Beschluss vom 07.01.2020 -
BVerwG 4 B 20.19ECLI:DE:BVerwG:2020:070120B4B20.19.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 07.01.2020 - 4 B 20.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:070120B4B20.19.0]
Beschluss
BVerwG 4 B 20.19
- VG Oldenburg - 06.12.2017 - AZ: VG 5 A 2869/17
- OVG Lüneburg - 13.03.2019 - AZ: OVG 12 LB 125/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Januar 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und Dr. Hammer
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 2019 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22 500 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst.
2 Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).
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1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob die zuständige Naturschutzbehörde auf der Basis des § 3 Abs. 2 Halbs. 2 BNatSchG gegenüber dem Betreiber einer Windenergieanlage eine temporäre Abschaltung erst verfügen darf, wenn der uneingeschränkte Betrieb der Anlage gegen das Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstößt oder die Behörde hierzu schon dann berechtigt ist, wenn zwar noch keine Störung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung im Bereich des Artenschutzrechts, wohl aber eine Gefahr im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit besteht, dass gegen dieses Zugriffsverbot bei ungehindertem Geschehensablauf verstoßen wird.
4 Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Sie geht von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Entgegen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen, zum maßgeblichen Zeitpunkt (Erlass des Widerspruchsbescheides im März 2017) habe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass es ohne behördliches Einschreiten zu einem Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG kommen würde. Vielmehr hat es hinreichende Indizien dafür, dass in naturschutzrechtlicher Hinsicht eine Gefahr vorliegt, ausdrücklich verneint (UA S. 22).
5 Ungeachtet dessen bedürfte die Frage auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt. Mit der Anknüpfung an die allgemeinen ordnungsrechtlichen Begriffe "Störung" und "Gefahr" übersieht die Beschwerde die Besonderheiten des Tötungs- und Verletzungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, zu dessen Durchsetzung die Abschaltanordnung hier dient. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Tatbestand des Tötungs- und Verletzungsverbots mit Blick auf die bei einer Windkraftanlage nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen geschützter Tiere nur dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (vgl. nunmehr § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen, darüber hinaus gegebenenfalls auch weitere Kriterien im Zusammenhang mit der Biologie der Art (vgl. Urteile vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 91, vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - NuR 2018, 255 Rn. 73 ff. und vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 98 f.). Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb der Anlage deutlich steigert; dafür genügt weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 35 Rn. 42). Warum für die nachträgliche Anordnung der zeitweisen Abschaltung einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Windenergieanlage zur Durchsetzung des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbots ein anderer Maßstab gelten sollte, legt die Beschwerde nicht dar. Ob ein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot droht oder eingetreten ist, richtet sich in diesen Fällen nach demselben Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
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2. Auch die Frage,
ob § 3 Abs. 2 BNatSchG als Rechtsgrundlage fungieren kann, um den Betreiber einer Windenergieanlage, deren Errichtung und Betrieb nach einer im Zulassungsverfahren erfolgten behördlichen Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Artenschutzrecht genehmigt wurde, Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung aufzugeben, um das Ausmaß einer von dem Betrieb seiner Anlage ausgehenden Gefahr auf eigene Kosten untersuchen zu lassen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anordnung eines "Gondelmonitorings" auf Kosten der Klägerin für rechtswidrig gehalten, weil die Klägerin als Betreiberin einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Windenergieanlage nicht als Störerin im naturschutzrechtlichen Zusammenhang angesehen werden könne und deshalb schon grundsätzlich keine Möglichkeit bestehe, sie auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG zu Sachverhaltsermittlungsmaßnahmen auf ihre Kosten zu verpflichten. Selbst wenn man jedoch mit dem Beklagten davon ausginge, dass auch der Inhaber einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gestützt auf § 3 Abs. 2 BNatSchG nachträglich auf seine Kosten zu anlagenbezogenen naturschutzrechtlichen "Aufklärungsmaßnahmen" herangezogen werden dürfe, lägen jedenfalls die dann notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen nicht vor.
7 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 21. August 2018 - 4 BN 44.17 - BauR 2018, 1982 = juris Rn. 3). Jedenfalls in Bezug auf die selbständig tragende Annahme des Berufungsgerichts, die notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen für das auf § 3 Abs. 2 Halbs. 2 BNatSchG gestützte "Gondelmonitoring" lägen nicht vor, ist kein Zulassungsgrund dargelegt. Aus dem Hinweis der Beschwerde, diese Tatsachenwürdigung beruhe auf einem rechtlichen Ansatz, dessen grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit Gegenstand der ersten Grundsatzfrage sei, folgt nichts Anderes. Der unter Ziffer 1 aufgeworfenen Frage kommt - wie dargelegt - keine grundsätzliche Bedeutung zu. Es kann daher offenbleiben, ob hinsichtlich der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, § 3 Abs. 2 BNatSchG scheide als Rechtsgrundlage für nachträgliche "Aufklärungsmaßnahmen" auf Kosten des Anlagenbetreibers aus, die grundsätzliche Bedeutung dargelegt und gegeben ist.
8 Zu weitergehenden Ausführungen zu § 3 Abs. 2 BNatSchG gibt das Beschwerdevorbringen keinen Anlass. Dies gilt insbesondere für die im Schrifttum kontrovers behandelte, von der Beschwerde - von ihrem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht aufgeworfene Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen andere Rechtsvorschriften vorrangig sind (vgl. dazu etwa Hintergrundpapier der Fachagentur Windenergie an Land zur nachträglichen Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange von Juni 2016; Bayer, NuR 2019, 387; Barner-Gaedicke, NuR 2019, 663; Wemdzio, NuR 2011, 464; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 3 Rn. 9a).
9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.