Beschluss vom 05.06.2024 -
BVerwG 1 WB 72.22ECLI:DE:BVerwG:2024:050624B1WB72.22.0

Zur Übertragung der Anhörung der Vertrauensperson bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens

Leitsatz:

Die Einleitungsbehörde kann die Anhörung der Vertrauensperson bei der beabsichtigten Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (§ 28 SBG) auch alternativ auf die Wehrdisziplinaranwaltschaft und den Disziplinarvorgesetzten übertragen.

  • Rechtsquellen
    SBG §§ 17, 21, 28, 63
    WDO §§ 4, 93 Abs. 1 Satz 2

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.06.2024 - 1 WB 72.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:050624B1WB72.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 72.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Müller-Cramer und
den ehrenamtlichen Richter Hauptfeldwebel Kühr
am 5. Juni 2024 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller rügt die Verletzung seiner Beteiligungsrechte in einer Disziplinarangelegenheit.

2 Der Antragsteller ist Mitglied des Personalrats beim ... In der Gruppe der Soldatenvertreter nahm er im hier gegenständlichen Zeitraum die Befugnisse der Vertrauensperson der Unteroffiziere in Angelegenheiten nach der Wehrdisziplinar- und Wehrbeschwerdeordnung gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SBG wahr.

3 Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Kommandos Cyber- und Informationsraum führte gegen einen Hauptfeldwebel wegen sexueller Belästigung einer Kameradin ein gerichtliches Disziplinarverfahren. Der betroffene Soldat erklärte, dass er die Anhörung der Vertrauensperson wünsche, und stimmte einer Akteneinsicht zu.

4 Am 6. November 2019 holte der nächste Disziplinarvorgesetzte im Auftrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Stellungnahme des Antragstellers ein, nachdem dieser zuvor Einsicht in die Vorermittlungsakte der Wehrdisziplinaranwaltschaft genommen hatte. In seiner Stellungnahme äußerte sich der Antragsteller zur Person und zum Sachverhalt. Dabei rügte er, dass der Soldat bislang nicht vernommen worden sei und ihm eine sachgerechte Stellungnahme deshalb nicht möglich sei. Das Formblatt der Niederschrift über die Anhörung der Vertrauensperson enthält keine Angaben zur Erörterung.

5 Dem Soldaten wurde die Stellungnahme des Antragstellers in seiner Anhörung gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO am 14. November 2019 eröffnet. Der Inspekteur Kommando Cyber- und Informationsraum leitete daraufhin mit Verfügung vom 28. November 2019, ausgehändigt am 19. Dezember 2019, das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den Soldaten ein.

6 Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 erhob der Antragsteller Beschwerde mit der Begründung, die von ihm abgegebene Stellungnahme sei bislang nicht mit ihm erörtert worden. Die Erörterung sei von der Wehrdisziplinaranwaltschaft als der von der Einleitungsbehörde bestimmten Stelle im Sinne von § 28 Abs. 2 SBG durchzuführen; darauf habe er auch bei Abgabe seiner Stellungnahme gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten ausdrücklich hingewiesen.

7 Auf Aufforderung der Wehrdisziplinaranwaltschaft führte der nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten daraufhin am 27. Januar 2020 eine Erörterung mit dem Antragsteller durch, über die eine weitere Niederschrift angefertigt wurde.

8 In einer Stellungnahme vom 18. März 2020 erklärte der Antragsteller, dass er sich nicht geweigert habe, die Erörterung mit dem Disziplinarvorgesetzten zu führen. In einem Gespräch bei Übergabe seiner Stellungnahme an den Disziplinarvorgesetzten, der diese Funktion erst neu übernommen habe, sei jedoch für ihn deutlich geworden, dass dieser weder den Soldaten noch den Sachverhalt ausreichend kenne. Eine sachgerechte Erörterung sei aus seiner Sicht deshalb nicht möglich gewesen. Wenn der Disziplinarvorgesetzte hierzu nicht in der Lage sei, müsse die Erörterung mit der Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgen.

