkehrentscheidung bestehen, auch wenn im umgekehrten Fall nach Art. 11 RL 2008/115/EG zu einer Rückkehrentscheidung nicht immer ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden muss, sondern nur in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - Rn. 48) hat hierzu auf Vorlage des Senats (Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100) ausgeführt, dass Art. 2 RL 2008/115/EG dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie auf ein Einreiseverbot anwendbar ist, das von einem Mitgliedstaat, der von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängt wurde, der sich in dessen Hoheitsgebiet befindet und gegen den aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung eine Ausweisungsverfügung ergangen ist. Dabei wird der Anwendungsbereich der Richtlinie allein unter Bezugnahme auf die Situation des illegalen Aufenthalts definiert, in der sich ein Drittstaatsangehöriger befindet, unabhängig von den Gründen, die dieser Situation zugrunde liegen oder den Maßnahmen, die gegen ihn getroffen werden können (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - Rn. 45, so auch Lutz, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Edition 2022, Art. 11 <Entry ban> RL 2008/115/EG Rn. 6; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 15. April 2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 138 ff.). Weiter hat der Gerichtshof der Europäischen Union zur Frage der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Aufhebung einer Rückkehrentscheidung ausgeführt, dass dem Wortlaut der Bestimmungen des Art. 3 Nr. 6 und des Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG zu entnehmen ist, dass ein Einreiseverbot die Rückkehrentscheidung dadurch ergänzen soll, dass dem Betroffenen verboten wird, während eines bestimmten Zeitraums nach seiner Rückkehr, also seiner Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, erneut in dieses Gebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - Rn. 50 ff. und 52). Ein Einreiseverbot entfaltet folglich seine Wirkungen erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Betreffende das Hoheitsgebiet tatsächlich verlässt. Zwar kann ein Einreiseverbot, das unter die Richtlinie 2008/115/EG falle, seine individuellen Rechtswirkungen erst nach der - freiwilligen oder zwangsweisen - Vollstreckung der Rückkehrentscheidung entfalten, doch kann es nach der Aufhebung der Rückkehrentscheidung nicht aufrechterhalten werden (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - Rn. 54).

54 Der Senat hält in diesem Zusammenhang auch nach erneuter Prüfung an seiner Rechtsprechung (Beschlüsse vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 100 und vom 6. Mai 2020 - 1 C 14.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 114 Rn. 2 ff.) fest, nach der der Gesetzgeber durch die gesetzliche Regelung in § 11 AufenthG und seine Begründungen zu § 11 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG und seinen Vorgängerregelungen jedenfalls nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit hat erkennen lassen, dass er von der Option des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG nicht nur partiell, sondern umfassend Gebrauch machen wollte. Wenngleich keine besonderen formellen Anforderungen an die Bekanntgabe eines entsprechenden Beschlusses zu stellen sind, so muss doch auch nach Auffassung der Europäischen Kommission "aus den nationalen Rechtsvorschriften - explizit oder implizit - klar hervorgehen, ob und in welchem Umfang ein Mitgliedstaat die Ausnahmeregelung anwendet" (vgl. Nr. 2 der Empfehlung <EU> 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames "Rückkehr-Handbuch", das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist <Rückkehr-Handbuch, ABl. L 339 S. 83>; in diesem Sinne auch Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 181; ebenso Lutz, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Edition 2022, Art. 2 <Scope> RL 2008/115/EG Rn. 6 auch zu den Konsequenzen eines nicht eindeutigen Opting-Out). Dem Gesetzgeber bleibt es indessen unbenommen, insoweit eine eindeutige Entscheidung zu treffen, der in der gebotenen Klarheit zu entnehmen ist, dass er von der Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG, nach der die Mitgliedstaaten beschließen können, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist, umfassend Gebrauch macht (a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 15. April 2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 152 ff.).

55 Eine Rückkehrentscheidung, die mit dem an die Ausweisung anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbot einhergeht, ist hier trotz der Aufhebung der ausländerbehördlichen Abschiebungsandrohung und insoweit abweichend von dem der vorgenannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zugrundeliegenden Sachverhalt im maßgeblichen Beurteilungszeitraum der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz objektiv gegeben, da das Bundesamt im Bescheid vom 30. Oktober 2020 ebenfalls eine Abschiebungsandrohung erlassen hat. Auch geht das ausländerbehördliche Einreise- und Aufenthaltsverbot vorliegend mit der asylbehördlichen Abschiebungsandrohung des Bundesamts im Sinne des Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG einher bzw. begleitet dieses (vgl. hierzu Lutz, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Edition 2022, Art. 11 <Entry ban> RL 2008/115/EG Rn. 7, der ausführt: "The term 'accompanied' in Article 11 (1) therefore has to be interpreted as requiring in substance a connection between return decision and entry ban decision. It is, however, not necessary to take both decisions within one act."). Ein Zusammenhang liegt bereits darin, dass die Beklagte vorliegend ihre ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung allein aufgrund des durch den förmlich gestellten Asylantrag gestatteten Aufenthalts des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben hat. Die Beklagte ist des Weiteren für die Abschiebung und damit auch den Vollzug einer asylbehördlichen Abschiebungsandrohung nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zuständig.

