Verfahrensinformation

Die Klägerinnen, beide nigerianische Staatsangehörige, wurden in Italien als international schutzberechtigt anerkannt. Sie verließen Italien und reisten ins Bundesgebiet ein. Ihre Asylanträge wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt und ihnen wurde die Abschiebung nach Italien angedroht. Die hiergegen erhobenen Klagen blieben in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolglos. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung des Berufungsurteils ausgeführt, die Klägerin zu 1 als alleinerziehende Mutter und die in Rom geborene siebenjährige Tochter (Klägerin zu 2) gehörten der Gruppe der vulnerablen Personen an, zumal die Klägerin zu 1 erneut schwanger sei. Unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung geforderten besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit bei einer Rückkehr nach Italien als anerkannte Schutzberechtigte drohe ihnen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.


Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nach § 78 Abs. 8 AsylG zugelassen, da er in der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von alleinerziehenden Elternteilen bzw. Familien mit minderjährigen Kindern von der Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, den Hessischen Verwaltungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgewichen ist.


Pressemitteilung Nr. 68/2024 vom 19.12.2024

Keine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation in Italien für alleinerziehende Mutter mit Grundschulkind und Kind unter drei Jahren

Alleinerziehenden als international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren drohen aktuell bei einer Rückkehr nach Italien keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen, die eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zur Folge haben. Asylanträge dieses Personenkreises in Deutschland können daher nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im Einklang mit dem Unionsrecht als unzulässig abgelehnt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerinnen, beide nigerianische Staatsangehörige, wurden in Italien als international schutzberechtigt anerkannt. Sie verließen Italien und reisten in das Bundesgebiet ein. Ihre Asylanträge wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt und ihnen wurde die Abschiebung nach Italien angedroht. Die hiergegen erhobenen Klagen blieben in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolglos. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung des Berufungsurteils ausgeführt, der (erneut schwangeren) Klägerin zu 1 als alleinerziehender Mutter und der in Rom geborenen siebenjährigen Tochter (Klägerin zu 2) drohten auch als vulnerable international Schutzberechtigte unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung geforderten besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit bei einer Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta.


Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als sogenannte Tatsachenrevision nach § 78 Abs. 8 AsylG wegen einer Abweichung von der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von alleinerziehenden Elternteilen mit minderjährigen Kindern durch mehrere andere Oberverwaltungsgerichte zugelassene Revision der Klägerinnen hatte keinen Erfolg.


Die allgemeine Lagebeurteilung für ein alleinerziehendes Elternteil mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erweist sich auf der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen Grundlage der aktuellen Erkenntnislage als zutreffend. Danach ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass nach Italien zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe dort in eine extreme materielle Notlage geraten werden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre spezifischen elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Ebenso wie bei der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. mit Art. 3 EMRK ist für die Prognose darauf abzustellen, ob die Rückkehrer in der Lage sind, ihre elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Können die zurückkehrenden international Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Situation innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, kann ein Asylantrag nur dann noch zulässig sein, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass den Rückkehrern nach dem Ende der Unterstützungsleistungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht.


Zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe können voraussichtlich zunächst für ein Jahr in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden, in der die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist. Mit Blick auf die in dieser Einrichtung angebotenen Unterstützungsleistungen unter anderem bei der Suche nach einer Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie der Kinderbetreuung ist auch im Anschluss an diese Unterbringung nicht davon auszugehen, dass ihnen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht.


Beim Bundesverwaltungsgericht sind noch weitere Tatsachenrevisionen nach § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG zu Italien anhängig, die das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zugelassen hat, da in diesen Verfahren unter anderem die Situation für vulnerable anerkannt Schutzberechtigte in Italien entscheidungserheblich sei und das Oberverwaltungsgericht in der Beurteilung der insoweit maßgeblichen aktuellen allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz abweiche.


BVerwG 1 C 3.24 - Urteil vom 19. Dezember 2024

Vorinstanzen:

VGH München, VGH 24 B 23.30860 - Urteil vom 21. März 2024 -

VG Regensburg, VG RO 14 K 21.31471 - Urteil vom 25. April 2023 -


Urteil vom 19.12.2024 -
BVerwG 1 C 3.24ECLI:DE:BVerwG:2024:191224U1C3.24.0

Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für alleinerziehende Elternteile mit Grundschulkind und Kind unter drei Jahren in Italien

Leitsatz:

Alleinerziehenden als international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren drohen aktuell bei einer Rückkehr nach Italien keine mit Art. 4 GRC unvereinbaren Lebensbedingungen. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie in eine Lage extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre spezifischen elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung und Hygiene zu befriedigen.

  • Rechtsquellen
    AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35
    AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
    GRC Art. 4
    EMRK Art. 3

  • VG Regensburg - 25.04.2023 - AZ: RO 14 K 21.31471
    VGH München - 21.03.2024 - AZ: 24 B 23.30860

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.12.2024 - 1 C 3.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:191224U1C3.24.0]

Urteil

BVerwG 1 C 3.24

  • VG Regensburg - 25.04.2023 - AZ: RO 14 K 21.31471
  • VGH München - 21.03.2024 - AZ: 24 B 23.30860

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger
und Böhmann sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerinnen wenden sich im Verfahren der sogenannten Tatsachenrevision gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und die Androhung ihrer Abschiebung nach Italien.

2 Die Klägerin zu 1 und ihre im November 2016 in Rom geborene Tochter, die Klägerin zu 2, beide nigerianische Staatsangehörige, wurden in Italien als international schutzberechtigt anerkannt. Sie verließen Italien und reisten in das Bundesgebiet ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. November 2021 die von den Klägerinnen gestellten Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht vorlägen, und drohte ihnen die Abschiebung nach Italien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, an. Eine Abschiebung nach Nigeria dürfe nicht erfolgen. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt. Des Weiteren erließ das Bundesamt ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot.

3 Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen im Wesentlichen keinen Erfolg. Mit Urteil vom 21. März 2024 hat der Verwaltungsgerichtshof unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 25. April 2023 das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben. Im Übrigen hat er die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Asylanträge zu Recht als unzulässig abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorlägen. Den Klägerinnen sei in einem anderen Mitgliedstaat (Italien) internationaler Schutz gewährt worden. Es sei davon auszugehen, dass ihnen ihr Schutzstatus nicht ohne individuelle Prüfung und ohne ihre Kenntnis entzogen worden sei und sie nach einer Rückkehr unionsrechtsgemäß erneut einen Aufenthaltstitel erhielten. Die Klägerin zu 1 als alleinerziehende Mutter und die siebenjährige Klägerin zu 2 erwarteten auch als vulnerable Personen bei einer Rückkehr nach Italien keine Art. 4 GRC widersprechenden Lebensverhältnisse. Für vulnerable Schutzberechtigte gebe es eine besondere Rückführungspraxis. Es werde erst eine Unterkunft gesucht, die Zustimmung Italiens für eine Rückübernahme erfolge unter dem Vorbehalt, dass eine geeignete Unterkunft gefunden werde. Die Klägerinnen dürften nach ihrer Rückkehr nach Italien für zwölf Monate Unterkunft und Versorgung in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI finden. Durch die erneute Schwangerschaft der Klägerin zu 1 und das zu erwartende zweite Kind sei eine neue Vulnerabilität geschaffen worden. Auch anschließend sei nicht von einer Obdachlosigkeit der Klägerinnen auszugehen. Die SAI-Einrichtungen würden helfen, eine vorübergehende Wohnung zu finden. Gerade Familien mit kleinen Kindern hätten in den durch nichtstaatliche Hilfsorganisationen, Kirchen und private Initiativen zur Verfügung gestellten Schlafplätzen und betriebenen Notunterkünften bessere Chancen, untergebracht zu werden; gewisse Projekte seien nur für Frauen und Kinder zugänglich. International Schutzberechtigte könnten eine Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls in Teilzeit, aufnehmen und so für ihren Lebensunterhalt (mit-)sorgen. Es gebe finanzielle Unterstützungsleistungen für Familien mit Kindern wie das sogenannte "assegno unico" (Kindergeld), die auch Schutzberechtigten zugänglich seien. Besondere individuelle Umstände für ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Abschiebungsandrohung verstoße nicht gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n. F. Die zu berücksichtigenden familiären Aspekte stünden dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegen; diese sei aber bei Veränderung maßgeblicher Umstände wie die erwartete Geburt des zweiten Kindes zu überprüfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nach Maßgabe des § 78 Abs. 8 AsylG als sogenannte "Tatsachenrevision" zugelassen, da das Urteil im Rahmen der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von alleinerziehenden Elternteilen oder Familien mit minderjährigen Kindern von deren Beurteilung durch andere Oberverwaltungsgerichte (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Januar 2024 - 13 A 10945/22.OVG -; Hessischer VGH, Beschluss vom 11. Januar 2021 - 3 A 539/20.A -; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 10 LA 64/19 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -) abweiche.

4 Mit ihrer Revision beanstanden die Klägerinnen die rechtliche und tatsächliche Bewertung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für alleinerziehende anerkannte Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter drei Jahren in Italien. Bei vulnerablen Personen sei die Wahrscheinlichkeit, unabhängig vom eigenen Willen und von persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not zu geraten, wesentlich größer. Insbesondere kleine Kinder hätten besondere Bedürfnisse und seien extrem verwundbar. Den Klägerinnen drohe bei einer Rückkehr nach Italien die Obdachlosigkeit. Die geschilderte besondere Rückführungspraxis widerspreche den Erkenntnismitteln. Sie setzte auch zu spät an, da die Unterkunftsmöglichkeiten bereits im Rahmen der Unzulässigkeitsentscheidung berücksichtigt werden müssen. Dies folge auch aus Art. 5 der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie). Die Leistungsfähigkeit des SAI sei begrenzt. Den Schutzberechtigten stehe kein Anspruch auf Zugang zu. Dass die Klägerinnen aufgrund einer neuen Vulnerabilität im SAI untergebracht würden, sei angesichts der Überlastung des italienischen Aufnahmesystems nicht beachtlich wahrscheinlich. Jedenfalls würden sie spätestens nach diesem Zeitraum obdachlos. Die Klägerin zu 1 als alleinerziehende Mutter zweier Kinder werde auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, ihre und die Existenz ihrer Kinder durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Es sei nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie eine Arbeitsstelle finde. Es mangele zudem an Kinderbetreuungsplätzen. Sozialleistungen in hinreichendem Umfang seien nicht zu erlangen, insbesondere gelte das einheitliche Kindergeld nicht für international Schutzberechtigte.

5 Die Beklagte verteidigt die angegriffene Lagebeurteilung des Berufungsgerichts und trägt ergänzend zur aktuellen Erkenntnislage vor.

6 Die Vertreterin des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

II

7 Die auf § 78 Abs. 8 AsylG gestützte Revision ist zulässig (1.), aber nicht begründet (2.). Der Verwaltungsgerichtshof hat die allgemeine abschiebungsrelevante Lage für in Italien als international schutzberechtigt anerkannte alleinerziehende Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren im Ergebnis zutreffend dahin beurteilt, dass diese bei einer Rückkehr nach Italien nicht beachtlich wahrscheinlich mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) unvereinbaren Lebensbedingungen ausgesetzt sein werden (§ 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG). Dies gilt auch für die Klägerinnen.

8 1. Die Revision der Klägerinnen ist gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG als sogenannte Tatsachenrevision statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof ist in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage im Zielstaat Italien in Bezug auf den genannten Personenkreis von deren Beurteilung jedenfalls durch das Oberverwaltungsgericht Koblenz (Beschluss vom 23. Januar 2024 - 13 A 10945/22.OVG [ECLI:​​DE:​​OVGRLP:​​2024:​​0123.13A10945.22.OVG.00] - juris), das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 10 LA 64/19 [ECLI:​​DE:​​OVGNI:​​2019:​​1219.10LA64.19.00] - juris), den Verwaltungsgerichtshof Kassel (Beschluss vom 11. Januar 2021 - 3 A 539/20.A [ECLI:​​DE:​​VGHHE:​​2021:​​0111.3A539.20.A.00] - juris) und auch durch das - vom Berufungsgericht noch nicht benannte - Oberverwaltungsgericht Weimar (Urteil vom 20. Dezember 2023 - 2 KO 425/23 [ECLI:​​DE:​​OVGTH:​​2023:​​1220.2KO425.23.00] - juris) entscheidungserheblich abgewichen (§ 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG). Dass dem Urteil des ebenfalls vom Berufungsgericht als divergierend bezeichneten Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 [ECLI:​​DE:​​VGHBW:​​2019:​​0729.A4S749.19.00] - juris) der Fall eines alleinstehenden gesunden und arbeitsfähigen Mannes, zudem Rückkehrer nach der Dublin-III-VO (VO <EU> Nr. 604/2013), zugrunde lag und sich lediglich in der Randnummer 41 abstrakte Ausführungen zum Maßstab bei vulnerablen Personen finden, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Zudem hat das Berufungsgericht die Revision wegen dieser Abweichung zugelassen (§ 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 AsylG).

9 2. Die Revision ist unbegründet.

10 2.1 a) Prüfungsgegenstand der (Tatsachen-)Revision nach § 78 Abs. 8 AsylG ist - neben den von Amts wegen stets zu prüfenden, hier unzweifelhaften Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage und Berufung - allein die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat (§ 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG), hier der abschiebungsrelevanten Lage im Zielstaat Italien. Der Begriff der Beurteilung umfasst sowohl den Prüfungsmaßstab in rechtlicher Hinsicht als auch die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Erkenntnislage zwecks Subsumtion unter die rechtlichen Vorgaben. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Abs. 2 VwGO nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Die Befreiung von der Bindungswirkung des § 137 Abs. 2 VwGO beschränkt sich auf die allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage; sie erfasst hingegen nicht auch Tatsachenfeststellungen zu individuellen Umständen in der Person des jeweiligen Klägers, die sich positiv oder negativ auf die Gefahrenprognose auswirken können. Eine weitere Tatsachenermittlung oder Sachaufklärung zu den individuellen Schutzgründen und eine diesbezügliche Beweisaufnahme finden nicht statt (BT-Drs. 20/4327 S. 44, vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 13 und - 1 C 24.23 - Rn. 14).

11 b) Bezugsrahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage ist der von der Divergenz betroffene, abstrakt bestimmte Personenkreis, der zumindest so weit gezogen werden muss, dass er die jeweils klagende Person nach den - insoweit für das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich bindenden - Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zu deren individuellen Verhältnissen einschließt. Danach ist hier die Gruppe der in Italien als international schutzberechtigt anerkannten alleinerziehenden Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren in den Blick zu nehmen. Dieser Personenkreis umfasst bezogen auf den Zielstaat Italien alle volljährigen, nicht an - einen besonderen Schutzbedarf begründenden - Krankheiten leidende erwerbsfähigen Elternteile mit zwei minderjährigen Kindern, davon einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren. Hierzu zählt nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts die - im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts – (hoch-)schwangere, aber gesunde und arbeitsfähige Klägerin zu 1, ihre im Jahr 2016 geborene Tochter, die Klägerin zu 2 sowie (prognostisch) das neugeborene Kind. Hingegen ist nicht allgemein auf "die Gruppe der vulnerablen Personen" abzustellen. Vulnerabilität kann auf einer Vielzahl von Gründen mit hieraus resultierenden divergierenden Schutz- und Versorgungsbedarfen sowie gegebenenfalls unterschiedlich ausgeprägter Fähigkeit oder Möglichkeit, die eigene Versorgung insbesondere durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sicherzustellen, beruhen (vgl. nur die nicht abschließende Aufzählung in Art. 21 RL 2013/33/EU). Auch können bestehende Vulnerabilitäten im Kontext des jeweiligen Zielstaates unterschiedlich zu beurteilen sein. Mit dem weiblichen Geschlecht ist bei international Schutzberechtigten im Zielstaat Italien keine erhebliche Erhöhung des Risikos verbunden, in eine Situation extremer materieller Not zu geraten (vgl. hierzu bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 14 und - 1 C 24.23 - Rn. 15).

12 c) Um eine in dem betreffenden Verfahren den Instanzenzug abschließende Entscheidung zu treffen (vgl. BT-Drs. 20/4327 S. 43), hat das Bundesverwaltungsgericht aus der von ihm eigenständig vorzunehmenden Beurteilung der allgemeinen abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat alle erforderlichen rechtlichen Konsequenzen für weitere Entscheidungen wie hier die Abschiebungsandrohung zu ziehen. Nur insofern sind diese von der allein als Tatsachenrevision zugelassenen Revision erfasst. Eine davon unabhängige Überprüfung auf Bundesrechtsverstöße jeglicher Art findet dagegen nicht statt. § 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG beschränkt nicht nur die zulässigen Revisionsgründe, sondern auch die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts; als Spezialregelung schließt die Vorschrift den Rückgriff auf § 137 Abs. 1 VwGO und den Grundsatz der Vollrevision (§ 137 Abs. 3 Satz 2 VwGO) aus (vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 15 und - 1 C 24.23 - Rn. 16).

13 d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der allgemeinen Lage ist der in § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG genannte Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Gemäß § 78 Abs. 8 Satz 5 AsylG berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht dafür diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Vorrangig gelten auch hier die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gerichtliche Sachaufklärungspflicht: Als über allgemeine asyl- und abschiebungsrelevante Situationen befindendes Tatsachengericht ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, auf der Grundlage tagesaktueller Erkenntnisse zu entscheiden und dabei alle aktuellen Erkenntnismittel von Relevanz zu berücksichtigen. Welche Erkenntnismittel es in diesem Sinne für relevant hält, unterliegt seiner vom Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren fachgerichtlichen Einschätzung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. März 2017 - 2 BvR 681/17 [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2017:​​rk20170327.2bvr068117] - NVwZ 2017, 1702 Rn. 11 f.; siehe nunmehr auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Dezember 2024 - 2 BvR 1341/24 [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2024:​​rk20241212.2bvr134124] - juris Rn. 12 und 16). Die Frage, ob in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, die ein Abschiebungsverbot auslöst, erfordert eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2016:​​rk20160421.2bvr027316] - NVwZ 2016, 1242 Rn. 11).

14 Demgegenüber ist das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der individuellen Umstände an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden und hat insoweit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen. Dass der Senat für die hier zu betrachtende Personengruppe auch das nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs geborene zweite Kind der Klägerin zu 1 berücksichtigt, steht dem nicht entgegen. Denn auch der Verwaltungsgerichtshof hat für die in die Zukunft gerichtete Rückkehrprognose der Klägerinnen das neugeborene Kind in seine Überlegungen einbezogen.

15 2.2 Nach diesem Prüfungsprogramm ist die zutreffend mit der Anfechtungsklage angegriffene Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ablehnung des Asylantrags der Klägerinnen als unzulässig beruht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat, diesem also entweder die Flüchtlingseigenschaft oder die Eigenschaft als subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt hat. Diese stets im Einzelfall festzustellende Voraussetzung unterliegt hier nicht der Überprüfung; von ihrem Vorliegen ist vielmehr nach den insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auszugehen.

16 Gleichwohl kann eine auf diese Vorschrift gestützte Unzulässigkeitsentscheidung aus unionsrechtlichen Gründen rechtswidrig sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Betroffenen als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180 S. 60) - RL 2013/32/EU - eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u. a. [ECLI:​​EU:​​C:​​2019:​​964], Hamed u. a. - Rn. 35; Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. [ECLI:​​EU:​​C:​​2019:​​219], Ibrahim u. a. - Rn. 88). Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung sind damit nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2024:​​240424U1C8.23.0] - juris Rn. 9 m. w. N.).

17 2.2.1 Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der Senat angeschlossen hat, gilt für die Annahme unmenschlicher oder erniedrigender Lebensbedingungen ein strenger Maßstab. Allein der Umstand, dass die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. im Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9) - Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU; nachfolgend RL 2011/95/EU - gerecht werden, führt angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu einer Einschränkung der Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRC nicht erreicht ist. Vielmehr darf jeder Mitgliedstaat - vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände - davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Diese Vermutung gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auch bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU. Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 GRC führen, hindern die Mitgliedstaaten daher nicht, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU eingeräumte Befugnis auszuüben. Gleiches gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaates behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. - Rn. 83 ff. und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u. a. - Rn. 34).

18 Systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2020:​​200520U1C34.19.0] - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 11 Rn. 19 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:​​EU:​​C:​​2019:​​218], Jawo - Rn. 91 ff. sowie Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u. a. - Rn. 39). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschlüsse vom 27. Januar 2022 - 1 B 93.21 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2022:​​270122B1B93.21.0] - juris Rn. 12 und vom 17. Januar 2022 - 1 B 66.21 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2022:​​170122B1B66.21.0] - juris Rn. 18).

19 Die Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable, also besonders verletzliche Personen früher erreicht sein. Gegenüber dieser Personengruppe obliegt den Mitgliedstaaten eine besondere Schutzverpflichtung. Daher ist die besondere Verletzlichkeit bei der Bewertung des Risikos, einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. - Rn. 93). Aus der besonderen Verletzlichkeit können sowohl zusätzliche zwingende Bedarfe als auch überdurchschnittliche Beeinträchtigungen resultieren, die sich bei der eigenen Erbringung der Bedarfe ergeben (zum Ganzen OVG Bautzen, Urteil vom 14. März 2022 - 4 A 341/20.A [ECLI:​​DE:​​OVGSN:​​2022:​​0314.4A341.20.A.00] - juris Rn. 25). Unter diesen Voraussetzungen kann der Umstand, dass ein Schutzberechtigter in dem ihm schutzgewährenden Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, zu der Feststellung führen, dass dieser dort tatsächlich Gefahr läuft, eine gegen Art. 4 GRC verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn sich der Betroffene aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den vorgenannten Kriterien entspricht und er der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt wäre (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. - Rn. 83 ff. und ‌- C-163/17 - Rn. 90 ff., 93 f. und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u. a - Rn. 34).

20 Hingegen ist der Umstand, dass die Formen familiärer Solidarität, die Angehörige des normalerweise für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates in Anspruch nehmen, um den Mängeln des Sozialsystems dieses Mitgliedstaates zu begegnen, bei Personen, denen in diesem Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist, im Allgemeinen fehlen, keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Fall ihrer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 - Rn. 47, 94).

21 Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK, die der EuGH seiner Auslegung des Art. 4 GRC maßgeblich zugrunde legt, müssen die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß" an Schwere (minimum level of severity) erreichen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/​Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:​​EU:​​C:​​2017:​​127], C. K. u. a. - Rn. 68). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR <GK>, Urteile vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - Rn. 219 und vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10 - Rn. 174). Allerdings enthält Art. 3 EMRK weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, noch begründet Art. 3 EMRK eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09 - Rn. 249). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine aus der Aufnahmerichtlinie (aktuell: RL 2013/33/EU) folgende gesteigerte Verantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten gesehen (EGMR <GK>, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09 - Rn. 250 ff.), die mit Blick auf die Richtlinie 2011/95/EU auch für international Schutzberechtigte anzunehmen ist. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2018:​​080818B1B25.18.0] - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 ff.).