9 Mit Bescheid vom 31. Mai 2020 wies der Generalinspekteur der Bundeswehr die Beschwerde als unbegründet zurück. Als Vertrauensperson der Unteroffiziere im Personalrat stehe dem Antragsteller ein Beschwerderecht zu. Die ursprüngliche Beschwerde sei auch fristgerecht erhoben worden; Beschwerdeanlass sei die Eröffnung der Stellungnahme ohne vorherige Erörterung gewesen. Durch die Erörterung vom 27. Januar 2020, die der Antragsteller nicht angegriffen habe, sei die Beschwer indes entfallen. Der Antragsteller habe jedoch ein Feststellungsinteresse, weil die Wehrdisziplinaranwaltschaft ihre Anhörungspraxis beibehalten werde. Die Beschwerde sei unbegründet, weil Beteiligungsrechte nicht verletzt worden seien. Auf der Grundlage von § 4 WDO i. V. m. § 28 Abs. 2 SBG habe die Einleitungsbehörde wirksam bestimmt, dass in Fällen der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die Anhörung der Vertrauensperson auch durch die Disziplinarvorgesetzten durchgeführt werden könne. Ein Anspruch auf Anhörung und Erörterung ausschließlich durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft bestehe nicht. Die Entscheidung hierüber treffe die auf Ersuchen der Einleitungsbehörde zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft. Eine Delegation sei insbesondere wegen der örtlichen Entfernung beider Dienststellen zweckmäßig. Im Fall fehlender Sachkunde habe der Antragsteller Anspruch darauf, dass sich der Disziplinarvorgesetzte zuvor sachkundig mache.

10 Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24. Juni 2020 weitere Beschwerde eingelegt und seine Begründung mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 vertieft. Der Beschwerde sei durch den Erörterungstermin am 27. Januar 2020 nicht abgeholfen, da die mangelnde Antwortfähigkeit des Disziplinarvorgesetzten fortbestanden habe. Auf der Niederschrift sei zwar angekreuzt, dass eine Erörterung stattgefunden habe. Der Inhalt des Gesprächs zwischen ihm und dem Disziplinarvorgesetzten habe jedoch nicht die Anforderungen an eine Erörterung erfüllt. Persönliche Einschätzungen eines beauftragten Disziplinarvorgesetzten, der nicht in der Lage sei, sich zu den Beweggründen und Wertungen der Einleitungsbehörde zu äußern, ersetzten nicht die gesetzlich vorgeschriebene Erörterung mit der Einleitungsbehörde. Die Aufgabe der Anhörung sei ferner nicht wirksam auf den Disziplinarvorgesetzten übertragen worden. Die generelle Anordnung des Inspekteurs sei zu unbestimmt, weil aus ihr nicht hervorgehe, welche Delegation im vorliegenden Fall greifen solle. § 28 WDO enthalte keine Rechtsgrundlage für eine weitere Delegation durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft auf den Disziplinarvorgesetzten. Hieran ändere auch die Bereichsvorschrift C1-2161/0-9600 nichts, weil diese nicht in gesetzlich begründete Rechte der Vertrauensperson eingreifen könne.

11 Das Bundesministerium der Verteidigung wies die weitere Beschwerde mit Bescheid vom 22. April 2022, zugestellt am 4. Mai 2022, im Wesentlichen aus den Gründen des Beschwerdebescheids des Generalinspekteurs zurück.

12 Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 7. Juni 2022 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 23. November 2022 dem Senat vorgelegt.

