Beschluss vom 29.11.2006 -
BVerwG 7 B 77.06ECLI:DE:BVerwG:2006:291106B7B77.06.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 29.11.2006 - 7 B 77.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:291106B7B77.06.0]
Beschluss
BVerwG 7 B 77.06
- VG Dresden - 29.06.2006 - AZ: VG 3 K 3029/00
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 29. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 120 255,85 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Kläger begehrt die Feststellung der Berechtigung zugunsten der ungeteilten Erbengemeinschaft nach seinem Großvater Max W., der mit einem 1/5-Anteil Miteigentümer des ehemaligen Flurstücks 97a der Gemarkung D. war. Im Sommer 1967 wurde das 1945 zerstörte Gebiet von D., zu dem auch das vorbezeichnete Grundstück gehört, zum Aufbaugebiet erklärt. Die Inanspruchnahme des Grundstücks (mit anschließender Verwendung im komplexen Wohnungsbau) erfolgte im Juli 1970; die Entschädigung für die Inanspruchnahme des Grundstücks ist auf 25 200 Mark festgesetzt und mit hierauf lastenden Hypotheken und aufgelaufenen Zinsen verrechnet worden.
2 Den Antrag auf Rückübertragung lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen ab. Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Die beantragte Feststellung eines Anspruchs auf Entschädigung scheide aus, da Schädigungstatbestände gemäß § 1 VermG nicht vorlägen. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
3 Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
4 1. Der Kläger sieht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) in dem Umstand begründet, dass das Gericht seinen Vortrag und die unstreitigen Umstände nicht in der erforderlichen „kritischen Gesamtschau“ gewürdigt, sondern die jeweils zweifelhaften Gesichtspunkte nur „isoliert“ abgearbeitet hat. Zwar kann eine denkfehlerhafte Bewertung von Indizien ein die Verfahrensrüge eröffnender Verstoß gegen eine ordnungsgemäße richterliche Überzeugungsbildung sein (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 f. = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225). Der vom Kläger behauptete, auf der fehlenden Gesamtschau beruhende logische Fehlschluss ist dem Verwaltungsgericht aber nicht unterlaufen, wenn es zentral darauf abstellt, dass das streitbefangene Grundstück schon deshalb keiner Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG unterlegen war, weil in Anbetracht der Größe des Aufbaugebiets und der erheblichen Zahl (insgesamt 365) in Anspruch genommener oder erworbener Grundstücke kein Raum war für unlautere Machenschaften, dies insbesondere auch angesichts des verfolgten Zweckes und der hierfür zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten. Der Umstand, dass ein (damals bereits verstorbener) Miteigentümer des Grundstücks im Juli 1971 nach erfolgter Inanspruchnahme nochmals zum Verkauf des Grundstücks aufgefordert worden war, sei als „bloße Kommunikationsstörung innerhalb der damaligen Behörden“ zu werten und indiziere keine unlautere Machenschaft. Wenn das Gericht demgegenüber Umstände, wie die Nichtbeteiligung der Mehrheit der Miteigentümer am Erwerbs-/Inanspruchnahmeverfahren und eventuelle - schriftsätzlich weder in den Verwaltungsakten noch in den Akten des Gerichts vom Kläger im Einzelnen dargestellte - frühere Wiederaufbauabsichten der Miteigentümer zurückstellt, hat es diese Indizien im Rahmen der Würdigung des Sachverhalts anders gewertet, als es aus der Sicht des Klägers geboten gewesen wäre. Eine Verletzung von Denkgesetzen durch unrichtige Schlussfolgerungen kann aber nur dann vorliegen, wenn allein eine einzige Schlussfolgerung möglich, jede andere aber dem Grunde nach schlechterdings unmöglich ist und das Gericht die allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat. Ein derartiger Fehlgriff ist dem Gericht bei Würdigung der einzelnen Umstände des vorliegenden Falles ebenso wenig unterlaufen wie eine verfahrensfehlerhafte Ausblendung wesentlicher Elemente des Sachverhalts.
5 In Wahrheit rügt die Beschwerde die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung und setzt dieser eine eigene Würdigung gegenüber. Dem Tatsachengericht ist durch § 108 Abs. 1 VwGO die Aufgabe übertragen, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den streiterheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. Beschluss vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31). Diese Würdigung des Sachverhalts ist grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann daher im Regelfall ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht geltend gemacht werden (stRspr, vgl. Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4).
6 2. Ein Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht liegt nicht vor. Die Beschwerde erachtet die sich aus § 86 Abs. 3 VwGO ergebende Hinweispflicht für verletzt, weil das Gericht nicht darauf hingewiesen habe, dass es den Vortrag des Klägers zu den Wiederaufbauabsichten durch frühere Miteigentümer vor Inanspruchnahme des Grundstücks und zu den hierfür versagten Genehmigungen für zu unsubstantiiert gehalten hat, um hieraus Hinweise auf unlautere Machenschaften ableiten zu können.
7 Die Hinweispflicht des Vorsitzenden dient nicht allein dem Zweck, das Verfahren sachgerecht zu leiten, sondern soll zur Wahrung des rechtlichen Gehörs auch mangelnden Rechtskenntnissen von Beteiligten und deren Unerfahrenheit begegnen. Dabei besteht eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber nicht rechtskundigen und anwaltschaftlich nicht vertretenen Beteiligten (Beschluss vom 1. März 2001 - BVerwG 6 B 6.01 - NVwZ 2001, 922).
8 Diese Hinweispflicht ist aber nicht unbegrenzt. Ohne einen Anhalt für die Annahme, dass der Kläger bei seiner Rechtsverfolgung von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist und deshalb einen zur Wahrnehmung seines Rechts gebotenen Tatsachenvortrag unterlassen hat, kommt eine Hinweispflicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO nicht in Betracht (Beschluss vom 15. April 1998 - BVerwG 2 B 26.98 - juris m.w.N.). Die Hinweispflicht kann sich insbesondere auch nicht auf Geschehenskomplexe aus dem persönlichen Lebensbereich eines Klägers (bzw. dessen Rechtsvorgängers) beziehen, die in ihrem Gesamtumfang nur ansatzweise in den Prozess eingeführt sind. Die Hinweispflicht ersetzt somit nicht die Obliegenheit des Klägers zu vollständigem und zu substantiiertem Sachvortrag der Tatsachen aus seinem persönlichen Umfeld und dient nicht dazu, die betreffende Partei zu einem völlig neuen Vorbringen zu bestimmen.
9 Im Verwaltungsvorgang verweist lediglich der Restitutionsantrag vom 10. Oktober 1990 darauf, dass den früheren Eigentümern eine „Genehmigung des Wiederaufbaus“ verweigert worden war und das teilweise zerstörte (sehr ungünstig geschnittene) Grundstück bis in die 1960er Jahre zum Teil gewerblich genutzt worden ist (Verwaltungsakte S. 135). Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht war die Frage der verweigerten Genehmigungen zum Wiederaufbau des Grundstücks und ein daraus gegebenenfalls herzuleitender Schädigungstatbestand nicht ansatzweise Gegenstand schriftsätzlicher Erörterungen. Sollte in der mündlichen Verhandlung, in der die Lage des ehemaligen Flurstücks 97a erörtert worden ist, auch die Frage des verweigerten Wiederaufbaus angesprochen worden sein, ist dem offensichtlich keine große Bedeutung zugemessen worden. Dem Gericht musste sich eine derartige Relevanz im Hinblick auf § 1 Abs. 3 VermG auch nicht aufdrängen in Anbetracht der durch das Aufbaugesetz vorgegebenen Möglichkeiten einer baulichen Neuordnung und der gebotenen Korrektur des Zuschnitts der Grundstücke.
10 3. Eine aktenwidrige Feststellung des Sachverhalts durch das Gericht liegt nicht vor. Dies würde einen zweifelsfreien, also offensichtlichen Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt voraussetzen (stRspr, Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 m.w.N.). Ein solcher Widerspruch ist nicht gegeben.
11 Die Rüge des Klägers richtet sich der Sache nach gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, wonach Einigungsverhandlungen (im Sinne von § 3 der Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 7. Juni 1951, GBl S. 552) bereits in dem Anschreiben des Rates der Stadt Dresden vom 16. April 1968 zu sehen seien, wenngleich dieses zu keinen Verhandlungen zwischen den Beteiligten führte. Das Gericht zieht den Begriff der Einigungsverhandlung damit erheblich weiter als die Beschwerde, was seine Berechtigung im Wortlaut des - im Übrigen nicht revisiblen - § 3 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsverordnung finden kann, wo lediglich davon die Rede ist „eine Einigung anzustreben“. Die Beschwerde begründet somit mit ihrem Vorbringen keine Aktenwidrigkeit; sie greift vielmehr die tatrichterliche Rechtsauffassung und Überzeugungsbildung an, die als Verfahrensmängel nicht rügefähig sind (stRspr, Beschlüsse vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - UPR 2000, 226 und vom 4. Oktober 2005 - BVerwG 6 B 40.05 - juris).
12 4. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor. Denn das Verwaltungsgericht hat in schlüssiger Weise dargelegt, weshalb es zu keiner Inanspruchnahme des Flurstücks 97f nach dem Aufbaugesetz gekommen ist, obwohl es ebenfalls für die Errichtung eines 10-geschossigen Wohnblockes verwendet und überbaut worden ist. Wenn der das Flurstück 97f betreffende Vorgang nach Auffassung des Gerichts zudem keine Rückschlüsse auf die Inanspruchnahme des Flurstücks 97a zulässt, musste es in den Urteilsgründen auf weitere Erwägungen des Klägers zu dessen Nichtinanspruchnahme nicht eingehen.
13 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich mit der Stellung eigener Anträge ihrerseits in ein Kostenrisiko begeben haben. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.