56 Dem steht hier auch nicht entgegen, dass die asylrechtliche Abschiebungsandrohung durch eine andere Behörde und zeitlich nach dem Einreise- und Aufenthaltsverbot der Beklagten erlassen worden ist (s.o. unter 2.2.1.d). Wie bereits zuvor ausgeführt, ist es im Umkehrschluss zu Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG grundsätzlich zulässig, die dort genannten Entscheidungen, zu denen auch die Rückkehrentscheidung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot zählen, in gesonderten Bescheiden und - jedenfalls bezogen auf die Rückkehrentscheidung - auch durch eine andere Behörde wie hier das Bundesamt zu erlassen. Vor allem aber lag die Rückkehrentscheidung in Gestalt der asylbehördlichen Abschiebungsandrohung im maßgeblichen Beurteilungszeitraum und vor der tatsächlichen Ausreise bzw. Abschiebung des Klägers vor, so dass das Einreiseverbot seine Wirkungen, nämlich dem Kläger eine Wiedereinreise und einen erneuten Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum zu verbieten, noch entfalten konnte. Schließlich sind die erforderlichen Rechtsschutz- und Verfahrensgarantien, für deren Anwendung die Mitgliedstaaten unionsrechtlich mit Blick auf Kapitel III der Richtlinie 2008/115/EG zu sorgen haben, vorliegend eingehalten worden (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 60 f., vgl. auch die Ausführungen zu § 53 Abs. 4 AufenthG). Im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebietet Unionsrecht vorliegend daher nicht den Erlass einer weiteren Rückkehrentscheidung durch die Beklagte.

57 cc) Die Beklagte hat das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstandenden Bewertung des Berufungsgerichts auch im Einklang mit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG frei von Ermessensfehlern auf einen Zeitraum von drei Jahren befristet. Die Beklagte muss bei der vorzunehmenden Befristung der Geltungsdauer des ausweisungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung oder Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen berücksichtigen. Schützenswert sind solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - NVwZ 2021, 1842 Rn. 14 f. m.w.N.).

58 Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr trägt. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, das heißt verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der zuständigen Behörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung des Einreise- und Aufenthaltsverbots und seiner Befristung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und gegebenenfalls zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 66 und vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - NVwZ 2021, 1842 Rn. 16 f.).

59 In Anwendung dieser Grundsätze genügen die Ausführungen der Beklagten noch den Anforderungen, die an eine Ermessensentscheidung insbesondere mit Blick auf die Berücksichtigung der Schutzwirkungen von Ehe und Familie zu stellen sind. So hat die Beklagte in der angefochtenen Verfügung durch den Hinweis auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK deutlich gemacht, dass sie ihre Pflicht zur Berücksichtigung der familiären Belange des Klägers erkannt hat. Auch hat sie bereits dort die Bindung an seine damalige Verlobte und heutige Ehefrau gewürdigt und sich im Rahmen ihrer ergänzenden Ermessenserwägungen, die in formeller Hinsicht noch den Anforderungen des § 114 Satz 2 VwGO genügen, mit der Beziehung des Klägers zu seiner Ehefrau noch hinreichend befasst, in dem sie ausdrücklich das Bestehen eines weiteren besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses erkannt und auch gewürdigt hat, dass die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau erst nach der Ankündigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen geschlossen und die Eheleute daher nicht darauf vertrauen durften, ihre Ehe ohne zeitliche Unterbrechung im Bundesgebiet zu führen. Eine zwingende Notwendigkeit, die Ermessenserwägungen zur Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Blick auf die Ehefrau nochmals zu ergänzen, bestand - im Unterschied zu dessen Beziehung zu seinem zwischenzeitlich geborenen jüngsten Kind, auf die die Beklagte in ihrem Schreiben vom 21. August 2020 ausführlich eingegangen ist - damit nicht.

60 Ohne Erfolg bleibt in diesem Zusammenhang die Rüge des Klägers, die Beklagte habe bei der Bemessung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots sein aufgrund seiner ihm drohenden politischen Verfolgung bestehendes besonderes Bleibeinteresse nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berücksichtigen müssen. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Frage der Berücksichtigung "oberschwelliger" bzw. "unterschwelliger" Nachteile im Heimatland verwiesen.

61 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.