22 Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Dabei sind nicht nur staatliche Unterstützungsleistungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11), sondern auch Unterstützungsangebote nichtstaatlicher Hilfsorganisationen zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 3.21 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2021:​​070921U1C3.21.0] - InfAuslR 2022, 152 Rn. 25 ff.).

23 Der besondere Schutz für Asylbewerber ist umso wichtiger, wenn die Betroffenen Kinder sind, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind. Dies gilt auch, wenn die Kinder als Asylbewerber von ihren Eltern begleitet sind. Ihre Situation äußerster Verletzbarkeit ist ausschlaggebend und wiegt schwerer als die Tatsache, dass sie Ausländer mit unrechtmäßigem Aufenthalt sind (EGMR <GK>, Urteil vom 4. November 2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/​Schweiz - Rn. 99, 119 und EGMR, Urteil vom 28. Februar 2019 - Nr. 12267/16, Khan/​Frankreich - Rn. 72 ff.). Die Aufnahmebedingungen für minderjährige Asylbewerber müssen an ihr Alter angepasst sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht. Andernfalls wird die Schwere erreicht, die erforderlich ist, um unter das Verbot des Art. 3 EMRK zu fallen (EGMR <GK>, Urteil vom 4. November 2014 - Nr. 29217/12​ - Rn. 119 und EGMR, Urteil vom 28. Februar 2019 - Nr. 12267/16 - Rn. 72 ff.).

24 Hingegen erfordern Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK bei der Rückführung von Familien mit Kindern (vgl. zur Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr der Kernfamilie auch bei Rückkehr in einen anderen Mitgliedstaat BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - juris Rn. 12 ff.) nicht stets und unabhängig von der aktuellen Erkenntnislage und den Umständen des Einzelfalls eine individuelle Zusicherung oder allgemeine Erklärung der Behörden. Die Frage, wann, orientiert am Maßstab der Grundrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention, hinreichend sichergestellt ist, dass die Unterbringung und Versorgung einer Familie mit Kindern bei einer Überstellung nach Italien gewährleistet ist, muss unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, hier der allgemeinen Aufnahmebedingungen in Italien, und der besonderen Lage des jeweiligen Ausländers beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - Rn. 17 m. w. N.). Insbesondere setzt eine zulässige Rückführung nach Italien nicht stets und unabhängig von der aktuellen Erkenntnislage eine individuelle Zusicherung oder eine schriftliche Erklärung der zuständigen Behörde des schutzgewährenden Mitgliedstaates der Europäischen Union voraus. Das hierfür maßgebliche Kriterium der besonderen Schutzbedürftigkeit extrem verwundbarer Personen konkretisiert die menschenrechtlichen Mindestanforderungen an die Aufnahmemodalitäten, die bei Familien mit Kleinstkindern (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 4. November 2014 - Nr. 29217/12 - NVwZ 2015, 127 Rn. 99, 119 und Beschluss vom 13. Januar 2015 - Nr. 51428/10, A. M. E./‌Niederlande - Rn. 34) andere sein können als bei solchen mit Kindern im Jugendalter oder, erst recht, bei alleinstehenden Erwachsenen (vgl. EGMR, Urteil vom 2. Juli 2020 - Nr. 28820/13 u. a., N. H. u. a./Frankreich - NVwZ 2021, 1121). Im Einzelfall kann daher eine konventionsgemäße Behandlung der Betroffenen durch eine Zusicherung der Behörden des Aufnahmestaates zu gewährleisten sein. An dieser Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter jeweils ausdrücklicher Bezugnahme auf sein Leiturteil im Fall "Tarakhel" auch in seinen Entscheidungen vom 23. März 2021 (Nr. 46595/19, M. T./Niederlande) und vom 20. April 2021 (Nr. 41100/19, A. B. u. a./Finnland) festgehalten. Hiervon kann insbesondere bei der Rückführung einer Familie mit Kleinstkindern auszugehen sein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Mai 2015 - 2 BvR 3024/14 u. a. [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2015:​​rk20150527.2bvr302414] - juris Rn. 4). Vorrangig ist aber regelmäßig zu prüfen, ob auf der Grundlage der aktuellen Auskunftslage zu den Aufnahmebedingungen in Italien unter Berücksichtigung der individuellen Situation des oder der Schutzberechtigten unmenschliche oder erniedrigende Lebensbedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind; nur dann stellt sich die Frage einer einzelfallbezogenen Zusicherung (vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung des EGMR ausführlich BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2019:​​rk20191010.2bvr138019] - juris Rn. 14 ff., zur Sachverhaltsaufklärungspflicht siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. August 2023 - 2 BvR 593/23 [ECLI:​​DE:​​BVerfG:​​2023:​​rk20230802.2bvr059323] - juris Rn. 11 ff., zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - juris Rn. 16 f.).

25 Der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine zeitliche Nähe des Gefahreneintritts (vgl. näher BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2022:​​210422U1C10.21.0] - BVerwGE 175, 227 Rn. 20 ff.). Die Gefahr muss in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat (hier: EU-Mitgliedstaat) eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint. Wo die zeitliche Höchstgrenze für einen solchen Zurechnungszusammenhang im Regelfall zu ziehen ist, ist keiner generellen Bestimmung zugänglich. Die Berücksichtigung anfänglich gewährter Hilfen darf nicht dazu führen, den mit Art. 3 EMRK intendierten Schutz durch eine starre zeitliche Bestimmung seiner Reichweite zu beeinträchtigen (ähnlich VG Freiburg, Urteil vom 5. März 2021 - A 8 K 3716/17 - juris Rn. 67 f.).

26 In der Zusammenschau dieser Kriterien ergibt sich, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadenseintritts nicht schon dann gegeben ist, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung des Art. 4 GRC anzustellende Gefahrenprognose ist vielmehr grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen oder Unterstützungsleistungen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Ablauf dieser Unterstützungsmaßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Hilfeleistungen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (vgl. zu Rückkehrhilfen bei Rückkehr nach Afghanistan: BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 21 ff.; siehe auch OVG Hamburg, Urteil vom 25. März 2021 - 1 Bf 388/19.A - juris Rn. 147; VGH München, Urteil vom 7. Juni 2021 - 13a B 21.30342 [ECLI:​​DE:​​BAYVGH:​​2021:​​0607.13A.B21.30342.00] - juris Rn. 38).

27 Diese Maßstäbe hat der Senat im Zusammenhang mit der Anwendung des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Drittstaaten entwickelt; sie gelten aber ohne Weiteres auch für die Auslegung des Art. 4 GRC bei der Abschiebung anerkannter Schutzberechtigter in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dass bei der Überstellung von Asylbewerbern im Dublin-Verfahren nach der Rechtsprechung des EuGH möglicherweise eine zeitlich weitere Perspektive in den Blick zu nehmen ist, weil es auch auf den Zeitraum nach Abschluss des Asylverfahrens ankommt (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 - Rn. 88 und vom 30. November 2023 - C-228/21 u. a. [ECLI:​​EU:​​C:​​2023:​​934] - Rn. 135), ist hier nicht entscheidungserheblich. Auch wenn für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund der Aufnahme- bzw. hier der Anerkennungsrichtlinie ein gesteigertes Maß an Gewährleistungen besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 22), ist die zitierte Rechtsprechung des EuGH nicht dahin zu verstehen, dass die Gefahr von Art. 4 GRC-widrigen Lebensbedingungen dauerhaft ausgeschlossen sein muss. Eine zeitlich derart unbestimmte Prognose lässt sich schon nicht sinnvoll treffen und kann dem Erfordernis einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts nicht gerecht werden.

28 2.2.2 Gemessen daran hat das Berufungsgericht die allgemeine abschiebungsrelevante Lage von in Italien als international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren im Ergebnis zutreffend dahin beurteilt, dass diese nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen in eine Lage extremer materieller Not geraten werden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Diese Einschätzung erweist sich auf der Grundlage der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen aktuellen Erkenntnislage als zutreffend. Danach erhalten international Schutzberechtigte, falls ihr Aufenthaltstitel abgelaufen ist, bei einer Rückkehr nach Italien voraussichtlich erneut einen Aufenthaltstitel (a), und sie können und müssen sich bei der Wohnortgemeinde registrieren lassen (b). Zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe können voraussichtlich zunächst für mindestens ein Jahr und damit für einen absehbaren Zeitraum im Sinne der Senatsrechtsprechung in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden, in der die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist (c). Mit Blick auf die in dieser Einrichtung angebotenen vielfältigen Integrations- und Unterstützungsleistungen unter anderem bei der Suche nach einer weiteren Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie beim Schul- und Kindergartenbesuch und den insoweit bestehenden Möglichkeiten, ein angemessenes Obdach, gegebenenfalls weitere Hilfen, eine Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und medizinische Versorgung zu erhalten, steht auch im Anschluss an diese Unterbringung und Versorgung im SAI nicht zu erwarten, dass ihnen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht (d).

29 a) Es ist davon auszugehen, dass aus Italien ausgereiste Schutzberechtigte, deren Aufenthaltstitel zwischenzeitlich abgelaufen ist, im Falle einer Rückkehr nach Italien dort auf Antrag erneut ein Aufenthaltsrecht erhalten (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 [ECLI:​​DE:​​BAYVGH:​​2024:​​0321.24B23.30860.00] - juris <UA S. 6> Rn. 15); siehe auch OVG Koblenz, Beschluss vom 27. November 2023 - 13 A 10953/22.OVG - juris S. 10 und VGH München, Beschluss vom 26. Oktober 2023 - 24 B 22.31109 - juris Rn. 31).

30 Dabei ist regelmäßig vom aktuellen Fortbestehen des internationalen Schutzes auszugehen, sofern im konkreten Fall nichts dafür spricht, dass Italien den Schutzstatus aus den in Art. 14 und 19 RL 2011/95/EU genannten Gründen aberkannt, beendet oder seine Verlängerung abgelehnt hat. Allein die längere Abwesenheit von dem schutzgewährenden Mitgliedstaat genügt hierfür nicht. Die aktuelle Auskunftslage bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Italienische Republik diese Rechtslage missachtet und Schutzberechtigten den einmal zuerkannten Status nur deshalb entzieht, weil diese sich für längere Zeit in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben (siehe auch OVG Koblenz, Beschluss vom 27. November 2023 - 13 A 10953/22.OVG - juris S. 10).

31 Nach der aktuellen Erkenntnislage werden Aufenthaltserlaubnisse auf der Grundlage eines zuerkannten internationalen Schutzstatus für einen Zeitraum von fünf Jahren erteilt und auf Antrag verlängert; bei subsidiär Schutzberechtigten ist die Verlängerung an das Fortbestehen der Voraussetzungen für den subsidiären Schutz geknüpft (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222, unter Hinweis auf Art. 23 Abs. 1 und 2 des Gesetzesdekrets Nr. 251/2007 vom 19. November 2007 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG, a. a. O., S. 10; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 4).

32 Der Antrag auf Verlängerung muss grundsätzlich mindestens 60 Tage vor Ablauf der Bewilligung gestellt werden. Die Verlängerung ist international Schutzberechtigten aber auch später noch problemlos möglich (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 2; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 4). Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe soll eine Verlängerung "bis maximal der Hälfte der Gültigkeitsdauer des Status über das Ablaufdatum hinaus" möglich sein; eine Verlängerung des internationalen Schutzstatus sei also bis zu 2,5 Jahre nach Ablaufdatum der Aufenthaltsbewilligung möglich (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 2). Es mag dahinstehen, ob diese schwer verständliche Aussage, auf die sich die Rechtsprechung bisweilen stützt (vgl. etwa VGH München, Beschluss vom 26. Oktober 2023 - 24 B 22.31109 - juris Rn. 31), zutreffend ist und wie sie zu verstehen ist. Auch wenn damit der in der genannten Auskunft in italienischer Sprache zitierte Art. 13 Abs. 4 des Dekrets 394/1999 angesprochen sein sollte, stünde dies der Annahme einer regelmäßigen Verlängerbarkeit auch bei längerfristiger Abwesenheit des Schutzberechtigten nicht durchgreifend entgegen. Die zitierte Vorschrift bestimmt, dass die Aufenthaltserlaubnis nicht erneuert oder verlängert werden kann, wenn sich herausstellt, dass der Ausländer seinen Aufenthalt in Italien für einen ununterbrochenen Zeitraum von mehr als sechs Monaten, oder, bei Aufenthaltserlaubnissen mit einer Dauer von mindestens zwei Jahren, für einen ununterbrochenen Zeitraum von mehr als der Hälfte der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis unterbrochen hat, es sei denn, die Unterbrechung beruht auf der Notwendigkeit der Erfüllung militärischer Pflichten oder anderen schwerwiegenden und nachgewiesenen Gründen. Dabei handelt es sich offenbar um eine nicht auf international Schutzberechtigte gemünzte Regelung des allgemeinen Ausländerrechts (vgl. den Verweis auf die Erfüllung militärischer Pflichten), die zudem aus einer Zeit vor der Schaffung der ersten Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG) stammt. Sie dürfte auf international Schutzberechtigte keine Anwendung finden. Vielmehr haben international Schutzberechtigte nach der auch für Italien verbindlichen unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 24 RL 2011/95/EU Anspruch auf Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels, solange der Schutzstatus fortbesteht. Diese Vorgabe hat Italien in Art. 23 Abs. 1 und 2 des o. g. Gesetzesdekrets Nr. 251/2007 ("Qualifikationsdekret") umgesetzt. Diese Regelungen enthalten keine Einschränkungen in Fällen längerer Abwesenheit; namentlich ergibt sich die Praktizierung eines solchen Ausschlussgrunds aus keinem der Berichte über die aufenthaltsrechtliche Situation international Schutzberechtigter (vgl. insbesondere AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222 f., 10; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 4 f.). Ob etwas anderes gilt, wenn bei einem anerkannten Flüchtling die Verantwortung für die Ausstellung des Reiseausweises und darüber hinaus die Verantwortung für den Flüchtling selbst (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2021 - 1 C 41.20 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2021:​​300321U1C41.20.0] - BVerwGE 172, 125 Rn. 32) nach dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980 - EATRR/EÜÜVF - (BGBl. 1994 II S. 2645) auf Deutschland übergegangen ist, kann hier dahinstehen. Denn in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG fehlt es regelmäßig an der für einen Verantwortungsübergang erforderlichen zumindest stillschweigenden Billigung des Zweitstaats (hier: Deutschlands) für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings, die aus einer bloßen verfahrensakzessorischen Gestattung des Aufenthalts während des laufenden Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht hergeleitet werden kann (vgl. etwa OVG Koblenz, Beschluss vom 25. September 2018 - 7 B 11097, 7 D 11099/18 [ECLI:​​DE:​​OVGRLP:​​2018:​​0925.7B11097.18.00] - juris Leitsätze 1 und 2; VGH München, Beschluss vom 3. Dezember 2019 - 10 ZB 19.34074 [ECLI:​​DE:​​BAYVGH:​​2019:​​1203.10ZB19.34074.00] - juris Rn. 8; BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 30 und - 1 C 24.23 - Rn. 31).

33 Durchgreifende Zweifel an der grundsätzlichen Bereitschaft des italienischen Staates und seiner Behörden, sich an die mit dem internationalen Schutzstatus verbundenen unionsrechtlichen Verpflichtungen (vgl. Art. 20 ff., zum Aufenthaltsrecht Art. 24 RL 2011/95/EU) zu halten, ergeben sich auch nicht aus den Rundschreiben der italienischen Dublin-Einheit vom 5. und 7. Dezember 2022, wonach Überstellungen nach der Dublin III-Verordnung mit eng begrenzten Ausnahmen seither vorübergehend ausgesetzt sind, weil es an Aufnahmekapazitäten fehle (zitiert z. B. bei OVG Münster, Vorlagebeschluss vom 14. Februar 2024 - 11 A 1255/22.A [ECLI:​​DE:​​OVGNRW:​​2024:​​0214.11A1255.22A.00] - juris Rn. 4 ff.; EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2024 - C-185/24, C-189/24 [ECLI:​​EU:​​C:​​2024:​​1036], RL, QS - Rn. 13 f.). Es kann nicht allein deshalb vermutet werden, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Schwachstellen aufweisen, die den Antragsteller einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzen. Vielmehr kann das Vorliegen solcher systemischer Schwachstellen und einer solchen Gefahr nur nach einer konkreten Prüfung festgestellt werden, die auf objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktualisierten Angaben beruht (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2024 - C-185/24, C-189/24 - Rn. 40). Konkrete Rückschlüsse auf das erwartbare Verhalten der Italienischen Republik in Bezug auf anerkannte Schutzberechtigte lassen diese Rundschreiben nicht zu.

34 Der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist bei der Quästur der Gemeinde zu stellen, in der der Schutzberechtigte mit seinem Wohnsitz registriert ist. Für den Antrag sind keine besonderen Dokumente, aber eine Adresse notwendig, da die Dokumente per Post an die angegebene Adresse versendet werden. Daher wird in der Praxis häufig entweder der Nachweis eines eingetragenen Wohnsitzes bzw. einer Meldeadresse verlangt oder eine vom Unterkunftgeber ausgestellte sogenannte Erklärung der Gastfreundschaft (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 5; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Schutzberechtigte ohne tatsächliche Meldeadresse geben oft fiktive Adressen oder Adressen von Hilfsorganisationen an, was häufig ablehnende Entscheidungen zur Folge hat. Das Innenministerium hat gegenüber den Quästuren bereits 2015 klargestellt, dass ein Adressnachweis für die Ausstellung oder Verlängerung eines Aufenthalts nicht vorgesehen ist, und eine Erklärung der Betroffenen über ihren Wohnort ausreichend ist. Zudem hat es klargestellt, dass fiktive oder virtuelle Wohnsitze als Wohnsitznachweis akzeptiert werden müssen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2022 Update, S. 216; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Im Jahr 2019 hat das Zivilgericht in Rom auf einen Eilantrag eines subsidiär Schutzberechtigten das Polizeipräsidium Rom verpflichtet, diesem unverzüglich eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Die Möglichkeit der Angabe einer virtuellen Adresse, die Obdachlosen von den Kommunen zugewiesen werde, stelle ein Instrument zur Effektivierung subjektiver Rechte dar und sei in diesem Zusammenhang ausreichend (vgl. Tribunale Ordinario di Roma vom 25. Juni 2019 - N. R. G. 36905/19 - Rohübersetzung; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Auch das Zivilgericht Brescia hat in einer Entscheidung vom 10. März 2022 auf das Rechtsmittel eines subsidiär Schutzberechtigten klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie den nationalen Behörden keinen Spielraum dahingehend belasse, dass diese die Erteilung eines Aufenthaltstitels für subsidiär Schutzberechtigte von weiteren, nicht im Gesetz vorgesehenen Anforderungen abhängig machen könnten (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 223).

35 Soweit die zuständigen Polizeibehörden in ganz Italien gleichwohl weiterhin Adressnachweise verlangen sollten (so das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl <BFA>, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 16; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222), wäre es einem Schutzberechtigten, der einen solchen Nachweis nicht beibringen kann, zumutbar, um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen.

36 Die Wartezeit auf die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis kann nach der Erkenntnislage beträchtlich sein: Zwar muss die Aufenthaltserlaubnis innerhalb von 60 Tagen nach Antragstellung ausgestellt werden. Dieser Zeitraum fällt in der Praxis indes häufig länger aus; in einigen Provinzen soll es bis zu einem Jahr dauern können. Dies stellt im Alltag jedoch kein Problem dar, weil die antragstellende Person nach der Beantragung eine Bestätigung über die Antragstellung (sog. "cedolino") erhält, die in allen Fällen, in denen eine Aufenthaltserlaubnis benötigt wird, vorgezeigt werden kann und allgemein akzeptiert wird (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, 18. September 2020, S. 5). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtete zuvor hingegen von möglichen Schwierigkeiten mit Arbeit- oder Unterkunftgebern während der Wartezeit auf die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, obwohl man während der Wartezeit auf die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung laut Gesetz arbeiten dürfe (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 50 f.). In Anbetracht der gegenteiligen, von ACCORD geschilderten Auskunft sowie der Gesetzeslage geht der Senat aber nicht davon aus, dass derartige (sicherlich bisweilen mögliche) Schwierigkeiten Schutzberechtigte vor generell unüberwindbare Probleme bei der Existenzsicherung stellen, zumal die Betroffenen regelmäßig auch ihren internationalen Schutzstatus, der sie gemäß Art. 26 Abs. 1 RL 2011/95/EU zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, nachweisen können. Die Vorlage der Bestätigung über die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis genügt auch für die Registrierung beim Staatlichen Gesundheitsdienst SSN (dazu unten unter 2.2.2 d) ee)).

37 Diese dargestellte Auskunftslage rechtfertigt insgesamt die Einschätzung, dass es nach Italien zurückkehrenden, dort anerkannten Schutzberechtigten auch dann, wenn ihr bisheriger Aufenthaltstitel abgelaufen ist und sie sich zwischenzeitlich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten haben, und auch ohne eine feste Meldeadresse möglich ist, erneut einen Aufenthaltstitel als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter (erforderlichenfalls nach Beschreitung des Rechtswegs) zu erhalten. Dass dies einige Monate in Anspruch nehmen kann, steht der Befriedigung der Grundbedürfnisse während dieses Zeitraums nach den obigen Ausführungen nicht entgegen. Dies gilt erst recht, wenn die Schutzberechtigten wie bei der hier zu betrachtenden Personengruppe des alleinerziehenden Elternteils mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren zunächst voraussichtlich unmittelbar in dem Zweitaufnahmesystem SAI untergebracht werden (vgl. nachfolgend unter c)), in dem die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt ist.

38 b) International Schutzberechtigte können sich bei der Wohnsitzgemeinde registrieren lassen. Seit der Aufhebung des sogenannten Salvini-Dekrets (Gesetzesdekret Nr. 113/2018) durch das Gesetzesdekret Nr. 173/2020 besteht für Migranten wieder die Möglichkeit, sich in ihrer Wohnsitzgemeinde registrieren zu lassen ("residenza"). Hierdurch erhalten sie unter anderem auch Zugang zu Notfallprogrammen im Zeitraum von Dezember bis April ("emergenza freddo", vgl. SFH vom 10. Juni 2021, S. 13, 14 m. w. N.). Soweit die Verwaltungen aufgrund von Altfällen auch weiterhin überlastet sind und für die Registrierung mehr Zeit benötigen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A [ECLI:​​DE:​​OVGNRW:​​2021:​​0720.11A1674.20A.00] - juris Rn. 69 m. w. N.), bestehen hinreichende Hilfsangebote zur Überbrückung etwaiger Wartezeiten (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG [ECLI:​​DE:​​OVGRLP:​​2023:​​0327.13A10948.22.OVG.00] - juris Rn. 57 und 68).