13 In seiner Begründung macht der Antragsteller vor allem geltend, dass eine den Anforderungen des § 28 Abs. 2 SBG genügende Übertragung der Anhörung auf den Disziplinarvorgesetzten nicht vorliege. Diese ergebe sich auch nicht aus der dem Inspekteur Cyber- und Informationsraum unterbreiteten Vorlage vom 13. November 2017, die lediglich die alternativen Möglichkeiten aufzeige, entweder die Wehrdisziplinaranwaltschaft oder den Disziplinarvorgesetzten zu beauftragen. Unabhängig davon liege eine Verletzung des Anhörungsrechts vor, weil es an einer ordnungsgemäßen Erörterung der Stellungnahme fehle.

14 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

15 Seiner Auffassung nach ergibt sich eine wirksame Übertragung der Anhörungsbefugnis an den Disziplinarvorgesetzten aus der vom Inspekteur Cyber- und Informationsraum gezeichneten Entscheidungsvorlage vom 13. November 2017.

16 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Generalinspekteurs der Bundeswehr und des Bundesministeriums der Verteidigung haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

17 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

18 1. Der Antrag ist zulässig.

19 a) Beruft sich der bei einer Dienststelle der Bundeswehr gebildete Personalrat auf eine Behinderung in seinen Beteiligungsrechten in Angelegenheiten, die nur die Soldaten betreffen, so ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1, § 17 SBG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO - abweichend von § 59 Satz 1 SBG, § 108 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG - der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten gegeben (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 1 WB 25.17 - juris Rn. 25 sowie zu den entsprechenden Vorschriften der bis 1. September 2016 geltenden Fassung des SBG gemäß BVerwG, Beschluss vom 20. April 2016 - 1 WB 29.15 - NZWehrr 2016, 211 <212> m. w. N.). Dasselbe gilt für Angelegenheiten nach der Wehrdisziplinar- oder Wehrbeschwerdeordnung im Sinne von § 63 Abs. 2 SBG, weil es sich dabei ebenfalls um Angelegenheiten handelt, die nur die Soldaten betreffen; hierzu gehört auch die hier strittige Beteiligung bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemäß § 28 Abs. 2 SBG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 WB 7.21 - NVwZ-RR 2023, 106 <107>; ebenso zum früheren § 27 Abs. 2 SBG Beschluss vom 31. Januar 2007 - 1 WB 16.06 - NZWehrr 2007, 162 <162>). Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig, weil sich der Antrag gegen eine Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung richtet (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WBO).

20 b) Der Antragsteller ist auch antragsbefugt.

21 Zwar ist grundsätzlich (nur) der Personalrat als Gesamtgremium befugt, die Verletzung von Beteiligungsrechten im gerichtlichen Antragsverfahren geltend zu machen, weil die Gruppe der Soldaten auch dann kein eigenständiges Vertretungsorgan im Sinne des § 1 Abs. 1 SBG darstellt, wenn sie in ihrer Funktion als Vertrauensperson Aufgaben oder Befugnisse nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz wahrnimmt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juli 2019 - 1 WB 17.18 - juris Rn. 18 und vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - NVwZ-RR 2020, 169 <170>). Anderes gilt jedoch in den Fällen des § 63 Abs. 2 SBG. Der Gesetzgeber ging hier von der Annahme aus, dass Disziplinar- und Beschwerdesachen einer besonderen Vertraulichkeit unterliegen und nicht im Plenum des Personalrats erörtert werden sollen, weshalb die Befugnisse der Vertrauensperson von einem einzelnen Soldatenvertreter (sog. "Quasi-Vertrauensperson") wahrgenommen werden (vgl. Gronimus, Soldatenbeteiligungsrecht, 2023, § 63 Rn. 19 f.). Diese Zuweisung erstreckt sich auch auf die Antragsbefugnis im gerichtlichen Antragsverfahren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 WB 7.21 - NVwZ-RR 2023, 106 <107>; ebenso zum früheren § 52 Abs. 2 SBG Beschluss vom 31. Januar 2007 - 1 WB 16.06 - NZWehrr 2007, 162 <162>).

