Beschluss vom 29.06.2023 -
BVerwG 1 WB 46.21ECLI:DE:BVerwG:2023:290623B1WB46.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.06.2023 - 1 WB 46.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:290623B1WB46.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 46.21

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant i.G. Annen und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Michaeli
am 29. Juni 2023 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin rügt eine Benachteiligung durch ihren Dienstherrn wegen ihrer Tätigkeit als Vertrauensperson und Mitglied des Gesamtvertrauenspersonenausschusses.

2 Als Vertrauensperson der Unteroffiziere an der ... wurde die Antragstellerin in den ... Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim ... gewählt. Sie ist hierfür von ihrer dienstlichen Tätigkeit bis zum 17. Juni 2023 unter Fortzahlung der Dienstbezüge freigestellt worden. Vor diesem Hintergrund wurde die Antragstellerin im Oktober 2019 von ihrem bisherigen Dienstposten an der ... in ... auf ein dienstpostenähnliches Konstrukt beim ... versetzt.

3 Am 6. März 2020 beschwerte sich die Antragstellerin bei ihrem Disziplinarvorgesetzten und machte geltend, wegen ihrer Tätigkeit als Vertrauensperson und Mitglied des Gesamtvertrauenspersonenausschusses benachteiligt zu werden.

4 Mit Bescheid vom 24. August 2020, der Antragstellerin am 11. September 2020 zugegangen, wies der Inspekteur ... die Beschwerde zurück.

5 Hiergegen erhob die Antragstellerin am 12. Oktober 2020 weitere Beschwerde beim Generalinspekteur der Bundeswehr.

6 Mit Bescheid vom 2. August 2021 gab der Generalinspekteur der Bundeswehr der weiteren Beschwerde teilweise statt und wies sie im Übrigen zurück. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 6. August 2021 mit Postzustellungsurkunde unter ihrer Privatadresse zugestellt. Über diese Zustellung wurde die Antragstellerin durch die von ihr bestellte Empfangsbevollmächtigte unterrichtet. Mit E-Mail vom 9. August 2021 informierte die Antragstellerin ihren Bevollmächtigten von diesem Umstand.

7 Mit Schriftsatz vom Mittwoch, den 8. September 2021, am selben Tage bei der Rechtsberatung des Generalinspekteurs eingegangen, stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Diesen Antrag hat der Generalinspekteur der Bundeswehr mit seiner Stellungnahme vom 29. Oktober 2021 dem Senat vorgelegt.

8 Die Antragstellerin macht geltend, es sei rechtswidrig gewesen, den Bescheid über die weitere Beschwerde unter der Privatadresse der Antragstellerin zuzustellen. Die Zustellung hätte vielmehr an ihren zweiten Dienstsitz ... erfolgen müssen. Sie sei bekanntermaßen für ihre Tätigkeit als Mitglied des Gesamtvertrauenspersonenausschusses freigestellt, der dienstlich im ... ansässig sei. An ihrer Privatanschrift sei sie in der Regel über mehrere Wochen abwesend. Die Zustellung sei auch nicht in der nach Nr. 2062 der Allgemeinen Regelungen (AR) A-2160/6 vorgesehenen Form erfolgt.

9 Das Bundesministerium der Verteidigung ist der Ansicht, der Antrag sei unzulässig, weil die Monatsfrist für die Einlegung des Antrags nicht gewahrt sei. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet.

10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Generalinspekteurs der Bundeswehr hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

11 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

12 1. Die Antragstellerin hat lediglich den prozessualen Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, ohne einen konkreten Sachantrag zu formulieren. Der Senat geht in rechtsschutzfreundlicher Auslegung unter Berücksichtigung des Sachvortrages der Antragstellerin (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO) davon aus, dass ihr Antrag auf die Aufhebung des Bescheides des Inspekteurs ... vom 24. August 2020 und des Bescheides des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 2. August 2021 gerichtet ist, soweit ihrer weiteren Beschwerde nicht in dem Bescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 2. August 2021 abgeholfen worden ist.

13 2. Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 6 i. V. m. § 17 SBG zwar antragsbefugt. Ihr Antrag ist indessen unzulässig, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Antragsfrist gestellt worden ist. Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO i. V. m. den §§ 22, 21 Abs. 2 Satz 1 WBO ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung des zurückweisenden Beschwerdebescheides einzulegen. Diese Frist hat die Antragstellerin mit ihrem am 8. September 2021 gestellten Antrag versäumt.

14 a) Die Frist begann mit der an die Antragstellerin am 6. August 2021 bewirkten Zustellung des Beschwerdebescheides des Generalinspekteurs der Bundeswehr.

15 Nach §§ 22, 21 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 WBO ist für den Beginn der Frist im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung auf die Zustellung des Beschwerdebescheides abzustellen. Eine spätere tatsächliche Kenntnis ist für die Fristberechnung unerheblich. Die Zustellung eines Bescheides über die weitere Beschwerde richtet sich gemäß § 16 Abs. 4 i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 3 WBO nach den Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung.

16 aa) Die Zustellung ist an die Antragstellerin als richtige Adressatin bewirkt worden.

17 Nach der Rechtsprechung des Senats gelten für die Bestimmung des richtigen Zustellungsadressaten die über den Verweis nach § 12 Abs. 1 Satz 3 WBO i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO für ergänzend anwendbar erklärten Regelungen in § 145a StPO. Aus § 145a Abs. 1 und 3 StPO folgt, dass der für den Erlass des Beschwerdebescheides zuständigen Stelle ein Wahlrecht zusteht, ihn dem Beschwerdeführer persönlich oder seinem Verteidiger zuzustellen, wobei der jeweils andere nachrichtlich zu unterrichten ist. Fristauslösende Wirkung hat dabei die Zustellung an den ausgewählten Adressaten. § 12 Abs. 1 Satz 3 WBO trifft keine Aussage zum Verhältnis der Zustellungsadressaten, insbesondere regelt er nicht, dass zwingend an den Soldaten oder an den Bevollmächtigten zuzustellen ist oder es der für die Zustellung verantwortlichen Stelle freisteht, die Zustellung wahlweise an den einen oder anderen mit fristauslösender Wirkung vorzunehmen. Soweit § 12 Abs. 1 Satz 3 WBO für die Zustellung auf die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung verweist und damit auch § 5 WDO einbezieht, ergibt sich daraus nichts anderes. Denn diese Bestimmung befasst sich lediglich mit der Art und Weise der Zustellung und enthält damit keine Regelung zu den Adressaten und zur Reihenfolge der Zustellungen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2013 - 1 WRB 2.12 , 1 WRB 3.12 - Buchholz 449 § 4 SG Nr. 1 Rn. 29 ff., vom 9. Januar 2014 - 2 WRB 3.12 , 2 WRB 4.12 , 2 WRB 5.12 - juris Rn. 31 f. und vom 5. Dezember 2018 - 2 WNB 4.18 - juris Rn. 8).

18 Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat als für die Entscheidung zuständige Stelle das ihm zustehende Wahlrecht beanstandungsfrei dahingehend ausgeübt, den Beschwerdebescheid mit fristauslösender Wirkung an die Antragstellerin persönlich zu richten. Dem Bevollmächtigten wurde der Bescheid nachrichtlich übersandt. Fehlt es mithin an einer Zustellung des Beschwerdebescheides an den Bevollmächtigten, kommt es für die Berechnung allein auf die Zustellung bei der Antragstellerin an. Die für Doppelzustellungen geltende Vorschrift in § 23a Abs. 1 WBO i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO, § 37 Abs. 2 StPO ist hier nicht anwendbar.

19 bb) Die Art und Weise der Zustellung an die Antragstellerin ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

20 Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat hierbei von dem ihm nach § 12 Abs. 1 Satz 3 WBO i. V. m. § 5 Abs. 1 WDO eröffneten Recht, zwischen den dort geregelten Zustellungsarten zu wählen, in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht und sich für eine Zustellung von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 WDO entschieden. Er war nicht dazu angehalten, die Zustellung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 WDO zu bewirken. Nichts anderes ergibt sich aus Nr. 2062 der Allgemeinen Regelungen (AR) A-2160/6 "Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung", in der lediglich darauf hingewiesen wird, dass von den in § 5 WDO aufgezählten, grundsätzlich gleichrangig nebeneinander in Betracht kommenden Zustellungsarten die Übergabe gegen Empfangsbekenntnis die in der Praxis zweckmäßigste sei.

21 Die Zustellung ist hier ausweislich der Postzustellungsurkunde am 6. August 2021 rechtsfehlerfrei nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 WDO i. V. m. § 176 Abs. 2 Alt. 1, § 178 Abs. 1 Nr. 1, § 180 ZPO als Ersatzzustellung durch Einlegen des Schreibens in den Briefkasten durchgeführt worden.

22 b) Die Monatsfrist des § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO endete demgemäß nach der im Wehrbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbaren Regelung des § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1 BGB am Montag, den 6. September 2021. Gemäß § 22 i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 2 WBO ist der Antrag beim Generalinspekteur der Bundeswehr zu stellen. Die Antragsschrift ist dort aber erst am 8. September 2021 und damit zu spät eingegangen.

23 c) Der Fristablauf wurde nicht durch Umstände gehemmt, die im Sinne von § 7 i. V. m. §§ 22, 21 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 5 Satz 2 WBO als unabwendbarer Zufall zu werten sind. Die nach § 16 Abs. 4 i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 4 WBO vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung war korrekt erteilt worden.