Verfahrensinformation

Anerkennung eines Unfalls als Dienstunfall


Eine Schulleiterin stolperte über die Schwelle ihres häuslichen Arbeitszimmers, als sie zwei gefüllte Kohleneimer hineintragen wollte, um es zu beheizen und anschließend zur Erledigung dienstlicher Aufgaben zu nutzen. Die Klägerin ist seitdem querschnittsgelähmt. Das Verwaltungsgericht Potsdam gab der Klage statt, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wies die Klage ab und ließ die Revision zu, um die Frage der Reichweite des Dienstunfallschutzes in der Wohnung des Beamten grundsätzlich zu klären.


Urteil vom 31.01.2008 -
BVerwG 2 C 23.06ECLI:DE:BVerwG:2008:310108U2C23.06.0

Leitsatz:

Jedenfalls in den Fällen, in denen der Beamte die Wahl hat, ob er die dienstliche Tätigkeit in einem vom Dienstherrn hierfür vorgehaltenen Dienstzimmer oder andernorts (etwa im häuslichen Arbeitszimmer) ausüben will, kommt Dienstunfallschutz nur dann in Betracht, wenn der Unfall umgebungsunabhängig seine wesentliche Ursache in einer dienstlichen Verrichtung hat. Dabei ist maßgeblich, ob die den Unfall auslösende konkrete Tätigkeit bei objektiver Betrachtung typischerweise zu den Dienstaufgaben des Beamten gehört.

  • Rechtsquellen
    BeamtVG § 31 Abs. 1 Satz 1

  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.09.2006 - AZ: OVG 4 B 16.05 -
    OVG Berlin-Brandenburg - 07.09.2006 - AZ: OVG 4 B 16.05

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 31.01.2008 - 2 C 23.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:310108U2C23.06.0]

Urteil

BVerwG 2 C 23.06

  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.09.2006 - AZ: OVG 4 B 16.05 -
  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.09.2006 - AZ: OVG 4 B 16.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele, Groepper,
Dr. Heitz sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
für Recht erkannt:

  1. Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. September 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin ist Beamtin und steht als Schulleiterin im Dienst des Beklagten. Sie hatte in der Schule ein Dienstzimmer, das sie sich mit der stellvertretenden Schulleiterin teilen musste. Am 1. Januar 1998 wollte die Klägerin in ihrem ausschließlich mit einem Kohleofen beheizbaren häuslichen Arbeitszimmer eine Schulleiterbesprechung vorbereiten und dienstliche Schreiben an ihrem Computer abfassen. Als sie zwei gefüllte Kohleeimer in das Arbeitszimmer hineintragen wollte, stolperte sie über die Schwelle und stürzte mit dem Kopf gegen die geöffnete Zimmertür. Dabei erlitt sie eine Verletzung der Halswirbelsäule und ist seitdem querschnittsgelähmt.

2 Der Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 17. September 1998 und 12. November 1998 die Anerkennung als Dienstunfall ab. Die hiergegen erhobene Klage wurde in der Berufungsinstanz abgewiesen.

3 Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der erforderliche Zusammenhang des Unfalls mit dem Dienst im Regelfall nicht gegeben sei, wenn sich der Unfall - wie vorliegend - weder am Dienstort noch zur üblichen Dienstzeit ereignet habe. Das Vorbereiten der Schulleiterkonferenz und das Abfassen dienstlicher Schreiben seien zwar dienstlich veranlasst. Der Unfall habe sich jedoch nicht während dieser dienstlich veranlassten Tätigkeiten, sondern bei einer vorgelagerten Tätigkeit - dem Beheizen des häuslichen Arbeitszimmers - ereignet. Verrichtungen, die der Beamte aufgrund der Beschaffenheit der eigenen Wohnung ausübe, seien vom Dienstunfallschutz ausgenommen; denn die besondere Beschaffenheit der eigenen Wohnung liege allein im Verantwortungsbereich des Beamten. Darauf, dass die Klägerin als häusliches Arbeitszimmer einen Raum mit Kohleofen und Türschwelle benutzt habe, habe der Dienstherr keinen Einfluss gehabt.

4 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. September 2006 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 11. Dezember 2002 zurückzuweisen.

5 Der Beklagte und der Beteiligte verteidigen das Berufungsurteil.

6 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II

7 Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unfallfürsorge, weil der am 1. Januar 1998 erlittene Unfall kein Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist.

8 Nach dieser Vorschrift ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.

9 Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“ gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG verlangt - außer dem hier nicht zweifelhaften Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Schaden - einen bestimmten Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Ausübung des Dienstes. Dieser Zusammenhang ist das entscheidende Kriterium, so dass nicht jedweder ursächliche Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes genügt, sondern eine besonders enge ursächliche Verknüpfung mit dem Dienst bestehen muss (Urteile vom 24. Oktober 1963 - BVerwG 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <62 f.>, vom 12. Februar 1971 - BVerwG 6 C 36.66 - BVerwGE 37, 203 <204>, vom 18. April 2002 - BVerwG 2 C 22.01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 2 und vom 15. November 2007 - BVerwG 2 C 24.06 - juris Rn. 11). Ausgehend von dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos, das der gesetzlichen Regelung in § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG nach Sinn und Zweck der Vorschrift zugrunde liegt, steht der Beamte bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Risiken, die sich am Dienstort während der Dienstzeit verwirklichen, sind daher in der Regel dem Dienstherrn zuzurechnen (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O.).

10 Die Ausübung des Dienstes wird aber nicht stets durch Dienstzeit und Dienstort geprägt. Dies gilt vor allem für Beamte, die Dienstaufgaben in unterschiedlichem Umfang außerhalb der Dienststelle und außerhalb der „regelmäßigen“ Arbeitszeit ausüben. Jedenfalls in den Fällen, in denen der Beamte die Wahl hat, ob er die dienstliche Tätigkeit in einem vom Dienstherrn hierfür vorgehaltenen Dienstzimmer oder andernorts (etwa im häuslichen Arbeitszimmer) ausüben will, verlässt der Beamte, der sich für den Dienst außerhalb des Dienstgebäudes entscheidet, grundsätzlich den unfallfürsorgerechtlich geschützten Risikobereich des Dienstherrn, den zu erweitern nicht in sein Belieben gestellt ist. In diesen Fällen kommt Dienstunfallschutz nur dann in Betracht, wenn der Unfall umgebungsunabhängig seine wesentliche Ursache in einer dienstlichen Verrichtung hat. Dabei ist maßgeblich, ob die den Unfall auslösende konkrete Tätigkeit bei objektiver Betrachtung typischerweise zu den Dienstaufgaben des Beamten gehört.

11 Lehrer gehören zu denjenigen Beamten, deren Dienstausübung sich nicht in Tätigkeiten im Schulgebäude, d.h. im räumlichen Risikobereich des Dienstherrn erschöpft. Hinsichtlich des Ortes und der Zeit bestimmter ihnen obliegender Tätigkeiten, etwa der Unterrichtsvorbereitung, der Korrektur von Klassenarbeiten, oder wie hier der Vorbereitung der Schulleiterbesprechung und des Abfassens dienstlicher Schreiben ist ihnen weitgehende Gestaltungsfreiheit eingeräumt.

12 Es stand der Klägerin als Schulleiterin frei, diese Tätigkeiten in ihrem Dienstzimmer oder anderenorts, auch außerhalb der üblichen Dienstzeit zu verrichten. Entscheidet sie sich aber, die Dienstaufgaben in ihrem häuslichen Arbeitszimmer zu erledigen, kommt Dienstunfallschutz nur eingeschränkt in Betracht. Die sich dort verwirklichenden Risiken sind in der Regel dem privaten (eigenwirtschaftlichen) Risiko des Beamten zuzuordnen; denn der Beamte, der darauf verzichtet, für die Erledigung dienstlicher Aufgaben das ihm vom Dienstherrn zur Verfügung gestellte Dienstzimmer zu benutzen, hat freiwillig die unfallfürsorgegeschützte Risikosphäre des Dienstherrn verlassen.

13 Ereignet sich in diesen Fällen, in denen der Beamte den Dienst wahlweise auch außerhalb des Dienstgebäudes ausüben kann, ein Unfall im privaten Lebensbereich des Beamten, kann gleichwohl ein Dienstunfall vorliegen. Um die fragliche Verrichtung des Beamten nicht der vorgegebenen Privatsphäre, sondern dem dienstlichen Bereich zuzurechnen, ist entscheidend auf die Anforderungen des Dienstes abzustellen. Diese müssen entsprechend dem Sinn und Zweck der Unfallfürsorgeregelung die wesentliche (objektive) Ursache der Verrichtung sein, bei der der Beamte den Unfall erleidet; die in Frage kommende Verrichtung muss durch die Erfordernisse desjenigen Dienstes, den der Beamte typischerweise zu leisten hat, ihre maßgebende Prägung erfahren (Urteile vom 12. Februar 1971 a.a.O. S. 206 f. und vom 3. November 1976 - BVerwG 6 C 203.73 - BVerwGE 51, 220 <222>).

14 Bei der Beurteilung, welche Verrichtungen typischerweise zu den Dienstaufgaben des Beamten gehören, ist auf die dem Beamten in seinem Amt übertragenen Obliegenheiten und das sich daraus ergebende Berufsbild abzustellen. Die jeweiligen Verrichtungen des Beamten müssen ihre wesentliche Ursache in diesen Erfordernissen haben und in ihrer ganzen Eigenart durch sie geprägt sein. Diese Kriterien sind nicht nur für die Beurteilung maßgebend, ob Verrichtungen außerhalb der Dienstzeit und des Dienstortes überhaupt der Dienstausübung und damit dem unfallgeschützten Bereich zugeordnet werden können, sondern auch für die Entscheidung, ob dies in Bezug auf die jeweilige konkrete Verrichtung geschehen kann (Urteil vom 3. November 1976 a.a.O. S. 222 f.). Bei einem Beamten, der Arbeitszeit und Arbeitsort weitgehend selbst bestimmen darf, bei dem also der Eigeninitiative in Bezug auf die Dienstausübung ein weiter Spielraum einzuräumen ist, muss die konkrete Tätigkeit, bei der der Unfall sich ereignet hat, die maßgebende Prägung durch die Erfordernisse des Dienstes erfahren haben, d.h. diese Tätigkeit muss typischerweise zu den Dienstaufgaben des Beamten gehören (Urteil vom 12. Februar 1971 a.a.O. S. 207 f.).

15 Die konkrete Verrichtung, bei der sich der Unfall der Klägerin ereignete, war weder die Vorbereitung einer Schulleiterkonferenz noch das Abfassen dienstlicher Schreiben, beides eindeutig dienstliche Tätigkeiten, sondern das Tragen befüllter Kohleeimer zum Beheizen des häuslichen Arbeitszimmers. Es handelte sich hierbei um eine die dienstlichen Arbeiten vorbereitende Tätigkeit, die entscheidend durch die spezifische Beschaffenheit des häuslichen Bereichs, nämlich die Ausstattung des Arbeitszimmers mit einem Kohleofen geprägt war. Unerheblich ist, ob das Schleppen von Kohleeimern in der Schule der Klägerin zur Jahreswende 1997/1998 zu den dienstlichen Obliegenheiten des gesamten Lehrkörpers und auch der Schulleiterin gehörte, denn die von der Klägerin transportierten Kohleeimer waren nicht zum Beheizen der Schulräume gedacht.

16 Damit hatte der Unfall seine wesentliche Ursache nicht umgebungsunabhängig in der konkreten dienstlichen Verrichtung. Vielmehr lag die wesentliche Unfallursache in äußeren Umständen, auf die der Dienstherr keinen Einfluss hatte und die daher weiterhin dem privaten Lebensbereich des Beamten zuzuordnen war. Die Ausstattung des häuslichen Arbeitszimmers - Kohleofen, Türschwelle - ist von der privaten Lebensführung geprägt und daher allein dem privaten Risikobereich der Klägerin zuzuordnen.

17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.