39 Die aktuelle Erkenntnislage bestätigt die Möglichkeit der Registrierung ("iscrizione anagrafica") für nach Italien zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte. Der Besitz einer Meldeadresse ist unter anderem Voraussetzung für die Ausstellung von Dokumenten, für den Erhalt von Sozialhilfen (Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 131; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 224 f.) und für den Zugang zu Gemeindeunterkünften (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 4; Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022 - im Folgenden: AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022 –, S. 13). International Schutzberechtigte sind wie italienische Staatsangehörige dazu verpflichtet, sich in das Einwohnermelderegister einzuschreiben (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 4; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7 f.). Der unter Geltung des Salvini-Dekrets beschriebene Ausschluss von Asylbewerbern von der Registrierung ist vom italienischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und durch das Gesetzesdekret 130/2020, umgewandelt durch das Gesetz 173/2020, wieder aufgehoben worden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 224). Zudem hat er die hier interessierende Gruppe der international Schutzberechtigten schon nicht betroffen (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 227).

40 Wenn ein Schutzberechtigter untertaucht, wird er zwar nach einiger Zeit aus dem Melderegister gelöscht, die erneute Einschreibung ist jedoch problemlos möglich (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7 f.; AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28). Der Antrag zur Einschreibung in das Melderegister ist beim zuständigen Gemeindebüro am Wohnort einzureichen; er kann am Schalter vor Ort, per Fax oder über ein Online-Formular gestellt werden. Für die Beantragung wird unter anderem ein gültiges Personaldokument benötigt, ein Mietvertrag oder ein anderer Wohnnachweis (außer bei Obdachlosen), sowie eine italienische Steuernummer. Nicht-EU-Bürger benötigen zudem einen gültigen Aufenthaltstitel oder eine Eingangsbestätigung über einen gestellten Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung eines solchen Titels (vgl. Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 132, 134).

41 Über eine Steuernummer verfügen zurückkehrende Schutzberechtigte bereits aufgrund des Erstaufenthalts in Italien. Sie haben mit der Stellung des Asylantrags eine vorläufige Steuernummer und nach der Zuerkennung internationalen Schutzes mit der Beantragung des Aufenthaltstitels für Schutzberechtigte ihre endgültige alphanumerische Steuernummer erhalten (vgl. etwa Programma integra, https://www.programmaintegra.it/wp/​agenzia-delle-entrate-procedura-telematica-per-lattribuzione-del-codice-fiscale-provvisorio-ai-richiedenti-asilo/, abgerufen am 13. November 2024). Soweit diese nicht mehr bekannt sein sollte, kann ein Duplikat der Steuerkarte online oder persönlich beim zuständigen Finanzamt beantragt werden (Agenzia delle entrate <italienische Steuerbehörde>, https://www.agenziaentrate.gov.it/​portale/​web/​eng​​lish/​nse/​ind​​ividuals/​tax-identification-number-for-foreign-citizens#:~:text=You%20can%20request%20a%20duplicate,of%20the%20Italian​%20Revenue%20Agency; abgerufen am 13. November 2024). Die Steuernummer verliert ihre Gültigkeit nicht; sie hat keinen Zusammenhang mit der Aufenthaltserlaubnis (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - Ein Wegweiser, September 2022, S. 7, https://www.agenziaentrate.gov.it/​portale/​documents/180684/1194227/​DIE_GESUNDHEITSKARTE-Tessera_Sanitaria.pdf/96c144ca-94b4-d686-751b-ea4e620dda03).

42 Auch Obdachlose können sich in das Melderegister einschreiben. Sie stellen den Antrag bei der Gemeinde, in der sie leben oder sich überwiegend aufhalten, und erhalten eine virtuelle (fiktive) Anschrift (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 4; Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 133).

43 Belastbare Aussagen über die Dauer des Registrierungsverfahrens lassen sich den aktuellen Erkenntnisquellen soweit ersichtlich nicht entnehmen. Wesentliche Faktoren, die in älteren Auskünften für lange Wartezeiten verantwortlich gemacht wurden, dürften jedoch zwischenzeitlich weggefallen sein. Das gilt namentlich für verkürzte Öffnungszeiten während der Covid-19-Pandemie sowie für einen Rückstau, der sich durch die nach Aufhebung des Salvini-Dekrets im Dezember 2020 erforderlich gewordene nachträgliche Registrierung einer Vielzahl von Asylsuchenden gebildet haben kann (OVG Koblenz, Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 57; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10. Juni 2021, S. 13). Gewisse Wartezeiten auf eine Registrierung, die in dieser Zeit etwa die Inanspruchnahme von Gemeindeunterkünften hindern, können nichtvulnerable Schutzberechtigte aber durch anderweitige Unterstützungsangebote karitativer, kirchlicher und sonstiger nichtstaatlicher Einrichtungen überbrücken (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 41 und - 1 C 24.23 - Rn. 42). Für den hier zu beleuchtenden vulnerablen Personenkreis, der nach Rückkehr voraussichtlich unmittelbar in einer SAI-Einrichtung Aufnahme findet (vgl. hierzu nachfolgend unter c)), ist die Unterbringung und Versorgung während dieser Wartezeiten in der Einrichtung sichergestellt.

44 c) Die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation hat das Berufungsgericht im Wesentlichen dahin gewürdigt, dass zurückkehrenden vulnerablen Schutzberechtigten der vorbezeichneten Gruppe Obdachlosigkeit angesichts der herrschenden besonderen Rückführungspraxis nicht beachtlich wahrscheinlich drohe. Danach werde bei vulnerablen Personen erst eine Unterkunft gesucht; die Zustimmung Italiens für eine Rückübernahme erfolge nur unter dem Vorbehalt, dass eine geeignete Unterkunft gefunden werde, sodass bei vulnerablen Rückkehrern die Unterkunft bereits bei der Ankunft sichergestellt sei (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 13). Es sei davon auszugehen, dass die Klägerinnen nach ihrer Rückkehr in das Zweitaufnahmesystem SAI aufgenommen würden, obwohl sie in der Vergangenheit bereits dort untergebracht gewesen seien (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 14; so auch OVG Schleswig, Urteil vom 25. Januar 2024 - 4 LB 4.23 [ECLI:​​DE:​​OVGSH:​​2024:​​0125.4LB4.23.00] - juris Rn. 71 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom 14. März 2022 - 4 A 341/20.A - juris Rn. 43 ff.; a. A. OVG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 2024 - 13 A 10945/22.OVG - juris Rn. 30 ff. unter Hinweis auf Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 40 ff.; OVG Weimar, Urteil vom 20. Dezember 2023 - 2 KO 425/23 - juris Rn. 53 ff.; VGH Kassel, Beschluss vom 11. Januar 2021 - 3 A 539/20.A - juris Rn. 15 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 10 LA 64/19 - juris Rn. 21 ff.). Damit sei die Unterbringung und Versorgung der Klägerinnen für den Zeitraum der ersten zwölf Monate sichergestellt. Diese Beurteilung erweist sich auf der Grundlage der aktuellen Auskunftslage im Ergebnis als zutreffend.

45 Auch hinsichtlich der Unterkunft gilt dabei der vom EUGH zu Art. 4 GRC entwickelte strenge Maßstab. Eine Verletzung dieses Grundrechts ist danach erst dann anzunehmen, wenn die physische oder psychische Gesundheit der Schutzberechtigten beeinträchtigt würde oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt würden, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Nach der Rechtsprechung des Senats kann es für nichtvulnerable Schutzberechtigte insoweit genügen, wenn dem Schutzberechtigten ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 - 1 B 83.21 [ECLI:​​DE:​​BVerwG:​​2022:​​190122B1B83.21.0] - juris Rn. 14; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. November 2021 - A 4 S 2850/21 [ECLI:​​DE:​​VGHBW:​​2021:​​1108.A4S2850.21.00] - Rn. 10). Letzteres umfasst insbesondere eine erreichbare Möglichkeit, sich zu waschen. Angesichts der extremen Verletzlichkeit gerade von sehr kleinen Kindern im Alter von unter drei Jahren, die bei der Bewertung des Risikos einer Verelendung zu berücksichtigen ist, ist indessen eine familien- und kindgerechte Unterbringung erforderlich (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 - juris Rn. 21 ff. m. w. N.).

46 Aktuell stellt sich die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation im Bereich der staatlichen Unterbringung (aa) sowie zu der herrschenden Rückführungspraxis bei der hier zu betrachtenden vulnerablen Personengruppe (bb) wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage rechtfertigt die Einschätzung, dass alleinerziehende Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter drei Jahren, die nach Italien zurückkehren, voraussichtlich zunächst für die Dauer von mindestens zwölf Monaten im Zweitaufnahmesystem SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden können, in dem die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist (cc).

47 aa) Das italienische Aufnahmesystem besteht aus Erstaufnahmeeinrichtungen (staatliche Erstaufnahmezentren sowie die - ursprünglich für eine temporäre Notunterbringung konzipierten - CAS, centri di accoglienza straordinaria ) und Hotspots einerseits und dem sogenannten Zweitaufnahmesystem (SAI = Sistema di accoglienza e integrazione , vormals SPRAR, dann SIPROIMI) andererseits. Bereits anerkannten Schutzberechtigten steht allein das SAI offen, das primär deren Aufnahme sowie der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen dient (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 146 ff., 149). Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113/2018 (sog. Salvini-Dekret) wurden Asylbewerber aus dem SAI-System ausgeschlossen. Durch das Umwandlungsgesetz Nr. 173/2020 zum Gesetzesdekret Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020 (dem sog. Lamorgese-Dekret) wurde mit Wirkung zum 20. Dezember 2020 das bisherige Modell teilweise wiederhergestellt und ein einheitliches Aufnahmesystem sowohl für Asylbewerber als auch für Schutzberechtigte wieder eingeführt, ohne jedoch eine angemessene und proportionale Ausweitung der Anzahl der verfügbaren Plätze vorzusehen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 116).

48 2023 wurde das staatliche Aufnahmesystem erneut reformiert. Das Gesetzesdekret 20/2023 (sog. Cutro-Dekret), in Gesetzesform überführt durch das Gesetz 50/2023, kehrte zu einer klareren Trennung zwischen dem Aufnahmesystem für Asylbewerber und dem Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte zurück. Asylbewerber wurden im Grundsatz erneut vom Zugang zur Unterbringung im SAI-System ausgeschlossen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Zugang zum SAI haben aus der Gruppe der Asylbewerber seither nur noch vulnerable Personen und solche, die über Resettlement-Programme oder ähnliche humanitäre Zugangswege legal eingereist sind. Als vulnerabel und somit zugangsberechtigt zu SAI-Unterkünften werden nunmehr aus italienischer Sicht auch alle Frauen eingestuft; Schwangere genießen dabei Vorrang (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Schutzsuchende Alleinerziehende mit Kind gelten ebenfalls als vulnerabel (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7), Schutz suchende Familien sind hingegen nicht erfasst. Familien im Asylverfahren können in den Erstaufnahmeeinrichtungen unterkommen, sofern nicht weitere Vulnerabilitäten bestehen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7). Ungeachtet dessen ist das SAI-System nach der Reform primär der Aufnahme der anerkannt Schutzberechtigten und unbegleiteten Minderjährigen zu dienen bestimmt. Andere Drittstaatsangehörige haben deshalb nur im Fall verfügbarer Plätze Zugang (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240). Nach der Auskunft des italienischen Innenministeriums gilt Letzteres aber auch für anerkannte Schutzberechtigte; auch diese haben nur Zugang zu den SAI-Einrichtungen, soweit Kapazitäten vorhanden sind (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 29). Ausgeschlossen vom Zugang zu SAI-Einrichtungen sind diejenigen Begünstigten des "besonderen Schutzes" (special protection), die vom internationalen Schutz wegen der Erfüllung von Ausschlussklauseln ausgeschlossen sind und deshalb nur diesen eingeschränkten Schutzstatus genießen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241).

49 Das Cutro-Dekret führte außerdem eine neue Art von vorläufigen Aufnahmeeinrichtungen ( provisional centres ) ein, die sich auf grundlegende Dienstleistungen wie Lebensmittel, Unterkunft, Kleidung, Gesundheitsversorgung und Sprach- und Kulturvermittlung beschränken. In diese provisorischen Einrichtungen können Asylsuchende für die unbedingt erforderliche Zeit bis zur Feststellung der Verfügbarkeit von Plätzen in staatlichen Aufnahmezentren oder in CAS-Einrichtungen aufgenommen werden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149).

50 Das SAI-Netzwerk besteht aus kleinen Aufnahmestrukturen und angemieteten Apartments, die anders als die staatlichen Erstaufnahmeeinrichtungen nicht durch die italienische Regierung, sondern auf Freiwilligkeitsbasis durch lokale Behörden (Städte, Gemeinden) in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bereitgestellt werden. Diese Unterbringungseinrichtungen liegen entweder direkt in der Stadt oder in Orten, die über eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz verfügen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 3; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 156). Die Projekte werden in der Regel gemeinsam von Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben und unmittelbar vom Innenministerium finanziert. Die lokalen Behörden können sich freiwillig für Aufnahmeprojekte in ihrem Hoheitsgebiet bewerben und beim Ministerium die Finanzierung beantragen, die in der Regel für drei Jahre bewilligt wird (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241, 149).

51 In den SAI-Einrichtungen werden neben der reinen Unterkunft und Verpflegung (vgl. dazu AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25; SFH und Pro Asyl, Auskunft an VGH Kassel vom 29. Oktober 2020, S. 3) auch Unterstützungs- und Integrationsleistungen erbracht. Hierzu gehören etwa Übersetzungs- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Vermittlung der italienischen Sprache und Schulbesuch für Minderjährige, Hilfe bei der Kindergartenplatzsuche, Gesundheitsversorgung, sozio-psychologische Hilfen vor allem für vulnerable Personen, Ausbildung, Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche, Beratung über verfügbare Dienstleistungen zur örtlichen Integration und Information über Programme zur freiwilligen Rückkehr sowie über Freizeit-, sportliche und kulturelle Aktivitäten (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241 f.; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7, 8). Das Gesetzesdekret Nr. 130/2020 unterscheidet nunmehr zwischen Leistungen für im SAI untergebrachte Asylbewerber (first level services) und Leistungen, die anerkannten Schutzberechtigten vorbehalten sind (second level services); zu Letzteren zählen die Unterstützung bei der Integration und Arbeitssuche sowie beruflichen Bildung (AIDA/‌ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241 f.). Innerhalb des SAI-Systems sind Projekte vorhanden, die auf die Aufnahme und die Unterstützung von Personen spezialisiert sind, die besonders vulnerabel sind, z. B. Single-Familien, alleinstehende oder schwangere Frauen (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S.  5).

52 Anträge international Schutzberechtigter für eine Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI) müssen auch weiterhin an den "Servizio Centrale", einen vom Innenministerium eingesetzten Zentraldienst, gerichtet werden (vgl. bereits SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 54 f.; ebenso SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 3). Die Anträge können nicht von den Berechtigten selbst ausgefüllt werden; sie werden hauptsächlich von der örtlichen Präfektur oder den die Erstaufnahmeeinrichtungen verwaltenden Stellen oder durch Rechtsanwälte beim Servizio Centrale eingereicht. Der Servizio Centrale prüft die Anträge und klärt ab, ob die Person noch ein Recht auf Unterbringung hat und ob ein dem Bedarf entsprechender Platz (in ganz Italien) frei ist. Nur der Servizio Centrale hat einen Überblick über die Projekte und die freien Plätze in den Projekten. Es existiert keine Warteliste; kann kein freier Platz zur Verfügung gestellt werden, muss zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein Antrag auf Unterbringung in einem SAI-Projekt gestellt werden (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 3).

53 Der Status als international Schutzberechtigter berechtigt nicht zum Verbleib in einer Erstaufnahme- oder CAS-Einrichtung; diese Einrichtungen müssen Schutzberechtigte nach Zuerkennung eines Schutzstatus verlassen (AIDA/‌ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240). Die meisten Präfekturen gestatten den Verbleib nur noch für einige Tage (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 16). Infolge von Abstimmungs- und Kommunikationsproblemen dauert es meist so lange, bis ein Antrag auf Unterbringung in einer SAI-Einrichtung bearbeitet ist und ein Platz zugewiesen werden kann, dass sich die Schutzberechtigten oft dafür entscheiden, sich unmittelbar an ein SAI-Projekt zu wenden und um Zulassung zu bitten, anstatt auf die Zuweisung durch den Zentraldienst zu warten. Der Servizio Centrale hat keinen Überblick über die Anzahl der bei ihm eingehenden Anträge, was eine Zuweisung der verfügbaren Plätze gemäß den vorgegebenen Prioritätskriterien im Hinblick auf die Vielzahl der Anträge erschwert. Seit Inkrafttreten des Cutro-Dekrets soll der Übergang von einem CAS oder staatlichen Erstaufnahmezentrum zum SAI für Asylbewerber erschwert worden sein. Diese werden nicht selten nach der Zuerkennung eines Schutzstatus aufgefordert, die (Erstaufnahme-)Unterkunft zu verlassen, ohne dass auch nur geprüft wird, ob es verfügbare Plätze in SAI-Einrichtungen gibt. Hat man aber einmal das Unterbringungssystem verlassen, soll es schwierig sein, wiederaufgenommen zu werden. Die Unterbringung im SAI mit seinen knappen verfügbaren Plätzen sei seither noch mehr zu einer bloßen Möglichkeit geworden (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 128, 239 f.; siehe auch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 16).

54 Die Aufenthaltsdauer im SAI-System (vormals SIPROIMI) wurde für Inhaber eines Schutzstatus durch ein Dekret vom 18. November 2019 ("Moi Dekret") auf sechs Monate festgelegt. Nur in einigen besonders ausgeführten und begründeten Fällen kann danach die Aufnahme nach vorheriger Zustimmung des zuständigen Präfekten um weitere sechs Monate verlängert werden. Dies ist etwa möglich, um den Abschluss von Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen oder gesundheitlichen Belangen Rechnung zu tragen, ebenso in Fällen von besonders aufgeführten Vulnerabilitäten oder besonderer Bedürfnisse. Weitere sechs Monate können im Falle fortbestehender ernsthafter gesundheitlicher Gründe oder um ein Schuljahr zu beenden gewährt werden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242). Mitunter soll es vorkommen, dass die Unterbringungszeit auf Antrag noch weiter verlängert wird und Personen mehr als zwei Jahre in einer SAI-Unterkunft leben (Revisionserwiderung der Beklagten, 29. Mai 2024, S. 6). Diese Regelungen über die Zeitdauer des Aufenthalts dürften im Wesentlichen fortgelten (vgl. AIDA/ECRE, ebd.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 16). Das Gesetzesdekret Nr. 130/2020 hat die Aufnahmedauer im SAI nicht näher geregelt. Es hat aber bestimmt, dass alle dort untergebrachten Personen nach Ablauf der Aufenthaltszeit in weitere Integrationswege überführt werden, für die die zuständigen Kommunen im Rahmen ihrer personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen verantwortlich sind. Der Jahresbericht des Zweitaufnahmesystems zeige, dass dort untergebrachte Flüchtlinge erheblichen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft begegnen können (AIDA/‌ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242).

55 Nach dem SAI-Jahresbericht 2023 verließen im Jahr 2023 22 404 Schutzberechtigte die SAI-Einrichtungen. Weniger als die Hälfte (43,8 %) gingen vorzeitig aus eigenem Antrieb, 2 % mussten die Einrichtung aufgrund einer einseitigen Entscheidung der Einrichtung verlassen, und 52,1 % verließen diese wegen Ablaufs der vorgesehenen Aufenthaltsdauer (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: 31. Dezember 2023, S. 86). Wenngleich die letztgenannte Zahl Schwierigkeiten bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft indizieren dürfte (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242), rechtfertigt sie nicht den Schluss, dass sämtliche damit bezeichneten Schutzberechtigten, die die maximale Aufenthaltsdauer im SAI-System in Anspruch nehmen, nicht über eine "Anschlusslösung" verfügen.

56 Bei der ersten Ankunft in einer SAI-Einrichtung gibt es ein wechselseitiges Abkommen (patto di accoglienza) zwischen Betreiber der Einrichtung und dem Bewohner. Die Betreiber garantieren eine Unterkunft und Verpflegung sowie eine Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt und in die italienische Gesellschaft. Die Bewohner hingegen erklären sich bereit, an den Maßnahmen teilzunehmen und die Hausregeln zu befolgen. Bestandteil der Aufnahmeübereinkunft, die der Bewohner mit dem Einrichtungsbetreiber abschließt, ist auch die Verpflichtung, die Unterkunft nicht längerfristig unentschuldigt zu verlassen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 3 und 5). Für anerkannte Schutzberechtigte erlischt das Recht auf den zugewiesenen Aufnahmeplatz in einer SAI-Einrichtung nach mehr als 72 Stunden, das heißt drei Tagen unentschuldigter Abwesenheit (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 2; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 243). Dies ergibt sich auch weiterhin aus Art. 40 der SIPROIMI-Richtlinie (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 5 und 7). Üblicherweise werden untergetauchte Personen kontaktiert und wird versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen. Generell wird die Person nach Ablauf der drei Tage nicht wieder in die Unterkunft gelassen, es sei denn, es liegen triftige Gründe vor, wie eine ausgeprägte Vulnerabilität (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 4).

57 Für international Schutzberechtigte, die bereits vor ihrer Weiterreise in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (heute: SAI) untergebracht waren, gibt es somit keine Garantie der Wiederaufnahme. Wenn eine Person eine Unterkunft vor Ablauf der vorher festgelegten Aufenthaltsdauer verlassen oder dort die maximale Unterbringungszeit ausgeschöpft hat und anschließend aus einem Mitgliedstaat zurückgeführt wird, kann sie nur nach einer individuellen Bewertung unter Umständen wieder in die Unterkunft zurückkehren; dabei wird die Vulnerabilität der Schutzsuchenden berücksichtigt (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23, 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 2). Besonders vulnerable Personen werden dann laut einer Auskunft eines Vertreters einer SAI-Einrichtung nicht erneut in das SAI, sondern in eine geeignetere Struktur aufgenommen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23). Dass bei besonderer Vulnerabilität in individuellen Fällen Ausnahmen vom Verlust des Unterbringungsrechts gemacht werden, bekräftigt auch der UNHCR: Sicher sei, dass vulnerable Personen mit besonderen Bedürfnissen in der Regel zurückkehren können. In diesen Fällen werde die vorher verbrachte Zeit in einer SAI-Einrichtung nicht angerechnet, sondern das Integrationsprojekt und die Aufenthaltszeit beginne von Neuem (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 4; so auch der italienische Flüchtlingsrat CIR im Oktober 2021, vgl. AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.). Nach vorherigem Untertauchen in einen EU-Mitgliedstaat haben vulnerable Personen nach vorheriger Prüfung aufgrund der prioritären Behandlung größere Chancen, in ein SAI zurückzukehren (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 5).

58 Auch nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erhalten Personen, die bereits früher Zugang zu einem Projekt im Rahmen des SAI-Systems (zuvor: SIPROIMI) hatten, bei einer späteren Rückkehr nach Italien grundsätzlich keinen (erneuten) Zugang mehr. Ausnahmsweise können aber anerkannt Schutzberechtigte beim italienischen Innenministerium einen erneuten Antrag auf Unterbringung stellen, wenn sie aus nunmehr eingetretenen Gründen (neue Vulnerabilitäten) als besonders verletzlich anzusehen sind (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 61; dies., Auskunft an OVG Münster vom 17. Mai 2021, S. 2 und Auskunft an VG Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 7).