22 Zuständig war damit der Antragsteller, weil er im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einleitungsverfügung an den betroffenen Soldaten am 19. Dezember 2019 die Befugnisse der Vertrauensperson der Unteroffiziere (der Laufbahngruppe des betroffenen Soldaten) nach Maßgabe des § 63 Abs. 2 Satz 1 SBG wahrnahm.

23 c) Der Antragsteller hat keinen konkreten Sachantrag gestellt. Sachgerecht und statthaft ist jedenfalls ein Feststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung seiner Beteiligungsrechte gemäß § 28 Abs. 2 SBG. Der Antragsteller hat an dieser Feststellung auch ein berechtigtes Interesse. Zweck des Beschwerdeverfahrens nach § 17 SBG ist gerade auch die Klärung von vertretungsrechtlichen Zuständigkeiten, Befugnissen und Pflichten (vgl. zu § 16 SBG a. F. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 1 WB 60.10 - NZWehrr 2012, 75 <77> m. w. N. und zu § 17 SBG BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 1 WB 25.17 - juris Rn. 28), wenn - wie hier - ein konkretes, bereits anhängiges Beteiligungsverfahren den Anlass setzt bzw. im Falle eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gesetzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - NVwZ-RR 2020, 169 <170>).

24 d) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde schließlich fristgerecht gestellt.

25 Gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung des zurückweisenden Beschwerdebescheids einzulegen. Der Beschwerdebescheid wurde dem Bevollmächtigten am 4. Mai 2022 zugestellt. Die Monatsfrist zur Einlegung endete demgemäß nach der im Wehrbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbaren Regelung des § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1, § 193 BGB mit Ablauf des 7. Juni 2022 (Dienstag nach Pfingsten). Der am 7. Juni 2022 beim Bundesministerium der Verteidigung eingegangene Antrag (§ 21 Abs. 1 Satz 2 WBO) wahrte somit die Antragsfrist.

26 2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

27 Bei der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wurden keine Beteiligungsrechte des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 2 SBG verletzt.

28 a) Beabsichtigt die Einleitungsbehörde, gegen eine Soldatin oder einen Soldaten ein gerichtliches Disziplinarverfahren einzuleiten, so hat die Einleitungsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle die Vertrauensperson zur Person der Soldatin oder des Soldaten und zum Sachverhalt anzuhören, außer im Falle der ausdrücklichen Ablehnung der Soldatin oder Soldaten (§ 28 Abs. 2 SBG). Im vorliegenden Fall hat der betroffene Soldat die Anhörung nicht ausdrücklich abgelehnt, sondern erklärtermaßen gewünscht. Der Antragsteller war demgemäß als die nach § 63 Abs. 2 Satz 1 SBG zuständige Vertrauensperson (siehe oben II.1.b) vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens anzuhören.

29 b) Die Anhörung des Antragstellers erfolgte durch eine zuständige Stelle. Der Disziplinarvorgesetzte des betroffenen Soldaten, der die Anhörung durchführte, ist hierfür im Sinne des § 28 Abs. 2 SBG zulässigerweise durch die Einleitungsbehörde bestimmt worden.

30 aa) Der Inspekteur Cyber- und Informationsraum hat mit der von ihm - mit Änderungen - gebilligten Entscheidungsvorlage vom 13. November 2017 für den Bereich, in dem er als Einleitungsbehörde zuständig ist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 94 WDO), eine generelle Regelung getroffen, damit nicht in jedem einzelnen Vorermittlungsverfahren eine Entscheidung darüber herbeigeführt werden muss, ob eine andere Stelle und ggf. welche andere Stelle die Anhörung der Vertrauensperson durchführt. Nach dieser Regelung bestimmt der Inspekteur grundsätzlich die Wehrdisziplinaranwältinnen und Wehrdisziplinaranwälte der Wehrdisziplinaranwaltschaft Cyber- und Informationsraum als Stellen, die für ihn die Anhörung der Vertrauensperson nach § 28 Abs. 2 SBG durchführen. In den Fällen, in denen ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten des nachgeordneten Bereichs eingeleitet werden soll, kann die Anhörung der Vertrauensperson für den Inspekteur alternativ auch durch die jeweiligen Disziplinarvorgesetzten durchgeführt werden. Mit einem handschriftlichen Zusatz hat sich der Inspekteur ferner vorbehalten, "in den Fällen A 16 aufwärts" (also ab dem Dienstgrad Oberst) im Einzelfall zu entscheiden, ob die Anhörung der Vertrauensperson durch ihn selbst vorgenommen werden soll.

31 bb) Diese generelle Zuständigkeitsbestimmung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

32 Der Senat hat zu der Frage, auf welche Stellen die Einleitungsbehörde eine Anhörung der Vertrauensperson gemäß § 28 Abs. 2 SBG übertragen kann, bereits entschieden (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 WB 7.21 - NVwZ-RR 2023, 106 <108>), dass als "von ihr bestimmte Stelle" aufgrund ihrer Funktion als Vertreter der Einleitungsbehörden im gerichtlichen Disziplinarverfahren (§ 81 Abs. 2 WDO) allgemein die Wehrdisziplinaranwaltschaft anzusehen ist (so auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/8298 S. 44; ebenso Gronimus, Soldatenbeteiligungsrecht, 2023, § 28 Rn. 16 sowie Nr. 3042 Satz 2 ZDv A-1472/1). Da nach der Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 SBG der Disziplinarvorgesetzte in Angelegenheiten nach der Wehrbeschwerde- und der Wehrdisziplinarordnung der grundsätzliche Beteiligungspartner ist, hat der Senat (a. a. O.) außerdem ausgesprochen, dass es keinen Bedenken begegnet, wenn dieser auch im Rahmen des § 28 SBG durch die Einleitungsbehörde als für die Anhörung zuständige Stelle bestimmt wird (siehe auch Nr. 3042 Satz 2 ZDv A-1472/1). Dies entspricht der zum Soldatenbeteiligungsgesetz 1991 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. August 1998 - 2 WDB 1.98 - BVerwGE 113, 259 <262> m. w. N.).

33 cc) Eine "Bestimmung" anderer Stellen für die Anhörung der Vertrauensperson gemäß § 28 Abs. 2 SBG ist auch in der vom Inspekteur Cyber- und Informationsraum angeordneten alternativen Form (im nachgeordneten Bereich: Wehrdisziplinaranwaltschaft oder Disziplinarvorgesetzter) zulässig.

34 Zwar könnte der Wortlaut der Vorschrift ("die" – und nicht: "eine" – von ihr bestimmte Stelle) in einem engeren Sinne so verstanden werden, dass sich die Einleitungsbehörde bei der Aufgabenübertragung von vornherein (abstrakt) für eine , von ihr zu bezeichnende Stelle zu entscheiden hat. Mit dem Wortlaut vereinbar ist aber auch ein weitergefasstes Verständnis, wonach mehrere Stellen alternativ benannt werden können und diejenige von ihnen, die die Anhörung jeweils durchführt, dann im konkreten Fall die von der Einleitungsbehörde "bestimmte Stelle" darstellt.

35 Diese letztere Auslegung ist nach dem Zweck der Vorschrift vorzugswürdig. § 28 Abs. 2 SBG dient ersichtlich der Entlastung der Einleitungsbehörde. Einleitungsbehörde ist typischerweise ein Offizier im Generalsrang, der einer Division oder einem Amt mit einem vergleichbar großen Personalkörper vorsteht. Es würde eine nur geringe Entlastung bedeuten, wenn die Einleitungsbehörde zwar die Anhörung der Vertrauensperson delegieren dürfte, über die Delegation aber in jedem Einzelfall gesondert entscheiden müsste. Von § 28 Abs. 2 SBG umfasst sind deshalb auch generelle Delegationsregelungen, die - wie hier - ein gewisses Maß an Flexibilität in der Handhabung zulassen. Je nach Bedeutung des disziplinaren Anlasses, der Verfügbarkeit von Personal, der räumlichen Entfernungen und anderer Faktoren kann es im Einzelfall sinnvoll sein, die Anhörung der Vertrauensperson durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft oder aber durch den Disziplinarvorgesetzten durchführen zu lassen. Im Sinne eines zweckgerechten Verständnisses der Vorschrift ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Einleitungsbehörde - wie hier für den nachgeordneten Bereich des Kommandos Cyber- und Informationsraum - eine alternative Delegation vornimmt, wobei es die Wehrdisziplinaranwaltschaft als aktenführende Behörde praktisch in der Hand hat, ob sie selbst die Vertrauensperson anhört oder den Disziplinarvorgesetzten darum ersucht.

36 Voraussetzung einer alternativen Delegation ist allerdings, dass die Einleitungsbehörde selbst die in Betracht kommenden Stellen vorab bestimmt. Soweit die Einleitungsbehörde in der generellen Regelung nur eine Stelle für die Anhörung der Vertrauensperson bestimmt hat, ist eine eigenmächtige Subdelegation nicht zulässig, weil § 28 Abs. 2 SBG nach seinem klaren Wortlaut nur die Anhörung durch eine von der Einleitungsbehörde bestimmte Stelle zulässt.

37 dd) Die Anhörung des Antragstellers gemäß § 28 Abs. 2 SGB erfolgte damit durch eine hierfür zuständige Stelle. Der Inspekteur Cyber- und Informationsraum hat in seiner generellen Delegationsregelung vom 13. November 2017 vorgesehen, dass in Fällen, in denen - wie hier - ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten des nachgeordneten Bereichs eingeleitet werden soll, die Anhörung der Vertrauensperson anstelle der grundsätzlich zuständigen Wehrdisziplinaranwaltschaft alternativ auch durch die jeweiligen Disziplinarvorgesetzten durchgeführt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Kommandos Cyber- und Informationsraum Gebrauch gemacht, indem sie den nächsten Disziplinarvorgesetzten des betroffenen Soldaten mit Schreiben vom 13. August 2019 um Durchführung der Anhörung des Antragstellers ersuchte.

38 c) Die Anhörung des Antragstellers selbst wurde im Ergebnis ordnungsgemäß durchgeführt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 WD 24.09 - BVerwGE 138, 263 Rn. 22).

39 aa) Die Anhörung der Vertrauensperson erstreckt sich auf die Person der Soldatin oder des Soldaten und auf den Sachverhalt (§ 28 Abs. 2 SBG) sowie nach dem Sinn und Zweck der Anhörung auch auf die Frage, ob die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 WD 24.08 - BVerwG 138, 263 Rn. 16). Der Sachverhalt ist der Vertrauensperson vor Beginn der Anhörung bekannt zu geben (§ 28 Abs. 3 Satz 1 SBG). Auch nach der allgemeinen Vorschrift über die Anhörung ist die Vertrauensperson rechtzeitig und umfassend zu unterrichten (§ 21 Satz 1 SBG); der Vertrauensperson ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die Stellungnahme ggf. mit ihr zu erörtern (§ 21 Satz 2 und 3 SBG). Hierüber ist nach § 28 Abs. 4 SBG ein Protokoll anzufertigen.

40 bb) Ausweislich der "Niederschrift über die Anhörung der Vertrauensperson" vom 6. November 2019 erfolgten zunächst nur die beiden ersten Verfahrensschritte der Anhörung, nämlich die Unterrichtung des Antragstellers und die Abgabe einer Stellungnahme zur Person des betroffenen Soldaten und zum Sachverhalt. In den der Niederschrift beigefügten Anlagen äußert sich der Antragsteller ausführlich und detailliert und bezieht sich dabei auf eine ihm vorliegende Aktenlage, auf ein Schreiben der Wehrdisziplinaranwaltschaft und auf ein persönliches Gespräch mit dem betroffenen Soldaten. Der Vortrag des Antragstellers ist ersichtlich gut informiert, konkrete Informationsdefizite werden nicht geltend gemacht.

41 Die Niederschrift vom 6. November 2019 enthält hingegen keine Angaben zu einer Erörterung (§ 21 Satz 3 SBG). Die diesbezüglichen Felder, die sich auf die Durchführung der Erörterung oder auf den Verzicht auf eine Erörterung beziehen, sind nicht angekreuzt (zur Dokumentationsfunktion des Protokolls nach § 28 Abs. 4 SBG vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2024 - 2 WRB 3.23 - juris Rn. 16 ff.). Auch das Verhalten des Antragstellers, der vor allem den unzureichenden Informationsstand auf Seiten des Disziplinarvorgesetzten beanstandete, rechtfertigt nicht den Schluss, dass er damit auf eine Erörterung verzichtet hätte (zu den Voraussetzungen eines Verzichts vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 WB 37.08 - BVerwGE 133, 135 Rn. 27).

42 cc) Die noch ausstehende Erörterung wurde jedoch auf die Beschwerde des Antragstellers hin wirksam nachgeholt.

43 Auf Aufforderung der Wehrdisziplinaranwaltschaft führte der Disziplinarvorgesetzte ein Gespräch mit dem Antragsteller, über das eine (weitere) "Niederschrift über die Anhörung der Vertrauensperson" vom 27. Januar 2020 angefertigt wurde. Sie enthält in den Feldern zur Person und zum Sachverhalt kurze Angaben zum Inhalt des Gesprächs. Abschließend ist das Feld "Die Erklärung enthält die Stellungnahme und deren Erörterung" angekreuzt, wobei die Worte "Stellungnahme und deren" handschriftlich gestrichen sind. Das Gespräch am 27. Januar 2020 fand rund zweieinhalb Monate nach dem ersten Abschnitt der Anhörung statt. Der Disziplinarvorgesetzte, der damals erst kurze Zeit zuvor diese Funktion übernommen hatte, hatte inzwischen Gelegenheit, sich die für eine Erörterung mit dem Antragsteller erforderlichen Kenntnisse zur Person des Soldaten und zum Sachverhalt zu verschaffen. Ausweislich der Niederschrift vom 27. Januar 2020 hat er dabei "ein vergleichbares Bild zur Person" wie der Antragsteller gewonnen. Soweit der Antragsteller im Abschnitt "Zum Sachverhalt" rügt, dass sich "der Soldat nur gegenüber der Wehrdisziplinaranwaltschaft zum Sachverhalt äußern will und er sich nicht gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten geäußert hat", steht dies einer ordnungsgemäßen Erörterung des Sachverhalts zwischen Antragsteller und Disziplinarvorgesetztem nicht entgegen. Ebensowenig wie der betroffene Soldat verpflichtet ist, ein persönliches Gespräch mit der Vertrauensperson zu führen, und dieses ohne Angabe von Gründen verweigern kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 WB 7.21 - NVwZ-RR 2023, 106 <109>), ist er zu einer Äußerung zur Sache gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten verpflichtet.

44 Insgesamt hat damit nach den gesamten Umständen eine zwar knappe, aber den Anforderungen des § 21 Satz 3 SBG genügende Erörterung stattgefunden. Darin ist auch der Antragsteller zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens nachvollziehbar ist.

45 dd) Über beide Abschnitte der Anhörung (Stellungnahme und nachgeholte Erörterung) wurde jeweils ein Protokoll angefertigt (§ 28 Abs. 4 SBG), das dem Soldaten vor der Schlussanhörung bekannt gegeben wurde (§ 4 Satz 2 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO).