Beschluss vom 12.09.2024 -
BVerwG 6 A 2.24ECLI:DE:BVerwG:2024:120924B6A2.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 12.09.2024 - 6 A 2.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:120924B6A2.24.0]
Beschluss
BVerwG 6 A 2.24
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. September 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
Die in der Selbstanzeige der Richterin am Bundesverwaltungsgericht S. vom 20. Juni 2024 geschilderten Umstände begründen die Besorgnis der Befangenheit, so dass sie von der Mitwirkung in diesem Verfahren ausgeschlossen ist.
Gründe
I
1 Der Kläger, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, begehrt die Verurteilung der Beklagten, ihm Einsicht in die Anordnungen des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach § 37 BNDG zu geben, die den mit der Datei "S..." bis zum 1. Juni 2023 durchgeführten Maßnahmen des BND nach § 34 BNDG zu Grunde liegen. Hilfsweise begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte ihm die Einsicht in die Anordnungen zu Unrecht verweigert hat.
2 Frau Richterin am Bundesverwaltungsgericht S. ist Mitglied des 6. Revisionssenats und war vom 1. September 2021 bis zum 31. März 2024 als Kontrollbeauftragte Mitglied des gerichtsähnlichen Kontrollorgans des Unabhängigen Kontrollrats (UKR). Sie hat mit dienstlicher Erklärung vom 20. Juni 2024 angezeigt, dass sie infolge grundlegender fachlicher Differenzen auf ihren eigenen Antrag hin aus dem Amt einer Kontrollbeauftragten entlassen worden und in ihr Amt als Richterin am Bundesverwaltungsgericht zurückgekehrt sei. Sie sei als Mitglied des gerichtsähnlichen Kontrollorgans des UKR in quasi-richterlicher Funktion auch zur Vorabkontrolle der von dem BND vorgelegten Anordnungen für sogenannte individuelle Aufklärungsmaßnahmen nach § 42 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 und 2 BNDG berufen gewesen. Über das jetzt vor dem 6. Revisionssenat anhängige Begehren des Klägers, im Zuge einer datenschutzrechtlichen Kontrolle Einsicht in solche - vom gerichtsähnlichen Kontrollorgan des UKR bestätigte - Anordnungen des Präsidenten des BND zu nehmen und über einen im ersten Quartal 2024 im Entstehen begriffenen Konflikt zwischen dem Kläger, dem BND und dessen Fachaufsicht im Bundeskanzleramt sei sie lediglich in groben Zügen unterrichtet gewesen. Sie sei an dem vom Kläger gegenüber dem BND betriebenen Kontrollverfahren weder förmlich noch sonst fachlich beteiligt gewesen, auch nicht in beratender oder vermittelnder Rolle.
3 Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II
4 Eine Selbstanzeige ist begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters bzw. einer Richterin im Sinne des § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 und § 48 ZPO zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich. Es gilt, bereits den bösen Schein, das heißt den möglichen Eindruck fehlender Unvoreingenommenheit und mangelnder Objektivität zu vermeiden. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters bzw. der Richterin zu zweifeln (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2024 - 9 C 3.23 - juris Rn. 5 m. w. N.).
5 Nach diesem Maßstab ist eine Mitwirkung von Frau Richterin am Bundesverwaltungsgericht S. in dem anhängigen Verfahren ausgeschlossen. In dem Verfahren wird in materieller Hinsicht die Frage aufgeworfen, ob bzw. inwieweit der Kontrollzuständigkeit des Klägers aus § 63 BNDG i. V. m. § 28 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BVerfSchG die Kontrollkompetenz des UKR aus § 42 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 37 BNDG entgegensteht. Frau Richterin am Bundesverwaltungsgericht S. war in dem durch das Verfahren betroffenen Zeitraum Mitglied des gerichtsähnlichen Kontrollorgans des UKR und mit Kontrollen von Anordnungen des Präsidenten des BND nach § 37 BNDG befasst, wie sie nunmehr auch der Kläger zu kontrollieren begehrt. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass in der Außensicht Zweifel an der Unbefangenheit von Frau Richterin am Bundesverwaltungsgericht S. bestehen könnten.