Beschluss vom 03.07.2023 -
BVerwG 2 B 37.22ECLI:DE:BVerwG:2023:030723B2B37.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 03.07.2023 - 2 B 37.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:030723B2B37.22.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 37.22
- VG Minden - 13.08.2020 - AZ: 4 K 4693/18
- OVG Münster - 21.07.2022 - AZ: 6 A 2599/20
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juli 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 3 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Zeitgutschriften für kommunale Mandatsträger in Nordrhein-Westfalen.
2 1. Der Kläger steht als Polizeioberkommissar im Dienst des beklagten Landes und ist im Wechselschichtdienst tätig. Zudem war und ist er Mitglied des Rates seiner Wohnsitzgemeinde. Im Dezember 2015 beantragte er beim beklagten Land eine Gutschrift von Stunden für seine Tätigkeit als Ratsherr. In den Folgejahren legte der Kläger Auflistungen über die für sein Ehrenamt jeweils bis 20:00 Uhr aufgewendeten Zeiten vor. Mit Bescheid vom 20. November 2018 lehnte das Land den Antrag auf Stundengutschrift ab. Das Verwaltungsgericht hat das Land unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids verpflichtet, von der Zeit, die der Kläger in den Jahren 2013 bis 2017 für die Ausübung seines Mandats aufgewandt hat, 119,5 Stunden auf seine Arbeitszeit anzurechnen.
3 Auf die Berufung des Landes hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar erfasse § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW auch Beamte. Dem Anspruch des Klägers auf Zeitgutschrift stehe jedoch entgegen, dass der im Wechselschichtdienst tätige Kläger nicht, wie von § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW vorausgesetzt, in einem vorgegebenen Arbeitszeitrahmen über Lage und Dauer seiner individuellen Arbeitszeit selbst entscheiden könne. Es fehle damit an dem vorausgesetzten Arbeitszeitrahmen, der bei flexibler Arbeitszeit, nicht aber beim Wechselschichtdienst bestehe. Ausgeschlossen sei ferner eine freie Entscheidung des Klägers über Lage und Dauer seiner individuellen Arbeitszeit. Es reiche nicht aus, dass der Beamte Wünsche äußern könne, denen in der Regel entsprochen werde. Maßgeblich sei, dass dem Dienstherrn die Letztentscheidung über die Schichtplanung obliege. Einen Anspruch auf Zeitgutschrift könne der Kläger auch nicht aus dem allgemeinen, in § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO NRW verankerten Behinderungs- und Benachteiligungsverbot herleiten. Die Vorschrift untersage lediglich die zielgerichtete beabsichtigte Erschwernis; nicht ausreichend sei, dass die Erschwernis nur mittelbare Folge einer Maßnahme sei.
4 2. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde des Klägers geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil die aufgeworfenen Fragen sämtlich nicht revisibles Landesrecht betreffen. Grundsätzliche Bedeutung ist nur gegeben, wenn die Rechtssache eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss.
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Die mit der Beschwerde benannten Fragen:
"Liegt ein vorgegebener Arbeitszeitrahmen im Sinne von § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW auch dann vor, wenn es verschiedene Dienstschichten gibt, die von ihrem zeitlichen Beginn und Ende jeweils fest vorgegeben sind, wenn der Zeitraum vom Beginn der frühesten Dienstschicht bis zum Ende der spätesten Dienstschicht den gesamten Tag - also 24 Stunden - umfasst?",
"Kann der Mandatsträger über die Dauer der individuellen Arbeitszeit im Sinne von § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW auch dann selbst entscheiden, wenn er zwar nicht völlig frei die Länge der Arbeitszeit an einem bestimmten Tag bestimmen kann, aber zwischen verschiedenen Dienstschichten mit verschiedener Länge frei wählen kann?",
"Kann der Mandatsträger bereits dann nicht im Sinne von § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW über die Lage der individuellen Arbeitszeit selbst entscheiden, wenn er zwar ein Wahlrecht hat, welche von drei bestehenden Schichten er an einem bestimmten Tag wahrnimmt, dem Dienstherrn aber die Letztentscheidung über die entsprechende Vorplanung des Mandatsträgers zukommt?",
beziehen sich sämtlich auf die Auslegung des § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW, wonach bei Mandatsträgern, die innerhalb eines vorgegebenen Arbeitszeitrahmens über Lage und Dauer der individuellen Arbeitszeit selbst entscheiden können, die Zeit der Ausübung des Mandats innerhalb dieses Arbeitszeitrahmens zur Hälfte auf ihre Arbeitszeit anzurechnen ist.
6 Nach § 191 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 127 Nr. 2 BRRG und § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG kann die Revision gegen das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts über eine Klage aus dem Beamtenverhältnis außer auf die Verletzung von Bundesrecht darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Landesrecht beruht. Die Landesnorm i. S. v. § 127 Nr. 2 BRRG muss aber einen beamtenrechtlichen Inhalt haben. Ob es sich um eine Norm des Landesbeamtengesetzes handelt oder die Regelung in einem anderen Gesetz enthalten ist, ist dabei nicht entscheidend. Es kommt darauf an, ob die Norm einen beamtenrechtlichen Inhalt hat und deshalb materiell dem Beamtenrecht zuzuordnen ist. Dass eine Norm Auswirkungen auf Beamte hat, reicht für die Annahme der beamtenrechtlichen Natur der Vorschrift aber nicht aus. Beamtenrechtlich ist eine Regelung erst dann, wenn ihr Regelungsgegenstand in einem sachlichen Zusammenhang mit den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses steht und sich auf einen beamtenrechtlichen Kontext bezieht (BVerwG, Urteile vom 1. Dezember 1982 - 2 C 59.81 - BVerwGE 66, 291 <292> und vom 23. Juni 2016 - 2 C 18.15 - Buchholz 421.20 Hochschulpersonalrecht Nr. 58 Rn. 23 ff., Beschlüsse vom 7. Juli 2005 - 2 B 96.04 - Buchholz 230 § 127 BRRG Nr. 61 S. 3 und vom 13. Januar 2021 - 2 B 72.20 - juris Rn. 2).
7 Nach diesen Grundsätzen ist § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW kein Landesrecht i. S. v. § 127 Nr. 2 BRRG. Die Vorschrift gehört zum 5. Teil der Gemeindeordnung des beklagten Landes, der den Aufbau und die Zuständigkeit des Rates einer Gemeinde sowie die Rechte und Pflichten seiner Mitglieder regelt. Die Vorschrift knüpft gerade nicht an den Beamtenstatus eines Mitglieds des Rates der Gemeinde an, sondern betrifft sämtliche Formen von Arbeits- und Dienstverhältnissen, in denen das betreffende Ratsmitglied abhängig beschäftigt ist. Darüber hinaus dient sie dem Schutz der Ausübung des Mandats durch interessierte Bürger der Gemeinde. Ziel der gesetzlichen Regelung ist die Förderung der Bereitschaft von Einwohnern der Gemeinde zur Kandidatur für den Rat der Gemeinde und damit die Stärkung des kommunalen Ehrenamtes. Speziell dient § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW dazu, die Benachteiligung solcher Beschäftigten auszugleichen, die zur Übernahme eines Ehrenamtes bereit sind, die jedoch wegen der flexiblen Arbeitszeiten nicht die Möglichkeit haben, den Freistellungsanspruch nach § 44 Abs. 2 Satz 1 GO NRW geltend zu machen. Denn diese Gruppe von Beschäftigten ist gehalten, ihre beruflichen Arbeitsverpflichtungen, die durch feste Arbeitszeitkontingente bestimmt sind, im Voraus zu erbringen oder aber nachzuholen. Bei flexiblen Arbeitszeiten geht die gerichtliche Praxis davon aus, dass das Mandat außerhalb der Kernarbeitszeit zu erledigen ist. Der Ausgleichsanspruch ist nicht über eine Freistellung durch den Arbeitgeber zu realisieren, weil in dieser Zeit keine Arbeitspflicht besteht, sondern durch eine Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des kommunalen Ehrenamtes und zur Änderung weiterer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften, LT-Drs. 16/48 S. 30 f.). Auch diese Überlegungen, die für jede Form eines Arbeitsverhältnisses gelten, zeigen auf, dass § 44 Abs. 2 Satz 4 GO NRW nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses steht.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG und erfolgt in Orientierung an die jeweils geltenden Sätze der Mehrarbeitsvergütung.