59 Mit dem Cutro-Dekret ist zudem festgelegt worden, dass international Schutzberechtigte und andere Zugangsberechtigte zum SAI außer in Fällen von höherer Gewalt das Recht auf den Aufnahmeplatz verlieren, wenn sie nicht innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Zuweisung des Unterbringungsplatzes in der Einrichtung erscheinen, sofern es nicht objektive und nachvollziehbare Gründe für die Verzögerung gibt (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 2; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 76, 240). Damit kann auch weiterhin allein die - nicht in Anspruch genommene - Zuweisung für den Verlust ausreichen (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 56; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 13 f.). Die Betroffenen wissen oftmals nicht, ob sie eine Zuweisung zu einer SAI-Unterkunft erhalten haben, weil sie ihre ursprüngliche Unterkunft zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatten. In einem solchen Fall ist ihr Recht auf Unterbringung ebenfalls verwirkt. Der italienische Staat bietet keine Alternativunterkunft an (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 4). Nur wenn neue Schutzbedarfe (Vulnerabilitäten) vorliegen, kann eine erneute Unterbringung in einem SAI-Projekt beantragt werden (Raphaelswerk e. V., ebd.).

60 Zu den Kapazitäten und dem Auslastungsgrad des SAI-Netzwerks liegen aktuell folgende Erkenntnisse vor: Nach dem SAI-Jahresbericht gab es am 31. Dezember 2023 43 193 finanzierte Plätze, von denen 37 947 tatsächlich verfügbar waren (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: 31. Dezember 2023, S. 16, 25, 27 ff., 33). Insgesamt 54 512 berechtigte Personen konnten im Jahr 2023 von einer (zeitweisen) Aufnahme in das SAI profitieren (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: 31. Dezember 2023, S. 16, 25). Am 30. November 2024 umfasste das SAI-Netzwerk 880 Projekte mit insgesamt 38 597 finanzierten und auch tatsächlich verfügbaren Plätzen (posti attivi), davon 31 863 für gewöhnliche Begünstigte, 5 970 Plätze für unbegleitete Minderjährige und 764 Plätze für Menschen mit psychischen Erkrankungen und körperlichen Behinderungen. Von diesen 38 597 Plätzen sind 37 678 besetzt und 919 frei gewesen, was einer Auslastung von 97,6 % entspricht (vgl. I dati generali del SAI, 30. November 2024, https://www.retesai.it/wp-content/​uploads/2024/12/I-dati-generali-del-SAI-al-30-novembre-2024.pdf).

61 Obwohl das SAI-System in den 20 Jahren seit seiner Einrichtung im ganzen Land langsam, aber stetig ausgebaut wurde (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: 31. Dezember 2023, S. 28), wird die Gesamtzahl der verfügbaren Plätze als nach wie vor in großem Maße unzureichend bezeichnet, um den bestehenden Bedarf zu decken (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 117, 150, 244; so auch die Bewertung des italienischen Flüchtlingsrats im Oktober 2021, vgl. AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25 f.). Das Regionale Verwaltungsgericht (Tribunale Administrativo Regionale, TAR) Marche hat am 2. August 2021 entschieden, dass ein Mangel an verfügbaren Plätzen im SAI-System und eine nur geringe Beteiligung lokaler Behörden an SAI-Projekten für vulnerable Personen nicht zum Nachteil der aufnahmebedürftigen Personen gehen könne; es hat die mit Kapazitätserschöpfung begründete Ablehnung der Aufnahme einer Frau mit gesundheitlichen Einschränkungen deshalb aufgehoben (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240 f.).

62 Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bezeichnet die Zahl der verfügbaren Plätze für Personen mit besonderen Bedürfnissen (psychische oder physische Beeinträchtigungen) als sehr klein, weshalb die Chance auf Erhalt eines solchen Platzes sehr viel geringer als die Chance auf einen "normalen" Platz sei (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 4).

63 Für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind im SAI-System 3 000 zusätzliche Plätze geschaffen worden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 121). Im Dezember 2021 wurden zudem 2 000 zusätzliche Plätze für den Unterbringungsbedarf afghanischer Asylsuchender aktiviert, die später auch ukrainischen Flüchtlingen zugänglich gemacht wurden (a. a. O., S. 243).

64 Die italienische Regierung hat den im April 2023 erklärten Ausnahmezustand "als Folge des außergewöhnlichen Anstiegs der Migrantenströme, die über die Migrationsrouten des Mittelmeers in das nationale Hoheitsgebiet einreisen", von Oktober 2023 bis April 2024 verlängert (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 116). Im April 2024 wurde eine weitere Verlängerung um sechs Monate verkündet (Entschließung des Ministerrates vom 9. April 2024 über die Verlängerung des Ausnahmezustands infolge des außergewöhnlichen Anstiegs der Migrantenströme, die über die Migrationsrouten des Mittelmeers in das Staatshoheitsgebiet gelangen, veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 122 vom 27. Mai 2024, abrufbar unter: https://www.protezionecivile.gov.it/it/​normativa/​delibera-del-cdm-del-9-aprile-2024-proroga-dello-stato-di-emergenza-flussi-migratori/). Die Zahl der in Italien eintreffenden Asylbewerber ist 2024 verglichen mit dem Vorjahr wieder rückläufig. Während von Januar bis August 2023 137 946 Drittstaatsangehörige (ohne Ukraine-Flüchtlinge) in Italien ankamen, waren es im gleichen Zeitraum 2024 nur 68 673 (UNHCR, Fact Sheet Italy, August 2024, S. 1). Bis Ende August 2024 kamen laut Auskunft des UNHCR 194 684 Ukrainer in Italien an und stellten dort einen Antrag auf zeitweiligen Schutz (UNHCR, Fact Sheet Italy, August 2024, S. 1). Andererseits ist die Zahl der Asylanträge gestiegen. Während von Januar bis August 2023 82 811 Asylanträge gestellt wurden, waren es von Januar bis August 2024 109 039 (UNHCR, Italy Weekly Snapshot, 11. - 17. Nov. 2024). Dabei betrug die Anerkennungsquote mit Flüchtlingsstatus, subsidiärem Schutz und sonstigen nationalen Schutzformen im erstinstanzlichen Verfahren 37 % (UNHCR, Italy Weekly Snapshot, 11. - 17. Nov. 2024, First-Instance RSD Decisions, Jan. - Sept. 2024).

65 Nach der vorstehend dargestellten aktuellen Erkenntnislage können in Italien anerkannte nichtvulnerable Schutzberechtigte nach Rückkehr mit der Aufnahme in eine SAI-Unterkunft (mit Verpflegung und weiteren Integrationsleistungen) jedenfalls dann nicht rechnen, wenn sie nach der Zuerkennung ihres Schutzstatus in Italien bereits in einer solchen Unterkunft untergebracht waren oder ihnen ein entsprechender Platz zumindest zugewiesen worden war, sie diesen aber nicht in Anspruch genommen oder verlassen haben. Nichtvulnerable Schutzberechtigte haben aber die - zur Abwendung einer Verelendung hinreichende - Möglichkeit, außerhalb des staatlichen Unterbringungssystems eine nach dem hier anzuwendenden Maßstab hinreichende, gegebenenfalls wechselnde Unterkunft zu finden (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 65 und - 1 C 24.23 - Rn. 66).

66 Etwas anderes gilt nach den dargestellten aktuellen Erkenntnissen indessen für als international schutzberechtigt anerkannte vulnerable Personen, zu denen auch die hier zu betrachtende Personengruppe des alleinerziehenden Elternteils mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren zählt. Für sie ist aufgrund des Vorliegens einer besonderen Vulnerabilität eine Wiederaufnahme in eine SAI-Einrichtung möglich. Dabei sprechen die Erkenntnisse nicht nur von neu entstandenen Vulnerabilitäten, sondern eine Wiederaufnahme ist nach diversen Auskünften allgemein bei Vorliegen einer besonderen Vulnerabilität möglich. Mit Blick auf Kleinkinder von unter drei Jahren wird es sich angesichts des verstrichenen Zeitraums bis zur Rückkehr aus Deutschland zudem häufig nicht nur um eine besondere, sondern zusätzlich auch um eine neue Vulnerabilität handeln. Dem steht nicht entgegen, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A - juris Rn. 93 ff.) davon ausgeht, eine Berufung auf neue Vulnerabilitäten sei nicht möglich, da Italien für die Asylanträge der in Deutschland geborenen Kinder eines in Italien anerkannten international Schutzberechtigten nicht zuständig sei. Wie bereits zuvor ausgeführt, hat der Senat erst jüngst entschieden (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - juris Rn. 12 ff.), dass nicht nur bei Drittstaaten, sondern auch mit Blick auf andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union regelmäßig von einer Rückkehr der Kernfamilie im Familienverband auszugehen ist. Im Übrigen erhalten Familienmitglieder international Schutzberechtigter in Italien eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 236).

67 Die regelmäßig auf sechs Monate begrenzte Aufenthaltsdauer in einer SAI-Einrichtung kann bei besonderer Vulnerabilitäten zudem um weitere sechs Monate und unter Umständen auch noch darüber hinaus verlängert werden, sodass von einer Aufenthaltsdauer von mindestens einem Jahr im SAI für die hier zu betrachtende Personengruppe ausgegangen werden kann. Dass die Wiederaufnahme nicht gesetzlich garantiert ist und auch von Kapazitätsproblemen im Zweitaufnahmesystem SAI berichtet wird, steht dieser Annahme nicht entgegen. Der Senat verkennt dabei auch angesichts des vom italienischen Staat bis Oktober 2024 ausgerufenen Migrationsnotstandes und der bereits erwähnten Schreiben vom 5. und 7. Dezember 2022 nicht, dass nach Italien zurückkehrende Schutzberechtigte bei der Unterbringung mit einer Vielzahl von Migranten - unter anderem auch den Flüchtlingen aus der Ukraine - konkurrieren und - wie bereits ausgeführt - gerade Schutzberechtigte ohne Vulnerabilitäten nach einer Rückkehr nach Italien nicht mit einer Unterbringung im SAI rechnen können. Die beschriebenen aktuellen Zahlen in den SAI-Einrichtungen zeigen gleichwohl - ebenso wie in den Monaten davor - eine Auslastung von (lediglich) knapp 98 % Ende November 2024 und weisen für diesen Zeitpunkt damit 919 freie Plätze aus. Zudem genießen Personen mit besonderer Vulnerabilität Vorrang bei der Aufnahme in eine SAI-Einrichtung. Dies korrespondiert mit der Auskunft der Verbindungsbeamtin in Italien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nach der ca. 2 % der Plätze im SAI vorgehalten werden, um so auf dringend benötigten Bedarf an Unterbringungsplätzen, insbesondere bei besonderen Vulnerabilitäten, reagieren und diesen abdecken zu können. Vor diesem Hintergrund kann der Auffassung, die SAI-Einrichtungen seien völlig unterdimensioniert, weshalb selbst eine privilegierte Zugangsmöglichkeit für vulnerable Personengruppen zum SAI de facto ohne Bedeutung sei (so OVG Koblenz, Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 54), nicht gefolgt werden. Durch das nachfolgend (bb) beschriebene besondere Rückführungsverfahren ist darüber hinaus sichergestellt, dass Angehörige der hier zu betrachtenden Personengruppe nach einer Rückkehr aus Deutschland nach Italien unmittelbar in eine SAI-Einrichtung familien- und kindgerecht untergebracht werden können.

68 bb) Bei der Rücküberstellung von vulnerablen Personen wird der tatsächlichen Rückführung durch die italienischen Behörden erst zugestimmt, wenn eine angemessene Unterkunft und Versorgung sichergestellt ist. Italien verweigert die Rückübernahme schutzberechtigter Familien, bis ein geeigneter Platz gefunden ist. Wenn dies nicht gewährleistet werden kann, erfolgt die formelle Aufforderung an Deutschland, den Rückführungstermin zu verschieben (AA, Auskunft an VG Gera, 6. Januar 2020; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022 und Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 7 f.). Zu den Einzelheiten des Verfahrens hat die Verbindungsbeamtin der Beklagten in Italien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt, es gebe einen Verwaltungsautomatismus bei der Rückführung vulnerabler Personen, insbesondere bei der Rücküberstellung von Familien oder alleinerziehenden Personen mit Kindern. Die Anbietung zur Rückübernahme erfolge bei diesen vulnerablen Schutzberechtigten durch die Bundespolizei an die italienische Polizei, die sich an den Servizio Centrale für eine Zusage eines Unterbringungsplatzes in einer SAI-Einrichtung wendet. Nur wenn dort eine entsprechende Unterbringung der zu überstellenden Personen gewährleistet werden könne, erfolge die Zustimmung zur Rückübernahme. Damit sei eine auch nur vorübergehende Obdachlosigkeit grundsätzlich ausgeschlossen; zwar habe es einen Fall gegeben, in dem die Unterbringung im SAI trotz entsprechender Zusage nicht habe sofort gewährleistet werden können. Indessen habe sich die italienische Polizei sofort um die Familie gekümmert und für eine temporäre Unterbringung noch am gleichen Tag gesorgt. Diese Ausführungen relativieren zugleich andere Auskünfte, denen zufolge rücküberstellte Personen an den Flughäfen alleingelassen würden und keinerlei Unterstützung erführen (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 18; SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 1 f.).

69 cc) Unter Zugrundelegung dieser aktuellen Erkenntnislage erscheint eine familien- und kindgerechte Unterbringung unmittelbar nach einer Rückkehr nach Italien und für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten grundsätzlich gewährleistet und eine - auch nur vorübergehende - Obdachlosigkeit nicht beachtlich wahrscheinlich. Dass Nichtregierungsorganisationen dennoch von Fällen berichten, in denen unmittelbar nach Ankunft keine Unterstützung zur Verfügung gestanden habe, steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn diese wenig konkreten Informationen beziehen sich auf Einzelfälle, bei denen zudem unklar bleibt, ob und welche Absprachen es gegeben haben soll. Auch der Einwand der Klägerinnen, dieses Rücknahmeverfahren setze zu spät, nämlich erst im Zeitpunkt des Vollzugs nach bereits bestands- oder rechtskräftiger Unzulässigkeitsentscheidung an (so auch OVG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 2024 - 13 A 10945/22.OVG - juris Rn. 42; OVG Weimar, Urteil vom 20. Dezember 2023 - 2 KO 425/23 - juris Rn. 78 ff.), vermag die vorgenannte Einschätzung nicht zu erschüttern. Zwar sind die Unterbringungsmöglichkeiten bereits bei der Prüfung der Unzulässigkeit des Asylantrags zu berücksichtigen und dort im Rahmen der Prognose einer möglichen Verletzung des Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK bei Rückkehr nach Italien einzubeziehen. Da es sich jedoch um ein etabliertes Verfahren handelt, dessen (automatisierte) Durchführung bereits im Zeitpunkt der Prüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG feststeht und nach der aktuellen Erkenntnislage eine Wiederaufnahme dieser vulnerablen Personengruppe im SAI zudem grundsätzlich möglich erscheint, kann bereits im Zeitpunkt der Unzulässigkeitsentscheidung auf dieses besondere Rückführungsverfahren abgestellt und für diesen Personenkreis von einer (künftigen) familien- und kindgerechten Unterbringung in einer SAI-Einrichtung ausgegangen werden. Weiterer Vorkehrungen oder einer individuellen Zusicherung bedarf es hiernach nicht mehr (vgl. auch EGMR, Entscheidungen vom 23. März 2021 - Nr. 46595/19 - Rn. 50 ff. und vom 20. April 2021 - Nr. 41100/19 - Rn. 36 ff.).

70 Der Senat verfügt angesichts der vorgenannten Erkenntnismittel über genügend eigene Sachkunde für die Einschätzung, dass international Schutzberechtigte der vorgenannten vulnerablen Personengruppe bei einer Rückkehr nach Italien in das SAI wiederaufgenommen werden können. Der Beweisanregung der Klägerinnen, eine Auskunft des Auswärtigen Amtes dazu einzuholen, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Italien nicht zeitnah erneut in einer SAI-Einrichtung untergebracht werden können, war daher nicht nachzugehen. Zudem ist eine Beweiserhebung zu den individuellen Umständen ausgeschlossen (vgl. hierzu bereits unter 2.1 a)).

71 Da während des Aufenthalts in einer SAI-Einrichtung die Befriedigung der Grundbedürfnisse sowie die Gesundheitsversorgung sichergestellt sind, erscheint eine Verelendung im Sinne des Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK für einen absehbaren Zeitraum im Sinne der Senatsrechtsprechung nicht beachtlich wahrscheinlich.

72 d) Auch im Anschluss an die Unterbringung und Versorgung im SAI ist angesichts der dort angebotenen Hilfen bei der Integration in die italienische Gesellschaft, insbesondere der Unterstützung bei der Suche nach einer weiteren Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie beim Schul- und Kindergartenbesuch, nicht davon auszugehen, dass dem hier zu betrachtenden Personenkreis in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Es bestehen hinreichende Möglichkeiten, ein angemessenes Obdach (aa) zu erhalten. Zur Gewährleistung der weiteren Grundbedürfnisse dürften nach Italien zurückkehrende als international schutzberechtigt anerkannte Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind von unter drei Jahren zwar voraussichtlich nicht oder jedenfalls nicht in hinreichendem Umfang auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen können, wobei gewisse Familienleistungen auch für international Schutzberechtigte erreichbar erscheinen (bb). Auch alleinerziehende Elternteile können in Italien aber eine Beschäftigung aufnehmen und mit dem Erwerbseinkommen - gegebenenfalls mit den bereits erwähnten anderweitigen Unterstützungsleistungen - die Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse für sich und die Kinder erwirtschaften (cc). Die Sorge um die Kinder steht dem nicht entgegen, da diese in der Schule, im Kindergarten oder anderweitig betreut werden können (dd). Schließlich ist auch die medizinische Versorgung gewährleistet (ee).

73 aa) Die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation in den Bereichen öffentlicher bzw. sozialer Wohnraum ((1)), regulärer Wohnungsmarkt ((2)) sowie (Not-)Unterkünften bei kirchlichen, kommunalen, anderen nichtstaatlichen Organisationen sowie Privatleuten ((3)) stellt sich aktuell wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage rechtfertigt angesichts der seitens des SAI zu erwartenden Unterstützung bei der Wohnungssuche und einer von dem betroffenen Elternteil an den Tag zu legenden Eigeninitiative im Einklang mit dem Berufungsgericht (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 14 f.) die Einschätzung, dass der hier bezeichnete vulnerable Personenkreis nach Ausscheiden aus dem SAI eine für Familien mit Kindern genügende Unterkunft wird erhalten können ((4)).

74 (1) Personen, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten, können in Italien ihre Gemeinde um Zugang zu öffentlichem Wohnraum ("Sozialwohnungen") innerhalb des öffentlichen Wohnungsbaus ("Edilizia Residenziale Pubblica" oder ERP) ersuchen. Öffentlicher Wohnraum macht 5 - 6 % des italienischen Wohnungsmarkts aus (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 244 f.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17; UNHCR-ASGI-SUNIA, The refugee house, Februar 2021, S. 11). In absoluten Zahlen wird der öffentliche Wohnungsbestand auf rund 800 000 Einheiten mit einer Unterbringungskapazität von fast zwei Millionen Menschen geschätzt, wobei es 650 000 offene Anträge auf Zuweisung von Wohnraum gibt. Die Warteliste für öffentlichen Wohnraum ist lang; die Wartezeit kann mehrere Jahre betragen, auch für Familien (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 67; SFH und Pro Asyl, Auskunft an VGH Kassel, 29. Oktober 2020, S. 3; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14).

75 International Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu öffentlichem Wohnraum bzw. Wohnbeihilfen wie italienische Bürger. Sie können sich jederzeit bewerben, und sie dürfen nicht aufgefordert werden, zusätzliche oder andere Anforderungen zu erfüllen als diejenigen, die für italienische Staatsbürger gelten. Die Bewerbungsanforderungen variieren zwischen den Regionen und manchmal sogar zwischen den Gemeinden innerhalb derselben Region. Als Kriterien kommen in Betracht: Höchsteinkommen, Fehlen von Wohneigentum, Wohnsitz in der Gemeinde, in der der Antrag gestellt wird, keine vorherige Zuweisung von öffentlichem Wohnraum, keine illegalen Beschäftigungen. Wenn über die Zuweisung von Wohnraum in öffentlichen Wohnimmobilien entschieden wird, erhalten Anträge, die den jeweils gestellten Anforderungen entsprechen, Punktzahlen für Ranking-Zwecke. Die Methoden zur Bewertung variieren je nach Regionen und Gemeinden. Punkte können für Einkommen, Familienzusammensetzung, Aufenthaltsdauer in der Gemeinde, Überbelegung, Zusammenleben mit anderen Familien, schwerbehinderte Personen in der Familie, unzureichende oder unhygienische Unterkunft, Räumungsentscheidungen und neu gebildete Familieneinheiten zuerkannt werden. Die Gemeinde veröffentlicht die vorläufige Rangfolge mit Angabe der Frist, innerhalb derer etwaige Einsprüche wegen Bewertungsfehlern eingelegt werden können. Die endgültige Rangliste wird dann veröffentlicht und die verfügbaren Unterkünfte werden auf ihrer Grundlage zugewiesen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245).

76 Zahlreiche regionale Gesetze sehen vor, dass nur Personen, die in keinem Land der Welt oder zumindest nicht in ihrem Herkunftsland eine Immobilie besitzen, Zugang zu öffentlichem Wohnraum haben. Diese Beschränkung wirkt sich insofern diskriminierend aus, als nur Nicht-EU-Bürger von einer zuständigen Behörde im Herkunftsland ausgestellte Dokumente vorlegen müssen, die den Nichtbesitz von Immobilien in diesem Land bescheinigen. Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, können sich jedoch grundsätzlich nicht an die Behörden ihres Landes wenden und sind zudem wie Inländer zu behandeln. Sie sind deshalb nicht verpflichtet, Nachweise über den Nichtbesitz von Immobilien im Herkunftsland vorzulegen. So hat denn etwa der Gerichtshof von Mailand bereits im Jahr 2020 festgestellt, dass die an alle Nicht-EU-Bürger gerichtete Anforderung solcher Nachweise diskriminierend ist (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245 f.).

77 Als weitere Voraussetzung für den Zugang zum öffentlichen Wohnungsantragsverfahren verlangen einige Regionen und Gemeinden eine Dauer des Wohnsitzes oder der Berufstätigkeit in dem Gebiet von einigen Jahren. In der italienischen Rechtsprechung zeigt sich jedoch eine Tendenz, welche diskriminierende Klauseln einer erforderlichen Verwurzelung in der Region für unrechtmäßig befindet (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 13). Das Regionalgesetz der Lombardei, das fünf Jahre Aufenthalt verlangte und für ausländische Bürger besonders nachteilig war, wurde vom italienischen Verfassungsgericht mit Urteil Nr. 44/2020 für rechtswidrig erklärt und daher aufgehoben. Darüber hinaus stellte das italienische Verfassungsgericht mit dem Urteil Nr. 9/2021 fest, dass die Aufenthaltsdauer nicht zu den Kriterien für die Vergabe einer höheren Punktzahl für die Zuweisung von öffentlichem Wohnraum gehören dürfe, da sie keine größere Bedürftigkeit indiziere. In demselben Urteil erklärte das Verfassungsgericht, dass die Anforderung legalisierter Dokumente, die das Fehlen von Immobilien im Ausland oder im Herkunftsland belegen, eine diskriminierende Bestimmung darstelle, die gegen Art. 3 der italienischen Verfassung verstoße (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245 f.; zur Problematik siehe auch SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 67; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14 sowie BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17).

78 Wegen dieser administrativen Hindernisse, die unter Umständen erst im Klagewege überwunden werden müssen, und vor allem im Hinblick auf die langen Wartezeiten erscheint es im Ergebnis wenig wahrscheinlich, dass anerkannt Schutzberechtigte nach einer Rückkehr zeitnah Unterkunft in einer Sozialwohnung in Italien finden können (vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 71 und - 1 C 24.23 - Rn. 72). Auf längere Sicht ist dies - insbesondere für Elternteile mit Kindern - indessen nicht ausgeschlossen.

79 (2) Der reguläre (private) Wohnungsmarkt dürfte für nach Italien zurückkehrenden international Schutzberechtigten im Regelfall schon aufgrund unzureichender finanzieller Mittel nicht offenstehen (OVG Koblenz, Urteil vom 27. März 2023 - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 55; ebenso etwa OVG Münster, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A - juris Rn. 62; VGH München, Beschluss vom 26. Oktober 2023 - 24 B 22.31109 - Rn. 36).

80 Die Mieten sind im Allgemeinen sehr hoch, vor allem in den großen Städten. Bezahlbare Wohnungen sind schwer zu finden. Viele Flüchtlinge, die in der informellen Wirtschaft arbeiten, können es sich deshalb - insbesondere in Großstädten - nicht leisten, Wohnungen zu mieten. Vermieter verlangen meist einen Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltsgenehmigung (vgl. zum Ganzen BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17; USDOS, Italy 2023 Human Rights Report, 22. April 2024, S. 12; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 71 f.). Der freie Wohnungsmarkt ist beschränkt, weil wegen der hohen Eigentumsquote nur etwa 10 % aller Immobilien frei vermietet werden (UNHCR-ASGI-SUNIA, The refugee house, Februar 2021, S. 7).

81 (3) Laut Auskunft verschiedener Institutionen (UNHCR, CIR, Caritas, ANCI) steht Begünstigten von internationalem Schutz, die aus einem EU-Mitgliedstaat nach Italien zurückgeführt werden und die keinen Zugang zu einer staatlichen Unterkunft erhalten, bei Eintreffen in Italien wie auch nach Verlassen einer staatlichen Unterkunft ein breites Angebot einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung, die entsprechende Unterstützung und Hilfeleistungen anbieten (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 3 f.; AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.). Regional und kommunal bestehen zahlreiche Angebote, die temporäre Unterkunft und zum Teil auch Versorgung und Verpflegung bereitstellen. Insbesondere in Großstädten und regionalen Ballungsräumen werden Unterkünfte und Notschlafplätze angeboten. Unter anderem Kirchen und Freiwilligenorganisationen bieten international Schutzberechtigten zahlreiche Unterbringungsmöglichkeiten an (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, 9. Juli 2024, S. 3 f.; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 151). Die Anzahl der verfügbaren Plätze in diesen Aufnahmeformen ist schwer zu ermitteln. Diese Strukturen werden insbesondere in Notfällen relevant; sie können - wie hier - auch einer Unterbringung in einer SAI-Einrichtung zeitlich nachfolgen oder an deren Stelle treten (AIDA/ECRE, ebd.).

82 Um Zugang zu Gemeindeunterkünften zu erhalten, muss die betroffene Person ihren Wohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben, was eine Registrierung im Einwohnermelderegister voraussetzt (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 4). Eine solche ist anerkannten Schutzberechtigten - wie unter 2.2.2 b) ausgeführt - möglich, sie sind hierzu sogar verpflichtet. In Gemeindeunterkünften können auch italienische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger untergebracht werden, die temporär über keine Wohnung verfügen. Diese Einrichtungen gibt es in allen größeren Städten in Italien. In Rom stehen 288 Plätze zur Verfügung, die hauptsächlich Bett, Bad und drei Mahlzeiten anbieten und auch soziale und medizinische Unterstützung, wenn auch nicht in dem Umfang eines SAI. Dort können Personen für bis zu sechs Monate unterkommen (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7). Einen zentralen Überblick über die Anzahl der Plätze oder die Qualität der Unterkünfte gibt es nicht (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 4).

83 Die NGO Refugees Welcome Italia fördert zahlreiche Initiativen einer familiären Aufnahme ("welcome in the family") für Schutzberechtigte, die das öffentliche Aufnahmesystem verlassen mussten, insbesondere für diejenigen, die keinen Platz in einer SAI-Unterkunft gefunden haben oder diesen vor dem tatsächlichen Abschluss ihrer sozialen Eingliederung verlassen mussten. Refugees Welcome hat im Laufe der Jahre ein bedeutendes Netzwerk auf italienischem Gebiet aufgebaut, wobei die Organisation sowohl mit den Verwaltungen der Aufnahmezentren als auch mit zahlreichen kommunalen Verwaltungen in Kontakt steht (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 151; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 2).

84 UNHCR bestätigt, dass Einrichtungen der Caritas und andere nichtstaatliche Unterkünfte zur Verfügung stehen. Betroffene werden, wenn sie ihren Antrag auf Rückkehr in eine staatliche Unterkunft stellen, seitens der zuständigen Präfektur oder Quästur hierüber auch informiert. Eine Art "zentrales Netzwerk" gibt es jedoch nicht, sodass auch der UNHCR über keine konkreten Informationen darüber verfügt, wie viele Plätze insgesamt landesweit zur Verfügung stehen. Der UNHCR betreibt eine kostenlose Telefonhotline ("linea verde"), an die sich alle Unterkunftssuchenden im Notfall wenden könnten. Zudem verfügt er über eine Vielzahl an Kooperationspartnern in großen Städten, welche Auskunft zu Unterkunftsmöglichkeiten geben können. Diese betreiben auch selbst Informationsschalter, welche namentlich an den größten italienischen Flughäfen zur Verfügung stünden (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7).

85 Die Hilfsorganisation Sant'Egidio veröffentlicht aktuelle Adressen etwa für Rom, an die sich Bedürftige für ihre Grundbedürfnisse (Unterkunft, Waschen, Verpflegung) wenden können, und sie bietet auch selbst derartige Unterkünfte an (Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi). Auch das Raphaelswerk informiert in einem Informationsblatt über Unterstützungsangebote nichtstaatlicher Hilfsorganisationen (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, Anhang, S. 19 ff.).

86 Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Borderline-Europe e. V. sind regional organisierte Notunterkünfte nicht langfristig ausgerichtet, es gibt keinen "fixen" Platz. Sie werden meist von Trägern des sogenannten Dritten Sektors, also nicht staatlich, betrieben (z. B. Caritas, Missionari Vincenziani). Manche von ihnen haben Verträge mit der Gemeinde und werden vor allem zu Winterzeiten geöffnet. Die Dauer dieser Projekte der Aufnahme hängt von der Verfügbarkeit der finanziellen Mittel ab, sie sind nicht kontinuierlich garantiert. Diese Einrichtungen haben nur wenige Plätze zur Verfügung, die die Nachfrage nach Unterbringung derer, die auf der Straße leben müssen, nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Borderline-Europe nicht decken. Die Plätze unterliegen zudem einem Rotationssystem und sind nur für kurze Zeit nutzbar, damit möglichst viele Menschen für einige Tage dort unterkommen können. Neben der Rotation müssen die Bewohnerinnen und Bewohner in der Zeit ihres Aufenthaltes die Zentren tagsüber verlassen. Die Nahrungsmittelversorgung muss über andere Stellen gesichert werden. Borderline-Europe kritisiert, ein Großteil des Tages müsse deshalb für die Deckung der Grundbedürfnisse, z. B. in die Nahrungsfindung (Schlangestehen vor karitativen Suppenküchen), investiert werden, was es nach Angaben zahlreicher Geflüchteter ihnen unter anderem unmöglich mache, sich eine Arbeit zu suchen. Auch für Kleidung seien diese selbst verantwortlich. Es gebe keine medizinischen Behandlungen, es sei denn, eine Privatperson oder ein Verein kümmere sich und biete diese Hilfe an. Dieses System garantiere letztlich nicht die Kontinuität der Dienste und die Angemessenheit der Leistungen, insbesondere im Falle von Menschen mit besonderer Vulnerabilität (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 5; Borderline-Europe e. V., Privat statt Staat?, 1. Februar 2022, S. 4 f.). Auch Borderline-Europe bestätigt aber, dass Italien über ein großes Netz an Nichtregierungsorganisationen verfüge, das sich bemüht, die Lücken des Staates in der Versorgung und Betreuung von Asylsuchenden und anerkannt Schutzberechtigten zu füllen. Diese Projekte sind größtenteils als kurzfristige Notmaßnahme gedacht. Ob und wie lange eine Person Zugang zu Unterstützung durch nichtstaatliche Akteure erhalte, lasse sich nicht voraussagen (Borderline-Europe e. V., a. a. O., S. 12).

87 (4) Gerade die hier zu beurteilende vulnerable Personengruppe des als international schutzberechtigt anerkannten alleinerziehenden Elternteils mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind unter drei Jahren kann zwar nicht auf sämtliche (Not-)Unterkünfte (vgl. zu informellen Siedlungen, behelfsmäßigen Camps und Notunterkünften BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 81 f. und - 1 C 24.23 - Rn. 82 f.) verwiesen werden, insbesondere sind ständig wechselnde Schlafplätze, die zudem nur nachts aufgesucht werden können und tagsüber verlassen werden müssen, sowie prekäre hygienische Verhältnisse für den vorgenannten extrem verletzlichen Personenkreis unzumutbar; sie erfüllen die Anforderungen an eine familien- und kindgerechte Unterbringung nicht. Es besteht aber nach den aktuellen Erkenntnismitteln ein breites Angebot an Unterkunftsmöglichkeiten verschiedenster Art von einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, insbesondere auch der Kirchen oder durch eine familiäre Aufnahme bei Privatleuten. Auch erhält die hier zu beurteilende Personengruppe vor ihrem Ausscheiden aus dem SAI Hilfe bei ihrer Integration in die italienische Gesellschaft, insbesondere auch bei der Suche nach einer geeigneten Unterkunft, und kann bereits während ihrer Unterbringung im SAI entsprechende vorbereitende Maßnahmen treffen und weiterführende Kontakte knüpfen. Eine Art. 4 GRC widersprechende Obdachlosigkeit ist daher auch jenseits der Unterbringung in einer SAI-Einrichtung nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

88 bb) Als international schutzberechtigt anerkannte Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind von unter einem Jahr können ihre Grundbedürfnisse zwar voraussichtlich nicht oder jedenfalls nicht in hinreichendem Maße durch Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen sichern; gewisse Familienleistungen wie insbesondere das sog. "assegno unico" (Kindergeld) erscheinen aber auch für international Schutzberechtigte nach den Umständen des Einzelfalls erreichbar (so auch das Berufungsgericht, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 16; OVG Schleswig, Urteil vom 25. Januar 2024 - 4 LB 4/23 - juris Rn. 103 ff.).

89 Anerkannte Schutzberechtigte sind italienischen Staatsbürgerinnen und -bürgern hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen rechtlich gleichgestellt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17). Nach den 2023 vom nationalen Statistikinstitut ISTAT veröffentlichten Daten lebten 2022 fast 10 % der italienischen Bevölkerung in absoluter Armut, ein Anstieg gegenüber 2021, der auf die Auswirkungen der Inflation zurückgeführt wird. In Italien lebende Ausländer waren mehr als viermal häufiger von absoluter Armut betroffen. Die Regierung hat im Mai 2023 die Armutsbekämpfungsmaßnahme "Bürgereinkommen" ("Reddito di Cittadinanza") abgeschafft und durch begrenztere Programme für verschiedene Personenkategorien ersetzt (Human Rights Watch, World Report 2024, Italy, 12. Januar 2024).

90 (1) Die beiden mit Gesetzesdekret Nr. 48/2023 geschaffenen Nachfolgeregelungen SFL ("supporto per la formazione e il lavoro", Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung) und ADI ("assegno di inclusione", Eingliederungsbeihilfe) unterscheiden zwischen Nicht-Erwerbsfähigen und Erwerbsfähigen, wobei Erwerbsfähige deutlich niedrigere Beträge erhalten: Die Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung SFL richtet sich an "erwerbsfähige Personen" zwischen 18 und 59 Jahren ohne vulnerable Familienmitglieder. Sie beträgt 350 € für je maximal zwölf Monate, mit Verlängerungsmöglichkeit um je bis zu einem Jahr nach einem Karenzmonat. Der Bezug setzt voraus, dass das Haushaltseinkommen, der sogenannte familiäre ISEE-Wert, 6 000 € pro Jahr nicht übersteigt. Antragstellende müssen sich verpflichten, an regionalen Maßnahmen zur Arbeitsaktivierung oder Weiterbildung teilzunehmen. Schon bei Ablehnung des ersten Angebots erlischt der Anspruch (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 24; Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, https://italy.refugee.info/en-us/​articles/5388918400663). Antragsberechtigt sind auch Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Bei Antragstellung muss der Betroffene seit mindestens fünf Jahren in Italien wohnhaft gewesen sein, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 25; Revisionserwiderung der Beklagten, 29. Mai 2024, S. 9).

91 Die neue Eingliederungsbeihilfe ADI können seit 1. Januar 2024 Haushalte erhalten, die als nicht "uneingeschränkt erwerbsfähig" gelten (Haushalte mit mindestens einem Minderjährigen, einer behinderten Person, einer Person über 60 Jahre oder in einer - näher definierten - benachteiligten Situation). Sie wird für jeweils maximal 18 Monate, ebenfalls mit Verlängerungsmöglichkeit um je bis zu einem Jahr nach einem Karenzmonat, gewährt und beträgt rund 480 €, maximal 500 € zuzüglich 280 € Mietbeihilfe. Auch dieser Leistungsbezug soll stärker von der Teilnahme an Berufsbildungs- und Eingliederungsmaßnahmen der erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder abhängig sein. Nach Ablauf ist - jeweils nach einem Karenzmonat - erneut ein 18-monatiger Bezug möglich. Auch die Eingliederungsbeihilfe ist an die Nichtüberschreitung bestimmter Einkommensgrenzen sowie die Voraussetzung geknüpft, dass sich der Antragstellende insgesamt mindestens fünf Jahre, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen, legal in Italien aufgehalten hat (Informazione Fiscale, Assegno di inclusione 2024: requisiti, importo e come fare domanda, 19. März 2024, https://www.informazionefiscale.it/​Assegno-di-inclusione-2024-domanda-requisiti-importo; Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 24 f.).

92 Von den genannten Sozialleistungen - namentlich auch der Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung - können nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte regelmäßig schon deshalb nicht profitieren, weil sie die Aufenthaltsvoraussetzungen (fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in Italien, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen) nicht zeitnah erfüllen können. Zwar dürfte die Vereinbarkeit dieses Aufenthaltskriteriums mit Unionsrecht zweifelhaft sein, weil schutzberechtigte Drittstaatsangehörige damit ungeachtet der formalen Gleichbehandlung mit italienischen Staatsangehörigen (zum Gebot der Inländergleichbehandlung vgl. Art. 29 RL 2011/95/EU) mittelbar diskriminiert werden könnten (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 - C-112/22, C-223/22 [ECLI:​​EU:​​C:​​2024:​​636] -). Konkrete Erkenntnisse, die gegenwärtig die Prognose rechtfertigten, dass die Aufenthaltsvoraussetzung in der behördlichen Praxis wegen des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet bliebe oder dass etwaige Leistungsansprüche zumindest auf dem Rechtsweg kurzfristig durchgesetzt werden könnten, liegen aber nicht vor. Insbesondere ist dem Senat keine entsprechende Rechtsprechung italienischer Gerichte bekannt (BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 95 und - 1 C 24.23 - Rn. 96).

93 (2) Für international Schutzberechtigte der hier zu betrachtenden vulnerablen Personengruppe mit einem Grundschulkind und einem Kleinkind unter drei Jahren besteht nach den Umständen des Einzelfalls in begrenztem Umfang die Möglichkeit, Leistungen für Familien zu erhalten.

94 (a) Dies gilt vor allem für die einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder (sog. assegno unico e universale per i figli a carico - Kindergeld). Diese Zulage ist eine finanzielle Unterstützung für Familien mit unterhaltsberechtigten Kindern (vgl. Instituto Nazionale della Previdenza Sociale, nachfolgend INPS, Einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 30. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert 1. März 2024, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-scheda.it.schede-servizio-strumento.schede-servizi.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico-55984.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico.html). Dabei zählen zu dem zunächst in Art. 2 Nr. 1 Buchst. f des "Legge 1 aprile 2021, n. 46" und später in Art. 3 des "Decreto legislativo n. 230/21" geregelten potentiell anspruchsberechtigten Personenkreis auch international Schutzberechtigte. Das dem zuständigen Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik (Ministerio del Lavoro e delle Politiche Sociali) unterstellte INPS (vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 23) hat in zwei Rundschreiben insoweit ausdrücklich klargestellt, dass auch politische Flüchtlinge sowie Inhaber internationalen Schutzes, die italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, Kindergeld beziehen können (Art. 27 des Gesetzesdekrets Nr. 251 vom 19. November 2007 und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Art. 27 des Gesetzesdekrets Nr. 251 vom 19. November 2007 lautet in deutscher Übersetzung: "Inhaber der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus haben Anspruch auf die gleiche Behandlung wie italienische Staatsangehörige im Bereich der Sozial- und Gesundheitshilfe" (vgl. zum Ganzen INPS, Rundschreiben Nr. 23 vom 9. Februar 2022, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​inps-comunica/​atti/​circolari-messaggi-e-normativa/​dettaglio.circolari-e-messaggi.2022.02.circolare-numero-23-del-09-02-2022_13712.html sowie Rundschreiben Nr. 41 vom 7. April 2023, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​inps-comunica/​atti/​circolari-messaggi-e-normativa/​dettaglio.circolari-e-messaggi.2023.04.circolare-numero-41-del-07-04-2023_14128.html; so auch L.A.W., Assegno unico universale - all-inclusive family allowance 2022, abrufbar unter: https://www.asgi.it/wp-content/​uploads/2022/06/AUU_23.05.pdf und Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, https://italy.refugee.info/en-us/​articles/​5388918400663).

95 Das Kindergeld wird geleistet für das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind oder das unterhaltsberechtigte, in der Schule, in Ausbildung oder Studium befindliche volljährige Kind bis zum Alter von 21 Jahren und das unterhaltsberechtigte behinderte Kind ohne Altersbeschränkung. Weitere Voraussetzungen für den Bezug sind die Einkommensteuerpflicht sowie ein Wohnsitz in Italien. Zudem muss der Antragsteller für mindestens zwei Jahre in Italien wohnhaft sein oder gewesen sein, auch wenn es sich nicht um einen kontinuierlichen Aufenthalt handeln muss, oder über einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer Dauer von mindestens sechs Monaten verfügen (INPS, Einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 30. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert am 1. März 2024, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-scheda.it.schede-servizio-strumento.schede-servizi.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico-55984.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico.html). Ob diese weiteren Voraussetzungen gegeben sind, ist in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen. Jedenfalls ist - und insoweit anders als bei dem SFL ("supporto per la formazione e il lavoro", Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung) und dem ADI ("assegno di inclusione", Eingliederungsbeihilfe) – kein ununterbrochener Voraufenthalt erforderlich, ein früherer zweijähriger Aufenthalt reicht aus.

96 Die Höhe des Kindergeldes beträgt nach neueren Auskünften nicht mehr - wie noch vom Berufungsgericht (Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 16) angenommen - 175 € pro Kind bei einem ISEE ("Indicatore della Situazione Economica Equivalente"), einem Indikator, mit dem die gewichteten Haushaltseinkommen unter Berücksichtigung von Einkommen, Vermögen und der Zusammensetzung des Haushalts (nucleo familiale) ermittelt und so die wirtschaftliche Situation der Familie bewertet wird (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 23), bis zu 15 000 € und von 50 € bei einem ISEE-Wert von 40 000 € oder mehr (so noch INPS, Rundschreiben Nr. 23 vom 9. Februar 2022, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​inps-comunica/​atti/​circolari-messaggi-e-normativa/​dettaglio.circolari-e-messaggi.2022.02.circolare-numero-23-del-09-02-2022_13712.html; L.A.W., Assegno unico universale - all-inclusive family allowance 2022, abrufbar unter: https://www.asgi.it/wp-content/​uploads/2022/06/AUU_23.05.pdf), sondern nunmehr 199,40 € für jedes Kind bei einem ISEE-Wert von weniger als 17 090,61 € und von 57 € für einen ISEE-Wert von 45 574,96 € oder mehr (vgl. INPS, Einheitliche und universelle Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 30. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert 1. März 2024, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-scheda.it.schede-servizio-strumento.schede-servizi.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico-55984.assegno-unico-e-universale-per-i-figli-a-carico.html). Die Leistung kann um 50 % für Kinder unter einem Jahr erhöht werden (Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Italien, Stand: Juli 2024, S. 15, abrufbar unter: https://www.google.com/​url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwio6bbOkbGJAxVfBNs​EHQpuHbU4ChAWegQIFBAB&url=https%3A%2F%2Fec.europa.eu%2​Fsocial%2FBlobServlet%3FdocId%3D13763%26langId%3Dde&usg=​AOvVaw39zNT6EF1XwNf65eZ3Ocdl&opi=89978449).

97 Der Senat verfügt angesichts der vorgenannten Erkenntnismittel über genügend eigene Sachkunde für die Einschätzung, dass international Schutzberechtigte zum potenziell begünstigten Personenkreis für das sogenannte "assegno unico" gehören. Die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die Voraufenthaltszeit von zwei Jahren, erfüllt sind, ist hingegen eine Frage des Einzelfalls. Der Beweisanregung der Klägerinnen, ein Sachverständigengutachten, hilfsweise eine Auskunft des Auswärtigen Amtes einzuholen, dass Personen mit internationalem Schutz in Italien nicht die Voraussetzungen erfüllen, das sogenannte "assegno unico" (Kindergeld) zu erhalten, war daher ebenfalls nicht weiter nachzugehen.

98 (b) Die staatliche Mutterschaftszulage für atypische und nicht kontinuierliche Erwerbstätigkeit dürfte hingegen für alleinerziehende als international schutzberechtigt anerkannte Mütter mit Grundschulkind und Kleinkind unter drei Jahren regelmäßig nicht erreichbar sein. Sie ist eine Leistung der sozialen Sicherheit, die vom Staat gezahlt und direkt vom INPS gewährt und ausgezahlt wird. Die Höhe der Zulage wird dabei jedes Jahr auf der Grundlage der Entwicklung des ISTAT-Verbraucherpreisindexes neu bewertet und ist in den einschlägigen INPS-Mitteilungen und Rundschreiben beziffert. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder des Eintritts des Adoptiv- oder Pflegekindes in die Familie in Italien wohnt. Zudem muss sie - wenn sie erwerbstätig ist - mindestens drei Monate Mutterschaftsbeiträge gezahlt haben oder - wenn sie arbeitslos ist - mindestens drei Monate in der Vergangenheit gearbeitet haben (INPS, Staatliches Mutterschaftsgeld, veröffentlicht 3. April 2017, zuletzt aktualisiert am 11. September 2023, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-scheda.it.schede-servizio-strumento.schede-servizi.assegno-di-maternit-dello-stato-50580.assegno-di-maternit-dello-stato.html). Hieran dürfte es bei einer aus Deutschland zurückkehrenden Mutter mit Grundschulkind und Kleinkind von unter drei Jahren regelmäßig fehlen.

99 (c) Das sogenannte kommunale Mutterschaftsgeld (Assegno di maternità dei Comuni), auch als Bonus für arbeitslose Mütter bezeichnet, wird von den Gemeinden gewährt und vom INPS ausgezahlt. Es richtet sich an Mütter ohne Arbeit und mit einem geringen Haushaltseinkommen. Dabei darf die Antragstellerin nicht Empfängerin einer anderen INPS-Mutterschaftsbeihilfe sein. Der Anspruch kann italienischen-, EU- oder ausländischen Staatsbürgerinnen zustehen, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind. Zudem müssen bestimmte, jährlich festgelegte Einkommensparameter erfüllt sein. Die Antragstellerinnen dürfen nicht sozialversichert sein. Alternativ darf ihr Einkommen einen bestimmten, jährlich festgelegten Betrag nicht überschreiten. Der Antrag ist innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt des Kindes zu stellen (vgl. zum Ganzen INPS, Mutterschaftsgeld von den Kommunen, veröffentlicht 3. April 2017, zuletzt aktualisiert am 7. März 2023, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-approfondimento.schede-informative.assegno-di-maternit--dei-comuni.html). Die Höhe der Beihilfe wird jedes Jahr auf der Grundlage der Entwicklung des ISTAT-Verbraucherpreisindexes neu bewertet. Für das Jahr 2024 sind die Beiträge auf 404,17 € für fünf Monate (Gesamtbetrag: 2 020,85 €) festgelegt worden (Lavoro e Diritti, Assegno di maternità dei Comuni 2024, importi aggiornati del Bonus mamme disoccupate, vom 6. März 2024, abrufbar unter: https://www.lavoroediritti.com/​soldi-e-diritti/​bonus-mamme-disoccupate). Bereits die Voraussetzung, dass der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt des Kindes zu stellen ist, lässt einen Bezug des kommunalen Mutterschaftsgeldes regelmäßig als unwahrscheinlich erscheinen.

100 (d) Den "Bonus Mamme" (Mütterbonus) als Befreiung von den Sozialversicherungsbeiträgen (9,19 % des Gehalts) bis zu einem Höchstbetrag von 3 000 € pro Jahr können Arbeitnehmer erhalten, die mindestens drei Kinder haben. Für das Jahr 2024 ist der Bonus versuchsweise auch bei zwei Kindern gewährt worden, für die Jahre 2025 und 2026 wird die Leistung erneut erst ab der Geburt des dritten Kindes zugewiesen und ist für den hier zu beurteilenden Personenkreis - unabhängig von den weiteren Voraussetzungen wie einem unbefristeten Arbeitsvertrag - daher nicht erreichbar (vgl. INPS, Mütterbonus, vom 1. Februar 2024, letzte Aktualisierung 29. Februar 2024, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​inps-comunica/​notizie/​dettaglio-news-page.news.2024.02.bonus-mamme-pubblicata-la-circolare-inps-con-le-modalit-operative.html). Soweit die Beklagte darauf verweist, dass international Schutzberechtigte über bestimmte nationale Programme oder Fonds wie z. B. die Zeitarbeitsfirmen Ebitemp und Assolavoro weitere diverse Hilfen wie einen Zuschuss zu den Kosten der Kinderbetreuung in Höhe von maximal 150 € monatlich (Contributo Asilo nido ad accesso agevolato, vgl. hierzu Ebitemp, Beitrag an Kindergärten mit eingeschränktem Zugang, abrufbar unter: https://ebitemp.it/​contributo-asilo-nido-ad-accesso-agevolato/; vgl. zum bonus asilo nido aber unter dd) (2)), den "rimborso acquisto beni prima necessità bebè", einen Zuschuss für den Erhalt notwendiger Babyprodukte zur Unterstützung von Familien mit Neugeborenen mit geringem Einkommen und den "rimborso assistenza psicologica", einen Beitrag zum gegebenenfalls anfallenden Eigenanteil für psychologische Hilfe, erhalten können, werden diese Maßnahmen bis zu einer Obergrenze von 5 000 000 € ausgezahlt und haben eine Versuchslaufzeit lediglich bis zum 31. Dezember 2024 (Ebitemp, Flüchtlinge, abrufbar unter: https://ebitemp.it/​lavoratori/?categoria=rifugiati).

101 (e) Neben den genannten Leistungen auf nationaler Ebene gibt es vielerorts regionale oder kommunale Vergünstigungen unterschiedlicher Art und Höhe (siehe noch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11. November 2020, S. 24), über die auf lokalen Internetseiten oder durch das lokale CAF (Centro di assistenza fiscale) oder Patronato informiert wird (Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, https://italy.refugee.info/en-us/​articles/5388918400663; Revisionserwiderung der Beklagten, 29. Mai 2024, S. 9, mit beispielhaften Nachweisen). Die Wahrscheinlichkeit, mit der erwerbsfähige international Schutzberechtigte mit minderjährigen Kindern derartige Leistungen erhalten können, kann auf der Grundlage der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen nicht verlässlich beurteilt werden. Denn Art, Höhe, regionale Verfügbarkeit und die genauen Voraussetzungen lokaler Leistungen können von Region zu Region und von Gemeinde zu Gemeinde variieren (Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, 7. Oktober 2024, https://italy.refugee.info/en-us/​articles/5388918400663). Einer weiteren Aufklärung oder Konkretisierung dieser Hilfeleistungen bedarf es nicht, weil auch alleinerziehende Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren ihre zur Abwendung einer Verelendung notwendigen Grundbedürfnisse anderweitig sicherstellen können (zur Unterbringung und Versorgung im SAI siehe oben unter c), zur weiteren Versorgung siehe unter d)).

102 (3) Angebote von Hilfsorganisationen und karitativen Einrichtungen können zur Abwendung einer extremen Notlage zumindest beitragen. Anders als bei der ersten Unterbringung im SAI ist bei den sich anschließenden Unterbringungsmöglichkeiten eine Verpflegung zwar häufig nicht inbegriffen. Teilweise ist das aber durchaus der Fall. So kann die Verpflegung insbesondere bei der Unterbringung in Familien oder auch in kirchlichen Einrichtungen gewährleistet sein. Es gibt eine ganze Reihe karitativer, teils kirchlicher Einrichtungen, die Mahlzeiten anbieten (vgl. für Rom Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 11 ff.). Zudem bieten etwa kommunale Unterkünfte Bett, Bad und drei Mahlzeiten (vgl. BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, 4. Februar 2022, S. 7). Kommunen bewerten die individuelle Unterstützungsbedürftigkeit der Antragsteller und vergeben - ohne Rechtsanspruch - Leistungen im Rahmen der verfügbaren Budgets (BAMF, a. a. O., S. 13). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe erwähnt karitative Suppenküchen (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, 29. April 2022, S. 5).

103 cc) Alleinerziehende international Schutzberechtigte können in Italien eine Beschäftigung aufnehmen und mit dem Erwerbseinkommen - gegebenenfalls mit den bereits erwähnten anderweitigen Unterstützungsleistungen - die Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse für sich und die Kinder erwirtschaften.

104 (1) Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt und dem der Kinder unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 17 m. w. N.).

105 Soweit die Schattenwirtschaft bei einer weiten Definition auch kriminelle und andere staatlich sanktionierte Tätigkeiten erfasst (vgl. Schneider/​Boockmann, Die Größe der Schattenwirtschaft - Methodik und Berechnungen für das Jahr 2024, Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e. V. an der Johannes Kepler Universität Linz, Linz/​Tübingen, vom 30. Januar 2024, S. 5 f.), können Schutzberechtigte darauf zur Existenzsicherung allerdings nicht verwiesen werden. Eine Tätigkeit, bei der die Schutzberechtigten selbst einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung ausgesetzt wären, ist ihnen nicht zuzumuten. Anders verhält es sich bei einer Erwerbstätigkeit, die im Prinzip auch legal ausgeübt werden kann, die jedoch den öffentlichen Stellen zur Vermeidung von Steuern und Sozialbeiträgen nicht gemeldet wird, sofern dies für den Schutzberechtigten als Arbeitnehmer nicht sanktionsbewehrt ist oder Sanktionen gegen ihn jedenfalls tatsächlich nicht verhängt werden (dazu noch offenlassend BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 66.21 - juris Rn. 30). Unter diesen Voraussetzungen ist Schutzberechtigten daher - zumindest für eine Übergangszeit - auch Schwarzarbeit zumutbar. Die allgemeinen Bemühungen der Europäischen Union und Italiens zur Bekämpfung von Schwarzarbeit stehen dem nicht entgegen (anders OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 - 11 A 2982/20.A [ECLI:​​DE:​​OVGNRW:​​2021:​​0121.11A2982.20A.00] - juris Rn. 84 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23. August 2024 - 18a L 1299/24.A [ECLI:​​DE:​​VGGE:​​2024:​​0823.18A.L1299.24A.00] - juris Rn. 24 ff.). Ist Schwarzarbeit in der Bevölkerung derart weit verbreitet wie in Italien (dazu unter cc) (2) (c)), kann ihre effektive Bekämpfung nicht mehr durch das Verhalten von Einzelpersonen, sondern nur noch durch engmaschige staatliche Kontrollen und spürbare Sanktionierungen von Arbeit- und Auftraggebern bei Verstößen erreicht werden (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 25. Januar 2024 - 4 LB 3/23 [ECLI:​​DE:​​OVGSH:​​2024:​​0125.4LB3.23.00] - juris Rn. 104; ebenso im Ergebnis VGH Kassel, Urteil vom 6. August 2024 - 2 A 1131/24.A [ECLI:​​DE:​​VGHHE:​​2024:​​0806.2A1131.24.00] - juris Rn. 117, zu Griechenland sowie VG Hamburg, Urteil vom 15. August 2024 - 12 A 3228/24 [ECLI:​​DE:​​VGHH:​​2024:​​0815.12A3228.24.00] - juris Rn. 75 m. w. N.).

106 (2) Die Einschätzung des Berufungsgerichts (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 15), wonach nach Italien zurückkehrende alleinerziehende international Schutzberechtigte mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren im Anschluss an die Unterbringung im SAI grundsätzlich auch durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (mit) für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten, deckt sich mit der aktuellen Erkenntnislage. Danach haben die Betroffenen Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt ((a)), die aktuelle Arbeitsmarktlage lässt eine Beschäftigungsmöglichkeit hinreichend wahrscheinlich erscheinen ((b)) und es besteht jedenfalls auch die Möglichkeit einer in Italien zumutbaren informellen Erwerbstätigkeit in Form von Schwarzarbeit ((c)).

107 (a) In Italien anerkannte international Schutzberechtigte genießen in Übereinstimmung mit Art. 26 RL 2011/95/EU einen ungehinderten Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt, zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, zur Registrierung bei Berufsverbänden, Berufsausbildung, einschließlich Auffrischungskursen, Ausbildung am Arbeitsplatz und Dienstleistungen von Arbeitsämtern (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17). Für sie gelten die Rechte und Pflichten gemäß des Gesetzesdekretes Nr. 251/2007 zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie. International Schutzberechtigte, die nach Rückkehr im staatlichen Aufnahmesystem nicht wiederaufgenommen werden oder im Anschluss hieran eine Beschäftigung suchen müssen, erhalten laut italienischem Innenministerium durch den Aufenthaltstitel Zugang zu Arbeit oder Studium. Unter gewissen Voraussetzungen ist der Aufenthaltstitel in einen dauerhaften Aufenthaltstitel aus beruflichen Gründen umwandelbar (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 20 und 29). Rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte, deren italienischer Aufenthaltstitel zwischenzeitlich abgelaufen ist, haben grundsätzlich die Möglichkeit zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die auch zur Erwerbstätigkeit berechtigt (siehe oben 2.2.2 a)). Bis zur Ausstellung einer neuen Aufenthaltserlaubnis können Betroffene unter anderem beim Arbeitgeber eine Bestätigung des Verlängerungsantrages vorlegen. Neben der Privatinitiative kann die Arbeitsplatzsuche über das Arbeitsamt (Servizio Pubblico bzw. Centri per l'Impiego) erfolgen, wofür eine digitale Identität (SPID) und eine Bereitschaftserklärung zur Nutzung der zur Verfügung gestellten öffentlichen Dienste erforderlich ist. Auf dem Portal "cliclavoro.gov.it" des Ministeriums für Arbeit werden zudem überregionale Stellenangebote sowie Nachrichten und Informationen über die Arbeits- und Berufswelt veröffentlicht. Um sich auf Stellenangebote zu bewerben, ist der Lebenslauf einzustellen (EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, Stellensuche, 28. Juni 2024). Für Schutzberechtigte, die sich in einer SAI-Einrichtung befinden, erfolgt die Beratung und Unterstützung im Rahmen der Integrationsförderung. Das in den SAI-Einrichtungen tätige Betreuungspersonal begleitet international Schutzberechtigte im Rahmen der Maßnahmen zur Orientierung und Integration auch bei der Suche nach Praktika, Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen. Aufgabe des Betreuungspersonals ist es, ein Netzwerk zu den lokalen Behörden und Betrieben aufzubauen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 12 f.; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 5 f.). Beratungsangebote und Unterstützung speziell für Migrantinnen und Migranten bieten insbesondere auch UNHCR oder nichtstaatliche Hilfsorganisationen an; auf die bestehenden Angebote wird auch von Behördenseite verwiesen (vgl. u. a. Refugee.info Italy, Finding a job in Italy, https://italy.refugee.info/en-us/​articles/5388883260055; AIDA/​ECRE, Access to the Labour Market, https://asylumineurope.org/​reports/​country/​italy/​content-international-protection/​employment-and-education/​access-labour-market/; UNHCR Help Italy Work, https://help.unhcr.org/​italy/​services/​work/). Das italienische Arbeitsministerium führt aus, dass es Integrationsprojekte auf lokaler Ebene in vielen italienischen Städten gibt, welche international Schutzberechtigte bei der Arbeitssuche unterstützen. Träger können Behörden, Hilfsorganisationen oder Arbeitsvermittlungsagenturen sein. Zwar bestehen auf dem italienischen Arbeitsmarkt Herausforderungen für international Schutzberechtigte ebenso wie für alle italienischen Staatsbürger, gleichzeitig sind unterschiedliche Möglichkeiten zur Beschäftigungsaufnahme bzw. Inanspruchnahme von Unterstützung und Hilfestellungen vorhanden. Eine Rückkehr Schutzberechtigter ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt jedenfalls nicht ausgeschlossen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 21).

108 (b) Zwischen 2021 und 2022 hat sich die Beschäftigungsquote von Migranten in allen OECD-Ländern verbessert und OECD-weit den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht. Besonders stark verbesserten sich die Arbeitsmarktergebnisse von Migrantinnen, wobei der Unterschied zwischen den Geschlechtern in mehreren Ländern abnahm. Die verzeichneten Zuwächse sowohl bei der Migration in den Arbeitsmarkt als auch bei der Beschäftigungsquote der ansässigen Migranten hängen damit zusammen, dass in vielen OECD-Ländern ein Arbeitskräftemangel herrscht, was die Arbeitsmigration befördert hat. Sie steht ganz oben auf der politischen Agenda mehrerer Länder, darunter Australien und Deutschland (OECD, International Migration Outlook 2023, 47th edition, S. 11 f., https://www.oecd.org/en/​publications/​international-migration-outlook-2023_b0f40584-en.html).

109 In Italien erreichte die Beschäftigung im Jahr 2022 wieder das Niveau von 2019, allerdings mit einem differenzierten Wachstum je nach Staatsbürgerschaft mit einem stärkeren Anstieg der Ausländer (+ 5,2 %) im Vergleich zu Italienern (+ 2,1 %). Insgesamt machten in 2023 Ausländer 10,3 % der gesamten Erwerbsbevölkerung und 16,0 % der Arbeitslosen aus. Darüber hinaus weisen ihre Anteile an der Gesamtbeschäftigtenzahl erhebliche Schwankungen auf: weniger als 1 % in der öffentlichen Verwaltung, etwa 2 % im Kredit- und Versicherungssektor sowie im Bildungswesen, 15,6 % im Baugewerbe, 17 % in Hotels/‌Restaurants und in der Landwirtschaft und 62,2 % in Familiendienstleistungen. Im Bereich der Hausarbeit hingegen, in dem 70 % der Arbeitnehmer Einwanderer sind, kam es im Jahr 2022 zu einem Rückgang der Zahl der Beschäftigten, insbesondere bei Ausländern. Letztere belaufen sich auf rund 622 000, was einem Rückgang von 8,4 % entspricht, und was in vielen Fällen auf eine Verlagerung hin zur nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit hindeutet (Help Desk, Statistical Dossier on Immigration 2023, 9. November 2023). Die Arbeitslosigkeit von international schutzberechtigten Personen wurde Anfang 2021 auf 17,8 % geschätzt, wobei Frauen aus diesem Personenkreis zu 34,9 % erwerbslos seien. Gleichwohl erreiche auch die Erwerbsquote dieses Personenkreises fast die Erwerbsquote von Italienern, das gelte erst recht, wenn nur männliche Schutzberechtigte betrachtet werden (De Sario, Migration at the crossroads. The inclusion of asylum seekers and refugees in the labour market in Italy, 2021, S. 206 ff., https://www.etui.org/​sites/​default/​files/2021-01/Chapter7-Migration%20at​%20the%20crossroads.%20The%20inclusion%20of%20asylum​%20seekers%20and%20refugees%20in%20the%20labour%20market​%20in%20Italy.pdf).

110 Nach einer aktuelleren Auskunft haben Zuwanderer in Italien trotz niedrigerem Bildungsniveau und befristeter Arbeitsverträge sogar eher einen Arbeitsplatz als die italienische Bevölkerung. Einwanderer spielen eine wichtige Rolle im italienischen Arbeitsmarkt. Die rund 2,4 Millionen ausländischen Beschäftigten machen mehr als 10 % aller Beschäftigten aus. Die Beschäftigungsquote von Drittstaatsangehörigen liegt bei 59,2 % (Revisionserwiderung vom 29. Mai 2024, S. 12). Die Zahl ist nach Geschlecht differenziert: 71,7 % der Männer, aber nur 45,4 % der Frauen übten eine Beschäftigung aus (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 19).

111 Im September 2024 lag die Beschäftigungsrate in Italien insgesamt bei 62,1 %, die - seit 2020 stetig gefallene - Arbeitslosenquote bei insgesamt nur noch 6,1 %. Seit 2020/2021 ist die bereinigte Beschäftigungszahl von 22 Millionen auf über 24 Millionen angestiegen (ISTAT, September 2024, Employment and Unemployment, Provisional data, 31. Oktober 2024, https://www.istat.it/wp-content/​uploads/2024/10/Employment-and-unemployment-202409.pdf). Die Erwerbs- und Beschäftigungsquoten von Frauen und jungen Menschen liegen in Italien weiterhin deutlich unter dem EU-Durchschnitt (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 19). So lag die Beschäftigungsquote bei Frauen im September 2024 bei 53,4 %, die Arbeitslosenquote aber auch nur bei 6,6 % (ISTAT, ebd.).

112 Die größten Beschäftigungssektoren für Migranten sind der Pflegedienstleistungssektor (47,2 %), die Landwirtschaft (18,6 %), das Baugewerbe (16,6 %) sowie der Sektor Handel, Verkehr, Wohnungswesen und Gastronomie (16,2 %) (Dotsey/​Lumley-Sapanski, Temporality, refugees, and housing: The effects of temporary assistance on refugee housing outcomes in Italy, Cities 2021, S. 4).

113 Migranten sind eine wichtige Ressource für Italien: Nach Abzug der Aufnahmekosten in Höhe von ca. zwei Milliarden € erwirtschaften die Geflüchteten durch ihre Arbeit einen positiven Saldo von ca. 6,5 Milliarden €. Allein in der Landwirtschaft liegt die Quote der illegalen Beschäftigung bei 39 % und ist somit ein Geschäft mit der irregulären Arbeitskraft von Landarbeitern in Höhe von ca. 4,8 Milliarden € (Telepolis, Migranten: Warum sie eine Ressource für Italien sind, 21. August 2024). Auch der UNHCR führt in Übereinstimmung mit dieser Lagebeurteilung aus, dass das wirtschaftliche Wachstum in Italien nach der Covid-19-Pandemie sehr groß und dass ein dementsprechender Bedarf an Arbeitsplätzen vorhanden sei. Allein durch ein Netzwerk von Privatunternehmen konnten bereits etwa 5 000 Migranten in den italienischen Arbeitsmarkt integriert werden (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28). Der italienische Arbeitsmarkt ist aus demografischen Gründen auf Migration angewiesen (RESPOND, Integration, Policies, Practices and Experiences, Italy Country Report, 1. Juni 2020, S. 26). Verschiedene Quellen thematisieren den Anstieg ausländischer Arbeitskräfte und den Arbeitskräftemangel, insbesondere im Tourismus, der Landwirtschaft und dem Gesundheitswesen. Zugleich werden Bestrebungen der italienischen Regierung beschrieben, wonach ausländischen Arbeitskräften der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden soll (vgl. Euractiv, 5. Oktober 2023, ​https://www.euractiv.de/​section/​europa-kompakt/​news/​italien-zwischen-migrationstopp-und-fachkraeftemangel/; OECD, International Migration Outlook 2023, 47th edition, S. 19). International Schutzberechtigte erhalten knapp 80 % des Durchschnittsgehalts von Beschäftigten mit italienischer Staatsangehörigkeit, und es bestehen fast keine Unterschiede im Vergleich zu den in Italien arbeitenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (De Sario, Migration at the crossroads. The inclusion of asylum seekers and refugees in the labour market in Italy, 2021, S. 214, https://www.etui.org/​sites/​default/​files/2021-01/Chapter7-Migration%20at%20the%20crossroads.%20The%20inclu-sion%20of%20asylum%20seekers%20and%20refugees%20in%20the%20la-bour%20market%20in%20Italy.pdf). Die Arbeitslöhne haben sich leicht verbessert auf durchschnittlich 45 bis 50 € Arbeitslohn für acht Stunden (Summary Rosarno Observatory, 20. Juli 2023, S. 4 f.).

114 (c) Schattenwirtschaft ist in Italien weit verbreitet. Sie deckte 2023 21,6 % des italienischen Bruttoinlandsprodukts ab und lag in den vergangenen 10 Jahren um die 20 % (Statista, Prognose zum Umfang der Schattenwirtschaft in Ländern der OECD 2024, 28. Mai 2024). Schwarzarbeit gilt in Italien als "Kavaliersdelikt". Etwa 10 % der Bevölkerung Italiens arbeiteten nach Angaben des italienischen Statistikamtes ISTAT in der Schattenwirtschaft, eine Million Haushalte leben ausschließlich von irregulärer Arbeit (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, 18. August 2020). Schätzungen zufolge arbeiten in Italien mindestens 3,7 Millionen Menschen illegal, das heißt ohne steuerliche Abgaben zu leisten und vertraglich oder beitragsrechtlich abgesichert zu sein. ISTAT schätzte für 2019 den Anteil der "nicht beobachtbaren Wirtschaft" (Summe aus Schwarzarbeit und weiterer illegaler Angaben) auf 11,3 % des Bruttoinlandsprodukts (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 18).

115 Schwarzarbeit wird europaweit bekämpft. Das Europäische Parlament und der Rat haben durch Beschluss 2016/344/EU vom 9. März 2016 (ABl. L 65 vom 11. März 2016 S. 12) eine "Europäische Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit" eingerichtet, die unter anderem den Ländern der Europäischen Union helfen solle, wirksamer den verschiedenen Formen der Schwarzarbeit zu begegnen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A [ECLI:​​DE:​​OVGNRW:​​2021:​​0720.11A1689.20A.00] - juris Rn. 133 f.). Auch Italien versucht, mit umfangreichen Maßnahmen gegen Schwarzarbeit vorzugehen; so drohen etwa bei Verstößen Geldstrafen von 2 000 bis 50 000 € (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, 18. August 2020). In den vergangenen Jahrzehnten ist in Italien ein dramatischer Anstieg von Schwarzarbeit, illegalen Anwerbungsmethoden und damit einhergehender Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften zu verzeichnen gewesen (sog. "caporalato"). Zur Bekämpfung dieser Zustände sind bestehende Strafen verschärft und neue Straftatbestände gegen kriminelle Arbeitgeber geschaffen worden; der italienische Staat gehe vermehrt gegen illegale Beschäftigung und Ausbeutung von Ausländern vor (RESPOND, Integration, Policies, Practices and Experiences, Italy Country Report, 1. Juni 2020, S. 27 f.). Die Beklagte verweist auf das Gesetz 199/2016, durch das strengere Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften und die nicht angemeldete Erwerbstätigkeit eingeführt wurden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Agrarsektor liegt. Das Arbeitsministerium hat einen "Arbeitsausschuss für die Festlegung einer neuen Strategie zur Bekämpfung der illegalen Anwerbung und Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft" eingesetzt. In diesem Ausschuss sind mehrere Institutionen, sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene, Sozial- und Wirtschaftspartner sowie internationale Organisationen vertreten. Der Ausschuss steht unter dem Vorsitz des Arbeitsministers und sein Mandat läuft bis 2025. Im ganzen Land wurden zahlreiche Maßnahmen finanziert, durchgeführt und geplant, um das Phänomen der Ausbeutung von Arbeitskräften zu überwachen und zu bekämpfen. Diese Maßnahmen konzentrieren sich auch auf die Identifizierung, den Schutz und die Unterstützung der Opfer von Arbeitsausbeutung, wobei ausländischen Bürgern besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. "Nicht angemeldete" oder "irreguläre" Arbeit ist in Italien illegal und wird nach mehreren verwaltungs-, straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen geahndet und verfolgt. Zu den einschlägigen Vorschriften gehören das Gesetzesdekret Nr. 81/2015, das die Sicherheit am Arbeitsplatz regelt und Strafen für nicht angemeldete Erwerbstätigkeit vorsieht, das Gesetzesdekret Nr. 151/2015, das die Arbeit auf der Grundlage von Gutscheinen regelt, sowie die Höchstdauer von nicht angemeldeten Arbeitsverhältnissen gemäß Art. 2222 des Zivilgesetzbuchs und das Gesetzesdekret Nr. 12/2002. Das Strafgesetzbuch stellt verschiedene Formen der menschlichen Ausbeutung wie Sklaverei (Art. 600), Menschenhandel, auch zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft (Art. 601), Zwangsarbeit, Arbeitsausbeutung und illegale Vermittlung (Art. 603-bis und 603-ter) unter Strafe. Das Migrationsgesetz (Gesetzesdekret 286/1998) gewährleistet gleiche Beschäftigungschancen für ausländische Arbeitnehmer (Art. 2) und bestraft irreguläre Einwanderung aufgrund von Menschenhandel (Art. 12). Es schützt auch die Opfer von Gewalt und schwerer Ausbeutung, einschließlich der Ausbeutung von Arbeitskräften und illegaler Anwerbung (Art. 18, 18-bis und 22). Unter den Initiativen der Regierung Meloni zur Wiederbelebung der italienischen Wirtschaft liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Im Dezember 2022 wurde der Nationale Plan zur Bekämpfung der Schwarzarbeit 2023 - 2025 aufgestellt, der die Einrichtung des Nationalen Portals für Schwarzarbeit (PNS), die Erhöhung der Kontrollen am Arbeitsplatz um 20 % und die Verschärfung von Sanktionen vorsieht. Mit Dekret des Ministers für Arbeit und Sozialpolitik Nr. 57/2023 vom 6. April 2023 wurde ein Nationaler Ausschuss zur Verhütung und Bekämpfung der Schwarzarbeit mit der Aufgabe eingesetzt, die Umsetzung und den Fortschritt der im nationalen Plan vorgesehenen Aktivitäten zu koordinieren und zu überwachen. Ein weiteres Dekret Nr. 58/2023 vom 6. April 2023 zur Aktualisierung des Nationalen Plans zur Bekämpfung von Schwarzarbeit für den Dreijahreszeitraum 2023 - 2025 und des Umsetzungsfahrplans enthält "Maßnahmen zur Förderung der regulären Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft durch die Bekämpfung illegaler Ansiedlungen und die Förderung aktiver politischer Aktionen", durch Vorbeugung, Überwachung und Bekämpfung des Phänomens, Schutz und Hilfe für die Opfer der Ausbeutung und die Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Hierunter fallen die Vorgaben zur Umwandlung in angemeldete Arbeitsverhältnisse. Laut dem Bericht der amerikanischen NGO Freedom House (https://freedomhouse.org/​country/​italy/​freedom-world/2023) bestehe hinsichtlich Menschenhandel und Ausbeutung von Arbeitskräften aber weiterhin Anlass zur Sorge, insbesondere in Bezug auf Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten aus Osteuropa. Die Covid-19-Pandemie und die Energiekrise nach Beginn des Kriegs in der Ukraine hätten die Anfälligkeit der Migranten für Ausbeutung und die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen gesteigert. Der Handel mit Frauen und Mädchen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gebe ebenso weiterhin Anlass zur Sorge (Revisionserwiderung vom 29. Mai 2024, S. 15).

116 Am 3. Juli 2024 koordinierte das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitsausbeutung eine große landesweite außerordentliche Überwachungsaktion. Im Rahmen des Einsatzes wurden 310 landwirtschaftliche Betriebe kontrolliert. Von diesen erwiesen sich 206 als nicht regelgerecht, was 66,45 % der Gesamtzahl entspricht. Insgesamt wurden 2 051 Arbeiter kontrolliert, von denen sich herausstellte, dass 616 irregulär arbeiteten, wovon wiederum 216 schwarz beschäftigt waren. Im Einzelnen waren 38,32 % der untersuchten Arbeitsplätze mit Nicht-EU-Bürgern besetzt. 308 von diesen waren irregulär beschäftigt, darunter 96 Personen in Schwarzarbeit und 22 ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Die Inspektionen führten zu 128 Betriebsuntersagungen, die 41,29 % der inspizierten Unternehmen betrafen. Die mit diesen Untersagungen verbundenen Beträge beliefen sich auf 250 800 €. Zu den Gründen zählten 60 Untersagungen wegen Schwarzarbeit und 51 wegen schwerwiegender Sicherheitsverstöße. Darüber hinaus wurden Bußgelder und Verwaltungsstrafen in Höhe von insgesamt 1 686 161 € verhängt. Im Bereich des Strafrechts wurden 171 Personen, darunter 157 Unternehmensleiter, wegen Verstößen gegen Arbeitsschutzvorschriften an die Justizbehörden verwiesen. Es wurden 382 Verfügungen ausgestellt und 2 Beschlagnahmungsanordnungen erlassen. Darüber hinaus wurden 10 Personen wegen illegaler Vermittlung und Arbeitsausbeutung angezeigt (Help Desk Anticaporalato, National operation against labour exploitation in the agricultural sector, 18. Juli 2024, https://www.helpdeskanticaporalato.org/​national-operation-against-labour-exploitation-in-the-agricultural-sector/).

117 (d) Zusammenfassend ist festzustellen, dass international Schutzberechtigte in Italien nach der geltenden Rechtslage den gleichen ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt haben wie italienische Beschäftigte. Insbesondere berechtigt der Aufenthaltsstatus zur Erwerbstätigkeit. Zur Arbeitsplatzsuche und beruflichen Qualifizierung stehen ihnen staatliche sowie nichtstaatliche Unterstützungsmöglichkeiten und -programme zur Verfügung. Ausländer machen etwa 10 % der gesamten italienischen Erwerbsbevölkerung aus. Die Beschäftigungsquote der Gesamterwerbsbevölkerung entspricht etwa der von "Zuwanderern", wobei sie bei Frauen im Vergleich zu Männern niedriger liegt. Die größten Beschäftigungssektoren für "Migranten" sind der Pflegedienstleistungssektor, die Landwirtschaft, das Baugewerbe sowie der Sektor Handel, Verkehr, Wohnungswesen und Gastronomie. Es besteht ein Beschäftigungsmarkt gerade auch für geringfügig Qualifizierte, die einen nicht unerheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Der italienische Arbeitsmarkt ist - nicht zuletzt auch aus demografischen Gründen - auf Migration angewiesen, was etwa durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere als Saisonarbeitskräfte, belegt wird. International Schutzberechtigte erhalten knapp 80 % des Durchschnittsgehalts von Beschäftigten mit italienischer Staatsangehörigkeit, und es bestehen fast keine Unterschiede im Vergleich zu den in Italien arbeitenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union. Schattenwirtschaft ist in Italien weit verbreitet und deckt im Durchschnitt der vergangenen Jahre etwa 20 % des Bruttoinlandsprodukts ab, wobei dort geschätzt mindestens 3,7 Millionen Menschen arbeiten. Italien hat eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, insbesondere in der Landwirtschaft, ergriffen. Sanktionen richten sich dabei erkennbar allein gegen kriminelle Arbeitgeber, etwa wegen Steuerhinterziehung, Nichtabführen von Sozialabgaben, fehlender Anmeldung und Ausbeutung von Arbeitnehmern sowie illegaler Anwerbungsmethoden und Menschenhandels. Betroffenen Arbeitnehmern wird dagegen Hilfe als Opfer von Ausbeutung und Unterstützung zur Umwandlung in angemeldete Arbeitsverhältnisse angeboten. Die aktuell auf einem Tiefstand von rund 6 % angelangte Arbeitslosenquote und der erkennbare Bedarf an geringqualifizierten Beschäftigten belegen, dass es international Schutzberechtigten in Italien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich erscheint, gegebenenfalls durch die angebotenen Unterstützungsmaßnahmen bei der Arbeitsvermittlung, eine Beschäftigung auf dem "legalen" Arbeitsmarkt zu finden. Auch wenn die Beschäftigungsquote ausländischer Frauen geringer ist, belegt sie ebenfalls einen hinreichenden Beschäftigungsbedarf. Maßgebliche Faktoren für die Erlangung einer Beschäftigung sind dabei einerseits Eigeninitiative bei der Arbeitsplatzsuche und der Wille, das erforderliche Verfahren bei der staatlichen Arbeitsverwaltung zu durchlaufen. Soweit es dem genannten Personenkreis weitgehend an lokalen Netzwerken, beruflichen Qualifikationen und Sprachkenntnissen fehlt, wird ebenfalls Unterstützung, insbesondere auch im SAI, angeboten. Mit dem erzielbaren Erwerbseinkommen lassen sich - gegebenenfalls unter zusätzlicher Inanspruchnahme der unter d) bb) genannten Unterstützungsangebote - jedenfalls die elementarsten Bedürfnisse im Sinne des strengen Maßstabs der oben geschilderten Rechtsprechung decken. Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, erscheint eine informelle Erwerbstätigkeit im Bereich der Schattenwirtschaft möglich und zumutbar. Wie deren Anteil an der Gesamtwirtschaft Italiens belegt, besteht auch hier erheblicher Beschäftigungsbedarf.

118 Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hingegen zu der Überzeugung gelangt ist, international Schutzberechtigte seien im Fall der Rückkehr nach Italien nicht in der Lage, sich aus eigenen, durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit dem für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen (Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A - juris Rn. 102 ff.), basiert dies zum einen auf einer seinerzeit prognostizierten Arbeitslosenquote für 2021 von 10 % und den durch die Covid-19-Pandemie bedingten Einschränkungen am Arbeitsmarkt, die sich in der aktuellen Erkenntnislage nicht mehr widerspiegeln. Zum anderen hält es entgegen dem oben dargelegten Maßstab eine Tätigkeit in der sogenannten Schattenwirtschaft generell für unzumutbar. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 11. Januar 2021 - 3 A 539/20.A - juris Rn. 30 f.) stützt seine Auffassung, es sei für eine Familie mit kleinen Kindern nicht kurzfristig möglich, Obdach und Lebensmittel durch Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, entgegen der oben dargestellten Einschätzung des Senats insbesondere darauf, dass diese auch als vulnerable Personen keine Aufnahme im SAI mit den entsprechenden Unterstützungsleistungen, insbesondere bei der Arbeitsplatzsuche, finden könnten.

119 dd) Aktuell stellt sich die Erkenntnislage zu den Möglichkeiten der Kinderbetreuung ((1)) sowie von Zuschüssen für die Kosten der Kinderbetreuung ((2)) wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage ((3)) rechtfertigt die Einschätzung, dass es trotz des Mangels insbesondere an Krippenplätzen für Kleinkinder unter drei Jahren mit der Hilfe und Unterstützung durch das SAI und erwartbarer eigener Anstrengungen möglich sein wird, die für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit notwendige Kinderbetreuung sicherzustellen.

120 (1) Die frühkindliche Bildung und Betreuung in Italien ist in einem integrierten System 0 - 6 ("integrated system 0 - 6"), das durch Gesetz Nr. 107/2015 eingeführt und durch Gesetzesdekret Nr. 65/2017 geregelt ist, organisiert (vgl. zum Ganzen Ministero dell`Istruzione e del Merito <Ministerium für Bildung und Verdienste>, System der allgemeinen und beruflichen Bildung, abrufbar unter: https://www.mim.gov.it/web/guest/sistema-educativo-di-istruzione-e-formazione; Europäische Kommission, Eurydice - National Education Systems, 4. Early childhood education and care, letztes Update: 22. Mai 2024, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​early-childhood-education-and-care; dies., 4.1 Access, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​access; dies., 4.2 Organisation of centre-based ECEC, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​organisation-centre-based-ecec). Dieses integrierte System ist Teil des Bildungssystems und ist in zwei separaten Ebenen organisiert, die vom Alter der Kinder abhängig sind. So gibt es den "servizi educativi per l`infanzia" (educational services for childhood) oder Bildungsdienste für Kinder von 0 bis 3 Jahren und die "scuola dell`infanzia" (childhood school) oder Kindergärten für Kinder von drei bis sechs Jahren.

121 Die Kinderbetreuung des "servizi educativi per l`infanzia" für die jüngsten Kinder kann sowohl in Zentren stattfinden, aber auch zu Hause durchgeführt werden. Am häufigsten ist die Betreuung in Kinderkrippen ("nidi d'infanzia") für Kinder zwischen 3 und 36 Monaten, daneben gibt es für Kinder zwischen 24 und 36 Monaten unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit, bereits in den Kindergarten ("scuola dell'infanzia") zu gehen. Schließlich umfasst das System auch noch einen ergänzenden alternativen Service, der darauf abzielt, noch stärker auf die Bedarfe von Familien mit einer flexibleren Organisation und Struktur einzugehen. Öffnungszeiten sowie Größe der Kinderkrippen variieren, gemeinsam ist, dass für das Wohlergehen der Kinder einschließlich Mahlzeiten und Schlafzeiten gesorgt ist. Der Besuch dieser Kinderbetreuungseinrichtungen oder die Inanspruchnahme alternativer Betreuungsmöglichkeiten ist fakultativ und kostet sowohl in staatlichen als auch in privaten Einrichtungen Gebühren, wobei es vor allem in öffentlichen Einrichtungen regional Befreiungen von den Gebühren oder Ermäßigungen je nach dem Einkommen der Familie geben kann. In privaten Einrichtungen sind regelmäßig die vollen Kosten zu entrichten, es kann aber Ermäßigungen geben, z. B. bei Geschwistern. Diese Betreuungsdienste für Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren werden direkt oder indirekt von den Gemeinden oder von privaten und anderen öffentlichen Einrichtungen auf der Grundlage der in regionalen Vorschriften festgelegten Kriterien betrieben. Das italienische Ministerium für Bildung und Verdienste trägt die allgemeine Verantwortung für die Zuweisung finanzieller Ressourcen an lokale Behörden, für die Bereitstellung von Bildungsrichtlinien und für die Förderung des integrierten Systems auf lokaler Ebene.

122 Für Kinder von drei bis sechs Jahren gibt es Kindergärten ("scuola dell'infanzia"), die vom Staat, den Gemeinden und von Privatpersonen betrieben werden. Die Verantwortung für diese Einrichtungen liegt ebenfalls beim Ministerium; für die Bereitstellung und Instandhaltung der Räumlichkeiten sind jedoch die Kommunen verantwortlich. Auch hier ist der Besuch freiwillig und - anders als bei den Kinderkrippen - jedenfalls in staatlichen Einrichtungen auch gebührenfrei. Es können aber Fahrtkosten und sonstige Kosten für Mahlzeiten, zusätzliche Kinderbetreuungsstunden oder andere regional festgesetzte Gebühren anfallen. Die Höhe des Beitrags ist regelmäßig an das Familieneinkommen gekoppelt und deckt nicht die gesamten Kosten der Leistung ab. Das Gleiche gilt für unabhängige öffentliche Einrichtungen, die in der Regel von den lokalen Behörden selbst betrieben werden. Kinder, die staatliche oder öffentliche Einrichtungen besuchen, können regelmäßig 40 Stunden in der Woche in den Einrichtungen verbleiben. Unabhängige private Einrichtungen sowie die häusliche Versorgung sind nicht kostenlos; die Höhe der zu entrichtenden Entgelte wird von dem jeweiligen Anbieter festgelegt.

123 Es gibt keinen Anspruch auf einen Kinderkrippen- oder Kindergartenplatz. Gerade die Verteilung von Kinderbetreuungsplätzen in Italien für Kinder unter drei Jahren ist nicht homogen; ihre Präsenz in dem Gebiet hängt von der lokalen Politik oder den Initiativen privater Unternehmen oder Vereine ab (Europäische Kommission, Eurydice - 4.1 Access, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​access). Die Zulassungsvoraussetzungen werden auf lokaler Ebene festgelegt. Lokale Behörden erstellen Prioritätenlisten, um die Zulassung zu regeln, falls weniger Plätze verfügbar sind als beantragt. Im Allgemeinen stellen Familien einen Antrag auf Zulassung bei der zuständigen örtlichen Geschäftsstelle, die für die Organisation zuständig ist. Familien haben die freie Wahl zwischen den Diensten derselben Gemeinde und können auch mehrere Optionen angeben. In der Regel ist es auch möglich, den Antrag bei einer anderen Gemeinde zu stellen, wobei die Zulassung an örtlich festgelegte Bedingungen geknüpft ist. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in ihrer eigenen und in anderen Gemeinden Vorrang (Europäische Kommission, Eurydice - National Education Systems, 4. Early childhood education and care, letztes Update: 22. Mai 2024, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​early-childhood-education-and-care; dies., 4.2 Organisation of centre-based ECEC, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​organisation-centre-based-ecec).

124 Obwohl Kindergärten für Kinder von drei bis sechs Jahren nicht verpflichtend sind, verfolgt der italienische Staat die Politik, das Angebot auszubauen. So wurden Kindergärten in Gebieten des Landes eingerichtet, in denen es bislang kein solches Angebot gibt oder in denen das Angebot unzureichend ist. Die Wahl des Kindergartens ist den Eltern freigestellt. Die einzigen Einschränkungen können auf einen Mangel an verfügbaren Plätzen oder auf einen Mangel an Schulpersonal für jede Schule zurückzuführen sein. Übersteigt die Anzahl der Anfragen die Anzahl der verfügbaren Plätze, legt jede Schule ihre eigenen Zulassungskriterien fest (Europäische Kommission, Eurydice - 4.1 Access, letztes Update: 27. November 2023, abrufbar unter: https://eurydice.eacea.ec.europa.eu/​national-education-systems/​italy/​access).

125 Schulpflicht besteht ab dem sechsten Lebensjahr und endet nach 10 Schuljahren. Eine vollständige Schulausbildung umfasst 13 Jahre. Die Schulbildung von mindestens 10 Jahren ist obligatorisch und unentgeltlich. Bedürftige, aber mittellose Personen haben das gleiche Recht wie andere, ihre Ausbildung fortzusetzen, und zwar durch Beihilfen und Stipendien (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10).

126 Dass es in Italien an Plätzen insbesondere für die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren mangelt, zeigen die Erkenntnisquellen: So erfolge die Betreuung von Kleinkindern - vor allem im Süden - ganz überwiegend in der Familie, bei der Mutter bzw. den Großeltern, da - zum Teil kulturell bedingt - auch keine Infrastruktur für Kinderbetreuung bestehe. Aber auch im industrialisierten Norden mit einer höheren Frauenerwerbsquote übersteige die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen das Angebot um ein Vielfaches (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10). Im Süden seien die Bedingungen der Elternschaft für Frauen in Erwerbsarbeit aufgrund des eklatanten Mangels an Betreuungseinrichtungen wie Kinderkrippen oder Ganztagskindergärten sehr schwierig. Alleinstehende, kinderlose Frauen im Mezzogiorno hätten eine Beschäftigungsquote von 52,3 %; diese sinke bei Frauen mit Kindern zwischen 6 und 17 Jahren auf 41,5 % und falle bei Müttern mit Kindern unter fünf Jahren schließlich auf 37,8 % (65,1 % im Zentrum-Nord). Bei Vätern liege sie dagegen über doppelt so hoch bei 82,1 %. Aber selbst wenn alle geplanten Krippen- und Kindergartenplätze realisiert würden, bliebe der Süden weit unter dem geplanten Schwellenwert von Plätzen von 30 % für Kinder bis zu drei Jahren (im Süden derzeit 10 %, nach Ausbau 16 %). Auch vom Ziel der Ganztagsbildung sei der Süden weit entfernt. So besuchten z. B. in Palermo 73 % der Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren keine Ganztagsschule (vgl. zum Ganzen Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 38 ff.). Insgesamt gebe es in Italien nur für etwa ein Viertel der Kinder unter drei Jahren einen Platz in Betreuungseinrichtungen. Während in Norditalien die Betreuung gut sei, habe es im Süden des Landes zuletzt nur für acht von 100 Kindern einen Platz gegeben (Kleine Zeitung, Kinderbetreuung im Vergleich - In Schweden haben Einjährige ein Anrecht auf einen Betreuungsplatz, vom 5. September 2023, abrufbar unter: https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/6320135/Kinderbetreuung-im-Vergleich_In-Schweden-haben-Einjaehrige-ein; zum Mangel an Krippenplätzen in Italien siehe auch Berliner Morgenpost, Elterngeld und Elternzeit - das gibt es in anderen Ländern, vom 30. Juli 2023, abrufbar unter: https://www.morgenpost.de/​politik/​article239063479/elterngeld-elternzeit-italien-frankreich-usa-schweden-deutschland.html#:~:text=Krippenpl%C3%A4tze%20​sind%20in%20Italien%20Mangelware,Einkommen%20​von%20unter%2025.000%20Euro). Laut Statista (Statista, Europäische Union: Anteil der Kinder im Alter unter drei Jahren (U3) in formaler Kinderbetreuung (Betreuungsquote), aufgeschlüsselt nach Mitgliedstaaten im Jahr 2023, abrufbar unter: https://de.statista.com/​statistik/​daten/​studie/1129311/umfrage/​betreuungsquote-von-kleinkindern-in-der-europaeischen-union-eu/) liegt der Anteil der Kinder unter drei Jahren in formaler Kinderbetreuung im Jahr 2023 in Italien bei 34,5 %. Eventuelle administrative Hürden bei der Bewerbung um einen Kindergartenplatz ließen sich mithilfe des Personals der Aufnahmeeinrichtung überwinden (vgl. BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, 8. Dezember 2023, S. 4).

127 (2) Für viele Familien bleibt die Kinderbetreuung trotz der 2024 ergriffenen Einzelmaßnahmen zudem unerschwinglich. Nicht selten seien die Kinderbetreuungskosten höher als das erwartbare Einkommen (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 10, 40). Es gibt allerdings insbesondere bei staatlichen oder öffentlichen Einrichtung je nach Region und Einrichtung Ermäßigungen oder Befreiungen von den Gebühren.

128 Auch alleinerziehende international Schutzberechtigte mit Grundschulkind und Kind unter drei Jahren dürften finanzielle Unterstützung für die Kinderbetreuung erhalten können:

129 So kann auf Antrag ein Zuschuss für die Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren ("Bonus asilo nido e forme di supporto presso la propria abitazione", vgl. zum Ganzen INPS, Bonus asilo nido e forme di supporto presso la propria abitazione - Kinderkrippenzuschlag und Formen der häuslichen Unterstützung, letzte Aktualisierung: 24. April 2024, abrufbar unter: https://www.inps.it/it/it/​dettaglio-scheda.it.schede-servizio-strumento.schede-servizi.bonus-asilo-nido-e-forme-di-supporto-presso-la-propria-abitazione-51105.bonus-asilo-nido-e-forme-di-supporto-presso-la-propria-abitazione.html) bis zu 3 600 € im Jahr gezahlt werden: Diese Prämie zur Zahlung der Gebühren für den Besuch öffentlicher und privater Kindergärten oder auch für Formen der häuslichen Pflege besteht aus einem Beitrag zur Einkommensunterstützung, der durch Art. 1 Abs. 355 des Gesetzes Nr. 232 vom 11. Dezember 2016 eingeführt worden ist. Er richtet sich an Familien oder Elternteile mit Kindern bis zu drei Jahren, die einen öffentlichen oder autorisierten privaten Kindergarten besuchen oder an schweren chronischen Krankheiten leiden. Zum potenziell begünstigten Personenkreis gehören dabei unter anderem politische Flüchtlinge oder Inhaber des internationalen Schutzes, die italienischen Staatsangehörigen nach Art. 27 des Gesetzesdekrets Nr. 251 vom 19. November 2007 (vgl. hierzu bereits unter d) bb) (2) (a)) und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gleichgestellt sind. Dabei betragen die maximal gewährten Beträge und die entsprechenden monatlichen Beträge bei einem ISEE-Wert bis zu 25 000 € 3 000 € pro Jahr (monatlicher Höchstbetrag von 272,73 € pro Monat für elf Monate). Um die jährliche Obergrenze von 3 000 € pro Minderjährigem nicht zu überschreiten, werden die ersten zehn Monate mit dem Höchstbetrag gezahlt, der gewährt werden kann (272,73 €) und im elften Monat 272,70 € gezahlt. Bei einem ISEE-Wert von 25 001 € bis 40 000 € beträgt der Zuschuss 2 500 € pro Jahr (monatlicher Höchstbetrag 227,27 € pro Monat für elf Monate). Auch hier werden die ersten zehn Monate mit dem Höchstbetrag gezahlt, der gewährt werden kann (227,27 €; elfter Monat: 227,30 €). Bei einem ISEE-Wert ab 40 001 € werden 1 500 € pro Jahr mit einem monatlichen Höchstbetrag von 136,37 € pro Monat für elf Monate gewährt, wobei im elften Monat 136,30 € ausgezahlt werden (vgl. INPS, ebd.).

130 Durch das Gesetz Nr. 213 vom 30. Dezember 2023, das den Staatshaushalt für das Haushaltsjahr 2024 und den Mehrjahreshaushalt für den Dreijahreszeitraum 2024 - 2026 enthält, wurde in Art. 1 Abs. 177 Buchst. b vorgesehen, dass in Bezug auf diejenigen, die am oder nach dem 1. Januar 2024 geboren wurden, für Haushalte mit einem ISEE-Wert von bis zu 40 000 €, berechnet gemäß Art. 7 desselben Dekrets des Präsidenten des Ministerrats Nr. 159 von 2013, in denen es bereits mindestens ein Kind unter zehn Jahren gibt, eine Erhöhung des Zuschusses erfolgt. Hiernach wird bei Haushalten mit einem Neugeborenen ab dem 1. Januar 2024 und der Anwesenheit von mindestens einem Kind unter zehn Jahren und einem regulären ISEE-Wert von bis zu 40 000 € der Betrag sowohl für die Zahlung von Gebühren für den Besuch öffentlicher und privater Kinderkrippen als auch für die Inanspruchnahme von Formen der Unterstützung zu Hause erhöht, sodass als Höchstbeträge 3 600 € (zehn Raten von 327,27 € und eine von 327,30 €) bei einem gültigen ISEE-Wert von bis zu 40 000 € und 1 500 € (zehn Raten von 136,37 € und eine von 136,30 €) bei einem ISEE-Wert von mehr als 40 000 € gelten. Die Boni werden auf der Grundlage des Betrags, der durch das Haushaltsgesetz 2024 zugewiesen wurde, und entsprechend der Reihenfolge, in der die Online-Bewerbung eingereicht wird, ausgezahlt (vgl. INPS, ebd.).

131 Hiernach dürften auch international Schutzberechtigte mit Kindern unter drei Jahren zu dem potenziellen Begünstigtenkreis zählen und - bei einem unteren ISEE-Wert bis zu 40 000 € – eine Summe von 3 600 € erhalten können. Gleichwohl wird kritisiert, dass die Kinderbetreuungskosten seit 2024 nicht - wie angekündigt - komplett, sondern erst ab dem zweiten Kind und nachträglich auf Antrag beim INPS sowie gestaffelt nach gewichtetem Haushaltseinkommen bis höchstens 3 600 € übernommen werden (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 40 f.). Dieser "bonus asilo nido" ende zudem nach dem dritten Lebensjahr, da die staatlichen Kindergärten ("scuola dell`infanzia") für Kinder ab drei Jahren gebührenfrei seien. Familien, die keinen der äußerst raren staatlichen Plätze fänden, erhielten keinen weiteren Zuschuss für die Kosten privater Kinderbetreuung vom dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt.

132 Wie hoch die Kosten für die Kinderbetreuung tatsächlich sind, dürfte nach den Erkenntnismitteln je nach Region und Einrichtung unterschiedlich sein und ist nur schwer abschätzbar. Beispielhaft seien die Kosten für Kindertagesstätten der autonomen Provinz Bozen - Südtirol (Autonome Provinz Bozen - Südtirol, Familienagentur, Tarifermäßigung in der Kleinkindbetreuung für Kindertagesstätten und Tagesmütter-/väterdienst, abrufbar unter: https://assets-eu-01.kc-usercontent.com/6dd599e2-b5cb-01c3-9e74-0527e5fc120c/2f948995-afdb-404b-a378-85ba78fa55b5/KKB%20Tarife%20dt.pdf) genannt, die sich zwischen einem Mindesttarif von 0,90 €/h bis zu einem Höchsttarif von 3,65 €/h bewegen. Für eine Betreuung im Kinderhort bis 15.30 Uhr liegt der Tagessatz damit zwischen 7,20 € und 18 € (mit Verlängerungsmöglichkeit wohl bis 17.00 Uhr, wobei dann ab 15.30 Uhr der Höchstsatz von 3,65 €/h berechnet wird). Bleibt das Kind nur bis mittags, fallen täglich zwischen 5,40 € und 15 € an.

133 (3) Eine Gesamtwürdigung dieser Erkenntnislage ergibt, dass sich die Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit insbesondere für Kinder unter drei Jahren (außerhalb der für mindestens zwölf Monate gesicherten Betreuung durch die Unterbringung und Versorgung im SAI) angesichts fehlender Kapazitäten in Italien als schwierig erweist, wobei sich die Suche im Norden Italiens insgesamt einfacher gestalten dürfte als im Süden. Der Anteil der Kinder von unter drei Jahren in formaler Kinderbetreuung (Betreuungsquote) liegt insgesamt gesehen je nach Erkenntnismittel bei einem Viertel oder einem Drittel. Allerdings ist der hier zu betrachtende Personenkreis zunächst für mindestens zwölf Monate in einer Einrichtung des SAI untergebracht und insofern nicht kurzfristig auf eine Kinderbetreuung für das unter dreijährige Kind zur Suche und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angewiesen. Auch finden alleinerziehende Elternteile mit Grundschulkind und Kleinkind unter drei Jahren Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, einer Schule sowie einem Kindergartenplatz. Hiernach erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch ein Kinderkrippenplatz oder eine andere Möglichkeit der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren in der zur Verfügung stehenden Zeit mit der bereitgestellten Unterstützung und frühzeitiger Eigeninitiative gefunden werden kann, sofern mit Blick auf die weitere Unterkunft, gegebenenfalls auch durch private Aufnahme in einer anderen Familie, ein solcher erforderlich ist. Soweit für die Betreuung vor allem von Kindern unter drei Jahren Kosten entstehen, können diese bei geringem Familieneinkommen gegebenenfalls ermäßigt werden. Zudem wird ein Zuschuss für die Kinderbetreuung gewährt, der - gemessen am Beispiel der Provinz Bozen - Südtirol - einen Großteil der Kosten abdecken dürfte. Für Kinder ab drei Jahren ist der Besuch des Kindergartens in staatlichen Einrichtungen hingegen grundsätzlich gebührenfrei und die Unterstützung bei der Suche nach einem Kindergartenplatz durch das SAI gewährleistet. Gleiches gilt für den Schulbesuch für Kinder ab sechs Jahren, der ebenfalls gebührenfrei und zudem verpflichtend ist. Damit erscheint es insgesamt möglich, die Kinderbetreuung auch für Kinder unter drei Jahren, erst Recht aber für Kinder ab drei Jahren rechtzeitig sicherzustellen.

134 ee) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die medizinische Versorgung in Italien gewährleistet ist (VGH München, Urteil vom 21. März 2024 - 24 B 23.30860 - UA S. 19). Die medizinische Versorgung für international Schutzberechtigte in Italien weist keine Mängel auf, die erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen besorgen lassen. Das gilt ohne Weiteres auch für den hier zu behandelnden Personenkreis alleinerziehender Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren, die nicht an schwerwiegenden Krankheiten leiden (vgl. zu nichtvulnerablen alleinreisenden Schutzberechtigten ohne Kinder bereits BVerwG, Urteile vom 21. November 2024 - 1 C 23.23 - Rn. 114 und - 1 C 24.23 - Rn. 115).

135 Eine medizinische Grundversorgung ist für nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte gegeben und praktisch erreichbar: In Italien haben italienische Staatsangehörige, ausländische Gebietsansässige und ausländische Staatsangehörige mit Aufenthaltsgenehmigung Anspruch auf Gesundheitsversorgung; dieser Anspruch sieht das Recht vor, einen Hausarzt für Erwachsene bzw. für Minderjährige unter 14 Jahren einen Kinderarzt auszuwählen. Um Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen zu können, ist eine (kostenlose) Registrierung beim Staatlichen Gesundheitsdienst (Servizio Sanitario Nazionale - SSN) und die Wahl des Hausarztes bzw. Kinderarztes anhand einer beim örtlichen Gesundheitsdienst (ASS) ausliegenden Liste erforderlich (EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, 28. Juni 2024, S. 50; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249).

136 Die Registrierung beim SSN ist für legal in Italien aufhältige Personen auch dann möglich, wenn sie noch keine Aufenthaltserlaubnis besitzen, aber die Erstausstellung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels beantragt haben. Sie erfolgt bei dem für den Wohnsitz zuständigen örtlichen Büro des Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale - ASL) (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 15; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Vorzulegen sind ein gültiges Identitätsdokument, die italienische Steuernummer sowie der Aufenthaltstitel oder der erhaltene Nachweis über dessen Beantragung (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, September 2022, S. 6, https://www.agenziaentrate.gov.it/​portale/​documents/180684/1194227/DIE_GESUNDHEITSKARTE-Tessera_Sanitaria.pdf/96c144ca-94b4-d686-751b-ea4e620dda03; Raphaelswerk e. V., ebd.). Nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte verfügen bereits aufgrund ihres Erstaufenthalts über eine Steuernummer (siehe näher oben unter 2.2.2 b)). Falls der Antragsteller im nationalen Register der Wohnbevölkerung noch nicht eingetragen ist, ist zunächst die Aktualisierung des mit der Steuernummer verbundenen Steuerdomizils zu beantragen. Dazu ist bei einer beliebigen Amtsstelle der Agentur der Einnahmen ein ausgefüllter Vordruck AA4/8, ein gültiger Personalausweis und die Aufenthaltserlaubnis oder der Beleg über den Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Erlaubnis einzureichen (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, a. a. O., S. 8). Nach anderen Auskünften ist bei der Antragstellung auch ein Wohnsitznachweis (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15) bzw. eine Selbstauskunft über den Wohnsitz (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, 20. Juni 2024, S. 3) vorzulegen. Nach der zuletzt genannten Quelle ist es zwar empfehlenswert, aber nicht zwingend, zuerst die Wohnsitzregistrierung vorzunehmen.

137 Bei der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (Krankenversicherungskarte) ausgestellt, die bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen vorzulegen ist. Sie ist kostenlos und hat bei ausländischen Bürgern die gleiche Gültigkeitsdauer wie die Aufenthaltserlaubnis. Die Gesundheitskarte wird an das Steuerdomizil des Antragstellers geschickt (d. h. die Adresse, die in der Datenbank der Agentur der Einnahmen verzeichnet ist und der in Italien registrierten Meldeadresse entspricht) (vgl. EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, 28. Juni 2024, S. 50; Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, a. a. O., S. 2 f., 6 ff.). Wenn Asylbewerber keine Wohnsitzmeldung verzeichnen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 15).

138 Beim Staatlichen Gesundheitsdienst registrierte Asylbewerber und Inhaber eines Schutzstatus haben dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung und Beitragszahlung wie italienische Staatsbürger (vgl. etwa Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte usw.), Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung sowie kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung gilt für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis und erlischt auch nicht im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249). In der Praxis besteht bei abgelaufener Aufenthaltserlaubnis bis zur Erneuerung derselben, die aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann, indes keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung. Eine medizinische Notversorgung ist indessen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleistet. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist die Sprachbarriere (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 15).

139 Für bestimmte medizinische Leistungen (Untersuchungen und Medikamente) muss mitunter ein "Ticket" als Eigenbeteiligung an den Ausgaben des nationalen Gesundheitswesens gezahlt werden (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, 20. Juni 2024, S. 4; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Beim SSN registrierte Schutzberechtigte haben indes wie italienische Staatsbürger abhängig vom Einkommen, der Beschäftigungssituation oder in besonderen Situationen (Schwangerschaft oder bestimmte Krankheiten) einen Anspruch auf Befreiung. Die Anspruchsberechtigung bei geringem Einkommen oder Arbeitslosigkeit besteht bei einem jährlichen Familieneinkommen von weniger als 8 263,31 € bei Alleinlebenden und von weniger als 11 362,05 € bei Personen, die einen finanziell abhängigen Partner haben. Dieser Höchstbetrag erhöht sich für jedes unterhaltsberechtigte Kind um 516,46 € (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, 20. Juni 2024, S. 4).

140 Die Befreiung bei Arbeitslosigkeit wird regional unterschiedlich praktiziert. In einigen Regionen Italiens sind Schutzberechtigte nicht von der Beteiligung an ihren medizinischen Behandlungskosten ausgenommen, weil sie - solange sie nie in Italien gearbeitet haben - als unbeschäftigt und nicht als arbeitslos betrachtet werden. In anderen Regionen wird die Befreiung hingegen angewandt, bis die Schutzberechtigten einen Arbeitsplatz finden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 27. September 2024, S. 17; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249 f.; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Im Zeitraum von 2017 bis 2023 sind indes eine Reihe von Gerichtsentscheidungen ergangen, nach denen die Unterscheidung zwischen unbeschäftigten/​inaktiven und arbeitslosen Personen für die Zwecke des Zugangs zu Gesundheitsleistungen keine Anwendung findet und daher insoweit auch Personen, die noch nie in Italien gearbeitet haben, als arbeitslos gelten können (AIDA/ECRE, ebd.). Damit haben Schutzberechtigte auch vor erstmaliger Beschäftigung in Italien Anspruch auf Befreiung von der Eigenbeteiligung.

141 Probleme kann es geben, wenn der angemeldete Wohnsitz nicht dem tatsächlichen Wohnort entspricht, da ein Hausarzt in der Nähe des angemeldeten Wohnsitzes gewählt werden muss. Als weitere Hürden beim Zugang zur Gesundheitsversorgung werden die generell langen Wartezeiten im italienischen Gesundheitssystem und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten benannt, da keine Sprachmittler zur Verfügung gestellt werden. Einige Organisationen bieten medizinische Versorgung für Personen an, die keinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst haben. In vielen Fällen steht Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen, die noch nicht im nationalen Gesundheitsdienst eingeschrieben sind, in der Praxis nur die Notversorgung in Notaufnahmen von Krankenhäusern zur Verfügung (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15 f.).

142 Diese Erkenntnislage ist zusammenfassend dahin zu würdigen, dass nach Italien zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten die Registrierung beim SSN und der Erhalt der Gesundheitskarte möglich und damit die medizinische Grundversorgung - ungeachtet möglicher Probleme bei der sprachlichen Verständigung - hinreichend gewährleistet ist. Namentlich haben sie unter denselben Voraussetzungen wie italienische Staatsangehörige bei Unterschreitung bestimmter Einkommensgrenzen oder Arbeitslosigkeit Anspruch auf Befreiung von etwa erforderlichen Zuzahlungen ("Tickets"). Ein Anspruch auf Notversorgung besteht auch bereits vor der erfolgten Registrierung beim SSN. Nach dieser Erkenntnislage ist nicht zu erwarten, dass der hier in Rede stehende vulnerable Personenkreis alleinerziehender Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren, aber ohne besondere Erkrankungen wegen Mängeln der medizinischen Versorgung in eine mit Art. 4 GRC unvereinbare Lage gerät.

143 2.2.3 Zusammenfassend lassen sich bei den Aufnahme- und Lebensbedingungen der Personengruppe der alleinerziehenden Elternteile mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren in Italien aktuell keine Schwachstellen feststellen, die die für eine Verletzung von Art. 4 GRC erforderliche besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen.

144 Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Rückkehr nach Italien in eine Lage extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung und Hygiene zu befriedigen. Da auch die Klägerin zu 1 und ihre Tochter, die Klägerin zu 2, sowie das Kleinkind zu dieser Gruppe zählen (siehe oben 2.1 b)) und die Beurteilung der abschiebungsrelevanten Lage nicht von weiteren individuellen, vom Berufungsgericht bisher nicht festgestellten Umständen abhängt, kann der Senat die im vorliegenden Verfahren ergangene Unzulässigkeitsentscheidung abschließend bestätigen.

145 2.3 Hat die Unzulässigkeitsentscheidung somit Bestand, gilt gleiches auch für die auf §§ 35, 36 Abs. 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung. Diese ist auch ihrerseits nicht wegen einer Fehlbeurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien rechtswidrig. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, das nach dem hier ergänzend anwendbaren § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - juris Rn. 23 f.) zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führen würde, besteht nicht. Die gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK maßstäbliche Erheblichkeitsschwelle entspricht schon kraft Art. 52 Abs. 3 GRC derjenigen des Art. 4 GRC. Auch § 60 Abs. 7 AufenthG bietet keinen weitergehenden Schutz. Damit sind die im Rahmen der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffenen Feststellungen zur allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage sowie die fallbezogene Anwendung auf die Klägerinnen ohne Weiteres auf die Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu übertragen.

146 Das Berufungsgericht hat, gestützt auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, unter anderem die - im Verfahren der Tatsachenrevision nicht zu berücksichtigenden - familiären Bindungen des im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch ungeborenen Kindes zu dem Kindsvater in den Blick genommen. Es geht allerdings fehl in der Annahme, eine Androhung der Abschiebung in einen Mitgliedstaat sei eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie 2008/115/EG. In jeder Rückkehrentscheidung muss unter den in Art. 3 Nr. 3 RL 2008/115/EG genannten Drittländern dasjenige angegeben werden, in das der Drittstaatsangehörige abzuschieben ist, der Adressat der Rückkehrentscheidung ist. Hingegen wird die Entscheidung eines Mitgliedstaates, einen illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen zwangsweise in den Mitgliedstaat zu überstellen, der ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, nicht von den mit der Richtlinie 2008/115/EG aufgestellten gemeinsamen Normen und Verfahren geregelt und unterfällt nicht ihrem Anwendungsbereich (EuGH, Urteil vom 24. Februar 2021 - C-673/19 [ECLI:​​EU:​​C:​​2021:​​127], M. A. - Rn. 39 ff., 45 f.).

147 2.4 Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist abzuweisen. Auf die obigen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots wird Bezug genommen.

148 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.