Beschluss vom 23.08.2023 -
BVerwG 1 B 18.23ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B1B18.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.08.2023 - 1 B 18.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B1B18.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 18.23

  • VG Schwerin - 11.09.2020 - AZ: 15 A 1434/18 SN
  • OVG Greifswald - 25.04.2023 - AZ: 4 LB 822/20 OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. August 2023
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger
und Böhmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. April 2023 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg, weil sie bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

2 1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen der angefochtenen Entscheidung, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken.

3 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Fragen zuzulassen,
"ob es mit Bundesrecht vereinbar ist, inzident anzusinnen, eine nicht zumutbare Handlung (hier: Abgabe einer Reueerklärung) vorzunehmen, um die Möglichkeit [einer] Straffreiheit zu erreichen (, um die von dem Verwaltungsgericht zu Recht befürchtete politisch motivierte Verfolgung und Bestrafung zu vermeiden)"
und
"ob aus den oben dargestellten und auffälligen Modalitäten der Erhebung der Aufbausteuer rechtlich geboten der Schluss zu ziehen ist, dass auch dies der Disziplinierung von Auslandseritreern dient, die schon wegen ihres Auslandsaufenthaltes als unzureichend regimeunterstützend angesehen werden".

4 Ausgehend von der Begründung des Oberverwaltungsgerichts, die Heranziehung zum Nationaldienst, die Sanktionierung wegen Entziehung vom Nationaldienst und die unerlaubte Ausreise sowie die Asylantragstellung im Ausland begründe keine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrenlage (in Eritrea), die eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG beachtlich wahrscheinlich erscheinen lasse (BA S. 6), legt die Beschwerde die Voraussetzung für die vom Kläger begehrte Flüchtlingsanerkennung schon nicht dar, dass und inwieweit die Verpflichtung zur Abgabe einer Reueerklärung und die Erhebung einer Aufbausteuer zur Erlangung des Diaspora-Status eine Verfolgungshandlung (§ 3a Abs. 1 AsylG) begründet, die mit einem Verfolgungsgrund (§ 3b Abs. 1 AsylG) verknüpft ist (§ 3a Abs. 3 AsylG). Sie setzt sich insbesondere nicht mit der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auseinander, wonach die Eröffnung der mit dem Diaspora-Status verbundenen Möglichkeit der freiwilligen und straffreien Rückkehr gegen die Annahme spreche, der eritreische Staat schreibe jeder Person, die sich dem Nationaldienst durch illegale Ausreise entzieht, eine politische Gegnerschaft zu, und er vielmehr unter dem Eindruck des Massenexodus aus ökonomischen Gründen auf den staatlichen Strafanspruch gegen ausgereiste Staatsangehörige verzichte (BA S. 6).

5 Indem sich die Beschwerde auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung beruft, wonach wegen der völlig unkalkulierbaren Reaktion des eritreischen Staates auf Wehrdienstvergehen und Grenzverletzungen eine Vermutung dahingehend bestehe, dass diese Form der Bestrafung zumindest auch der Disziplinierung als oppositionell eingestuften Verhaltens dienen soll und deswegen als flüchtlingsschutzauslösende Verfolgung anzusehen sei, wendet sie sich gegen die abweichende tatrichterliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, wonach die Eröffnung der mit dem Diaspora-Status verbundenen Möglichkeit der freiwilligen und straffreien Rückkehr gegen diese Annahme spricht. Unter Zugrundelegung dieser nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts lässt sich eine Grundsatzrüge nicht begründen.

6 Schließlich ist in der Rechtsprechung des Senats zwar geklärt, dass einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden darf, er könne einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden ist, und der Ausländer plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2022 - 1 C 9.21 - NVwZ 2023, 439). Die Beschwerde legt aber zum einen nicht dar, ob und inwieweit diese zu § 5 Abs. 1 AufenthV entwickelten Kriterien für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer auch für die Beurteilung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gefahrenlage gelten. Zum anderen legt sie nicht dar, dass die Voraussetzungen, insbesondere die plausible Darlegung eines der Abgabe der Reueerklärung entgegenstehenden Willens des Klägers, vorliegen und sich die Frage damit überhaupt erst entscheidungserheblich stellen würde.

7 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.