Beschluss vom 14.12.2023 -
BVerwG 1 WB 31.23ECLI:DE:BVerwG:2023:141223B1WB31.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.12.2023 - 1 WB 31.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:141223B1WB31.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 31.23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Fregattenkapitän Kruszona und
den ehrenamtlichen Richter Oberleutnant z.S. Trautwein
am 14. Dezember 2023 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Regelung über den Ausgleich, insbesondere die Vergütung, für besondere zeitliche Belastungen in den Fällen des § 30c Abs. 4 SG (Dienst außerhalb des Grundbetriebs), wie etwa bei mehrtägigen Seefahrten.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit; seine aktuell auf 13 Jahre festgesetzte Dienstzeit endet mit Ablauf des 30. Juni ... Zuletzt wurde er mit Wirkung vom 1. Januar 2022 zum Oberleutnant zur See befördert. Seit Oktober 2022 wird er am Standort ... verwendet.

3 Mit Schreiben vom 1. Juni 2023 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die Zentrale Dienstvorschrift A-1420/34 zur "Anwendung der Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten" (seit 1. Juni 2023: Allgemeine Regelung A-1420/34 über "Durchführungsbestimmungen SAZV") und gegen die gesetzliche Regelung der Vergütung in Ausnahmetatbestandsfällen gemäß § 50a Abs. 2 BBesG. Zur Begründung führte er aus, dass gemäß der Allgemeinen Regelung C1-1420/34-3000 über "Ausnahmetatbestände Dienstzeit Marine" mehrtägige Seefahrten (nach Anordnung) als Dienst im Ausnahmetatbestand betrachtet würden. Damit stehe dem Soldaten pro erwirtschafteten "Ausnahmetatbestands-Tag" ein Tag Freizeitausgleich oder eine Vergütung von 91 € brutto zu. Der Ausgleich, sowohl durch Freistellung vom Dienst als auch durch finanzielle Zahlung, sei unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu den Vergütungen, die Soldaten erhielten, welche zusätzlichen Dienst als Mehrarbeit vergütet erhielten. Leiste beispielsweise ein Soldat an einem Sonn- oder Feiertag Wachdienst im Stützpunkt, so erhalte er 24 Stunden Mehrarbeit und einen Zuschlag für Dienst zu ungünstigen Zeiten in Höhe von 5,67 € pro Stunde, insgesamt also 136,08 € brutto; die 24 Stunden Mehrarbeit würden entweder einen Freizeitausgleich von fast drei Arbeitstagen oder alternativ eine Auszahlung zwischen 332,40 € und 743,04 € brutto (je nach Besoldungsstufe) bedeuten. Ein Soldat, der an demselben Sonn- oder Feiertag zur See fahre, bekomme lediglich einen einzigen Tag Freizeitausgleich oder 91 € brutto; für den Soldaten, der zur See fahre, liege aber mindestens die gleiche, wenn nicht sogar eine höhere Belastung gegenüber dem Soldaten im Wachdienst an Land vor. Hinzu komme, dass im Ausnahmetatbestand geleisteter Dienst nicht in der wöchentlichen Arbeitszeit betrachtet werde, die gemäß Nr. 236 ZDv A-1420/34 maximal 48 Stunden betragen dürfe. Besatzungen von seegehenden Einheiten erhielten als Ausgleich für die hohe Belastung eine Zulage von 350 € brutto pro Monat, pro Tag also 11,29 € brutto. In der Summe erhalte ein Soldat einer seegehenden Einheit im Ausnahmetatbestand somit eine Zulage von 102,29 € pro Tag und damit deutlich weniger als ein Soldat, der an Land bzw. außerhalb eines Ausnahmetatbestands seinen Dienst in Mehrarbeit leistet.

4 Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde des Antragstellers als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und dem Senat mit seiner Stellungnahme vom 11. Juli 2023 vorgelegt.

5 Im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller ergänzend geltend gemacht, dass die Vergütung von Dienst in den Fällen des § 30c Abs. 4 SG auch mit dem gesetzlichen Mindestlohn in Konflikt stehe, nach dem jedem Arbeitnehmer mindestens 12 € pro Stunde zustünden.

6 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

7 Seiner Auffassung nach ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig. Die vom Antragsteller angegriffenen Regelungen der Dienstvorschriften, insbesondere des Kapitels 3 der AR A-1420/34 ("Dienst außerhalb des Grundbetriebes"), enthielten keine unmittelbar anfechtbaren Anordnungen und keine unmittelbaren Eingriffe in Rechte des Antragstellers. Die Vorschriften verwiesen vielmehr im Wesentlichen auf die Voraussetzungen, unter denen Ausgleichsansprüche beantragt werden könnten, oder auf gesetzliche Vorgaben (§ 30c SG, § 50a BBesG) bzw. Vorgaben einer Rechtsverordnung (§ 23 SAZV). Eine abstrakte Normenkontrolle sei dem Wehrbeschwerderecht fremd.

8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II

9 Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde vom 1. Juni 2023 zutreffend als Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewertet, weil sie sich im Kern gegen auf der Ebene des Ministeriums erlassene Vorschriften und damit gegen Entscheidungen oder Maßnahmen des Bundesministers der Verteidigung im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO richtet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch unzulässig.

10 Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte (nur) anrufen, wenn sein Antrag eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Februar 2019 - 1 WB 16.18 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 103 Rn. 12 und vom 2. Juni 2021 - 1 WB 22.20 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 113 Rn. 23). In Ausnahmefällen kann auch eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, wenn sie eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl oder durch eine andere dienstliche Maßnahme mehr bedarf (wie zum Beispiel bei einzelnen Anordnungen der Zentralen Dienstvorschrift A-2630/1 über "Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr"; vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 2015 - 1 WB 25.15 - NZWehrr 2015, 255 <256>). Eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens sieht die Wehrbeschwerdeordnung hingegen nicht vor.

11 Danach ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig, weil der Antragsteller sich nicht gegen eine ihn unmittelbar betreffende dienstliche Maßnahme wendet (§ 17 Abs. 3 Satz 1 WBO).

12 Der Antragsteller beschwert sich formal gegen die Zentrale Dienstvorschrift A-1420/34 zur "Anwendung der Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten" und über die Vergütung der "erwirtschafteten Ausnahmetatbestandsfälle" gemäß § 50a Abs. 2 BBesG. In der Sache beanstandet er eine seiner Meinung nach bestehende Ungleichbehandlung zwischen dem Ausgleich besonderer zeitlicher Belastungen bei Tätigkeiten nach § 30c Abs. 4 SG (Dienst außerhalb des Grundbetriebs) einerseits und bei Mehrarbeit andererseits. Insbesondere macht er geltend, dass die Vergütung für tatsächlich geleistete Dienste in den Fällen des § 30c Abs. 4 SG im Vergleich mit der Vergütung für Mehrarbeit unverhältnismäßig niedrig sei. Er führt dies anhand der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen (insbesondere § 50a BBesG und § 23 SAZV), anhand der Verwaltungsvorschriften, die den Vollzug der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben im Allgemeinen (ZDv A-1420/34 bzw. seit 1. Juni 2023: Allgemeine Regelung A-1420/34 über "Durchführungsbestimmungen SAZV") und speziell für die Marine (Allgemeine Regelung C1-1420/34-3000 über "Ausnahmetatbestände Dienstzeit Marine") konkretisieren und das Verfahren bei der Gewährung zusätzlicher Vergütungen regeln (Zentrale Dienstvorschrift A-1454/23 über "Vergütung für Soldatinnen und Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung"), sowie anhand von Berechnungsbeispielen im Einzelnen aus. Damit hat der Antragsteller jedoch lediglich allgemeine Erwägungen angestellt, die nach dem Gesagten keinen individuellen Rechtsschutz im gerichtlichen Antragsverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung eröffnen.

13 Der Antragsteller legt dagegen nicht ansatzweise dar, inwiefern gerade er persönlich sich beim Ausgleich besonderer zeitlicher Belastungen bei Tätigkeiten nach § 30c Abs. 4 SG, etwa anlässlich der Teilnahme an einer mehrtägigen Seefahrt (§ 30c Abs. 4 Nr. 3 SG), in seinen Rechten verletzt sieht, und er bezeichnet diesbezüglich auch keine konkrete dienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO. Als eine solche anfechtbare dienstliche Maßnahme käme zum Beispiel der Saldo eines Dienstzeitkontos für einen konkreten Abrechnungszeitraum in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 2020 ‌- 1 WB 50.19 - juris Rn. 16), soweit es um den Ausgleich durch Freistellung vom Dienst geht (§ 23 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SAZV). Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, dass er eine höhere als die in § 50a Abs. 2 BBesG vorgesehene Vergütung beantragt habe; insoweit wäre allerdings, weil es sich um einen Streit um Geldbezüge handelt (§ 30 Abs. 1 Satz 1 SG), nach Ablehnung eines solchen Antrags und erfolgloser Beschwerde (§ 23 Abs. 1 und 3 WBO) der Rechtsweg nicht zu den Wehrdienstgerichten, sondern zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten eröffnet (§ 82 Abs. 1 SG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO).

14 Insgesamt fehlt es damit vorliegend an einem zulässigen Antragsgegenstand, bei dessen Überprüfung auch die Verfassungs- und Rechtmäßigkeit der von dem Antragsteller beanstandeten Normen und Verwaltungsvorschriften geprüft werden könnte.