Beschluss vom 20.04.2023 -
BVerwG 9 B 10.23ECLI:DE:BVerwG:2023:200423B9B10.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.04.2023 - 9 B 10.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:200423B9B10.23.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 10.23

  • VG Lüneburg - 17.05.2013 - AZ: 2 A 175/11
  • OVG Lüneburg - 02.11.2022 - AZ: 9 LB 246/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. April 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2023 - 9 B 32.22 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Aus dem Rügevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass der Senat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

2 Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber weder gehalten, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, noch muss es sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich befassen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2019 - 9 B 28.18 - juris Rn. 20 m. w. N.).

3 Mit dem gerügten Beschluss hat der Senat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 2. November 2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beschwerdebegründung lege nicht dar, dass die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO vorlägen. Aus dem Rügevorbringen ergibt sich nicht, dass der Senat bei der Würdigung des Vorbringens in der Nichtzulassungsbeschwerde entscheidungserhebliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat.

4 1. Soweit der Kläger "unter analoger Anwendung des § 152a VwGO" die Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren, den Schutz vor grobem prozessualen Unrecht und eine Verletzung des Willkürverbots geltend macht, weil entsprechende Verstöße durch das Oberverwaltungsgericht vom Bundesverwaltungsgericht nicht korrigiert worden seien und die willkürliche Anwendung der Abgabenordnung durch das Oberverwaltungsgericht vom Senat nicht ausreichend gewürdigt worden sei, missversteht er die Bedeutung der Revisionszulassung. Deren Aufgabe liegt nicht darin, für eine allgemeine Richtigkeitsgewähr der vorinstanzlichen Entscheidung zu sorgen (vgl. nur Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 132 Rn. 2 m. w. N.).

5 Der Gesetzgeber hat sich mit der Regelung in § 132 Abs. 2 VwGO für einen abschließenden Katalog von Zulassungsgründen entschieden. Diese messen im Rahmen der Gründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO den allgemeinen Zwecken der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung ein gegenüber der Einzelfallgerechtigkeit vorrangiges Gewicht bei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 2021 - 6 B 3.21 - juris Rn. 7). Anders als im Berufungszulassungsverfahren (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gibt es in der Revisionsinstanz keinen Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, und selbst der Vorwurf grundrechtswidriger oder willkürlicher Rechtsanwendung führt außerhalb der Voraussetzungen der in § 132 VwGO normierten Zulassungsgründe nicht zur Zulassung der Revision (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2002 - 5 B 87.01 - juris Rn. 1; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 132 Rn. 3). Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. November 1992 - 1 BvR 974/92 - NVwZ 1993, 358).

6 2. Dass der Senat entscheidungserheblichen Vortrag zur Darlegung der Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO unberücksichtigt gelassen hätte, ist nicht ersichtlich. Mit der Anhörungsrüge wiederholt der Kläger lediglich der Sache nach den Vorwurf einer (grob) fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall.

7 a) Mit der Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe Vorschriften der Abgabenordnung in willkürlicher Weise angewandt, lässt sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründen. Wie dargelegt ist dieser Zulassungsgrund im Verwaltungsprozessrecht objektivrechtlich zu verstehen und zielt nicht auf die Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern auf die abstrakte Klärung verallgemeinerungsfähiger Rechtsfragen (vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 132 Rn. 15 m. w. N.). Eine solche über die rechtliche Bewertung des Einzelfalls hinausgehende, allgemeine Rechtsfrage, die im Revisionsverfahren geklärt werden könnte, hat der Kläger nicht benannt.

8 Soweit der Kläger vorträgt, er habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch dadurch dargelegt, dass er Ausführungen dazu gemacht habe, dass und inwiefern das Oberverwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Prozessvergleich in Frage gestellt und ihr widersprochen habe, ist nicht ersichtlich, inwieweit dieses eher auf den Zulassungsgrund der Divergenz (dazu unter b) zielende Vorbringen für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erheblich sein könnte. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert der Kläger auch in diesem Zusammenhang nicht.

9 b) Zum Zulassungsgrund der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zeigt das Rügevorbringen ebenfalls keinen Gehörsverstoß auf. Der Kläger beanstandet insoweit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Doppelnatur des Prozessvergleichs (BVerwG, Urteil vom 10. März 2010 - 6 C 15.09 - Buchholz 310 § 106 VwGO Nr. 20). Soweit er geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe im Widerspruch zu dieser Rechtsprechung den abstrakten Rechtssatz angewandt, nach dem das Erlöschen der Steuerschuld bei einem Prozessvergleich über diese Steuerschuld keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Vergleichs habe, handelt es sich weder um ein Zitat aus der angefochtenen Entscheidung noch um die sinngemäße Wiedergabe oder Zusammenfassung eines dort formulierten Obersatzes oder einer allgemeingültigen Aussage. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelnen ausgeführt, warum es den Prozessvergleich nicht aus materiell-rechtlichen Gründen für unwirksam ansah, und dabei auf die Bedeutung der Ermittlung des konkreten Vergleichsinhalts im Einzelfall hingewiesen (BA S. 13). Die Frage, ob das Erlöschen einer Steuerschuld infolge einer (unstreitig eingetretenen) Verjährung der Behörde die Dispositionsbefugnis entziehe, hat es ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich bezeichnet (BA S. 13), weil ein solcher Fall nach seinen Feststellungen - die auch für das Revisionsgericht maßgeblich sind - hier nicht vorlag. Aus diesen einzelfallbezogenen Ausführungen und der darin vorgenommenen konkreten rechtlichen Bewertung leitet der Kläger einen rein hypothetischen verallgemeinernden Obersatz ab, den das Oberverwaltungsgericht selbst nicht aufgestellt hat, und rügt der Sache nach eine materiell-rechtlich falsche Entscheidung. Damit lässt sich eine Revisionszulassung wegen Divergenz nicht begründen.

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühr nicht nach dem Streitwert richtet, sondern aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz ergibt.