Beschluss vom 28.09.2022 -
BVerwG 5 PB 4.22ECLI:DE:BVerwG:2022:280922B5PB4.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 28.09.2022 - 5 PB 4.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:280922B5PB4.22.0]
Beschluss
BVerwG 5 PB 4.22
- VG Berlin - 03.05.2021 - AZ: 71 K 8/20 PVB
- OVG Berlin-Brandenburg - 10.02.2022 - AZ: 62 PV 1/21
In der Personalvertretungssache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. September 2022
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Bundes - vom 10. Februar 2022 wird verworfen.
Gründe
1 Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Beschwerdebegründung den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes (§ 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92a Satz 2 und § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG) nicht genügt.
2 Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung, mit der es die Beschwerde gegen die erstinstanzlich erfolgreiche Anfechtung der Wahl des Beteiligten zu 1 vom 22. April 2020 zurückgewiesen hat, auf zwei unabhängig voneinander bestehende Verstöße des Wahlvorstandes gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren gestützt. Es hat die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe im Wahlausschreiben beanstandet, die weder auf § 17 noch § 19 BPersVWO gestützt werden könne und aus näher dargelegten Gründen entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 auch nicht nach § 19a BPersVWO rechtmäßig sei. Der Wahlvorstand habe auch gegen die sich aus § 8 Abs. 2 Satz 2 BPersVWO ergebende Verpflichtung verstoßen, die Beschäftigungsstelle - verstanden als organisatorisch abgegrenzter Teil der Dienststelle - anzugeben.
3 Ist - wovon hier zutreffend auch die Beschwerde ausgeht (Beschwerdebegründung S. 4: "Darüber hinaus" sowie S. 7: "hinsichtlich des zweiten tragenden Grundes seiner Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht") – die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts selbstständig tragend auf mehrere Gründe gestützt, kann die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 19. November 2019 - 5 PB 6.19 - juris Rn. 7). Das ist hier nicht der Fall. Das Vorbringen zur Begründung der gegen die erstgenannte Begründung allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG.
4 Hinsichtlich des ersten Begründungsstranges will die Beschwerde - ohne eine solche ausdrücklich zu formulieren - eine Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung zu § 19a BPersVWO aufwerfen. Diese Vorschrift wurde als "Sonderregelung für die Personalratswahl 2020" durch Art. 1 Nr. 2 der Fünften Verordnung zur Änderung der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz vom 24. April 2020 (BAnz AT vom 28. April 2020 V1) mit Wirkung vom 1. März 2020 in die Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz eingefügt. Nach § 19a Abs. 4 BPersVWO trat die Vorschrift am 31. März 2021 wieder außer Kraft.
5 Fragen auslaufenden oder ausgelaufenen Rechts verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92a Satz 2 und § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG, weil dieser Zulassungsgrund die Rechtsbeschwerde eröffnen soll, um Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungsweisend zu klären (stRspr, vgl. zum Revisionsrecht BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 5 B 54.10 - juris Rn. 5 m. w. N.; vgl. zur Rechtsbeschwerde BVerwG, Beschluss vom 1. November 2016 - 5 PB 2.16 - juris Rn. 8). Ausnahmsweise können Fragen des ausgelaufenen Rechts grundsätzlich klärungsbedürftig sein, wenn das in Rede stehende Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist jedoch der Rechtsbeschwerdeführer darlegungspflichtig und es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargelegt und ersichtlich sein. Als weitere Ausnahme kann eine Sache trotz ausgelaufenen Rechts auch dann grundsätzlich klärungsbedürftig bleiben, wenn sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die streitige Frage in gleicher Weise stellt. Dies muss jedoch offensichtlich sein, weil es nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die frühere mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen (BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 5 B 54.10 - juris Rn. 6 f. m. w. N.).
6 Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch Fragen des ausgelaufenen Rechts eine grundsätzliche Bedeutung zukommen kann, vorliegen. Sie macht insoweit lediglich geltend, dass die der Norm zugrundeliegende Pandemie nach wie vor existent sei und nach öffentlichen Äußerungen von Fachleuten, namentlich von Epidemiologen, sich eine Situation, wie sie derzeit aufgrund von Covid-19 bestehe, zukünftig jederzeit wiederholen könne, was über eine abstrakte Gefahr hinausgehe. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Beantwortung der aufgeworfenen Frage für künftige Regelungen berücksichtigen werde, insbesondere da sich sowohl aus der Neufassung des Bundespersonalvertretungsgesetzes als auch aus der Übergangsnorm der eindeutige Wille des Gesetzgebers erkennen lasse, nicht nur personalratslose Zeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, sondern auch eine möglichst breite Beteiligung der Dienstkräfte an Personalratswahlen bei Vorliegen einer die Gesundheit erheblich gefährdenden Situation (Pandemie) zu fördern. Damit legt die Beschwerde weder dar, dass die außer Kraft getretene Vorschrift des § 19a BPersVWO für einen nicht überschaubaren Personenkreis noch von Bedeutung ist, noch, dass sich die aufgeworfene Frage in Bezug auf eine inhaltsgleiche Nachfolgeregelung stellen würde. Die vage Aussicht auf etwaige künftige gesetzliche Regelungen reicht insoweit nicht aus.
7 Von einer weiteren Begründung wird nach § 108 Abs. 2 BPersVG i. V. m. § 92a Satz 2 i. V. m. § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen.